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& Christoph Schüle

Im Dokument Lehrkräftebildung neu gedacht (Seite 121-126)

Mit Beginn ihres Studiums sollen angehende Lehrkräfte darauf vorbereitet werden, didaktisch begründete Unterrichtspläne als Grundlage für einen lernwirksamen Un-terricht und dessen anschließende Analyse zu entwickeln. Dafür sollen sie lernen, den künftigen Unterricht zu antizipieren und das Lehr-Lernhandeln durch zahlreiche Pla-nungsentscheidungen – im folgenden Beispiel für eine Geographiestunde zum Thema

„Klimawandel“ angedeutet (Rinschede & Siegmund, 2018) – gedanklich vorwegzu-nehmen: Unter Berücksichtigung von curricularen Vorgaben, der zeitlich-inhaltli-chen Anordnung von Themenkomplexen samt übergreifenden Richt- und Grobzie-len sowie der lernbereichsspezifischen Voraussetzungen müssen Feinziele formuliert werden, z. B.: Die Lernenden erläutern die Auswirkungen des Klimawandels in der polaren und subpolaren Zone am Beispiel der Abnahme des arktischen Meereises.

Diesen Zielen müssen passend strukturierte geographische Lerninhalte und exem-plarische Beispiele zugeordnet werden. So könnten z. B. zunächst die Anzeichen des Klimawandels aus lokaler, regionaler oder nationaler Perspektive mit einem Schwer-punkt auf besonders vulnerablen Naturräumen und Ökosystemen samt Fachbegriffen wie Treibhauseffekt oder erneuerbare Energien betrachtet werden, bevor globale Aus-wirkungen analysiert werden. Außerdem sind darauf bezogene Medien auszuwählen, z. B. Karten zur regionalen Einordnung der Arktis und Computersimulationen der Eisschmelze, und Methoden festzulegen wie z. B. ein Gruppenpuzzle in der Erarbei-tungsphase zu zentralen Aspekten wie dem zunehmenden Abschmelzen des Eises unter der Leitfrage nach Folgen der Eisschmelze in der Arktis auf das regionale und globale Klima.

1. Herausforderungen interdependenten Entscheidens

Herausfordernd an dieser Planungsaufgabe ist u. a. die didaktische Begründung der Planungsentscheidungen in Orientierung am Prinzip der Interdependenz. Dieses Prinzip bezieht sich auf die „Wechselwirkung der Planungsmomente“ (Schulz, 1972, S. 45) und fordert dazu auf, die einzelnen Entscheidungen widerspruchsfrei unterein-ander und mit den situativen und individuellen Lernvoraussetzungen zu verknüpfen.

122 Daniel Scholl et al.

Gerade Planungsanfängerinnen und -anfänger scheinen allerdings grundsätzlich Schwierigkeiten beim Erkennen der Wechselwirkungen ihrer Planungsentscheidun-gen zu haben, weshalb sie sich oft nur auf einzelne Bereiche (z. B. die Inhalte) konzen-trieren (Koeppen, 1998). Neben der Komplexität der Planungsaufgabe selbst (Mutton et al., 2011), liegen zwei mögliche Ursachen für diese Schwierigkeiten in den a) kogni-tiven Anforderungen interdependenten Entscheidens und b) der Notwendigkeit der Verbindung der Vielzahl von allgemein- und fachdidaktischen Planungsmodellen:

a) Im Sinne der Cognitive-Load-Theorie (Sweller et al., 2019) ist eine intrinsische kognitive Überlastung des kapazitätsbegrenzten Arbeitsgedächtnisses umso wahrscheinlicher, je mehr interagierende Elemente bei der Bearbeitung einer be-stimmten Aufgabe – in diesem Fall dem interdependenten Planungsentscheiden – simultan im Gedächtnis gehalten und verarbeitet werden müssen und je geringer das Vorwissen ist.

b) In ihrem Studium lernen Studierende in der Regel unterschiedliche allgemein- und fachdidaktische Planungsmodelle kennen (Scholl et al., 2020). Da diese Mo-delle meist unverbundenen nebeneinanderstehen, müssen Studierende sie bei ihren ersten Planungsversuchen in ihren Schulpraktika eigenständig integrieren.

