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KAPITEL 8: Lehren aus der Green Card

8.1. Bilanz der arbeitsmarktbedingten Zuwanderung in Deutschland und Empfehlungen

Die Green Card ist vor allem für Berufsanfänger attraktiv. Mit der Green Card sind überwiegend junge Menschen unter 30 nach Deutschland gekommen, die eine berufliche Herausforderung suchen. Es handelt sich hierbei in der Regel um IT-Fachkräfte mit guten Deutschkenntnissen.

Auch wenn die Green Card Menschen aus aller Welt anzieht, dominieren bestimmte Nationalitäten (vgl. Kap. 5.1.). Auf Staatsangehörige der osteuropäischen und baltischen Staaten, sowie der Russischen Föderation, Weißrußlands, der Ukraine und Moldawien entfielen 49% der erteilten Arbeitserlaubnisse. Das Interesse in diesen Ländern an einer Arbeit in Deutschland ist aufgrund kultureller und räumlicher Nähe, aufgrund von Netzwerkbeziehungen, aber auch aufgrund der besseren Lebensbedingungen groß. Auf Staatsangehörige der südasiatischen Länder entfielen 21,3% der erteilten Arbeitserlaubnisse. Diese Menschen sind in erster Linie zur Vertiefung geschäftlicher Beziehungen nach Deutschland eingereist, wobei auch für sie die besseren Gehälter und Lebensbedingungen von Interesse sind. Allerdings ist ihre Integrationsbereitschaft zum Teil sehr gering. So können sich unter der Gruppe der indischen Green Card-Inhaber 36,4% nicht vorstellen, länger als fünf Jahre in Deutschland zu leben. Bei den Osteuropäern beträgt dieser Prozentsatz nur 5,3%

(Wimmex 2001: 160).

Die Green Card ist familienunfreundlich und daher ist es nicht weiter verwunderlich, daß viele Green Card-Inhaber ledig sind und die verheirateten oftmals ihre Familie im Heimatland lassen. Die Beschränkung der Arbeitsaufnahme des Ehepartners ist für viele hochqualifizierte Paare untragbar. Um dieses Einstellungshindernis zu überwinden sollte daher den Ehepartnern der Zuwanderer ein freier Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Gerade wenn sie ebenfalls hochqualifiziert sind, können auch sie Komplementaritätseffekte für die Einheimischen erzielen. Die Befristung der Arbeitserlaubnis auf fünf Jahre stellt

ebenfalls ein erhebliches Problem dar. Sie erschwert die berufliche Planung des Green Card-Inhabers und die seines Ehepartners. Sie kann ebenfalls den schulischen Werdegang der Kinder behindern. Daher muß die Möglichkeit eines Daueraufenthaltes in Deutschland bestehen. Aus eben genannten Gründen können deutsche Firmen insbesondere IT-Fachkräfte mittleren Alters mit 10-15 Jahren Berufserfahrung, die Managementfunktionen übernehmen könnten, nicht anlocken, da diese in der Regel schon Familie haben und eine längerfristige Perspektive benötigen würden (Interview BITKOM).

Allerdings muß die Befristung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis auf maximal fünf Jahre etwas differenzierter bewertet werden. Die IT-Wirtschaft arbeitet generell sehr stark projektbezogen. Arbeitserlaubnisse für ausländische IT-Fachkräfte werden oftmals nur für 1-2 Jahre erteilt (Interview BITKOM). Dem Green Card-Inhaber ermöglicht dies, innerhalb einer überschaubaren Zeit Erfahrungen in einem neuen Arbeitsumfeld zu sammeln, ohne daß er längere Zeit fern von seinem Heimatland verbringen muß. Für den Arbeitgeber bedeutet die Befristung mehr Flexibilität, um den neuen Mitarbeiter besser kennenzulernen. Das ist bei ausländischen Mitarbeitern besonders wichtig, da sie in der Regel nicht zu mehreren Vorstellungsgesprächen gekommen sind und oftmals die Institution, in der die Qualifikationen erworben worden sind, nicht bekannt ist (Interview BITKOM).

