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KAPITEL 8: Lehren aus der Green Card

8.2. Die Green Card als Wegweiser für das Zuwanderungsgesetz

Die Debatte um die Green Card trug dazu bei, daß das geltende deutsche Ausländerrecht hinterfragt wurde. Sie gab auch den Anstoß, den Beitrag qualifizierter ausländischer Arbeitnehmer für Wirtschaftswachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu überdenken (BMAS: Pressemitteilung v. 02.07.2001). Die Green Card hat damit einen bemerkenswerten Prozeß des Umdenkens eingeleitet und den Weg frei gemacht für ein modernes Zuwanderungsgesetz, das am 20.06.2002 verabschiedet wurde.

Zwischen Einführung der Green Card für IT-Fachkräfte und dem Zuwanderungsgesetz wurde auch eine Green Card für Pflegekräfte verabschiedet, deren Bestimmungen restriktiver als die der Green Card für IT-Fachkräfte sind. So ist seit Anfang Februar 2002 die Vermittlung ausländischer Haushaltshilfen aus Polen, Ungarn, Slowenien, Tschechien und der Slowakei in Haushalte mit Pflegebedürftigen möglich, wenn sich dafür keine inländischen Kräfte finden lassen. Die ausländischen Haushaltshilfen dürfen maximal drei Jahre in versicherungspflichtiger Vollzeit-beschäftigung tätig werden. Das Vermittlungsverfahren wird von der ZAV in Zusammenarbeit mit den ausländischen Partnerarbeitsverwaltungen durchgeführt.

Den Arbeitsämtern muß die zu besetzende Stelle gemeldet werden. Die Regelung gilt bis zum 31.12.2002 (Arbeitsamt online: Presse-Info 13a; SZ v. 20.12.01).

Das Zuwanderungsgesetz

Das „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“

(Zuwanderungsgesetz) umfaßt:

- das „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“ (AufenthG),

- das „Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern“

(FreizügG/EU), sowie

- verschiedene Artikel zur Änderung bestehender Gesetze und Verordnungen.

Es soll zum 01.01.2003 in Kraft treten.

Durch das neue Gesetz wir die Zahl der Aufenthaltstitel reduziert und deren Bestimmungen vereinfacht. Als Aufenthaltstitel gibt es dann:

- das Visum (§ 6 AufenthG), das für Aufenthalte von bis zu 3 Monaten erteilt wird, - die Aufenthaltserlaubnis (§ 7 AufenthG), die unter Berücksichtigung des

beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen ist, und

- die Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG), die ein unbefristeter Aufenthaltstitel ist. Sie berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, ist zeitlich und räumlich unbeschränkt und darf nicht mit einer Nebenbestimmung versehen werden.

Künftig wird der Aufenthaltstitel zusammen mit der Arbeitsgenehmigung in einem Schritt erteilt (Bundesregierung 2002). Dadurch wird für Ausländer die Zahl der Behördengänge reduziert. Auch die Arbeitsgenehmigungen werden vereinfacht: da die §§ 284-286 SGB III entfallen (Art. 9 Abs.3 Zuwanderungsgesetz), wird künftig nicht mehr zwischen Arbeitserlaubnis und Arbeitsberechtigung unterschieden.

Insgesamt wird dadurch das deutsche Ausländerrecht transparenter.

Einem Ausländer kann eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung u.a. erteilt werden, wenn die BA festgestellt hat, daß

- sich durch die Beschäftigung von Ausländern keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben, und

- deutsche Arbeitnehmer sowie bevorrechtigte Ausländer oder EU-Bürger nicht zur Verfügung stehen.

Sie kann ihm ebenfalls erteilt werden, wenn festgestellt wurde, daß für einzelne Berufsgruppen oder für einzelne Wirtschaftszweige die Besetzung der offenen Stellen mit ausländischen Bewerbern arbeitsmarkt- und integrationspolitisch60 verantwortbar ist. Auf keinen Fall darf der Ausländer zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden.

