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2.1 S ELBSTREGULATION

2.1.2 Entwicklungsbedingungen und Entwicklung von Selbstregulation

Baumeister und Kollegen haben Selbstregulation als einen Prozess definiert, der auf die Veränderung internaler Zustände und Verhalten ausgerichtet ist, um angestrebte Ziele zu erreichen (Baumeister & Vohs, 2007). Aus entwicklungspsychologischer Sicht stellt sich die Frage nach der Entwicklung der Voraussetzungen für Selbstregulation. Dies bein-haltet etwa die Frage, wie ein Kind sich Standards aneignet, an denen es sein Verhalten ausrichtet. Die hier überblicksartig vorgestellten motivationstheoretischen Ansätze legen nahe, dass neben der Entwicklung der Fähigkeit zur Selbstregulation auch die Selbstkon-zeptentwicklung (z. B. Wissen über Eigenschaften, Fähigkeiten, Vorlieben; Harter, 2012) relevant ist. In welchem Alter ist ein Kind beispielweise in der Lage sich den eigenen Fä-higkeiten entsprechende Ziele zu setzen? Wie entwickelt sich die Fähigkeit Ziele selbstän-dig zu verfolgen und zielgerichtete Handlungen aufrecht zu erhalten? In dem folgenden Abschnitt steht daher die Entwicklung von Selbstregulation im Kontext sozialer Interaktio-nen im Mittelpunkt des Interesses.

In Anlehnung an das von Kopp (1982) postulierte Entwicklungsmodell lassen sich zentrale Veränderungen in der Entwicklung von Selbstregulation in den ersten Lebensjah-ren in fünf Entwicklungsphasen zusammenfassen (siehe auch Übersicht in Heikamp, 2005;

Heikamp, Trommsdorff, & Fäsche, 2013).1 Die Regulation biologischer Funktionen (u. a.

1 Die hier dargestellten theoretischen Überlegungen und empirischen Befunde zur Entwicklung von Selbstre-gulation basieren teilweise auf einem Buchbeitrag (Heikamp, Trommsdorff, & Fäsche, 2013), der während der Anfertigung der vorliegenden Arbeit entstanden ist.

Schlaf-Wach-Rhythmus) eines Neugeborenen erfolgt in den ersten Lebensmonaten auf der Basis physiologischer Prozesse (neurophysiologische Modulation; Kopp, 1982). Aufgrund der fehlenden Fähigkeit zwischen sich selbst und anderen Personen zu differenzieren sind sich Neugeborene in diesem Entwicklungsalter ihrer selbst als eigenständige Person noch nicht bewusst. Dies lässt sich am Phänomen der emotionalen oder empathischen Anste-ckung beobachten, wenn Neugeborene mit Schreien auf das Weinen anderer Kinder reagie-ren (emotional contagion). Hierbei treten bereits einfache Formen der Regulation auf (z. B.

Blickabwenden, Saugen; Geangu, Benga, Stahl, & Striano, 2011). Da der Regulationsfä-higkeit jedoch enge Grenzen gesetzt sind, erfolgt die Regulation des Erregungsniveaus überwiegend durch Bezugspersonen (z. B. Körperkontakt; Jahromi, Putnam, & Stifter, 2004).

Im Alter von 3 bis 12 Monaten zeigen Säuglinge ein wachsendes Interesse an ihrer so-zialen Umwelt. Säuglinge interagieren mit Objekten in ihrer Umgebung und führen zielge-richtet Effekte herbei, die sie als selbstbelohnend erleben (sensomotorische Modulation;

Kopp, 1982). Das intrinsische Interesse eines Kindes an seiner sozialen Umwelt motiviert Bezugspersonen zu wechselseitigen Interaktionen (Face-to-face Interaktionen; Trevarthen

& Aitken, 2001). Bezugspersonen reagieren intuitiv auf die Aufmerksamkeit eines Kindes, indem sie in spielerischen Interaktionen durch rhythmische und melodische Sprache (motherese; Trevarthen & Aitken, 2001), aber auch Mimik und Gestik die kindliche Auf-merksamkeit bekräftigen. Frühe dyadische Interaktionen sind gekennzeichnet durch eine wechselseitige Aufmerksamkeitsregulation, die ein Kind motivieren, soziale Interaktionen aufrechtzuerhalten. Die wechselseitige Bezugnahme zwischen Kind und Bezugsperson kommt zum Ausdruck, indem ein Kind auf die Zuwendung seiner Bezugspersonen unmit-telbar mit Lächeln und Lautäußerungen reagiert. Die charakteristische Synchronizität (d. h.

verbundene und aufeinander bezogene Verhaltenssequenzen) frühkindlicher Interaktionen ist eine Basis für die Entwicklung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und Koopera-tion (Trevarthen & Aitken, 2001) sowie der SelbstregulaKoopera-tion (Feldman, Greenbaum, &

Yirmiya, 1999).

