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KAPITEL 8: Lehren aus der Green Card

8.4. Alternativen zur arbeitsmarktbedingten Zuwanderung

Darüber hinaus ist arbeitsmarktbedingte Zuwanderung eine Notwendigkeit, um im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen zu können. Öffnet Deutschland nicht seine Grenzen für Hochqualifizierte, so werden diese in andere Länder ziehen und dort ihr Humankapital zur Verfügung stellen und diese Länder werden von ihren positiven Auswirkungen profitieren. Abgeschottete Arbeitsmärkte sind in Zeiten der Globalisierung schlechte Antworten auf die neuen Herausforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft (Greifenstein 2001:

67).

Mit dem Zuwanderungsgesetz erkennt die Politik die Notwendigkeit einer an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts orientierten Zuwanderung an. Die Zuwanderung der ausländischen IT-Fachkräfte war ein erster Schritt. Wenn das Zuwanderungsgesetz in Kraft tritt, kann arbeitsmarktbedingte Zuwanderung in Deutschland künftig viel größere zahlenmäßige Dimensionen annehmen. Auch dadurch, daß das Monopol der Vermittlung der BA für Arbeitskräfte aus dem Ausland aufgegeben wurde (vgl. S.

13) ist davon auszugehen, daß die internationale Arbeitsvermittlung, die derzeit noch in Kindsschuhen steckt, in Zukunft immer professioneller wird. Die Erfahrungen, die mit der Vermittlung der IT-Fachkräfte gesammelt worden sind, können die ZAV und die privaten Arbeitsvermittler auch künftig für die Vermittlung von anderen Berufsgruppen verwenden.

8.4. Alternativen zur arbeitsmarktbedingten Zuwanderung

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der zahlenmäßig sinkenden Erwerbsbevölkerung in Deutschland bietet arbeitsmarktbedingte Zuwanderung einen Ausweg. Sie darf aber nicht davon ablenken, daß es auch andere Alternativen zur

„Erschließung von Personalreserven“ (Walwei 2001) gibt. In der Tat bestehen verschiedene Möglichkeiten, das in Deutschland vorhandene Arbeitskräftepotential besser zu nutzen als bisher (siehe auch Bericht Unabh. Kommission: 48ff.). Erstens

können Erwerbslose aktiviert werden, und zwar indem durch Anreize und Sanktionen die Flexibilität und Mobilität der Arbeitslosen erhöht wird. Auch die sog. „Stille Reserve“64 bietet ein Reservoir an Arbeitskräften, das bei besseren konjunkturellen Bedingungen auf den Arbeitsmarkt treten würde. Zweitens können die Wochen- oder auch Lebensarbeitszeiten der Erwerbspersonen verlängert werden. Insbesondere könnte von den Erfahrungen älterer Arbeitnehmer bei einem späterem Renteneintritt profitiert werden. Drittens kann die Frauenerwerbsquote erhöht werden. Dafür müssen die Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Arbeitswelt derart verändert werden, daß sich für Frauen Familie und Beruf besser vereinbaren lassen. Viertens kann durch entsprechende Bildungsstrategien das Arbeitskräfteangebot qualitativ verbessert werden. Hier sind einerseits inhaltliche Reformen und höhere Investitionen in die Bildungspolitik erforderlich. Andererseits müssen die Beschäftigten Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen während des gesamten Berufslebens erhalten, damit ihre Beschäftigungsfähigkeit sichergestellt wird.

Der Mangel an IT-Fachkräften hat schwere Fehler in der Bildungs- und Ausbildungspolitik von Staat und Wirtschaft deutlich gemacht (Schmid 2001: 28). Erst 1997 wurden die neuen IT-Ausbildungsberufe IT-Systemelektroniker, Fachinformatiker, IT-Systemkaufmann und Informatikkaufmann geschaffen, mit denen eine ausdifferenzierte Nachwuchsförderung betrieben werden kann (Benner 2000: 713). Es bestehen immer noch Engpäße bezüglich der räumlichen und technischen Ausstattung der Berufsschulen, und es mangelt an qualifizierten Informatik-Lehrern (Schniedermeier 2000: 44). Was den Hochschulbereich betrifft, so nahm in der jüngeren Vergangenheit die Neigung der Abiturienten zum Studium naturwissenschaftlicher oder ingenieurwissenschaftlicher Fächer ab. Das Informatikstudium dauert derzeit mit durchschnittlich 7 Jahren an Universitäten und 5,5 Jahren an Fachhochschulen zu lange und die Studienabbrecherquote ist mit 50%

