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2. Gütergewerbereform und Historismus

2.2 Gütergewerbereform

2.2.5 Das Direktorat unter Wilson

Der neue Leiter war der Architekt Charles Heath Wilson. Zuvor bekleidete er das Amt des Leiters des Department of Ornamental Art at the Trustees’ Academy in Edinburgh.63 Als Historist war sein Lehransatz, die Studierenden exakte Kopien von historischen Ornamen-ten zeichnen zu lassen. Dazu wurden so viele Gipsabgüsse angeschafft, dass der Sekre-tär mit der Inventarisierung nicht mehr hinterher kam. Wilson arbeitete für alle Schulen ei-nen Lehrplan mit dem Titel Historic Principles and Styles of Ornamental Art aus. Dyce hat-te es geschafft den Zeichenunhat-terricht an die Bedürfnisse der Ausbildung in bestimmhat-ten Branchen anzupassen. Wilson empfand das als vulgär und vertrat die Meinung, dass die Schule nie in der Lage sein würde, Menschen für einen Beruf auszubilden. Stattdessen wollte er eine Hochkunst-Schule mit der völligen Ausrichtung auf das Ornament. Das hatte zur Folge, dass Tischler-GesellInnen Umrisse von menschlichen Figuren nach Stichen von römischen und griechischen Werken zeichnen oder PolsterInnen Arabesken malen sollten.

Versuche, völlig neue Entwürfe für Gebrauchsgegenstände zu entwickelten, lehnte Wilson mit der Begründung ab, dass KünstlerInnen nur zur Unzivilisiertheit zurückkehren würden, wenn sie Originale schüfen. Verbesserungen könnten nur durch das exakte Kopieren itali-enischer und im besonderen römischer Ornamente erreicht werden sowie durch Neuarran-gements vorhandener Motive. Da der Exaktheit der Kopien große Bedeutung

beigemes-62 Macdonald 1970, S. 84–88.

63 Council of the Government School of Design, Bd. 1, 1849, S. 221; Dyce tritt zurück und Wilson wird das Direktorat angeboten.

sen wurde, wurden mit dem Antritt von Wilson fortgeschrittenere SchülerInnen in die Grundkurse zum Zeichnen zurückversetzt. Nachdem SchülerInnen länger in den Grundla-genkursen feststeckten, verließen einige die Schule. Auch Lehrende für das Zeichnen und Modellieren verließen die Schule. Ein weiterer Lehrer trat in offene Opposition zu Wilson, indem er der Schülerschaft erzählte, dass es unnötig sei zu Ausbildungszwecken nach Rom zu Reisen.

Eine größere Konfrontation sollte sich allerdings zwischen dem Zentrum London und der Provinzschule in Manchester anbahnen, wie es bereits einige Jahre zuvor der Fall ge-wesen war. Der Direktor George Wallis war Absolvent der von Dyce initiierten Ausbildungs-klassen für Kunstlehrer. Seiner Ansicht nach seien Kenntnisse über historische Ornament-formen nützlich, doch stelle die Natur immer noch die größte Lehrmeisterin dar. In einem Zeitungsartikel erläutert Wallis die Unterschiede und Berührungspunkte zwischen fine art und industrial art, woraufhin er im Resümee dann nur noch von ornamental art spricht.64

Seinen Design-Klassen stellte er Aufgaben, um bestimmte Probleme in den Entwürfen für Stuhlrücken, Kaliko-Druck und Wanddekorationen zu lösen. Die Entwürfe wurden dar-aufhin in der Klasse vorgestellt und besprochen. Im Gegensatz zu Dyce konnte die Schü-lerschaft unterschiedliche Medien wie Kreide, Wachsstifte, Tinte oder Pinsel ausprobieren.

