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Chemie-Labothek als innovatives, vernetzendes Format Claudia Bohrmann-Linde, Nico Meuter, Richard Kremer,

Im Dokument Lehrkräftebildung neu gedacht (Seite 108-113)

Nuno Pereira Vaz & Julian Venzlaff

Mit der Wuppertaler Chemie-Labothek ist ein curricular in die Lehramtsausbildung eingebundenes Lehr-/Lernformat gewachsen, das Studierende zum Einen mit Ergeb-nissen curricularer Innovationsforschung zu zukunftsweisenden Themen der Natur-wissenschaften und Technik, wie z. B. Solarenergiekonversion in alternativen Solar-zellen, Nutzung leitfähiger Polymere für OLEDs und OPVs, sowie Photoprozesse bei der Nutzung intelligenter Materialien vertraut macht. Gleichzeitig ermöglicht es die Verzahnung mit der schulischen Praxis durch Vermittlung der neu erworbenen Kenntnisse an Oberstufenschülerinnen und -schülern in wiederholt durchgeführten MICROTEACHING-Einheiten und leistet dabei einen Beitrag zur Förderung der Handlungs- und Reflexionskompetenzen sowie des fachdidaktischen Wissens der Studierenden.

1. Motivierende und zukunftsträchtige Kontexte für universitäre und schulische Lehr-/Lernangebote

Neben den für den Erwerb eines breiten chemischen Grundlagenwissens unverzicht-baren Lehrinhalten sowie schulrelevanten Themen der Chemie sollten universitäre Curricula für das Lehramtsstudium auch Inhalte aktueller Forschung ausweisen, die es zukünftigen Lehrkräften ermöglichen, ihr erworbenes Wissen auf neue Sachver-halte anzuwenden und Fragestellungen mit Bezug auf wissenschaftliches Neuland zu entwickeln. Damit kann zukünftigen Lehrkräften das Bild einer sich stetig wei-terentwickelnden Naturwissenschaft während ihrer Ausbildung vermittelt werden.

Ähnliches gilt auch, entsprechend abgestuft, für schulischen Chemieunterricht. Die Forschenden von morgen rekrutieren sich aus der heutigen Schülergeneration. Daher sollte schon in der Schule durch geeignete Kontexte erfahrbar gemacht werden, dass die Naturwissenschaften fortwährend eine Fülle an zukünftig neu oder weiter zu er-forschenden Themenfeldern bereithalten. Geeignete Kontexte können durchaus, im Sinne eines AMBITIOUS SCIENCE TEACHING (Windschitl et al., 2018), komplexe Phänomene adressieren sowie die experimentelle Auseinandersetzung und die An-wendung verschiedener Konzepte erfordern.

Die Forderung nach Kontextorientierung ist nicht neu (Parchmann et al., 2001;

Scheid, 1913). Aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler werden Kontexte

109 Forschung trifft Schule insbesondere dann als authentisch und interessant erachtet, wenn sie aktuell und be-sonders sind (van Vorst et al., 2015). Entsprechende Kontexte können auch unter-richtsergänzend in Schülerlaboren eröffnet bzw. erschlossen werden, wobei Angebote zu entwickeln sind, deren Experimentalprogramme deutlich über klassische Versuche wie die Titrationen von Cola oder Versuche zum Ester-Gleichgewicht hinausgehen.

Besonders wertvoll sind Angebote, die zudem an etablierte Fachinhalte des Chemie-unterrichts anknüpfen und mehrere Themenfelder verbinden.

Für die Chemie-Labothek wurden für die aktuell drei verfügbaren Kurse entspre-chend die folgenden Kontexte gewählt: a) „Alternative Solarzellen auf der Basis von Titandioxid“, b) „Organische Leuchtdioden und Solarzellen auf der Basis von Kunst-stoffen“ und c) „Licht treibt Prozesse in Umwelt und Technik an“ (z. B. molekulare Schalter), die anknüpfend an die curricular verankerten Themenfelder Elektro chemie, Kunststoffe und Farbstoffe erarbeitet werden.

