• Keine Ergebnisse gefunden

KAPITEL 6: Beurteilung des Ausmaßes der Zuwanderung ausländischer IT-Fachkräfte

6.2. Beurteilung der Nutzung der Green Card

Bis zum 31.07.2002 sind 12.478 Arbeitserlaubnisse nach der IT-ArGV zugesichert worden und maximal 8900 ausländische Fachkräfte (wahrscheinlich eher nur 8000) tatsächlich nach Deutschland eingereist. Das erste Kontingent von 10.000 zugesicherten Arbeitserlaubnissen wurde Ende Oktober 2001 erreicht, mehr als ein Jahr nach Inkrafttreten der IT-ArGV und IT-AV. Vergleicht man diese Zahlen mit den 75.000 offenen Stellen, die der BITKOM erhoben hatte, oder gar mit den 113.000 offenen Stellen, von denen im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit gesprochen wurde, so fragt man sich, warum es so lange gedauert hat, bis die ersten 10.000 Arbeitserlaubnisse zugesichert worden sind, bzw.

warum das höchstmögliche Kontingent von 20.000 Zusicherungen (§ 5 IT-ArGV) nicht schon längst ausgeschöpft ist. Wenn sich der Rhythmus der wöchentlichen Zusicherungen nicht wieder erhöht, so werden bis zum 31.07.2003 weit weniger als 20.000 Zusicherungen vergeben worden sein49. Nach diesem Stichtag dürfen keine erstmaligen Arbeitserlaubnisse mehr erteilt werden (siehe S. 11). Das bedeutet, daß ab diesem Tag keine ausländischen IT-Fachkräfte mehr nach der IT-ArGV und IT-AV einreisen können, sondern nur noch bestehende Arbeitsverhältnisse verlängert werden können, bzw. die Unternehmen nur noch auf Fachkräfte zurückgreifen können, die bereits in Deutschland arbeiten und den Arbeitsplatz wechseln wollen.

Die Nutzung der Green Card bleibt also weit hinter dem zurück was möglich wäre, womit sich ein Widerspruch zwischen den von den Unternehmen angegebenen Zahlen fehlender Fachkräfte und der Nutzung der Green Card auftut. Hierfür gibt es vielfältige Erklärungsgründe, die nachfolgend untersucht werden.

49 Bei einem Rhythmus von 200 Zusicherungen pro Woche würde man zum 31.07.2003 etwa die Gesamtzahl von 15.000 zugesicherten Arbeitserlaubnissen nach der IT-ArGV erreichen.

Element 1: die ausländischen IT-Fachkräfte gehen lieber in andere Länder

Deutschland befindet sich im Wettbewerb mit anderen Ländern, wenn es darum geht, ausländische IT-Fachkräfte anzuziehen, und da hat Deutschland gewisse Nachteile.

Dazu zählen neben dem schon ausführlich behandelten Problem der Ausländerfeindlichkeit (siehe S. 49f.), die hohe Steuer- und Abgabenbelastung, und vor allem die deutsche Sprache. Die normale Geschäftssprache in Deutschland ist eben Deutsch. Ausländische Fachkräfte werden in der Tendenz aber eher Englisch sprechen. Die Mitbewerberregionen (USA, Kanada, Australien, Irland, Großbritannien...) haben dieses Problem der Sprachbarriere nicht (Interview ZAV).

Zudem haben für IT-Fachleute die USA in der Regel Priorität, weil dort die Standards gesetzt werden, und ein Aufenthalt in den USA für die Karriere von erheblichem Vorteil ist (Interview DGB).

Neben diesen allgemeinen Bedingungen fallen noch die Bestimmungen der Green Card ins Gewicht. In Kap. 5 wurde herausgearbeitet, daß die Green Card zwar für Familien wenig interessant ist, für andere Personengruppen allerdings schon.

Betrachtet man alleine die Zahl der Bewerbereinträge in der Online-Börse der Bundesanstalt für Arbeit, so sieht man, daß ein immenses Reservoir an interessierten Fachkräften vorhanden ist. So hatten sich z.B. bis Mitte Dezember 2000, wo eine erstmalige „Bereinigung“50 der Datenbank stattfand, 13.937 Bewerber in die Online-Börse eingetragen (Greifenstein 2001: 31). Im April 2002 befanden sich dort die Kompetenzprofile von 7311 Bewerbern (Bundesregierung: Bericht ix_73914).

Da sowieso nur ein geringer Teil der Arbeitsverhältnisse über die Online-Börse stattfindet (vgl. S. 54), ist das Ausmaß des Interesses an einer Green Card doch erheblich.