2. Das Onlinetool „DU – Digitales Unterrichtscoaching“

Um eine innovative Lösung für die Probleme der kognitiven Belastung beim inter-dependenten Planungsentscheiden und der Integration allgemein- und fachdidakti-scher Planungsmodelle zu finden, wurde im Zuge des Projekts „Digitales Unterrichts-coaching im Bachelor Combined Studies mit Lehramtsoption“ (DU) (gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur) ein Plug-in für das Learning-Management-System Stud.IP (Studienbegleitender Internetsupport von Präsenzlehre) entwickelt. Dieses Plug-in, dessen Bereitstellung als Open Educational Ressource im OER-Portal Niedersachsen für Ende 2021 geplant ist, richtet sich an an-gehende Lehrkräfte und ist für den begleitenden Einsatz in Seminaren zur Förderung der Unterrichtsplanungskompetenz als Vorbereitung auf Schulpraktika gedacht.

Im Mittelpunkt der Anwendung steht die ausführliche Strukturplanung von Unterricht und das interdependente Treffen von Entscheidungen in verschiedenen Planungsbereichen. Die Auswahl und Erläuterung dieser Planungsbereiche stellt das Ergebnis der Entwicklung eines integrativen Modells der Unterrichtsplanung dar, das abstrakte Annahmen allgemeindidaktischer Planungsmodelle bündelt und außer-dem – fachdidaktisch konkretisiert – differenzierte Planungsoptionen für die Fächer Geographie, Mathematik und Sport im Anschluss an den Forschungsstand der jewei-ligen Fachdidaktiken bietet (Scholl et al., 2020).

Das Plug-in ermöglicht die individuelle Anlage von Unterrichtsplänen für Einzel- oder Doppelstunden. Auf der iconbasierten Übersichtsseite eines jeden Plans wer-den – in Anlehnung an die Berliner Didaktik (Schulz, 1972) – sechs Planungsbereiche abgebildet (situative Voraussetzungen, individuelle Voraussetzungen, Intentionalität,

123 Das Onlinetool „DU – Digitales Unterrichtscoaching“

Inhalt, Methodik und Medien) (Abbildung 1), die in selbst gewählter Reihenfolge be-arbeitet werden können.

In jedem Planungsbereich können Freifelder mit Texteditoren zu bestimmten Aspekten angelegt werden, z. B. im Bereich individuelle Voraussetzungen u. a. zum Vorwissen, zum Interesse oder dem Lern- und Arbeitsverhalten (Abbildung 2, Ziffer 1). Zu jedem der sechs Planungsbereiche und dessen einzelnen Aspekten gibt es fach-didaktisch spezifizierte Informationsbausteine mit kurzen Definitionen und Anmer-kungen am rechten Seitenrand (Abbildung 2, Ziffer 2).

Abb. 1: Die sechs Planungsbereiche des Plug-ins Unterrichtsplanung in Stud.IP.

Abb. 2: Ausschnitt aus dem Planungsbereich „Individuelle Voraussetzungen“.

124 Daniel Scholl et al.

Mit dieser strukturierten Planungsumgebung erfüllt das Plug-in zunächst ähnliche Funktionen wie andere digitale Unterrichtsplanungstools, die sich als wirkungsvolle Hilfen bei der Bewältigung der alltäglichen Unterrichtsplanungsaufgabe erwiesen ha-ben (Strickroth, 2019). Seine eigentliche Funktion besteht allerdings in der kognitiv entlastenden Förderung dynamischen Planungsdenkens durch die Flexibilisierung der Bearbeitung der Planungsaufgabe.

Diese Flexibilisierung wird durch ein graphisches Selbstkontrollsystem für inter-dependente Planungsentscheidungen zur Reduktion der kognitiven Belastung unter-stützt. In jedem der sechs Planungsbereiche findet sich an gleicher Stelle eine Anzeige der jeweils anderen fünf Bereiche, dargestellt durch die entsprechenden Icons, die eingefärbt werden können (Abbildung 2, Ziffer 3): Innerhalb der Bereiche können die einzelnen Icons auf grün gesetzt werden, wenn die Entscheidungen im gerade bearbeiteten Bereich (z. B. Inhalt) begründet auf bereits getroffene oder potenzielle Entscheidungen in den anderen Bereichen (z. B. Intentionalität) abgestimmt wurden (eine automatisierte inhaltliche Kontrolle gibt es allerdings nicht). Auf der Übersichts-seite ändern sich die Farben der Icons automatisch: Rot bleiben sie, wenn Interdepen-denzen unbeachtet sind, also in den einzelnen Bereichen keine Icons auf grün gesetzt wurden, gelb, wenn Interdependenzen lediglich einseitig mitgedacht, also Icons nur in einem Bereich (z. B. Inhalt) grün eingefärbt wurden, und grün, wenn Interdepen-denzen vollständig berücksichtigt und damit in zwei Bereichen (z. B. sowohl Inhalt als auch Intentionalität) für den jeweils anderen Bereich grün markiert wurden.