2. Innovationscharakter der Labothek-Kurse und der Lehrveranstaltung

Sowohl die Lehrveranstaltung als auch die Labothek-Kurse an sich sind in verschie-dener Hinsicht innovativ: Einerseits hinsichtlich der behandelten, noch nicht in den universitären und schulischen Curricula verankerten, zukunftsträchtigen Inhalte, die als Ergebnisse curricularer Innovationsforschung über entwickelte Experimente und verschiedene digitale Medien zunächst erschlossen und später vermittelt werden. An-dererseits hinsichtlich der Möglichkeit des weiter unten beschriebenen Kompetenz-zuwachses in wiederholt durchgeführten und reflektierten Betreuungssituationen und letztlich hinsichtlich der Möglichkeit der Studierenden, teilweise an Optimie-rungsschleifen curricularer Innovationsforschung zu partizipieren.

3. Konzeption der Labothek-Kurse und der Lehrveranstaltung

Bei den Labothek-Kursen handelt es sich um seit Beginn des Jahrtausends gewach-sene (Tausch & Bohrmann, 2002) und in steter Weiterentwicklung befindliche Pro-gramme, die auf fachdidaktischen Promotions- bzw. Abschlussarbeiten basieren (z. B.

Selbherr, 2017; Zeller, 2019; Banerji, 2012; Zepp, 2017). Die inhaltliche Progression in einem Labothek-Kurs folgt dem didaktischen Leitsatz „vom Etablierten zum Innova-tiven“. So beginnt z. B. der Labothek-Kurs zu alternativen Solarzellen auf der Basis von Titandioxid mit Versuchen zur Leitfähigkeit bei Metallen, Lösungen und Halbleitern und geht über Titandioxid-basierte photogalvanische Zellen hin zu sensibilisierten Grätzelzellen, die mittlerweile z. B. in Form gebäudeintegrierter Photovoltaik an Ge-bäudefassaden wie z. B. am Swiss Tech Convention Center in Lausanne verbaut sind.

Die Integration der Ergebnisse fachdidaktischer Forschung in die Labothek dient auch der Evaluierung entwickelter Experimente, Konzepte und Medien und führt zu weiteren Iterationsschleifen gemäß der Vorgehensweise curricularer

Innovationsfor-110 Claudia Bohrmann-Linde, Nico Meuter, Richard Kremer, Nuno Pereira Vaz & Julian Venzlaff schung (Tausch, 2020). Die Integration in die curricular verankerte Lehrveranstal-tung und die Möglichkeit der Partizipation der Studierenden an Iterationsschleifen wurde in den vergangenen Jahren ausgebaut. Die Struktur der Lehrveranstaltung in ihrer aktuellen Form sowie die Phasen eines i.d.R. fünfstündigen Labothek-Kurses ist Tab. 1 zu entnehmen.

Tab. 1: Struktur der Lehrveranstaltung und Phasen eines Labothek-Kurses.

Lehrveranstaltung „Forschung und Entwicklung in der Fachdidaktik Chemie (Labothek)“

im M.Ed.

Vorlesungseinheiten und Übungen: Erschließen von Grundlagen der Photochemie und von für die Labothek-Kurse relevanten weiteren innovativen Fachinhalten

Laborphase: Durchführung und Einübung von Experimentiersequenzen (arbeitsteilig) Seminarphase: Präsentation der Experimente und fachliche Klärung zugrunde liegender Prozesse im Plenum

Seminarphase: Perspektivwechsel von lernender zu lehrender Person – didaktische Überle-gungen zur Vermittlung der inhaltlich und experimentell erschlossenen Inhalte an Schü-ler*innen und Sichtung und Diskussion verschiedener vorhandener Lehr-/Lernmedien (Ani-mationen, ppt-Folien, Bildmaterial, Prototyp eines E-Books etc.) für einen Materialpool Interaktion im Labothek-Kurs: Betreuung von Schüler*innengruppen im microteaching (insgesamt 5 Betreuungseinheiten bei fünf verschiedenen Lerngruppen mit zwischenlie-gender Reflexion des eigenen Unterrichtens, Identifikation möglicher alternativer Hand-lungsoptionen und Erklärungsansätze)