Element 2: die Unternehmen haben Hemmnisse bei der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte

Unerfahrenheit in der Personalauswahl über die Ländergrenzen hinweg behindert die Suche nach ausländischen IT-Fachkräften. Häufig scheuen die Unternehmen Kosten

50 Die Einträge in die Vermittlungsbörse verfallen automatisch nach sechs Monaten. Die ersten Einträge fanden im Juni 2000 statt, so daß die erste „Bereinigung“ Mitte Dezember 2000 erfolgte (Greifenstein 2001: 33).

und Zeitaufwand, wenn es darum geht, einen Bewerber aus dem Ausland zu einem Gespräch einzuladen, bzw. sich selbst vor Ort ein Bild von dem Bewerber zu machen. Auch sind sich die Unternehmen weniger sicher als bei deutschen Bewerbern, ob ihr Wunschkandidat tatsächlich die Kenntnisse hat, die sie brauchen, und ob er in das Unternehmen paßt (Interview BA). In großen Unternehmen können die Personalabteilungen kaum auf ihre bewährten und erprobten Verfahren und Regeln der Personalauslese zurückgreifen (Greifenstein 2001: 48f.). Kleinere und mittlere Unternehmen haben ferner nicht die Möglichkeit vor Ort zu rekrutieren. All dies führt zu Schwierigkeiten bei der Suche nach ausländischen IT-Fachkräften, so daß manche Unternehmen sich vielleicht abschrecken lassen. Wie unter Kap. 2.4.

aber erläutert, haben sowohl die Bundesanstalt für Arbeit wie auch die deutschen Auslandshandelskammern zahlreiche Möglichkeiten angeboten, die die Rekrutierung im Ausland erleichtern. Ferner kann auch die zusätzliche Arbeit, die durch die Betreuung der ausländischen Fachkräfte entstehen würde (vgl. S. 52) zu einer Zurückhaltung einiger Unternehmen führen (IW online (c)).

Element 3: die Unternehmen haben ihren Bedarf übertrieben

Es ist durchaus denkbar, daß die IT-Branche beim angemeldeten Fachkräftebedarf übertrieben hatte, um auf diese Weise bei der Öffentlichkeit und bei der Politik Gehör zu finden (Interview ZAV). Die geäußerten Zahlen ermöglichten es, die im IT-Arbeitsmarkt auftretenden Engpässe plakativ an die Öffentlichkeit zu tragen und Aktionen auszulösen (Dostal 2000: 2). Tatsache ist, daß die Stellenmeldungen alle offenen Stellen in der IT-Branche betrafen, d.h. daß der Bedarf von 75.000 bzw.

113.000 IT-Fachkräften über die ganze Palette der Qualifikationen berechnet wurde (Interview BDA). Zielgruppe der Green Card sind aber nur die IT-Professionals, und das ist ein weitaus kleinerer Teil des Gesamtbedarfs. IT-Professionals stehen auf der obersten Ebene der beruflichen Qualifikationen im IT-Bereich und verfügen über einen Hochschulabschluß oder eine vergleichbare Qualifikation.

Element 4: die Qualifikationsanforderungen, die an die ausländischen IT-Fachkräfte gestellt werden, sind extrem hoch

Es kann sein, daß viele der Interessenten die von den Unternehmen vorgegebenen Qualifikationskriterien nicht erfüllen und die Unternehmen auf geeignetere Bewerber warten. Als wesentliches Hindernis wird der Mangel an Deutschkenntnissen deutlich (Interview ZAV).

Generell stellen die deutschen Unternehmen hohe Ansprüche an die ausländischen IT-Fachkräfte und sind auch nicht bereit, viele Abstriche zu machen. Die Unternehmen suchen Hochschulabsolventen mit einigen Jahren Berufserfahrung;

dabei erwarten sie vielfach auch Kompetenzen aus anderen Wissenschaftsbereichen. So werden für die Entwicklung einer betriebswirtschaftlichen Software beispielsweise Bewerber gesucht, die nicht nur die modernen Programmiersprachen beherrschen, sondern auch noch über gute betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Kenntnisse verfügen und außerdem Deutsch sprechen (Müller 2000: 199). Solche hohen, stark fixierten Ansprüche machen die Personalauswahl nicht gerade einfacher, zumal es selten

„handgeschnitzte“ Leute gibt (Greifenstein 2001: 49; Interview DGB). Da die Unternehmen Mitarbeiter der Extraklasse suchen, die ihnen bei der Lösung ganz spezieller Probleme ihrer Branche helfen sollen, fallen von vorneherein viele Bewerber aus dem Raster (IW online (a)).

Ferner lassen sich einfach nicht alle Stellen mit ausländischen Fachkräften besetzen (Interview ZAV). Gerade im Anwendungsbereich kann die Beratung in der Regel nur mit Personen aus dem gleichem Kulturkreis erfolgen, da in hohem Maße Einfühlungsvermögen in die Denkweise, die Methoden und die Sprache des Anwendungsgebiets erforderlich sind (Schulte 2000: 205).