Gegen Ende des ersten Lebensjahres erkennen Kinder zielgerichtete Handlungen (Meltzoff, 1995) und können intentionale menschliche Handlungen von mechanischen Bewegungen unterscheiden (Woodward, 1998). Dyadische Interaktionen verlagern sich zu Interaktionen geteilter Aufmerksamkeit, in denen Bezugsperson und Kind ihre Aufmerk-samkeit gemeinsam auf ein Objekt richten. Ab 9 Monaten beginnen Kinder bereits im vor-sprachlichen Alter aktiv zu kommunizieren, indem sie der Blickrichtung anderer Personen

folgen und mittels Blickkontakt und Gesten die Aufmerksamkeit ihrer Interaktionspartner gezielt auf Objekte in ihrer Umwelt lenken (joint attention; Tomasello, 2011; Tomasello, Carpenter, & Liszkowski, 2007). Prozesse gemeinsamer Aufmerksamkeit stellen eine wichtige Voraussetzung für Imitationslernen und für die sogenannte soziale Bezugnahme dar. Unter sozialer Bezugnahme wird das im zweiten Lebensjahr zunehmend auftretende Verhalten eines Kindes verstanden, sich anhand des emotionalen Ausdrucks einer anderen Personen zu orientieren, um uneindeutige Situationen zu interpretieren und Emotionen und Verhalten entsprechend zu regulieren (social referencing; Repacholi, 1998).

Darüber hinaus zeigen Kinder in diesem Alter ein ausgeprägtes Interesse an unbe-kannten und neuartigen Handlungen, die sie bei Erwachsenen beobachten. Untersuchungen zum Imitationslernen bei Kleinkindern im Alter von 9 und 14 Monaten haben gezeigt, dass Kinder zuvor beobachtete Handlungen (z. B. einen Knopf drücken, um einen Ton auszulö-sen) Erwachsener spontan nachahmen (Meltzoff & Brooks, 2001). Im Alter von 14 Mona-ten zeigen Kleinkinder eine klare Präferenz für die Nachahmung von inMona-tentionalen Hand-lungen gegenüber scheinbar zufälligen HandHand-lungen (Carpenter, Akhtar, & Tomasello, 1998). Kinder lassen dabei eine deutliche Präferenz für die Imitation von Handlungen er-kennen, die zweckmäßig sind, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen (Gergely, Bekkering,

& Király, 2002).

Die Disposition Handlungen anderer Personen als zielgerichtet wahrzunehmen ist eine wichtige Voraussetzung, um Handlungsintentionen anderer Personen zu verstehen (Blakemore & Decety, 2001). Durch Imitation beobachteter Handlungen lernen bereits Kleinkinder in alltäglichen Interaktionen, dass eigene Handlungen mit mentalen Prozessen assoziiert sind. Da beobachtete und erfolgreich reproduzierte eigene Handlungen als ähn-lich wahrgenommen werden, findet eine Übertragung der eigenen mentalen Prozesse auf andere Personen statt. Die Fähigkeit mentale Prozesse anderer Personen zu verstehen und das „Erkennen“, dass andere Menschen in dieser Hinsicht einem selbst ähnlich sind (Like-Me-Hypothese; Meltzoff & Brooks, 2001) ist demnach ein wichtiges Resultat des Imitati-onslernens. Die Bereitschaft und Fähigkeit das Verhalten anderer Personen zu imitieren, ist der Startpunkt für die Entwicklung sozialer Kognition (Meltzoff, 2007) und somit eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von Selbstregulation.

Die Fähigkeit, zielgerichtete Handlungen selbst zu initiieren und intendiert zu regulie-ren gehen im zweiten Lebensjahr einher mit der Fähigkeit, aktiv mit der Umwelt zu inter-agieren (Kontrolle; Kopp, 1982). Kinder zeigen in diesem Alter eine hohe Bereitschaft, mit anderen Personen zu kooperieren oder Verhaltensregeln zu befolgen (Kochanska, Tjebkes,

& Forman, 1998; Liszkowski, Carpenter, Striano, & Tomasello, 2006; Tomasello, 2005).