Phase Aktivität Dozierender Aktivität Studierender Einstieg in den

Kurs Begrüßung und

Informa-tionen zur Studien- und Berufsorientierung durch Dozent/in

Bericht über Motivation für die Wahl des Studiums und als positiv bzw. negativ wahr-genommene Aspekte des Studiums durch Studierende

Experimentier-phase Dozent/in beobachtet Interaktion der Studie-renden mit Schüler/innen (und steht für Fragen zur Verfügung)

Studierende begleiten Schüler/innen beim Experimentieren und vermitteln die neuen Inhalte im Unterrichtsgespräch in der jewei-ligen Kleingruppe

Vorbereitungs-phase Studierende beobachten die Schüler/innen

bei der Vorbereitung der Gruppenpräsen-tationen und der Auswahl von Medien aus dem Materialpool und stehen für Fragen zur Verfügung

Präsentations-phase Dozent/in rahmt die Phase der Präsentationen durch die Schüler/innen-gruppen und greift bei Bedarf ein.

Studierende beobachten Schüler/innen und stellen den präsentierenden Gruppen ggf.

Fragen oder liefern bei Bedarf Erklärungen.

Seminarphase: Abschlussreflexion des eigenen Unterrichtens und der (möglichen) Ent-wicklung über die fünf Betreuungstermine hinweg mit Dozent/in und Kommiliton/innen, Möglichkeit der Rückmeldung zu verfügbaren Lehr-/Lernmaterialien und Abgabe von Verbesserungsvorschlägen, abschließender Fragebogen zur Lehrveranstaltung

111 Forschung trifft Schule

4. Kompetenzerwerb der Studierenden

Für die Studierenden besteht die Möglichkeit des Kompetenzerwerbs bzw. der Ver-tiefung vorhandener Kompetenzen auf mehreren Ebenen. Einerseits vertiefen die Studierenden ihre Kompetenzen in Zusammenhang mit dem Umgang mit Fachwis-sen, wobei sie neue Inhalte theoretisch und experimentell erarbeiten. In der zweiten Seminarphase (vgl. Tab. 1) erfolgt eine Förderung des fachdidaktischen Wissens, mit Fokus auf die Anleitung von Schülerexperimenten und vor allem hinsichtlich Über-legungen zu geeigneten Formen der Erklärungen, der Auswahl von Analogien, von Abbildungen und digitalen Begleitressourcen, die die Studierenden als Materialpool für die Schülerinnen und Schüler zusammenstellen.

In der Regel wird die Lehrveranstaltung anschließend an das Praxissemester be-legt, womit auf erste Kompetenzen im Handlungsfeld „Unterrichten“ zurückgegrif-fen werden kann. Im Rahmen der wiederholten Betreuungsdurchläufe erhalten die Studierenden die Möglichkeit, basierend auf Reflexionen ihrer Interaktionen mit den Lernenden ihre Handlungskompetenz zu erweitern, z. B. bezüglich der Aktivierung Lernender durch geeignete Fragen und Impulse.

Mit der Kombination aus Vorbereitung der Studierenden vor den Betreuungsein-heiten und der Möglichkeit der wiederholten Durchführung der Betreuung wird die von Priemer formulierte „Rahmenbedingung für eine didaktische und pädagogische Fokussierung auf eigenen Unterricht bzw. auf das eigene Handeln als Lehrperson“

(Priemer, 2020, S. 168) geschaffen.

Durch wiederholte Betreuung derselben Kursblöcke bei verschiedenen Lern-gruppen und zwischenzeitlich in Gesprächen mit Dozierenden und Mitstudierenden erfolgende Betrachtungen des eigenen Handelns in Vermittlungssituationen kann schließlich ein Beitrag zur Förderung der Reflexionskompetenz geleistet werden.