Wichtig ist aber, daß die Option auf einen Daueraufenthalt besteht. Es ist aus ethischen Gründen gar nicht einzusehen, warum jemand, der hier fünf Jahre Arbeitsleistung erbracht hat und weiter erbringen will, Deutschland wieder verlassen muß. Hinzu kommt, daß sich eine ausländische IT-Fachkraft nach fünf Jahren Aufenthalt wahrscheinlich so gut integriert hat, daß objektiv nichts gegen einen weiteren Aufenthalt spricht. Auch aus Arbeitgeberperspektive wäre es wichtig zu wissen, daß das kostbar erworbene Humankapital nicht nach Ablauf der Frist verloren geht, wenn weder Arbeitgeber noch IT-Fachkraft es wünschen. 82% der Green Card-Inhaber können sich vorstellen, auch nach fünf Jahren weiter in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Die deutschen Arbeitgeber sind ihrerseits zu 73,7% bereit, ihren Green Card-Mitarbeiter über den genehmigten Zeitraum hinaus in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu übernehmen (Wimmex 2001: 38, 72).

Die ausländischen IT-Fachkräfte konzentrieren sich auf die deutschen IT-Cluster.

Daraus wird deutlich, daß Zuwanderer, die aus arbeitsmarktbedingten Gründen nach Deutschland kommen, dort eine Anstellung finden, wo auch tatsächlich ein Bedarf besteht. Das klingt zwar banal, zeigt aber, daß beispielsweise die Aufteilung von Kontingenten auf Bundesländer oder auf Unternehmen wenig Sinn hätte.

Die Festlegung einer Höchstzahl von Zuwanderern ist außer aus Gründen der besseren gesellschaftlichen Akzeptanz (Walwei 2001: 12) nicht nötig. Erstens hat sich gezeigt, daß die Nachfrage nach ausländischen Fachkräften von der wirtschaftlichen Lage der jeweiligen Branche abhängt. Zweitens stellen die Unternehmen niemanden ein, den sie nicht gebrauchen können. Mit der Beschäftigung von ausländischen Mitarbeitern sind erhebliche integrationsbedingte Kosten verbunden, so daß Unternehmen nur auf ausländische IT-Fachkräfte zurückgreifen werden, wenn Bedarf besteht und keine inländischen Arbeitskräfte vorhanden sind. Ferner müssen die Fachkräfte extrem hohe Qualifikationsanforderungen u.a. in Bezug auf deutsche Sprachkenntnisse erfüllen.

Dadurch bleibt die Zahl der Zuwanderer von sich aus gering. Vor allem aber darf eine Kontingentierung nicht den Handlungsspielraum der Unternehmen beschränken.

Wenn mehr als 20.000 ausländische IT-Fachkräfte in der deutschen IT-Wirtschaft gebraucht werden, warum sollten sie nicht kommen dürfen, wo sie doch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen erhöhen und neue Arbeitsplätze schaffen?

Die Gehaltsvorgabe von 51.000 € für Fachkräfte ohne akademischen Abschluß im IT-Bereich ist problematisch (vgl. S. 53). Die Betriebe sollten prinzipiell selbst entscheiden können, was ihnen die ausländische IT-Fachkraft Wert ist. Diese ist ja nicht gezwungen, den Vertrag anzunehmen, wenn ihr das angebotene Gehalt zu niedrig erscheint. Was allerdings völlig gerechtfertigt ist, ist der Gleichheitsgrundsatz, daß ausländische IT-Fachkräfte zu gleichen Bedingungen (also auch zu gleichen Gehaltsbedingungen) wie inländische IT-Fachkräfte eingestellt werden müssen. Dies entspricht dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG und schützt inländische Arbeitnehmer vor Lohndumping. Die Betriebe sollten also zwar das Gehalt der Green Card-Inhaber selbst bestimmen können, aber es muß dem der anderen Beschäftigten entsprechen.

Wenn auch konkrete Zahlenvorgaben wenig Sinn machen, so ist doch eines notwendig: Rechtssicherheit. Sowohl ausländische IT-Fachkräfte wie auch Arbeitgeber brauchen eine Planungsgrundlage, auf der sie aufbauen können. Das politische Geschehen um das Zuwanderungsgesetz (siehe Kap. 8.2.) ist das beste Beispiel, was man nicht machen sollte. Auch die Willkür der Ausländerbehörden bezüglich einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für ausländische IT-Fachkräfte (vgl. S. 56) muß dringend beseitigt werden. Eine bundeseinheitliche Regelung der Zuwanderung erscheint zudem sinnvoller, als extra-Regelungen wie die Blue Card für einzelne Bundesländer, da Ausländer in der Regel nicht ortsgebunden sind und daher einheitliche Regelungen ihrer Mobilitätsbereitschaft entgegen kommen würden.

