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2. REPRÄSENTATIONEN VON GESCHICHTE

2.1 Der Begriff der Repräsentation

2.1.1 Die sprachliche Repräsentation

Una hoja cae; algo pasa volando;

Cuanto miren los ojos creado sea, Y el alma del oyente quede temblando.

Inventa mundos nuevos y cuida tu palabra;

Vicente Huidobro

Eine der wichtigsten und zugleich umstrittensten Funktionen von Sprache, und somit auch von Literatur, ist die Repräsentation. In den Diskussionen der Ästhetik und der Semiotik geht die Bedeutung, die der Repräsentation beigemessen wird, über das reine Darstellen oder Abbilden von Welt weit hinaus: Etwas sprachlich zu repräsentieren heißt keineswegs, eine vollständige Entsprechung zwischen Welt und Sprache herzustellen. Vielmehr impli-ziert der Begriff Ambiguität und Subjektivität in der Darstellung und schließt Missver-ständnisse nicht aus. (Nünning 1998:458)

Eben deshalb ist der Umgang mit Repräsentationen nicht unproblematisch. Die meisten Kulturen zensieren und verbieten bestimmte Repräsentationen. Ein solcher Fall ist etwa das religiöse Verbot „Du sollst dir kein Bildnis machen“, das verhindern soll, dass Bildnisse von Gott, also Götzen, an Stelle von Gott selbst angebetet werden. Im Islam wie auch im Judentum sind daher entweder Darstellungen generell, unbedingt aber Darstellungen von Menschen als nach Gottes Ebenbild geformte Wesen untersagt.

Auch die heute in vielen Ländern bestehende Kontrolle und Zensur von Bild- und Film-material mit pornographischem oder gewaltverherrlichendem Inhalt stellt keine Sanktio-nierung von Handlungen, sondern von Repräsentationen dar.

Der Repräsentation wird also Macht beigemessen. Bestimmte Bilder lenken von der im religiösen oder ideologischen Sinne einzig zu beachtenden und zu feiernden Wirklichkeit ab, andere können als Anregung für unerwünschtes Verhalten dienen. Schon Plato hat den Einfluss der Repräsentationen auf die Menschen als Gefährdung angesehen. Er fürchtete, die Darstellung von Gewalt und unrealistischen Zuständen könnte unsoziales Verhalten hervorrufen und duldete in seinem idealen Staat nur streng überwachte und zensierte litera-rische Repräsentationen.

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Repräsentationen spiegeln also nicht nur die Wirklichkeit, sondern es wird ihnen zumindest die Macht zugeschrieben, Menschen zu manipulieren, zu gefährden und bestehende Verhältnisse in Frage zu stellen.

Zur Illustration der Funktionsweise einer Repräsentation entwirft Mitchell folgende Grafik (Mitchell 1995:12):

Dab of Paint

Maker Communication Beholder

Stone

Die Achse der Repräsentation verbindet innerhalb eines gemalten Bildes einen Farbklecks mit einem Stein. Sie zeigt, dass der Klecks für einen Stein steht. Die Achse der Kommuni-kation verbindet die Personen, die die Beziehung zwischen Farbe und Stein verstehen. Sie stellt das Verhältnis zwischen demjenigen dar, der das Bild gemalt hat und demjenigen, der es betrachtet und in der Farbe einen Stein erkennt.

Mitchell drei unterscheidet Formen der Repräsentation: Die iconic representation basiert auf dem Prinzip der Ähnlichkeit. Wenn ein Wort, ein Bild oder ein Gegenstand in diesem Sinne für etwas anderes stehen soll, muss es zwischen beiden eine Art von Ähnlichkeit geben. So kann ein Stein einen Menschen etwa repräsentieren, weil seine Form einem Menschen ähnelt oder weil der Mensch, den er darstellen soll, hartherzig ist.

Symbolic representations hingegen benötigen keinerlei Übereinstimmung oder Vergleichbarkeit des repräsentierenden Elements mit dem repräsentierten. Sie beruhen auf willkürlicher Festlegung. Hiernach funktioniert Sprache mit der Arbitrarität ihrer Zeichen auf der Grundlage symbolischer Repräsentation.6

Schließlich nennt Mitchell eine Repäsentation indexical, wenn das Repräsentierende ein Indiz für das Repräsentierte darstellt. Eine Fußspur oder ein verlorenes Schmuckstück sind Indizien für einen Menschen, der sich an jenem Ort aufgehalten hat. Diese Form der Repräsentation basiert auf Ursache und Wirkung.

