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KAPITEL 4: Migrationstheoretische Überlegungen zur Green Card

4.4. Die Netzwerktheorie

Die Netzwerktheorie stellt die sozialen Emigrations- und Immigrationsnetzwerke in den Vordergrund der Betrachtung. Persönliche Beziehungen, die Migranten, ehemalige Migranten und Nichtmigranten in Herkunfts- und Zielregionen miteinander

verbinden, nehmen Einfluß auf die Migrationsprozesse und erhöhen die Wahrscheinlichkeit internationaler Arbeitsmigration (Haug 2000: 19f.).

Persönliche Kontakte zu Freunden, Verwandten und Landsleuten helfen potentiellen Migranten, Informationen über das Zielland und über Probleme und Chancen auf den Arbeits- und Wohnungsmärkten zu bekommen. Informationen zwischen Herkunfts- und Zielland werden über Briefe, Telefonanrufe, Heimaturlaub von Migranten u.ä.

weitergegeben, wobei sie unter Umständen auch unvollständig und einseitig sind.

Daneben bieten soziale Netzwerke Unterstützung bei der Ankunft im Zielland.

Dadurch werden die Migrationskosten verringert und die Integration erleichtert.

Soziale Netzwerke fördern und kanalisieren somit die Migration auf „traditionelle“

Zielländer (Münz et al. 1999: 24; Bauer et al. 2000). Sie erlauben es, kulturelles, sprachliches, gesellschaftliches und auch berufliches Wissen an neuen Standorten zu nutzen (Straubhaar 2000b: 27).

Aufgrund von Verwandschafts- und Freundschaftsbeziehungen entstehen durch jeden neuen Migranten neue Verbindungen zwischen dem Herkunfts- und dem Zielland. Durch jeden Migranten werden die Kosten einer späteren Migration für Verwandte und Freunde gesenkt, was manche von ihnen zum auswandern bewegt.

Dies läßt wiederum neue Verbindungen zwischen Herkunfts- und Heimatland entstehen, was wieder für einige Personen die Kosten der Migration senkt und diese zum auswandern bewegt (Massey et al. 1993: 449). Eben geschilderter, sich selbst verstärkender Effekt nennt sich „Kettenmigration“. Beispiele aus der Vergangenheit, bei denen das Vorhandensein von Netzwerken zu einer Kettenmigration geführt hat, sind die Algerier in Frankreich und die Türken in Deutschland (Martin/ Werner 2000a:

4).

In Bezug auf die Green Card gilt es also zu Bedenken, daß ausländische IT-Spezialisten eher in Länder gehen werden, wo entsprechende Netzwerke bereits vorhanden sind. Demnach ist eine differenzierte Betrachtung angesagt: während schon eine große Zahl von Menschen aus osteuropäischen Staaten in Deutschland lebt, gibt es dagegen noch keine indische Gemeinschaft wie in Großbritannien (Martin/ Werner 2000a: 4).

Schlußfolgerungen in Bezug auf die Green Card:

⇒ Der Netzwerktheorie zufolge müßten die ausländischen IT-Experten überwiegend aus Ländern kommen, aus denen bereits viele Menschen nach Deutschland eingewandert sind.

⇒ Für Personen aus Südasien sind andere Länder, in denen bereits viele ihrer Landsleute leben, attraktiver als Deutschland.

⇒ Ausländische Fachkräfte, die in Deutschland studiert haben, haben sich während der Studienzeit soziale Netzwerke hierzulande aufgebaut, die die Migrationskosten entschieden verringern. Daher dürfte ein bedeutender Anteil der Green Card-Inhaber in Deutschland studiert haben.

4.5. Standortattraktivität

Sollen im Wettbewerb mit anderen Staaten die besten und motiviertesten Migranten für eine Zuwanderung nach Deutschland gewonnen werden, so müssen die ökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen für Migranten relativ zu dessen Perspektiven in anderen potentiellen Zielländern gut sein (Zimmermann et al.

2002: 14).

Gerade für hochqualifizierte Menschen ist die Lebensqualität an ihrem künftigen Wohnort von besonderer Bedeutung. Da sie oftmals die Wahl zwischen mehreren Orten haben, werden sie sich denjenigen aussuchen, der in Abstimmung mit ihren Bedürfnissen für sie am attraktivsten ist. Hierbei spielen einerseits natürliche Faktoren (wie das Klima oder die geographische Lage) eine Rolle, andererseits aber auch wirtschaftliche und soziale Faktoren, die durch die Politik beeinflußt werden können (wie z.B. Freiheit oder geringe Steuern) (Straubhaar 2000c: 18; Straubhaar 2001: 222).