Die fortschreitende Entwicklung kognitiver und motorischer Fertigkeiten im zweiten Le-bensjahr fördert die Differenzierung zwischen Selbst und Umwelt. Zentral ist die Fähig-keit, sich selbst zu erkennen (z. B. im Spiegel; Harter, 2012). Autonomie- und Kompetenz-erleben zeigen sich bei Kindern bereits im Alter von 20 Monaten im Ausdruck von Stolz, wenn Bezugspersonen die erfolgreiche Bewältigung einer Aufgabe loben (Heckhausen, 1988). Im Alter von 2 Jahren erkennen sich Kinder selbst als Urheber eigener Handlungen und sind imstande, einfache Anweisungen zu befolgen, wenn sie dazu aufgefordert werden (Kochanska, Tjebkes, & Forman, 1998; Vaughn, Kopp, & Krakow, 1984; Vaughn, Kopp, Krakow, Johnson, & Schwartz, 1986). Mit 2 Jahren lernen Kinder, dass ihre eigenen Hand-lungen bei Bezugspersonen positive oder negative Reaktionen hervorrufen. Aufgrund der antizipierten Reaktionen ihrer Bezugspersonen sind Kinder motiviert, Handlungen, die positive Reaktionen auslösen, zu zeigen und negative Reaktionen zu vermeiden. Ein frühes Verständnis für Verhaltenserwartungen ihrer Umwelt lassen Kinder erkennen, wenn Kin-der sich bei Misserfolg von Erwachsenen abwenden und eine frühe Form von Scham zei-gen (z. B. Schultern hänzei-gen lassen; Harter, 2012).

Nach Kopp (1982) ist die kognitive Repräsentation handlungsrelevanter Informatio-nen entscheidend für die Entwicklung der Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstkontrolle.

Die Fähigkeit Informationen zu repräsentieren und abzurufen ist eine Grundlage, um auf der Basis von Lernerfahrungen selbständig Verhalten zu initiieren und zu steuern. Kinder erwerben in sprachlich vermittelten Interaktionen mit Bezugspersonen Kenntnisse über Verhaltensregeln und soziale Erwartungen (Dunn, 1987). Sprache und Verhalten eines Kindes spiegeln zunehmend bereits erworbenes Wissen über soziale Regeln und situations-spezifische Verhaltenserwartungen wider. Die Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstkon-trolle ist in den ersten Lebensjahren jedoch noch eingeschränkt, zum Beispiel hinsichtlich der Fähigkeit, flexibel auf soziale Anforderungen zu reagieren (Kopp, 1982). Kognitive Entwicklungsveränderungen im Vorschulalter sind Ausgangspunkt für die Entwicklung von Selbstregulation, die im Vergleich zur Selbstkontrolle eine qualitativ überlegene Form der Handlungssteuerung darstellt (Kopp, 1982). Insbesondere die Fähigkeit, eigene Ab-sichten zu reflektieren und bei anderen Personen zu erkennen (theory of mind; Flavell, 1999) sowie vergangene und zukünftige Bedürfnisse zu vergegenwärtigen, sind kognitive Voraussetzungen, um Ziele durch Prozesse der Selbstregulation zu realisieren (Bischof-Köhler, 2000).

Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme versetzt Kinder ab dem 3. Lebensjahr auch in die Lage, zu erkennen, dass sie selbst und ihre Handlungen Gegenstand von Bewertun-gen durch andere Personen sind. EiBewertun-gene HandlunBewertun-gen werden durch Reaktionen und Bewer-tungen anderer Personen beziehungsweise Vorstellungen über die BewerBewer-tungen durch an-dere gespiegelt (looking-glass-self; Harter, 2012). Handlungserfahrungen werden zuneh-mend reflektiert, verinnerlicht und in ein Selbstkonzept integriert. Die Entwicklung von Selbstregulation und die Identitätsentwicklung durch die Reflexion eigener Handlungen bedingen sich wechselseitig. Die fortschreitende Entwicklung von Selbstregulation ermög-licht es einem Kind, in einen aktiven Austausch mit seiner Umwelt zu treten und durch Prozesse sozialer Ko-Konstruktion Vorstellungen über sich selbst und seine Umwelt zu entwickeln. Bis ins Vorschulalter sind die Selbstbeschreibungen von Kindern in Bezug auf Eigenschaften und Kompetenzen überwiegend positiv, bisweilen sogar unrealistisch posi-tiv gefärbt. Im Vorschulalter entwickeln Kinder bereichsspezifische Selbstbeschreibungen.

Kinder neigen dabei zu einem „eindimensionalen“ Denken und schreiben sich in einem Bereich globale positive oder negative Eigenschaften wie „brav“ oder „unartig“ zu (Harter, 2012). Im Schulalter entwickeln Kinder realistischere Einschätzungen ihrer Fähigkeiten (Selbstwirksamkeit; Bandura, 1997), die im Entwicklungsverlauf zunehmend stärker mit dem tatsächlichen Verhalten übereinstimmen (Davis-Kean, Huesmann, Collins, Bates, &

Lansford, 2008).