60 Die Ausländerbehörde prüft gleichzeitig, ob weitere Zuwanderer problemlos integriert werden können (Bundesregierung 2002).

Der Arbeitgeber hat Auskunft über Arbeitsentgelt, Arbeitszeiten und sonstige Arbeitsbedingungen zu erteilen (vgl. § 39 AufenthG).

Einem hochqualifizierten Ausländer kann eine Niederlassungserlaubnis u.a. erteilt werden, wenn die BA zugestimmt hat und die Annahme gerechtfertigt ist, daß die Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland ohne staatliche Hilfe gewährleistet ist61 (§ 19 Abs.1 AufenthG). Als hochqualifiziert gelten:

- Wissenschaftler mit besonderen fachlichen Kenntnissen,

- Lehrpersonen in herausgehobener Funktion oder wissenschaftliche Mitarbeiter in herausgehobener Funktion oder

- Spezialisten und leitende Angestellte mit besonderer Berufserfahrung, die ein Gehalt in Höhe von mindestens dem Doppelten der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten62 (§ 19 Abs.2 AufenthG).

Diesen Personen werden somit dauerhafte Perspektiven in Deutschland geboten.

Allerdings dürfte obige Definition nur auf einen kleinen Personenkreis zutreffen.

Eine Niederlassungserlaubnis wird ferner zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erteilt, wenn ein Ausländer erfolgreich am Auswahlverfahren teilgenommen hat (§ 20 AufenthG). Das Auswahlverfahren dient der Zuwanderung qualifizierter Erwerbspersonen, von denen ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und die Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten sind. Die Auswahl erfolgt durch ein Punktesystem (vgl. auch S. 22). Als Mindestbedingungen für die Teilnahme sind die gesundheitlichen Eignung, ein guter Leumund, die Sicherung des Lebensunterhalts und eine Berufsausbildung vorgesehen. Für die Auswahl der Zuwanderungsbewerber ist zumindest die Bewertung der folgenden Kriterien vorgesehen: Alter, schulische und berufliche Qualifikation sowie berufliche Erfahrung, Familienstand, Sprachkenntnisse, Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland, Herkunftsland. Das Auswahlverfahren wird von dem neu zu gründenden Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durchgeführt (§ 75 AufenthG). Die jetzigen Green Card-Inhaber müßten

61 Der Lebensunterhalt des Ausländers muß gesichert sein. Möchte ein Zuwanderer seine Familie mitbringen, so muß er auch den Lebensunterhalt der nachziehenden Familienangehörigen einschließlich Krankenversicherungsschutz ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten können. Somit erfolgt keine Belastung des deutschen Sozialsystems. Ferner muß ausreichender Wohnraum für die Familie nachgewiesen werden (Bundesregierung 2002).

62 Das wären derzeit etwa 79.200 € Jahresgehalt in Westdeutschland und 65.400 € in Ostdeutschland (vgl. S.16).

sich um eine solche Niederlassungserlaubnis bewerben, möchten sie nach Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bleiben. Durch das Auswahlverfahren erfolgt der Übergang von befristetem zu unbefristetem Aufenthalt. An den Bedingungen und Kriterien für die Auswahl wird deutlich, daß Deutschland seine nationalen und ökonomischen Interessen in den Vordergrund stellt (vgl. DIHK:

Stellungnahme).

Für ausländische Absolventen an deutschen Hochschulen kann nach Abschluß des Studiums die Aufenthaltserlaubnis um bis zu einem Jahr zur Arbeitsplatzsuche verlängert werden (§ 16 Abs.4 AufenthG). So erhalten deutsche Arbeitgeber die Möglichkeit, aus diesem besonders wertvollen Reservoir von Arbeitskräften zu schöpfen (vgl. S. 83f.).

Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, u.a. wenn der Ausländer eine Niederlassungs- oder eine Aufenthaltserlaubnis mit Aufenthaltsdauer von mindestens einem Jahr besitzt (§ 30 AufenthG). Grundsätzlich berechtigt die Aufenthaltserlaubnis den Ehegatten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§ 29 Abs.5 AufenthG). Damit fällt die Wartezeit für den Arbeitsmarktzugang des Ehegatten, die es bei der Green Card für IT-Fachkräfte gibt, weg. Dem Kind eines Ausländers, welches das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis besitzen (§ 32 Abs.3 AufenthG). Soll das Kind nach Erreichen des zwölften Lebensjahrs nachziehen, muß das Kind zusätzlich ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nachweisen (§ 32 Abs.2 AufenthG).

§ 292 SGB III wird in der Art geändert, daß die Erteilung einer Erlaubnis für die private Vermittlung aus dem Ausland für eine Beschäftigung im Inland nicht mehr nötig ist. Die Auslandsvermittlung wird also grundsätzlich freigegeben (Art.9 Abs.6 Zuwanderungsgesetz). Die §§ 302-303 SGB III entfallen, so daß die Unternehmen keinerlei Zustimmung mehr bei einer Anwerbung im Ausland bedürfen (Art.9 Abs.8 Zuwanderungsgesetz).

Alles in allem wurden im neuen Zuwanderungsgesetz die Lehren aus der Green Card berücksichtigt und ihre Restriktionen beseitigt. Die BA behält ihren Einfluß, da sie bei der Ausstellung der Aufenthaltserlaubnisse zur Ausübung einer Beschäftigung und zur Ausstellung einer Niederlassungserlaubnis für Hochqualifizierte grundsätzlich zustimmen muß. Dadurch wird eine bundeseinheitliche Umsetzung der neuen Gesetze garantiert.

Ob jedoch das Zuwanderungsgesetz tatsächlich in Kraft treten wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Nachdem Bundespräsident Johannes Rau das Zuwanderungsgesetz nämlich unterzeichnet hat, haben mehrere unionsregierte Länder eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Grund dafür ist, daß es bei der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz am 21.03.2002 im Bundesrat zu einem Eklat gekommen war. Das für die Mehrheitsverhältnisse ausschlaggebende Land Brandenburg votierte mit gespaltener Stimme, obwohl ein Bundesland im Bundesrat nur einheitlich abstimmen kann. Bundesratspräsident Klaus Wowereit wertete das Votum als Zustimmung, woraufhin die Union Zweifel am rechtmäßigen Zustandekommen des Gesetzes äußerte (SZ v. 16.07.02).

Eine Ablehnung des Zuwanderungsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht wäre ein deutlicher Rückschritt. Es würden kaum Möglichkeiten bestehen, den Hochqualifizierten – insbesondere den IT-Fachkräften die hier sind – eine Zukunft in Deutschland zu geben. Das wäre der sicherste Weg, den internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe zu verlieren (vgl. BMAS: SPI 03/2002). Außerdem brauchen Unternehmen und Zuwanderer einen verläßlichen Rechtsrahmen für ihre Planung.

Das Zuwanderungsgesetz böte einen solchen Rahmen und würde klare Verhältnisse schaffen. Auch die BA braucht Rechtssicherheit, um an die Dienststellen konkrete Anweisungen kommunizieren zu können (Interview BA).

8.3. Entwicklungsperspektive der arbeitsmarktbedingten Zuwanderung in Deutschland

Derzeit kann die deutsche Wirtschaft ca. 1,5 Millionen offene Stellen nicht besetzen.