Damit wurde Abstand genommen von der akademisch geforderten Exaktheit der Darstel-lungen, die von den SchülerInnen durch langes Radieren und Polieren von Umrisszeich-nungen erreicht werden sollte. Das exakte Kopieren war nur erlaubt, sofern die Kopie in Größe von der Vorlage variierte. Dazu wurde dann die Vorlage entfernt und die eigene Ko-pie im gewählten Medium gelernt zu verändern. Damit sollte verhindert werden, dass die Schülerschaft, wie in der Akademie angestrebt, in eine Manier verfiel, sondern in der Be-handlung der Bildgegenstände Eigenständigkeit bewahrt. Zu den Lehrinhalten gehörten außerdem Pflanzen-Zeichnen nach der Natur, Proportionslehre des menschlichen Kör-pers, vergleichende Anatomie der Tiere und die Demonstration von generellen Prinzipien der Kunst. Mit diesem Lehrplan stand Wallis in Manchester in direktem Gegensatz zu Wil-son in London. Außerdem wurden Preise für Entwürfe in den Bereichen Textilien und im besonderen Musselin und Kaliko, Möbel, Wandmalerei und Buntglas ausgelobt. Weiter wurden Bücher in den Kategorien Design und Handwerk ausgezeichnet. Gestellt wurden die Preise von UnternehmerInnen. Dies stellt allerdings keine Besonderheit dar, denn in London wurden seit 1838 Preise für Entwürfe in verschiedenen Gewerben ausgelobt.65

64 Wallis 1847.

65 Council of the Government School of Design, Bd. 1, 1849, S. 24; Beschluss darüber Preisverleihungen

Rund anderthalb Jahre stand Wallis unter der Aufsicht von Dyce, der im Mai 1843 zum Inspektor der Provinzschulen ernannt worden war. In dieser Funktion musste Dyce eigent-lich die Lehrinhalte von Wilson auch in Manchester umsetzen. Er war jedoch damit be-schäftigt, Bilder bei der Akademie einzureichen in Aussicht auf den Status als Associate der Akademie. Daneben wurde Dyce 1844 als Professor für Kunst am King’s College er-nannt. Bevor Wilson in Manchester intervenierte, wurde ein neuer Inspektor durch das Board of Trade eingesetzt, um den Einfluss der Akademiemitglieder und deren folgsamen Historisten zu beschneiden.

Wilson war aber bisher weiter an der Macht und setzte sich gegen Wallis und einige UnternehmerInnen aus dem Verwaltungsrat in Manchester durch, nachdem er gedroht hatte, bei weiteren Verzögerungen in der Umsetzung seines Lehrplanes die Zuwendungen zu streichen. Daraufhin verließen die fortgeschrittenen SchülerInnen die Klassen und we-gen der geringer gewordenen Einnahmen in Form von Schulgeld steckte der Haushalt in einem Minus.66 Wilson fand einen Schuldirektor nach seinem Geschmack, zu dessen Antrittsvorlesung er persönlich anreiste, um die Schule weiter auf Kurs zu bringen. Der neue Direktor gab ein Bekenntnis zu Wilsons Leitlinie ab und Wilson selbst sprach davon, dass die Ausgrabungen in Pompeji akkurate Aufrisse ganzer Gebäude für die Schule be-reitstellen könne67. Vermutlich wollte Wilson daran die Säulenordnung, die Ornamente der Kapitelle und weitere Schmuckformen studiert wissen. Außerdem brachte er den Schüle-rInnen kolorierte Abgüsse italienischer Kirchenornamente mit. Die Grundkurse im Zeich-nen und das Kopieren von Ornamentformen als Kernlehrplan zogen aber nicht viele Schü-lerInnen an und während inzwischen der zweite Direktor vergeblich versucht hatte mehr SchülerInnen zu gewinnen, musste die Schule ihren finanziellen Bankrott erklären.