Element 5: der Bedarf an ausländischen IT-Fachkräften ist gesunken

Nachdem in den USA massive Einbrüche, verbunden mit Entlassungen in der IT-Branche zu verzeichnen waren, machte sich ab Februar 2001 die konjunkturelle Schwäche auch in Europa bemerkbar (BMAS 2002). Das Rekordwachstum der

IT-Branche im Jahr 2000 um 13% konnte 2001 nicht gehalten werden. Die Wachstumsrate fiel auf 4,4% (BITKOM: Markt&Statistik v. 27.03.02). Im Jahr 2002 ist außerdem die Zahl der Beschäftigten in der IT-Branche zum ersten Mal seit Anfang der 90er Jahre rückläufig. Der BITKOM rechnet mit einem Minus von 3,4% und den Wegfall von 28.000 Arbeitsplätzen (BITKOM: Markt&Statistik v. 29.07.02).

Aufgrund dieser wirtschaftlichen Entwicklung hat sich die Lage auf dem IT-Arbeitsmarkt etwas entspannt und die Nachfrage nach ausländischen IT-Fachkräften ist nicht mehr so hoch (Interview DGB). Aber auch wenn sich der Fachkräftemangel im Umfang reduziert hat, werden Hochqualifizierte weiter benötigt: in der gesamten IT-Wirtschaft ist derzeit von einem Bedarf an 15.000 – 20.000 Hochqualifizierten auszugehen51(BITKOM: 31.07.02). Die Zahl der deutschen Studienanfänger im Fach Informatik reicht immer noch nicht aus, um diesen Bedarf zu decken. Im Jahr 2000 wurde zwar ein Maximum von 38.000 Studienanfängern erreicht, bei den derzeitigen Abbrecherquoten von über 50% würden aber zwischen 2004 und 2007 höchstens 19.000 Absolventen auf den Arbeitsmarkt kommen, was lediglich eine rechnerische Bedarfsdeckung bedeuten würde (Interview BITKOM).

Fazit

Bis zum 31.07.02 betrug die Zahl der erteilten Arbeitserlaubnisse 11.259. Diese Zahl drückt am besten den tatsächlich gedeckten Bedarf an offenen Stellen aus, denn sie umfaßt die Zahl der tatsächlich eingegangenen Beschäftigungsverhältnisse. Setzt man diese 11.259 IT-Fachkräfte in Relation zu den rund 7000 Informatikern, die pro Jahr in Deutschland ihr Hochschulstudium abschließen52, wird deutlich, daß die ausländischen Fachkräfte eine deutliche Entspannung auf dem deutschen IT-Arbeitsmarkt ermöglicht haben. Vor Inkrafttreten der Green Card stand dem deutschen Arbeitsmarkt nur ein Bruchteil entsprechend qualifizierter IT-Professionals zur Verfügung (BDA: PI 09/2001). Dadurch, daß die IT-Branche dann noch von der weltweiten Rezession erfaßt wurde, hat sich einerseits der Bedarf an Fachkräften verringert, und andererseits stehen wieder mehr deutsche Fachkräfte

51 Dies kann sich allerdings bei einem Anziehen der Konjunktur, bei einer Weiterentwicklung auf UMTS oder bei stärkeren Investitionen der öffentlichen Verwaltung in E-Government schnell wieder ändern (Interview BITKOM).

52 Im Jahr 2001 haben 6400 Absolventen der Informatik die deutschen Hochschulen verlassen und sind vom Arbeitsmarkt aufgenommen worden (BMAS 2002).

zur Verfügung. Händerringend werden aber noch SAP-Experten, Datenbankspezialisten, Programmierer mit Erfahrung in anderen Wirtschaftsbereichen und Main-Frame-Spezialisten mit Hochschulabschluß gesucht (Interview ZAV). Auch im Bereich der IT-Sicherheit fehlt es noch an vielen Experten (BITKOM: Markt&Statistik v. 29.07.02).

6.3. Zusammenfassung

Zwischen 01.08.2000 und 31.07.2002 wurden 12.478 Arbeitserlaubnisse an ausländische IT-Fachkräfte zugesichert. Diese verteilen sich sehr unregelmäßig über die Bundesländer, wobei eine Konzentration der Green Card-Inhaber auf die deutschen IT-Cluster festzustellen ist. Die Zahl der zugesicherten Arbeitserlaubnisse darf allerdings nicht mit der Zahl der tatsächlich eingereisten IT-Fachkräfte gleichgesetzt werden: diese dürfte in etwa bei 8000 liegen. Diese Zahl erscheint gering im Vergleich zu den Bedarfsmeldungen der IT-Unternehmen und der Möglichkeit, bis zu 20.000 ausländische IT-Fachkräfte zu rekrutieren. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Die Unternehmen scheuen sich zum Teil davor, ausländische IT-Fachkräfte einzustellen, und ihre Qualifikationsanforderungen sind extrem hoch. Vor allem aber hat sich durch die Rezession die Lage auf dem IT-Arbeitsmarkt entspannt.

KAPITEL 7: Über vermeintliche und tatsächliche Auswirkungen der