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Diskussion des videobasierten Konzeptes und Variationsmöglichkeiten

Im Dokument Lehrkräftebildung neu gedacht (Seite 142-145)

Von der Videographie mit Live-Feedback zur kollaborativen Videoanalyse Christoph Thyssen & Arash Tolou

3. Diskussion des videobasierten Konzeptes und Variationsmöglichkeiten

Generell gilt, dass der Einsatz von Videos im Vergleich zu klassischen Lernmedien stets einer Abwägung in Bezug auf deren Nutzen, kognitive Belastung und Lernför-derlichkeit bedarf. Der Einsatz sollte vorab stets situationsabhängig überprüft werden, denn empirische Studien zeigen, dass sich Lernförderlichkeitseffekte nur unter be-stimmten Bedingungen einstellen (Santos-Espino et al., 2016). Zu berücksichtigen ist auch die weitgehend gesicherte Erkenntnis, dass Videos aufgrund ihrer multimodalen Natur die kognitive Belastung erhöhen können. Vor allem können die Anforderungen an Aufmerksamkeit und Verarbeitungskapazität erheblich ansteigen, wenn gespro-chenes Wort, Schrift und bewegte Bilder miteinander kombiniert werden (Homer et al., 2008).

Trotz dieser Aspekte bieten Videos die Möglichkeit, eine soziale Interaktion, die im praktischen Unterricht stattfindet, zeitlich ‚einzufrieren‘ und diese wieder erleb-bar zu machen. Es muss angemerkt werden, dass das Wiedererleben einer Situation mithilfe von Videos zwar das Erinnern erleichtert, aber nie mit der vom Individuum real erlebten Situation vergleichbar ist, da das Video (nur) eine weitere Perspektive aufzeigt. Dies kommt (schon rein optisch) zustande, da das Video unweigerlich die Perspektive der bearbeitenden aufnehmenden Person bzw. Position einfängt. Das Vi-deo kann dennoch weiterhin als eine ‚objektive‘ und ‚unveränderte‘ Sicht auf die Situ-ation angesehen werden, da der Inhalt sich nach der Fertigstellung im Gegensatz zu menschlichen Erinnerungen nicht durch Zeit oder auch durch Interpretation der zu erinnernden Situation verändert. Ein weiterer Vorteil von Videos ist, dass ihre Erstel-lung kaum besondere technische Fertigkeiten bedarf und bei geringem Zeitaufwand mit nahezu jedem modernen Rechner (USB-Kamera) oder Mobilgerät problemlos zu leisten ist (Handke, 2020). Auch sind notwendige Aufnahmegeräte mittlerweile sehr günstig bzw. Teil vorhandener Ausstattung (Notebook, Tablet) und so klein ge-worden, so dass ihr Einsatz den Ablauf der praktischen Stunde nicht wesentlich stört.

Abb. 3: Funktionsprinzip von smallPART inklusive In-picture-Markierungen.

143 Videobasierte Kompetenzentwicklungskette in fachdidaktischen Praktika und Seminaren

Ein Vorteil der im Lehrkonzept mit livefeedback und smallPART produzierten bzw.

genutzten Videos ist ihre Authentizität bei der Dokumentation der Lehrversuche. Als Demonstrationsvideos erfassen sie diese möglichst frei von subjektiven Beeinflus-sungen und Perspektiven und somit sind die Situationen quasi ‚objektiv‘, d. h. mög-lichst ungefiltert (Persike, 2020). Das ist möglich, da diese Art von Videos keinem vordefinierten Skript folgt, sondern eine Dokumentation individueller Geschehnisse darstellt (ebd.). Im Gegensatz zu reinen Diskussionen im Anschluss an Lehrsequen-zen oder deren Beobachtung auf Videos liefern annotierungsbasierte Bearbeitungen gerade in der Lehrkräftebildung gute und weniger oberflächliche Ergebnisse (Krüger et al., 2012). Annotationen wirken als Reflexions- sowie Diskussionsanker und lie-fern den Lernenden in Bezug auf eine Ausgangsfragestellung eine Quintessenz des Inhaltes (ebd.). Gleichzeitig gewinnen Dozierende durch die zentrale Sammlung aller Beiträge in der Plattform leicht einen Überblick und haben dort bei Bedarf auch die Möglichkeit, den Prozess zu moderieren. In smallPART können die über livefeedback gewonnenen Daten als proaktive Bearbeitung der Inhalte aufgefasst werden, die, ebenso wie eine Interaktion mit Peers oder Dozierenden, welche Feedback geben und als Dialogpartner zur Verfügung stehen, von wesentlicher Bedeutung für den Lernerfolg sind (Vohle & Reinmann, 2012). Über den beschriebenen Ansatz können digital auch externe Akteure aus z. B. Studienseminaren ohne größere Probleme in die Reflexion eingebunden werden.

Als eine unter Corona-Bedingungen taugliche Variante konnten in smallPART anstelle von in Live-Situationen aufgenommenen Videos auch Lehrvideos der Stu-dierenden eingesetzt werden, die zuhause unter Einbindung von Versuchsdemonst-rationen und Lehrervorträgen erstellt wurden. Auch hier war eine kollaborative An-notierung und Reflexion zielführend. Mit smallPART ist in diesem Use-Case neben einem Fokus auf der Performance der Lehrenden im Video auch eine Analyse des Videos unter mediendidaktischen Aspekten möglich.

Literatur

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144 Christoph Thyssen & Arash Tolou

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Sachcomicgestaltung mit der Paper-Cut-Out-Technik im

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