Weiteren Widerstand erwartete Wilson in London, wo der Figure-Master keinen Hehl daraus machte, Renaissance- und römisches Ornament nicht hoch zu schätzen und damit zum Vorbild für seine Schülerschaft wurde. Wilson versuchte mit Gesten, die seine Autori-tät bezeugten, dagegen vorzugehen, doch er erreichte damit nur das Gegenteil und sah sich bald mit einem handfesten Aufstand eines Teils der Schülerschaft konfrontiert. Macdo-nald rechnet den Figure-Master einer jüngeren Generation von Künstlern an der Akademie zu, die die Rom liebenden Akademiemitglieder im Verwaltungsrat und ihren Protegé Wil-son als Kunst-Snobs verpönten.68 Die internen Querelen gerieten an die Öffentlichkeit und

einzuführen S. 39.

66 Macdonald 1970, S. 89–94.

67 Ebd., S. 95.

68 Macdonald 1970, S. 97.

wirbelten viel Staub auf. In einem Artikel der Art-Union wurden Teile eines Flugblattes der 35 revoltierenden SchülerInnen veröffentlicht, demnach sie sich gegen die Aufstellung ei-ner Nachbildung von Ghibertis Paradiestür aussprachen und gegen die Verschwendung ihrer Zeit mit den niedrigsten Stilen der Dekorativen Künste, namentlich mit Arabesken und dem pompeianischen Stil. Stattdessen wollten sie am gotischen Ornament geschult wer-den. Danach ging der Artikel dazu über, die 35 von 310 Studierenden und ihre Kritik zu diskreditieren, indem er auf ihr geringes Alter und ihre geringen Fähigkeiten abstellte. Wil-son hingegen wurde volle Schützenhilfe gewährt und seine PerWil-son und seine Verdienste gewürdigt.69

Monate später im Juli 1845 erschien ein Artikel, der sich erneut daran machte Wilson zu unterstützen. Anlass war ein Dinner, zu dem Lehrende und SchülerInnen zusammenka-men, wobei betont wurde, dass Letztere ausschließlich aus der Oberschicht stammten.

Dieses Klassenbewusstsein zeigt sich daran, dass dann auch in der Folge immer wieder auf die gegenseitige Wertschätzung des Lehrpersonals und der Schülerschaft hingewie-sen und der herzliche Umgang miteinander betont wurde. Spaltungstendenzen gab es hier also keine und eine harmonische Einheit wurde beschrieben. Im folgenden Auszug offen-bart sich dann aber doch ein Dissens:

He [Mr. Horsley, Lehrkraft; Anm. d. Verf.] knew there were many whose opinions respecting the application of Art to Manufactures were by no means coincident with his own, or with those ad-vocated by the Council of the School of Design; but he must express his humble opinion that the most extensive diffusion of a higher description of knowledge was required in this country. Why should not the simplest object of domestic use be made the vehicle of a graceful thought? Had they not a warranty in nature for this? Did not the Giver of all beauty and good diffuse His boun-ties on all hands? Did He not cover the cottage of the humblest peasant with the honeysuckle and the jessamine just as beautifully and as bountifully as the mansion of the noble? And why should not the simple jug, or other article of daily use among the poor, be as much a recipient of a graceful design as the costly jewel or the luxurious furniture of the wealthy?70

Anscheinend richteten sich Horsleys rhetorische Fragen an jene sich auch im Verwal-tungsrat der Schule befindenden Personen, die seinen verkündeten Ansichten nicht zu-stimmten. Festzuhalten ist, dass der Verbindung von Kunst und Herstellung auch ein Di-stinktionsbewusstsein entgegensteht, das sich auch aus Privilegien speist. Dem stehen volkswirtschaftliche Überlegungen gegenüber, die Wilson, der Direktor der Schule, dem Artikel nach auch zum Ausdruck bringt, wenn es darum geht, dass der englische Designer mit dem französischen konkurrieren könne.

69 The Government School of Design 1845, 163–164.

70 Entertainment given to C. H. Wilson, ESQ., A.R.S.A., The Director of the School of Design, by the Mas-ters and Students 1845, S. 269.