Mit der EU-Osterweiterung werden die Menschen aus vielen osteuropäischen Staaten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben. Sie stellen einen großen Teil der Green Card-Inhaber dar56, so daß sich die Frage stellt, ob nach der EU-Osterweiterung überhaupt noch ein Bedarf an Arbeitskräften aus Drittstaaten bestehen wird. Aus der historischen Erfahrung der EU läßt sich aber sagen, daß innereuropäische Migrationen gering sind. 1999 betrug der Anteil der aus EU-Ländern kommenden Computerfachleute lediglich 1,8% (Dostal 2000: 6).

Untersuchungen zur Migration aus osteuropäischen Staaten prognostizieren, daß das dort vorhandene Potential wanderungswilliger Arbeitskräfte auf längere Sicht eher niedrig ist. So wird also auch künftig der Zuwanderungsbedarf durch Personen aus Drittstaaten abgedeckt werden müssen (Oberndörfer 2000: 1342). Ferner ist es heute schwer zu bestimmen, welche Fachkräfte in Zukunft benötigt werden und welche Länder diese gut ausbilden, so daß es für die Unternehmen möglich sein sollte, weltweit zu rekrutieren.

Ganz besonders im Interesse Deutschlands ist es, Ausländern die hier studieren, die Möglichkeit zu geben, nach erfolgreichem Abschluß des Studiums eine Arbeit in der Bundesrepublik aufzunehmen. Diese Personen sind für Arbeitgeber in höchstem Maße interessant, da sie über hohe Deutschkenntnisse verfügen, weitgehend integriert sind und gleichzeitig Kontakte zu ihrem jeweiligen Heimatland aufnehmen

56 Die EU führt zur Zeit Verhandlungen mit folgenden Beitrittskandidaten: Ungarn, Polen, Estland, die Tschechei, Slowenien, Zypern, Rumänien, die Slowakei, Littauen, Lettland, Bulgarien und Malta (EU online). An Staatsangehörige aus diesen Ländern wurden bis zum 31.07.2002 3345 Arbeitserlaubnisse erteilt. Das sind 29,7% aller erteilten Arbeitserlaubnisse (vgl. BA 2002b).

können. Oft haben sie die Arbeitgeber schon über Praktika kennengelernt. Sie sind die „perfekten Greencardler“ (Interview BITKOM) bzw. „die besten Immigranten, die ein Land sich wünschen kann“ (Martin/ Werner 2000b: 13). Es ist auch volkswirtschaftlicher Unsinn, die Kosten für das Studium von Ausländern aufzubringen und sozusagen freiwillig auf die Erträge zu verzichten, indem die Akademiker nach Hause geschickt werden. Das Arbeitskräftepotential an hochqualifizierten Menschen, das dadurch verloren geht, ist enorm57. So studierten in Deutschland im Jahr 2000 mehr als 10% aller ausländischen Studenten innerhalb der OECD-Länder (Guellec/ Cervantes 2002: 77). Nach den USA und Großbritannien steht Deutschland damit in der Gunst ausländischer Studenten weltweit an dritter Stelle (SZ v. 26.06.02). Würde nur ein Bruchteil von ihnen hier bleiben, wäre das ein enormer Zugewinn an hochqualifiziertem Humankapital. Auch die BDA und der DIHT fordern einen unbegrenzten Zugang zum Arbeitsmarkt für ausländische Akademiker nach ihrem Studium in Deutschland (BDA: Positionspapier; DIHK: Pressemitteilung v.4.12.).

