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Deutsche Öfen – „bald wieder voll“

Im Dokument Unverdaute Trauer (Seite 133-136)

III. Jubiläum: Bitterer Nachgeschmack

2. Deutsche Öfen – „bald wieder voll“

Die schon von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Opfergruppen, namentlich Juden, Behinderte und Homosexuelle, werden in Jubiläum durchgängig als neuerliche Opfer von Verfolgung und Bedrohung gezeigt. Um die Kontinuität dieser

432 Zur Modellierung der Beziehung zwischen Helmut und Otto nach dem Prätext Die jüdische Frau vgl. Sander 1997b, bes. S. 231f. – Zur Verwendung brechtischer Techniken vgl. Russell 1998.

433 Was Otto zusätzlich in die Nähe der NS-Täter rückt, ist seine Aussage „Ich hasse Kinder“ (II, 73). Hinzu kommt der Umstand, dass er in die Rolle eines Arztes schlüpft (Szene 5), der Helmut seine Furcht vor

Verfolgungssituation zu demonstrieren, baut Tabori auf der semantischen Ebene, wie Marcus Sander treffend bemerkt hat, eine Isotopie der Begriffe ‚brennen‘, ‚verbrennen‘,

‚Feuer‘, ‚Ofen‘, ‚Aschenbecher‘ auf.434 Jeder einzelne dieser Begriffe kann zunächst als Denotat für etwas bestimmtes Alltägliches in der Szene verstanden werden, in der er ausgesprochen wird. Zur Denotation tritt aber außerdem die Konnotation ‚Holocaust‘

hinzu, die noch dadurch verstärkt wird, dass das entsprechende Wort in der genannten Reihe von Begriffen steht und also mit jeder Nennung eines einzelnen Wortes die anderen zur Isotopie gehörigen mit aufgerufen werden. In der späteren Textfassung von Jubiläum tritt die Metaphorik des ‚braunen Kreislaufs‘ mit der Vorstellung vom exkrementhaltigen Wasser zurück zu Gunsten der ‚Verbrennen‘/‚Ofen‘-Isotopie, die anhand des Elements Feuer das Fortwirken des Nazismus im Nachkriegsdeutschland ebenfalls über die Verbindung von Vernichtungs- und Essensthematik veranschaulicht.

Zentraler Begriff der Isotopie-Kette ist das Wort ‚Ofen‘, das im zynisch umgedichteten Vogelhochzeitslied (Szene 3) eindeutig, d.h. denotativ auf die Krematorien in Auschwitz bezogen ist:

In Auschwitz ist die Stimmung toll, Die Öfen sind bald wieder voll,

Fiderallalla, fiderallalla, fiderallallallalla. (II, 57)

Mit diesem Lied wird das behinderte jüdische Mädchen Mitzi eingeschüchtert und bedroht, weil das „bald wieder“ ihr einen Tod ankündigt, den schon ihre Großmutter erlitten hat (vgl. II, 56). Mitzi bringt durcheinander, was sie aus Familienerzählungen über den Vergasungstod ihrer Großmutter weiß und was sie sich aus neonazistisch-apologetischen Quellen über Hitler angelesen hat:

Jedenfalls, das mit dem Vergasen verstehe ich nicht. Er hätte es ja auf andere Weise machen können, meine Oma umzubringen. […] Er tat seine Pflicht, um sie loszuwerden, aber verbrannt haben kann er sie nicht, das ist eine makabre Lüge.

Wenn er meine Oma verbrannt hätte, würde der Hochofen noch glühen. (II, 77) Aus den Öfen von Auschwitz wird in Mitzis Verwirrung und Halbwissen ein Hochofen.

Dieser Begriff wird damit in die Isotopie aufgenommen und semantisch aufgeladen, so dass darin – durchaus im Sinne einer Brecht-Nachfolge – ein Hinweis auf Kriegsgewinnler im Kreis der deutschen Industrie und auf deren nahtlos fortgesetzte Nachkriegskarrieren gesehen werden kann.435

Verfolgung mit brutalen Methoden (Elektroschocks) austreiben will und schwarze Stiefel trägt, deren Ähnlichkeit mit SS-Uniformen andeutet, dass dieser Arzt seine Karriere in den KZs begonnen hat.

434 Vgl. Sander 1997a, S. 203.

435 In Tabori 1983b steht an der Stelle des Wortes „Hochofen“ das Wort „Haufen“ (S. 40). Die Änderung fügt den Satz noch eindeutiger in die Isotopie ein.

