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Wie man den Brei verdirbt. Ungeeignete Zugänge zum Thema Holocaust

Im Dokument Unverdaute Trauer (Seite 35-38)

II. Taboris Theaterkonzeption: Unverdaute Trauer und sinnliche

1. Wie man den Brei verdirbt. Ungeeignete Zugänge zum Thema Holocaust

Tabori grenzt sich in seinen programmatischen Texten explizit gegen vier Varianten des Umgangs mit dem Holocaust ab, die teils im deutschen Theater, teils auch in anderen

‚Erinnerungsgenres‘136 etabliert sind: gegen Rationalismus, Dokumentarismus, offiziöse Vorgaben für das Gedenken und ein auf den verbalen Code fixiertes, an den poetologisch-dramaturgischen Normen des 19. Jahrhunderts orientiertes Theater.

Eine rationalistische Annäherung an die Shoah erscheint Tabori als bedenklich:

Es gibt in diesem Land, so scheint mir, ein großes Bedürfnis […], sachliche Gründe zu finden, um diese Morde zu erklären. Ich meine, diese Morde sind möglich geworden durch eben diese ‚Sachlichkeit‘, die Menschen in Gegenstände verwandelt.137

Der nur rationale Zugang zum Holocaust impliziert demnach die Gefahr, die Entmenschlichung der Juden durch die Nazis ungewollt nachzuahmen.138 Diese Haltung findet nach Taboris Auffassung ihren ästhetischen Ausdruck im Dokumentarismus, zu dem er sich in den Vorbemerkungen zu Jubiläum äußert:

132 Tabori 1981a, S. 17.

133 Tabori 1981a, S. 21.

134 Tabori 1981a, S. 20.

135 Tabori vertritt keine geschlossene Theorie, sondern leitet ohne Anspruch auf Systematizität oder Endgültigkeit aus seinen konkreten Erfahrungen als Mensch, Autor und Regisseur Vorstellungen und Postulate ab. Die daraus ‚kondensierbare‘ Programmatik macht Anleihen bei Shakespeare, Stanislawski, Artaud, Brecht, Strasberg, Grotowski, Freud, der Popart, dem Living Theatre u.a. Vgl. Feinberg 1999, S. 52-80.

136 Man denke etwa an Kranzniederlegungen, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen, Schulunterricht, Gedenkveranstaltungen zum 9. November oder im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit und dergleichen mehr.

137 Tabori 1981a, S. 201.

138 So argumentiert unter den Literaturwissenschaftlern auch Skloot in seiner Untersuchung über deutsche Holocaust-Stücke; vgl. Skloot 1988, S. 94-115, bes. S. 105, 114.

Jeder dieser Witze (oder Berichte) beruht auf Fakten, […] aber stimmen wir versuchsweise darin überein, daß ein stockendes Herz, wenn die Klingel geht, nicht weniger dokumentarisch ist als das gedruckte Wort. (II, 51)

Die Verwendung des Begriffs „dokumentarisch“ (statt z.B. ‚wahr‘ oder ‚authentisch‘) in diesem Zitat impliziert eine Distanzierung von der deutschen Dokumentarliteratur der 1960er Jahre und von ihrer Bestimmung und Begründung etwa durch Peter Weiss.139 Dass Tabori gegen „das gedruckte Wort“ hier „das stockende Herz“ als ein Bild für die Angst des verfolgten Menschen setzt, ist symptomatisch für seine antirationalistische Haltung.

Wichtig sind ihm weniger die nachprüfbaren Fakten als das authentische Gefühl, denn: „Es ist […] eine unsinnige These, daß Emotionalität das Gegenteil von Wahrheit bedeute. Am Theater besonders: Nur im Gefühl liegt die Wahrheit.“140

Tabori bezeichnet seinen Holocaust-Erstling Die Kannibalen als „ein Stück, das weder Dokumentation noch Anklage ist“141 – eine Charakterisierung, die sich cum grano salis auf alle seine Theaterstücke übertragen lässt.142 Die besondere Rolle, die ihm als Juden zukommt, der einem deutschen Publikum die Verbrechen an den europäischen Juden vor Augen führt, ist Tabori indessen bewusst.143 Er äußert sich im Rückblick auf die deutsche Erstaufführung der Kannibalen folgendermaßen dazu:

[…] ich war nicht interessiert daran, deutsches Schuldgefühl zu manipulieren (auch heute noch nicht), dieses ganze sado-masochistische Verkleidungsspiel, das unsere Beziehungen vergiftet, die offizielle Frömmigkeit, die all unseren Kummer und Haß und auch unsere Liebe verschleiert.144

Von der „offizielle[n] Frömmigkeit“ – das englische ‚piety‘ wäre hier wohl treffender mit

‚Pietät‘145 oder ‚Ehrfurcht‘ zu übersetzen – verspricht Tabori sich keinen Beitrag zur Verständigung von Juden und nicht-jüdischen Deutschen über ihre gemeinsame Vergangenheit; für ihn geht es „nicht darum, besonderen Takt oder Frömmigkeit [lies:

139 Vgl. etwa folgende Definition von Weiss (1971, S. 91): „Das dokumentarische Theater ist ein Theater der Berichterstattung. Protokolle, Akten, Briefe, statistische Tabellen, Börsenmeldungen, Abschlußberichte von Bankunternehmen und Industriegesellschaften, Regierungserklärungen, Ansprachen, Interviews, Äußerungen bekannter Persönlichkeiten, Zeitungs- und Rundfunkreportagen, Fotos, Journalfilme und andere Zeugnisse der Gegenwart bilden die Grundlage der Aufführung.“ – Mustergültig nachgewiesen wird die anti-dokumentarische Tendenz der Kannibalen in Pott/Sander 1997. – Dass die Dokumentarliteratur eine

„ausschließlich deutsche Erscheinung“ war, betont Nehring 1977, S. 69.

140 Fritsch 1994, S. 42. – In seinem Essay Hamlet in Blue verwirft Tabori den „anti-emotionalism“ Brechts sowie dessen in späten Jahren unternommene Rehabilitierung des richtigen (vom Klassenstandpunkt aus nützlichen) Gefühls als einen künstlerisch unproduktiven und psycho-physisch pathogenen Standpunkt; vgl.

Tabori 1975/76, S. 131.

141 Tabori 1981a, S. 37.

142 Eine kleine Einschränkung gilt für Jubiläum, das in politischer und gesellschaftskritischer Hinsicht Taboris aggressivstes Holocaust-Drama darstellt und zugleich mit dokumentarischen Versatzstücken arbeitet. Vgl.

dazu das Interpretationskapitel zu Jubiläum im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit.

143 Vgl. dazu ausführlich Braese 1996 und Pott/Schönert 1997.

144 Tabori 1981a, S. 24.

145 Tabori spricht von der „falschen Pietät“ oder den „scheußlichen Pietäten“ vornehmlich, wenn er KZ-Gedenkstätten beschreibt. Hier: Tabori 1981a, S. 29 u. 31.

Pietät] zu fordern“146, wenn jüdische Figuren und ihre Leiden als Holocaust-Opfer auf deutschen Bühnen gezeigt werden. Tabori kündigt den in der offiziösen Gedenkkultur

„umlaufenden Schematisierungen und Verabredungen“147 programmatisch und praktisch die Gefolgschaft auf, wenn er gleich in seinem ersten Holocaust-Drama Abstand von überkommenen Figurenkonzeptionen wie „untadeligen Helden“ und „stets unschuldigen Opfern“148 nimmt. Juden und Nicht-Juden sollen „über die Klischees und Tabus hinwegsehen“.149

Auch was die medienspezifischen Darstellungsmöglichkeiten des Theaters angeht, bezieht Tabori deutlich Stellung gegen Unzeitgemäßes und Unbrauchbares. In Hinblick auf seine Erfahrungen bei dem Brecht-Dialogen schreibt er:

Was mich in diesem Moment einer einzigen Beerdigung traf, war der Tod vieler Dinge: meine eigene täppische Suche nach Erhabenheit, wie man so sagt, die Hoffnung auf ein großes und heiliges Theater, auf den Künstler, der ein Virtuose ist, ein Zauberer, ein Schamane, all diesen Scheiß des 19. Jahrhunderts und früherer Zeiten von der Überlegenheit der Kunst über das Sein, mit dem besonderen Anspruch auf eine Wahrheit, die größer und besser sei als die, die unsere kleinen Leben […] bieten können. […] Für mich begannen an jenem Morgen nicht nur der Held und die Heldin zu sterben, der große Mime, der Star und andere Supermänner oder -frauen, sondern auch Beredsamkeit, Rhetorik, Arien, Pointen, elegante Choreographie und Arrangements, gewaltige Ausstattung […].150

Tabori verwirft das als obsolet, was nach seinem Urteil nicht nur das Theater „des 19.