Wenngleich die Veranstaltung hinsichtlich ihrer Workload als anstrengend emp-funden wird, schließen die Studierenden mit insgesamt positiven Feedbacks (vgl.

Abb. 1), die sich aus der mündlichen Abschlussreflexion und den Freitextantworten der schriftlichen Abschlussbefragung ergeben.

Aktuell werden sämtliche Materialien der Labothek-Kurse in ein E-Book-Format überführt, sodass zukünftig experimentelle Beobachtungen und Ergebnisse indi-viduell in einem Dokument integriert und die Labothek-Kurse ohne Medienbruch

Abb. 1: Ausgewählte Rückmeldungen aus der Rückmeldungen aus der Abschlussreflexion.

112 Claudia Bohrmann-Linde, Nico Meuter, Richard Kremer, Nuno Pereira Vaz & Julian Venzlaff absolviert werden können. Die Studierenden partizipieren auch an dieser Entwick-lungsstufe, indem sie die Materialien selbst bearbeiten und Optimierungsvorschläge machen können.

Literatur

Banerji, A. (2012). Vom Plexiglas®zum OLED-Display – Konjugierte Polymere in der curri-cularen Innovation (Dissertation). Bergische Universität Wuppertal. http://elpub.bib.uni-wuppertal.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-3135/dc1216.pdf

Parchmann, I., Demuth, R., Ralle, B., Paschmann, A., & Huntemann, H (2001). Chemie im Kontext. Begründung und Realisierung eines Lernens in sinnstiftenden Kontexten. Pra-xis der Naturwissenschaften Chemie, 50 (1), 2–7.

Priemer, B. (2020). Ein kurzer Überblick über den Stand der fachdidaktischen Forschung der MINT-Fächer an Lehr-Lern-Laboren. In B. Priemer & J. Roth (Hrsg.), Lehr-Lern-Labore (S. 159–171). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58913-7_11

Scheid, K. (1913). Methodik des chemischen Unterrichts. Quelle & Meyer.

Selbherr, A. (2017). Untersuchung verschiedener Titandioxid-Proben und Herstellungsverfah-ren von Photoelektroden für photogalvanische Zellen für den Chemieunterricht. (Wissen-schaftliche Arbeit zum 1. Staatsexamen). Universität Tübingen.

Tausch, M. (2020). Chemie mit Licht – Innovative Didaktik für Studium und Lehre. Springer.

https://doi.org/10.1007/978-3-662-60376-5

Tausch, M., & Bohrmann, C. (2002). Labothek Duisburg. Praxis der Naturwissenschaften Chemie, 51(8), 34–35.

van Vorst, H., Dorschu, A., Fechner, S., Kauertz, A., Krabbe, H., & Sumfleth, E. (2015). Cha-rakterisierung und Strukturierung von Kontexten im naturwissenschaftlichen Unter-richt – Vorschlag einer theoretischen Modellierung. Zeitschrift für Didaktik der Naturwis-senschaften 21, 29–39. https://doi.org/10.1007/s40573-014-0021-5. https://doi.org/10.1007/

s40573-014-0021-5

Windschitl, M. Thompson, J., & Braaten, M. (2018). Ambitious Science Teaching. Cambridge, Massachusetts: Harvard Education Press.

Zeller, D. (2019). Didaktische Erschließung von Titandioxid für den Chemieunterricht – Ent-wicklung und Optimierung von Experimenten, didaktischen Konzepten und Medien (Dis-sertation). Bergische Universität Wuppertal. http://elpub.bib.uni-wuppertal.de/edocs/

dokumente/fbc/chemie/diss2019/zeller

Zepp, M. (2017). Organische Photovoltaik für Unterricht und Lehre (Dissertation). Bergische Universität Wuppertal. http://elpub.bib.uni-wuppertal.de/edocs/dokumente/fbc/che-mie/diss2017/zepp/

Im Dokument Lehrkräftebildung neu gedacht (Seite 108-113)