Deutschland hat im internationalen Vergleich Standortvorteile, die es durchaus attraktiv machen. Abgesehen davon, daß der Lebensstandard im allgemeinen hoch ist, werden besonders die Rechtsststaatlichkeit und die hohe technologische Entwicklung geschätzt. Der ausgeprägte soziale Versicherungsschutz ist für Familien ebenfalls ein wichtiges Argument. Maßnahmen im Ausland, wie Jobbörsen58 und Marketingmaßnahmen an Hochschulen wären sicherlich hilfreich, um die Standortvorteile Deutschlands hervorzuheben. Auf diesem Weg können ausländische Interessenten auch Informationen über Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland vermittelt werden59. Die deutschen Auslandsvertretungen, Goethe-Institute usw. können behilflich sein, um bei Informationsveranstaltungen Deutschland in einem positiven Licht darzustellen.

57 Im Wintersemester 1999/2000 waren beispielsweise in den Fächern Mathematik, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften 58.841 ausländische Studierende eingeschrieben (Bundesausländerbeauftragte online). Dies sind die Fächergruppen in denen nicht genügend deutsche Absolventen vorhanden sind (siehe S. 91).

58 Die irische Regierung organisierte beispielsweise Job-Messen in Kanada, Tschechien, Indien, Süd-Afrika und den USA, um hochqualifizierte IT-Spezialisten für Irland zu gewinnen (Guellec/ Cervantes 2002: 73). Daran könnte sich die deutsche Bundesregierung bzw. die Wirtschaftsverbände ein Beispiel nehmen.

59 Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Konzertierte Aktion „Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland“, die am 22.06.2001 konstituiert wurde (BMBF online).

Das einzige, wirkliche Problem, das Deutschland im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe hat, ist die Ausländerfeindlichkeit bzw. die Überfälle von Rechtsextremisten auf Menschen anderen Aussehens. Dies kann verständlicherweise bei potentiellen Zuwanderern einen derartigen Abschreckungseffekt ausüben, daß er sich durch nichts kompensieren läßt. Daher müssen sowohl latente wie auch offen gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit in Deutschland energisch bekämpft werden. Neben der konsequenten Bestrafung von Gewalttaten müßten sowohl die Bundesregierung, wie auch Verbände aller Art Kampagnen gegen Rechtsextremismus und für mehr Toleranz starten. So fordert z.B. der DGB „eine gesellschaftliche Initiative zur Förderung der Akzeptanz von Einwanderung sowie die verstärkte Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit“ (DGB: Stellungnahme). Dies ist allerdings ein langwieriges Verfahren.

Die Green Card hat schließlich gezeigt, daß Personen, die den Anforderungen der deutschen Unternehmen entsprechen, extrem selten sind. Daher dürfen der Zuwanderung von solchen Menschen durch restriktive rechtliche Regelungen oder Schwierigkeiten mit Behörden keine unnötigen Hürden gesetzt werden, sondern es muß für sie quasi der rote Teppich ausgerollt werden. Deutschland muß für jeden Hochqualifizierten dankbar sein, der den Weg ins Land findet (IW online (a)).

Ein amerikanischer Schriftsteller äußerte sich mit folgenden Worten über die Green Card: „Was sieht ein brillanter, junger Inder, wenn er auf Deutschlands widerwillig geöffnete Tür schaut? Ein hierarchisches, aus dem Industriezeitalter stammendes Wirtschaftsmodell, in dem er in den unter weißer Führung stehenden ökonomischen Kolonialtruppen dienen soll“ (FAZ v. 13.04.02). Auch wenn diese Worte sicherlich übertrieben sind, ist ihre Kernaussage wahr. Die Green Card-Regelung ist noch stark am Gastarbeitermodell orientiert, in dem der Aufenthalt der ausländischen Arbeitskräfte befristet ist. So wird den Zuwanderern bei der Einreise keine sichere langfristige Perspektive für soziale Verwurzelung und Identifikation mit der neuen Heimat geboten. Deutschland wird als bloßes Gastland dargestellt (Oberndörfer 2000: 1341). Die Vorstellung, man könnte zum Nutzen Deutschlands qualifizierte Leute hereinholen, und sie dann, wenn man sie nicht mehr braucht, „wie ein abgenutztes Gerät hinauswerfen“ steht für die Haltung „am Computer seid ihr uns

sehr willkommen, als Nachbarn mit gleichen Rechten aber nicht“ (SZ v. 15.03.00).

Das ist ethisch abstoßend. Diese Haltung wird durch das Zuwanderungsgesetz, das die Möglichkeit eines dauerhaften Aufenthalts vorsieht, endlich überwunden.