Es werden sich die Länder behaupten, die potentiellen Migranten attraktive Standortvoraussetzungen und eine hohe Lebensqualität anzubieten haben.

Angesprochen sind hierbei:

- öffentliche Güter wie ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit, garantierte Eigentumsrechte, eine effiziente öffentliche Verwaltung, ein hohes Ausmaß an innerer und äußerer Sicherheit, eine relativ geringe Steuer- und Abgabenbelastung

- Faktoren, die das Leben „jenseits der Arbeit“ angenehm machen wie qualitativ hochwertige Freizeitangebote, reizvolle Naherholungsgebiete, eine intakte Umwelt

- Faktoren, die für das Wohlbefinden der Familie wichtig sind, wie gute Schulen oder eine gute ärztliche Versorgung (Straubhaar 2001: 221; Straubhaar 2002:

72ff.).

Nur eine weltoffene Gesellschaft, die die Lebensweisen, religiösen Einstellungen und Gewohnheiten der Einwanderer als Bereicherung ansieht, und offen gegenüber Neuerungen und gegenüber alternativen Lebens- und Erwerbsformen ist, kann im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen (Straubhaar 2002: 70ff.;

DGB: Grundsätze). Den umworbenen Personen muß das Gefühl vermittelt werden, daß sie willkommen sind. Für potentielle Migranten, die an Deutschland interessiert sind, machen es nicht nur die Angriffe Rechstradikaler auf Menschen anderen Aussehens, sondern auch die Vorbehalte vieler Bundesbürger gegen eine weitere Zuwanderung von Ausländern25 schwer, sich für Deutschland zu entscheiden26 (Welsch 2000: 1480).

Um hochqualifizierte Fachkräfte anzuziehen, müssen die „barriers to entry and exit“

(Ein- und Austrittskosten in ein Land) so gering wie möglich gehalten werden, um nicht die Kosten der Migration unnötigerweise zu erhöhen. Die Verfahren der Zuwanderungspolitik dürfen allenfalls niedrige Transaktionskosten verursachen. Im Einzelnen ist es notwendig:

- die Behördengänge für An- und Abmeldung einfach zu gestalten,

- die Zuständigkeit für ausländer- und arbeitsrechtliche Prüfungen und Genehmigungen zusammenzufassen,

25 Auf die Frage „Sollte die Zahl von 20.000 Green Cards für ausländische Computerexperten erhöht werden, wenn die IT-Branche entsprechenden Bedarf anmeldet?“ antworteten 68% der Befragten mit „nein“ (Wirtschaftswoche Nr.25/2000: 35).

26 Eine negative, ausländerfeindliche Stimmungsmache durch manche Politiker (z.B. Jürgen Rüttgers mit der Parole „Kinder statt Inder“) verschlimmern noch zusätzlich die Situation (Wirtschaftswoche Nr.12/2000: 38).

- die Anerkennung von Diplomen und Zeugnissen schnell, sachgerecht und nach den Erfordernissen der Beschäftigung vorzunehmen.

Sind die entsprechenden Regulierungen zu kompliziert oder undurchsichtig, können sie einen Abschreckungseffekt auf potentielle Migranten haben (Hönekopp et al.

2001: 23; Straubhaar 2002: 70f.).

In diesem Zusammenhang sei noch einmal in Erinnerung gerufen, daß eine ausländische Fachkraft, die eine Tätigkeit in Deutschland aufnimmt, mindestens zwei Behördengänge zu tun hat: einen zum Arbeitsamt und einen zur Ausländerbehörde (siehe Kap. 2.5.).

Schlußfolgerungen in Bezug auf die Green Card

⇒ Deutschland muß im internationalen Vergleich den hochqualifizierten Fachkräften eine hohe Lebensqualität bieten, da diese sonst eher in ein anderes Land als Deutschland gehen werden.

⇒ Rechtsextreme Übergriffe wirken abschreckend auf potentiell interessierte ausländische Spezialisten.

⇒ Aufgrund der notwendigen Behördengänge und der Schwierigkeiten bei der Anerkennung von ausländischen Diplomen und Zeugnissen erhöht die Green Card die Transaktionskosten für ausländische IT-Fachkräfte.