sehr hoch (IW online (b)). Soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit der Absolventen sind nicht auf dem Niveau, das die IT-Branche erwartet (vgl. Friedewald 2001: 115). Auch die Unternehmen haben es versäumt, ihre Mitarbeiter rechtzeitig in die nötigen Weiterbildungsveranstaltungen zu schicken65.

64 Die sog. Stille Reserve besteht aus eigentlich Arbeitssuchenden, die aus verschiedenen Gründen nicht offiziell bei den Arbeitsämtern gemeldet sind (Keller 1997: 437).

65 In vielen IT-Unternehmen dominiert kurzfristiges Kostendenken das Handeln, so daß es keine weitsichtige Personalentwicklungs- und Nachwuchsplanung gibt (Benner 2000: 714).

Politik und Wirtschaft sind jetzt gefordert, im Rahmen von Bildungsstrategien ihre Versäumnisse wieder gut zu machen. Dies wurde auch mit dem „Sofortprogramm der Bundesregierung und der IuK-Wirtschaft zur Deckung des IT-Kräfte Bedarfs in Deutschland“ beschlossen66 (siehe Kap. 2.2.). Mit diesem Programm wird das inländische Fachkräfteangebot gestärkt67 und ein modernes IT-Weiterbildungs-system68 aufgebaut, das einen Prozeß kontinuierlicher Qualifizierung ermöglicht.

8.5. Zusammenfassung

Auch wenn die Green Card-Regelung in manchen Punkten Verbesserungsbedarf aufweist, war sie ein notwendiger Schritt, um den Paradigmenwechsel vom Anwerbestopp zur gesteuerten, arbeitsmarktbedingten Zuwanderung zu vollziehen.

Dieser gipfelt in dem Zuwanderungsgesetz, das das bisherige Ausländerrecht vereinfacht und den Übergang von befristetem zu dauerhaften Aufenthalt ermöglicht, was eine Abkehr vom bisherigen Gastarbeitermodell bedeutet. Arbeitsmarktbedingte Zuwanderung ist für Deutschland wichtig, um Fachkräftemangel und demographische Probleme zu entschärfen. Sie darf aber nicht davon ablenken, daß es auch andere Alternativen zur Aktivierung von Personalreserven gibt.

66 Zur genauen Entwicklung des Sofortprogramms siehe BMAS 2002 und BMAS 2001a.

67 Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse in den neuen IT-Berufen wurde von 4800 im Jahr 1997 auf knapp 47.000 im Jahr 2001 gesteigert. Auch die Zahl der Studienanfänger im Fach Informatik stieg von ca. 17.000 im Jahr 1997 auf 27.200 im Studienjahr 2000/2001 (BMAS 2001a: 21; BMAS 2002).

68 Das neue IT-Weiterbildungssystem bietet Qualifizierungen auf drei Ebenen an: Spezialisten, operative Professionals und strategische Professionals. Auf der Spezialistenebene wurden 28 Profile direkt auf der Grundlage von Arbeitsplatzanforderungen abgeleitet. Sie decken die gesamte Geschäftsprozesskette von der Marktanalyse über Produktentstehung bis zum Support ab. Eine künftige Erweiterung der Profile ist möglich. Operative Professionals wurden in 4 Ausführungen definiert und entsprechen den an den Hochschulen erworbenen Bachelor-Abschlüssen. Strategische Professionals, die es in zwei Ausführungen gibt, stellen das Äquivalent zu universitären Master-Abschlüssen dar. Somit umfaßt das IT-Weiterbildungssystem alle relevanten Funktionen und Ebenen des IT-Beschäftigungssystems (Benner 2000: 716; BMAS 2002). Es kombiniert einschlägige Grundausbildung und Professionalisierung und kann für die Reorganisation der Aus- und Weiterbildung in anderen Branchen orientierend wirken (Dostal 2002: 7; Baukrowitz/ Boes 2002: 11).