Der entscheidende Effekt der Isotopie-Bildung liegt in der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart.436 Alle zur genannten Lexemkette gehörigen Begriffe lassen aufgrund ihrer Holocaust-Konnotation die Schatten der Vergangenheit auf den gegenwärtigen Wortgebrauch fallen und beziehen jedes Gespräch, in dem diese ‚aufgeladenen‘ Begriffe vorkommen, assoziativ auf die Nazi-Vergangenheit, „was zu einer Vergegenwärtigung der Vergangenheit führt.“437 Das zentrale, die Basis der Holocaust-Assoziation bildende Wort

‚Ofen‘ begegnet im Verlauf der Dramenhandlung am häufigsten und dient dazu, mittels verschiedener Assoziationen und Kontextuierungen Kontinuitäten zwischen dem Damals und dem Heute aufzuzeigen. Es stellt zudem semantisch die Verbindung zur Thematik des Essens her.

Der Vater des Neonazis Jürgen, der ehemalige SS-Mann und KZ-Mörder, arbeitet nach dem Krieg wieder mit Öfen, allerdings nun nicht mehr mit Krematorienöfen, sondern mit Backöfen. In Szene 7 wird er in seiner Funktion als Bäcker vergegenwärtigt, wenn Jürgen in seines Vaters Rolle schlüpft und dessen polnischen Bäckergehilfen Boleslaw, gespielt von Arnold, nach der pflichtgetreuen Erledigung seiner Aufgaben in der Backstube fragt:

JÜRGEN als sein Vater […] He, Boleslaw, wie kriegt man zwanzig Juden in einen VW?

Arnold schweigt.

Drei hinten, zwei vorne, den Rest in den Aschenbecher.

[…]

Hast du die Öfen saubergemacht?

ARNOLD: Ja.

JÜRGEN: Das Mehl aufgefegt?

ARNOLD: Ja.

JÜRGEN: Die Schwarzwälder Kirsch fertiggemacht?

ARNOLD: Ja. (II, 68)

Das Wort ‚Öfen‘ steht hier in der Mitte zwischen den beiden semantischen Bereichen, die es verbindet und zwischen denen es eine Kontinuität über die Figur des ehemaligen SS-Mannes und Mörders herstellt. Zuerst erzählt Jürgens Vater also den zynischen Judenwitz, der in Jubiläum von verschiedenen Personen erzählt wird und nur verständlich ist vor dem Hintergrund der Kremierung der Ermordeten in den Verbrennungsöfen der Vernichtungslager.438 Die Erinnerung an die „Einäscherung“ (II, 73) in den Öfen von

436 Darin unterscheidet sich diese Isotopie von der ‚Ernte‘-Isotopie in Mutters Courage, deren Funktion in der motivischen Vorbereitung der mise en abîme (hinsichtlich des Abendmahl-Bestandteils Brot) und in der Ermöglichung eines metaphorischen Sprechens über das Holocaust-Geschehen liegt. Vgl. Kap. II.1 im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung.

437 Sander 1997a, S. 203.

438 In Tabori 1983b wird an dieser Stelle ein anderer Witz erzählt. In dieser frühen Fassung finden sich eine Reihe verschiedener zynischer Witze über Juden und Ausländer; in der späteren Fassung wird jeweils nur der oben zitierte Judenwitz erzählt, der sich besser in die Isotopie um die Begriffe ‚brennen‘ und ‚Ofen‘ einfügt und in der hier diskutierten Szene den assoziativen Übergang von den Krematorien zum Ofen des Bäckers

Auschwitz bewirkt es offensichtlich, dass der Bäcker an seine heute betriebenen Öfen denkt und seinen Gehilfen nach deren Säuberung fragt. Damit wird über das Verfahren der Metaphorisierung auch das im Heute aufzufegende Mehl semantisch aufgeladen: Die Ähnlichkeit seiner Konsistenz mit jener von Asche lässt über den terme connecteur des Ofens auch das Mehl an das Damals, an die Verbrennung der Vernichtungsopfer, erinnern.

Wenn schließlich der Bäcker nach Josef Mengeles „Leibspeise“ (II, 69), der Schwarzwälder Kirschtorte, fragt, so illustriert dies seine „unerschütterlichen Ansichten“ (ebd.). Denn so wie Mengele seine kulinarischen Vorlieben in der Fantasie des mörderischen Bäckers nicht geändert hat, so ist auch der Bäcker über alle Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen hinweg seinem Handwerk treu geblieben: Er arbeitet noch immer an Öfen und lässt sich bei deren Reinigung noch immer von einem ‚Untermenschen‘ helfen.439 Sein Zugeständnis an die veränderten Umstände besteht darin, dass er, statt aus Leibern Asche zu fabrizieren, heute aus Mehl süße Backwaren, die Leibspeisen der Täter, herstellt.

Im Dokument Unverdaute Trauer (Seite 133-136)