Representation

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9 Die sprachliche Repräsentation – als wesentliches Merkmal sprachlicher Prozesse – wird mit Hilfe von semiotischen Modellen erklärt. C. K. Ogden und I. A. Richards erweiterten 1923 das bilaterale Zeichenmodell von Saussure (signifié und signifiant) zum triadischen, indem sie das Bezugsobjekt (referent) miteinbezogen. (Ogden/Richards 81953:11)

THOUGHT OR REFERENCE

symbolizes refersto

SYMBOL REFERENT stands for

Um vom realen Objekt (referent) zum repräsentierenden sprachlichen Symbol (symbol) zu kommen, muss der Sprecher den Umweg über den Gedanken oder die Vorstellung vom Gegenstand (thought or reference) nehmen. Die Vorstellung, die er sich von dem Gegenstand macht, ist zwar sozial und kulturell geprägt, aber letztlich ein individueller und subjektiver Gedanke; ebenso wie die Auswahl des Symbols, das die Vorstellung des Sprechers seiner Meinung nach am besten wiedergibt. Demnach impliziert die Rede von der sprachlichen Repräsentation von Etwas immer auch die subjektive Sicht des Sprechers auf dieses Etwas.

Während ein einzelnes Wort sich nach Mitchell auf symbolische Weise, also auf willkür-licher Festlegung und Konvention beruhend, auf sein Bezugsobjekt bezieht, funktionieren Sätze oder ganze Texte wieder anders: „Representation is an extremely elastic notion which extends all the way from a stone representing a man to a novel representing a day in the life of several Dubliners.“ (Mitchell 1995:13)

Ein Text kann auf verschiedene Weise repräsentieren. Die jeweilige Art der Repräsentation definiert sich nach Preminger/Brogan gemäß ihrem Referenzobjekt (dem Repräsentierten), da die Referenz die wichtigste Komponente der Repräsentation sei. Daher seien vier Formen der Repräsentation zu unterscheiden: Worte oder Texte können Bezug auf die externe Welt nehmen (extratextual representation), auf andere Worte oder Texte (intertextual representation), auf sich selbst (intratextual representation) oder auf den Prozess der Bezugnahme (metatextual representation). (Preminger/Brogan 1993:1037-8)

6 Zur Arbitrarität des sprachlichen Zeichens vgl. Saussure 31965:100ff.

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Unter keinen Umständen sei es Sprache und Text möglich, die Repräsentation zu vermei-den. Auch der poesíe pure und ihren Nachfolgern könne dies nicht gelingen, jede Kleinigkeit ziele auf eine Bedeutung ab, und Form ohne Repräsentation sei nicht denkbar. (Premin-ger/Brogan 1993:1038)

Gerade in der Lyrik gab es immer wieder Versuche, der extratextual representation, also der Bedeutung der Worte auf eine Wirklichkeit ausserhalb des Textes zu entfliehen.

In der vorliegenden Arbeit werden lyrische Texte betrachtet, deren wesentlicher Bestandteil es gerade ist, dass sie sich auf die historische Wirklichkeit (extratextual representation) und auf historiographische Texte (intertextual representation) beziehen.

2.1.2. Die ethnographische Repräsentation

Der Begriff der Repräsentation wurde in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts von der Ethnologie und Kulturanthropologie kritisch hinterfragt und für ihre eigenen Belange defi-niert (Berg/Fuchs 1995:7). Dabei wird sie als die „– textliche – Objektivierung der Ande-ren“ zum Dreh- und Angelpunkt insbesondere der Ethnographie, deren Aufgabe die „Dar-stellung des Fremden“ ist. (Berg/Fuchs 1995:7)

Berg/Fuchs übersetzen den aus der englischsprachigen Diskussion übernommenen Begriff der ‚Repräsentation‘ (representation) mit Darstellung, Vorstellung, Vergegenwärtigung und Vergegen-ständlichung. Die Aufgabe des Ethnographen sei es, eine ihm fremde Kultur kennenzulernen und sie dann möglichst detailliert darzustellen, so dass sie sich im Text vergegenwärtige. Da dies immer nur aus der kulturellen Distanz möglich sei, könne man kein ethnographisches Zeugnis über seine eigene Kultur anfertigen. Das sei notwendige Voraussetzung und gleichzeitig die Gefahr jeder ethnographischen Betrachtung. Nur durch die kulturelle Diffe-renz, die zwischen dem Schreibenden und dem Beschriebenen besteht, werde eine Auf-zeichnung zu einer ethnographischen. Es gelte gerade das zu beschreiben, was die jeweilige Kultur von der eigenen unterscheidet. Andererseits bringe die Differenz eine Perspekti-vierung mit sich, die notwendigerweise subjektiv sei:

Über andere zu reden, heißt, über sich selbst zu reden. Die Konstruktion der Anderen ist zugleich die Konstruktion des Selbst. Wie eng Fremdbild und Selbstbild, die Darstellung, die man vom Fremden gibt, mit der Vorstellung, die man von der eigenen Welt hat, ver-knüpft ist, ist in jüngster Zeit eindringlich vor Augen geführt worden. (Berg/Fuchs 1995:11)

Das subjektive Moment der Ethnographie liegt also zum einen darin, dass die eigene Kultur in der Beschreibung präsent ist und als Folie für die fremde dient. Genauso wichtig ist nach Geertz zum anderen eine individuell-subjektive Komponente:

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11 The ability of anthropologists to get us to take what they say seriously has less to do with either a factual look or an air of conceptual elegance than it has with their capacity to convince us that what they say is a result of their having acually penetrated (or, if you prefer, been penetrated by) another form of life, of having, one way or another, truly ‚been there‘.“ (Geertz 1988:4f.)

Dieses „dort gewesen sein“ ist ein zentrales Anliegen von Geertz; er fordert, dass der Eth-nograph als Subjekt, das sich mit anderen Kultur auseinandersetzt, greifbar ist, glaubwürdig wirkt und eine gewisse emotionale Beteiligung seinerseits beim Lesen spürbar ist.

Schärfer formuliert er an einer anderen Stelle: „Ethnologische Schriften selbst sind Inter-pretationen und obendrein solche zweiter und dritter Ordnung. Sie sind Fiktionen, und zwar in dem Sinn, dass sie etwas ‚Gemachtes‘ sind, ‚etwas Hergestelltes‘.“ (Geertz

51997:23)

Die Forderung nach der Aufweichung der starken Subjekt-Position, bzw. der scharfen Trennung von Subjekt und Objekt in ethnograpischen Schriften, der Geertz hier Ausdruck verleiht, ist als Reaktion auf eine philosophische Debatte aus den 80er Jahren zu verstehen.

In diesem Zusammenhang wurde Kritik laut, die „sich vor allem auf die Annahme der Existenz einer beschreibungsunabhängigen Wirklichkeit und die Idee der Repräsentation als innerer Spiegelung und Visualisierung eines äußeren Objekts“ richtete. (Berg/Fuchs 1995:72) Um diese starre Ethnographie, in der nicht nur ausschließlich über, sondern auch für die Anderen gesprochen wurde, zu beleben, wurde von vielen Ethnographen eine dialo-gische Form nicht nur der untersuchenden Interaktion, sondern auch der beschreibenden Repräsentation gewählt. Der Dialog sollte die Distanz ersetzen, die Forschung auf einer

„kommunikativen Beziehung“ basieren und auch die Beschreibung sollte die „gemeinsame Verstehensbasis“ spiegeln. Berg/Fuchs nennen diese Entwicklung „dialogische Wendung“, doch fehle der neuen Tendenz noch eine angemessene Repräsentationsform. (Berg/Fuchs 1995:80)

Wir haben gesagt, dass für eine ethnographische Beschreibung kulturelle Differenz vor-handen sein muss. Analog dazu ist für eine historiographische Beschreibung eine zeitliche Distanz zwischen dem Schreibenden und dem Objekt seiner Beschreibung notwendig.

Insofern stellen sich bezüglich der historiographischen Repräsentation dieselben Frage nach der Perspektive und der Subjektivität. Die Dichotomie des Selbst und des Anderen liegt nicht notwendigerweise in derselben Schärfe vor, da etwa bei der Rekonstruktion der Geschichte des eigenen Landes oder der eigenen Region trotz der zeitlichen Differenz eine

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gewisse Identifikation zu erwarten ist. Aber auch – und gerade – dann bleibt das prinzi-pielle Problem der Perspektive bestehen, die Frage nach der Subjektivität und inwieweit sie transparent gemacht wird.