Mithilfe dieses Ampelsystems wird versucht, die hohe intrinsische Belastung des Arbeitsgedächtnisses beim interdependenten Planungsentscheiden durch Verringe-rung jeweils aktuell zu berücksichtigender Planungsbereiche zu reduzieren: Im Plug-in wird die Unterrichtsplanungsaufgabe Plug-in viele Teilaufgaben aufgelöst. Dabei macht das Ampelsystem bilaterale Bezüge zwischen den Planungsbereichen bewusst, inner-halb derer zunächst zweiseitige interdependente Entscheidungen gefällt werden. Da diese Bilateralität schrittweise in Multilateralität überführt wird, kann das Prinzip der Interdependenz zwar kognitiv entlastend, aber dennoch verlustfrei umgesetzt wer-den. Denn die Teilaufgaben können flexibel sequenziell und dennoch vernetzt ab-gearbeitet werden, ohne die Dynamik des Planungsdenkens in einer Linearität eines Planungsalgorithmus aufzulösen. Die freigesetzten Arbeitsgedächtniskapazitäten können dann zur Übertragung des integrierten Planungswissens in das Langzeit-gedächtnis und zur Ausbildung von Routinen im interdependenten Entscheiden bei zukünftigen Unterrichtsplanungen genutzt werden. Erste Evaluationsergebnisse der Benutzerinnen- und Benutzerfreundlichkeit des Plug-ins (N = 82 Studierende) fallen positiv aus. Die Teilnehmenden geben außerdem mehrheitlich (70,7%) an, durch die Icons teilweise bis sehr motiviert zu werden, über die Wechselwirkungen zwischen den Planungsentscheidungen nachzudenken.

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Literatur

Koeppen, K. E. (1998). The experience of a secondary social studies student teacher: seeking security by planning for self. Teaching and Teacher Education, 14(4), 401–411. https://doi.

org/10.1016/S0742-051X(97)00047-4

Mutton, T., Hagger, H. & Burn, K. (2011). Learning to plan, planning to learn: the developing expertise of beginning teachers. Teachers and Teaching, 17(4), 399–416. https://doi.org/10 .1080/13540602.2011.580516

Rinschede, G. & Siegmund, A. (2018). Geographiedidaktik (4. Aufl.). Schöningh.

Scholl, D., Küth, S., Flath, M., Lathan, H., Schwarz, B., Wolters, P., Rheinländer, K. & Schüle, C. (2020). Zum Konstrukt der Planungskompetenz in allgemein- und fachdidaktischen Ansätzen. In K. Zierer (Hrsg.), Jahrbuch für Allgemeine Didaktik 2019. Thementeil: Allge-meine Didaktik und Fachdidaktik (S. 75–91). Schneider Verlag Hohengehren.

Schulz, W. (1972). Unterricht – Analyse und Planung. In P. Heimann, G. Otto & W. Schulz (Hrsg.), Unterricht. Analyse und Planung (6. Aufl., S. 13–47). Hermann Schroedel.

Strickroth, S. (2019). PLATON: Developing a Graphical Lesson Planning System for Pro-spective Teachers. Education Sciences, 9(4), 254. https://doi.org/10.3390/educsci9040254 Sweller, J., van Merriënboer, J. J. G. & Paas, F. (2019). Cognitive Architecture and

Instruc-tional Design: 20 Years Later. EducaInstruc-tional Psychology Review, 31(2), 261–292. https://doi.

org/10.1007/s10648-019-09465-5

Im Dokument Lehrkräftebildung neu gedacht (Seite 121-126)