Jeder zehnte westdeutsche Betrieb klagt über das Fehlen geeigneter Arbeitskräfte63 (Magvas/ Spitznagel 2000: 4). Dabei handelt es sich nicht nur um Stellen für Hochqualifizierte. Vom Fachkräftemangel sind zahlreiche Bereiche betroffen: die Gastronomie, die Pflegeberufe und das Handwerk ebenso wie der Maschinenbau, die chemische Industrie und die Biotechnologie. Insbesondere technologie- und wissensintensive Unternehmen des Dienstleistungsbereichs sind oftmals mangels geeigneter inländischer Bewerber nicht in der Lage, offene Stellen für Ingenieure, Informatiker und Mathematiker zu besetzen (Zimmermann 2000: 207;

Bundesregierung: Dokument ix_73478). Hier beginnt sich zu rächen, daß die Mathematik und die naturwissenschaftlichen Fächer an den deutschen Schulen vernachlässigt worden sind (Schniedermeier 2000: 42). Der Arbeitskräftemangel ist im Begriff, ein zumindest ebenso großes Problem zu werden, wie das der Arbeitslosigkeit (BDA: Arbeitgeber Nr.5). In Anbetracht dieser Bedarfssituation erscheint es sinnvoll, arbeitsmarktbedingte Zuwanderung in Zukunft auszudehnen.

Ab dem Jahr 2010 wird die Anzahl der Erwerbspersonen im aktiven Alter jährlich um 1,3% schrumpfen während die Bevölkerung insgesamt altert (siehe auch S. 77).

Dadurch werden sich Engpäße beim Arbeitskräfteangebot verschärfen. Im Jahr 2050 werden zudem zwei Personen im erwerbsfähigem Alter einen Rentner finanzieren müssen (BDA: Positionspapier). Beide Entwicklungen können durch einen stetigen Zuwanderungsstrom abgemildert werden und der Altersaufbau in Deutschland günstig beeinflußt werden. Allerdings ist zu beachten, daß eine alternde und zahlenmäßig schrumpfende Bevölkerung keine Gastarbeiter auf Zeit, sondern gleichberechtigte, dauerhaft ansässige Einwanderer benötigt (Münz 2001: 5).

Arbeitsmarktbedingte Zuwanderung bietet außerdem den Unternehmen die Möglichkeit, weltweit auf benötigte Arbeitskräfte zurückzugreifen. Dies ist in globalisierten Branchen ein absolutes Muß, da mit kulturell äußerst heterogenen Entwicklungspartnern, Zulieferern und Kunden kooperiert werden muß.

63 Im Osten beträgt der Anteil lediglich 4%.

Entsprechende Marktkenntnisse von Mitarbeitern können hierbei wichtige Wettbewerbsvorteile bieten (BMAS 2002). So bestätigt auch der BITKOM, daß die stark international ausgerichtete IT-Branche auf den internationalen Austausch der Mitarbeiter und auf interkulturelle Teams angewiesen ist (Interview BITKOM).

Darüber hinaus ist arbeitsmarktbedingte Zuwanderung eine Notwendigkeit, um im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen zu können. Öffnet Deutschland nicht seine Grenzen für Hochqualifizierte, so werden diese in andere Länder ziehen und dort ihr Humankapital zur Verfügung stellen und diese Länder werden von ihren positiven Auswirkungen profitieren. Abgeschottete Arbeitsmärkte sind in Zeiten der Globalisierung schlechte Antworten auf die neuen Herausforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft (Greifenstein 2001:

67).

Mit dem Zuwanderungsgesetz erkennt die Politik die Notwendigkeit einer an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts orientierten Zuwanderung an. Die Zuwanderung der ausländischen IT-Fachkräfte war ein erster Schritt. Wenn das Zuwanderungsgesetz in Kraft tritt, kann arbeitsmarktbedingte Zuwanderung in Deutschland künftig viel größere zahlenmäßige Dimensionen annehmen. Auch dadurch, daß das Monopol der Vermittlung der BA für Arbeitskräfte aus dem Ausland aufgegeben wurde (vgl. S.

13) ist davon auszugehen, daß die internationale Arbeitsvermittlung, die derzeit noch in Kindsschuhen steckt, in Zukunft immer professioneller wird. Die Erfahrungen, die mit der Vermittlung der IT-Fachkräfte gesammelt worden sind, können die ZAV und die privaten Arbeitsvermittler auch künftig für die Vermittlung von anderen Berufsgruppen verwenden.