Dass Horsley hier etwas freimütig über Konfliktlinien innerhalb der Schule und dessen Verwaltung spricht, mag daran liegen, dass er erst in dem Monat, in dem das Dinner statt-fand, an die Schule berufen worden war als Nachfolger des geschassten Master of Figu-re71. Zu vermuten ist aber auch, dass der Artikel etwas Kontroverses enthalten sollte bei der ganzen unverhohlenen Lobpreisung, die den Konflikt und die SchülerInnenrevolte zu-vor überdecken sollte. Doch dazu war die Kontroverse schon zu groß geraten.

Der ebenfalls neu eingestellte Alfred Stevens, Lehrer für Architektur-Zeichnen, Per-spektive, Modellieren und Ornament-Malerei, schrieb in einem Brief vom 26. August 1845:

„I was sent for the other day to Sommerset House and offered a place in the School of Design as Professor of Everything … The truth is they have been so lately lashed by the press as incompetent that they tremble for their places and are very happy to find one knowing a little of what they ought to understand themselves.“72 Offensichtlich konnte Ste-vens in Sachen Produktdesign Erfahrungen vorweisen. Seine Art zu Arbeiten stieß aller-dings die SchülerInnen vor den Kopf. Sie waren es gewohnt präzise Umrisse zu zeichnen, die genauestens definiert sein mussten. Doch Stevens war Willens auf der Suche nach der richtigen Linie breite Konturen hervorzubringen und diese auch stehenzulassen. Auf seine SchülerInnen machten seine Zeichnungen und Tonarbeiten zum Teil einen unferti-gen Eindruck. Stevens war auch nicht einverstanden mit der konzeptuellen Trennung von Hoch- und Niedere Kunst. Im November des Jahres 1847 verließ er die Schule bereits wieder, nicht ohne eine Menge Frust angesammelt zu haben.

Inzwischen begann sich die Haltung der Zeitschrift The Art-Union in eine kritische zu verwandeln.73 Vorher war sie eine Unterstützerin der offiziellen Linie des Verwaltungsrates der Schule gewesen, doch nachdem erste Gerüchte über einen Untersuchungsausschuss zur Arbeit des Rates in Umlauf kamen, änderte sie ihre Haltung. Lehrer hatten Beschwer-debriefe an den Verwaltungsrat gerichtet und Robert Redgrave, Associate der Akademie und zukünftiger Weggefährte von Henry Cole, einen öffentlichen Brief an den Prime Minis-ter verfasst. Daraufhin setzte der Verwaltungsrat einen Ausschuss ein, der die eigene und Wilsons Unfähigkeit attestierte, woraufhin das Board of Trade die Reißleine zog. Im Okto-ber 1847, einen Monat vor Stevens Ausscheiden, ernannte das Board einen neuen Ver-waltungsrat74, dessen Mitglieder, mit der Ausnahme von zwei Künstlern, alle dem Board selbst angehörten. Im April 1848 bat dann der alte Verwaltungsrat um seine Abwicklung.

71 Macdonald 1970, S. 98.

72 Ebd., S. 99.

73 Government School of Design. Its annual Exhibition 1847, S. 309.

74 Council of the Government School of Design, Bd. 3, 1849, S. 257–259.

Wilson allerdings war anscheinend so einflussreich, dass er nicht einfach abgesetzt werden konnte. Stattdessen wurde er zum Inspektor der Provinzschulen ernannt, wobei sein Auftrag war, Originalität und Erfindungsgeist zu fördern, für praktische Unterrichtsein-heiten zu sorgen und die UnternehmerInnen in den Aufsichtsräten zu beschwichtigen. In Glasgow wurde es Wilson erlaubt, die School of Design zu inspizieren mit dem Ergebnis, dass aufgrund des schlechten Berichts der Schulleiter und sein Assistent gefeuert wurden und Wilson bis zu seinem Ruhestand, 15 Jahre darauf, selber Direktor der Glasgower Schule war. Dass es Wilson erlaubt worden war die Schule zu inspizieren, mag daran ge-legen haben, dass es sich in Glasgow nach Einschätzung von Macdonald um eine Fine-Art School gehandelt hat.75