Jahrhunderts und früherer Zeiten“, sondern in Taboris Sicht ironischerweise auch Brechts anti-aristotelisches Theater (oder wenigstens die nach Brechts Tod fortgeführte Arbeit des Berliner Ensembles) ausmacht:151 die Suche nach „Erhabenheit“,152 ein „großes und

151 Stefan Braese arbeitet überzeugend heraus, dass Tabori sich deshalb von Brechts Theater abwandte, weil es keine Antworten auf das Holocaust-Thema bot, das Tabori doch am meisten umtrieb (vgl. Braese 1996, S.

40f.). – Trotzdem sind Taboris Äußerungen über Brecht nicht einheitlich ablehnend; die in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit den Brecht-Dialogen gemachten Äußerungen lassen von der Abkehr von Brecht noch nicht viel ahnen; vgl. Tabori 1968; Tabori 1969. Selbst noch in dem Text Unterammergau oszilliert das Sprechen über Brecht zwischen Anerkennung und Respektlosigkeit, Lob und Enttäuschung. Zudem benutzt Tabori brechtische Techniken bzw. solche des Epischen Theaters (verfremdende und deiktische Elemente, besonders deutlich von den Kannibalen bis zu Jubiläum) und Texte von Brecht (etwa Die Jüdische Frau) in seinen Stücken und Inszenierungen. Vgl. dazu Russell 1989; Russell 1998; Sander 1997b; Haas 2000, S. 49-85. – Zuletzt hat Tabori Brecht im Jahr 2000 einen ganzen Theaterabend gewidmet mit seinem Stück Die Brecht-Akte, das offenkundig ähnlich angelegt ist wie die Anfang der 1960er Jahre in New York überaus erfolgreiche Brecht-Collage Brecht on Brecht; vgl. dazu Höyng 1999. Insgesamt muss das Verhältnis Taboris zu Brecht wohl als ambivalent bezeichnet werden. Vgl. Kagel 1997; Feinberg 1999, S. 22-25.

152 Dass Tabori mit seinem Begriff der Erhabenheit auf die im Postmoderne-Kontext neu diskutierte Kategorie des Erhabenen anspielt, ist unwahrscheinlich. Denn der Text Unterammergau, aus dem das Tabori-Zitat zur Erhabenheit entnommen ist, ist im Jahr 1978 entstanden. Die lyotardschen Schriften Le différend (1983), L’enthousiasme (1986), Heidegger et les juifs (1988) und Leçons sur l’analytique du sublime (1991), in denen der Kantische Begriff des Erhabenen für die Postmoderne (und für die Theoretisierung des Holocaust und seiner philosophischen Konsequenzen) ‚reaktiviert‘ wird, sowie die sich anschließende Debatte sind also späteren

heiliges Theater“, die Überzeugung von der „Überlegenheit der Kunst über das Sein“.

Diese Auffassung vom Theater impliziere eine überkommene Dramaturgie, etwa hinsichtlich der Figurenkonzeption (‚der Held‘), der Sprachbehandlung (‚Rhetorik‘), des Handlungsaufbaus (‚Pointen‘) und der proxemischen Umsetzung (‚elegante Choreographie‘). Alle diese Merkmale der „Suche nach Erhabenheit“ machen ein auf den verbalen Code fixiertes und auf dramaturgische Perfektion bedachtes Theater unbrauchbar:

Seine „Nutzlosigkeit“153 für Tabori erweist sich darin, das es keine angemessenen Mittel für die Darstellung des Holocaust bietet.

Im Dokument Unverdaute Trauer (Seite 35-38)