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2. Gütergewerbereform und Historismus

2.2 Gütergewerbereform

2.2.6 Cole tritt auf den Plan

Datiert vom 13. Juli 1848 erschien ein Beitrag von einem nicht näher benannten Glas-gower Drucker in der Art-Union. Es ist das kritische Resümee eines vermeintlichen Hand-werkers76, der den Design-Schulen ein Scheitern in Bezug auf die Ausbildung von De-signenden attestiert. Dazu zitiert er zu Beginn aus den Verwaltungsratssitzungen von 1843 und dem Untersuchungsausschuss aus dem Jahr 1846 Passagen, in denen bereits kon-statiert wurde, dass an den Schulen zu viel Augenmerk auf die Lehre im Zeichnen gelegt werden würde.

Daraufhin wird ein Abschnitt aus dem Bericht des Schulinspektors von 1847 wiederge-geben, demnach die Provinzschulen reine Zeichenschulen seien. Das Entwerfen von Or-namentformen solle das Hauptaugenmerk sein, was auch schon früher festgeschrieben wurde, aber nur spärlich in die Praxis umgesetzt worden sei. Dabei käme es darauf an, wenn kein Lehrplan für alle Gewerbe vorläge, sich vor allem in den Provinzschulen auf jene zu konzentrieren, die in der Stadt tätig seien. Danach geht der Autor konkreter auf den Unterrichtsinhalt und Ablauf ein und spricht Wilsons Vorstellungen an. Dabei geht es um die Frage, ob das Wissen praktisch oder mündlich vermittelt werden könne und ob es sinnvoll sei, das Entwerfen von Originalen oder das Kopieren zu studieren. Nach Wilson, dessen Meinung der Autor konträr gegenüber steht, könne nicht Neues erschaffen werden und das Zeichnen biete den Vorteil, dass es grundlegend sei, denn bei den vielen Gewer-ben sei es unmöglich die Ausbildung zu spezialisieren. Doch dem Autor nach sei die

feh-75 Macdonald 1970, S. 108. Entnommen aus: Art in the Provinces 1848, S. 161.

76 Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist dieser Artikel unter einem Pseudonym von Henry Cole verfasst worden, da er die zukünftigen Lehrinhalte unter seiner Ägide vorwegnimmt und sich gegen die Anwendung der eigenen Fantasie ausspricht. Letzteres wurde in Dickens Satire Hard Times aufgegriffen.

lende Spezialisierung und das lange Üben im Zeichnen der Grund dafür, dass viele Schü-lerInnen die Schulbesuche bald wieder einstellen würden.

Danach gibt der Autor einen Abriss darüber wieder, was in den Werkstätten der Textil-industrie passiere, wenn dort ein Designender seiner Tätigkeit nachgehe. Für diese Arbeit sei es grundlegend, die Schülerschaft mit vielen Ornamenten und Formen aus der Natur bekannt zu machen. Außerdem seien die grundlegenden Prinzipien der Kunst, Licht und Schatten, Farbe, Symmetrie, Proportionen und so weiter zu vermitteln. Was nicht passie-ren dürfe, ist ebenfalls festgeschrieben: „Do not leave him to colour these [Ornamente und Naturformen; Anm. d. Verf.] according to his own fancy[..].“77

Sobald diese Grundlagen vermittelt wurden, könne dann im Unterricht damit begonnen werden, an Beispielen aus den unterschiedlichen Gewerben die Anwendung der grundle-genden Prinzipien auf die zu erstellenden Produkte zu illustrieren. Dazu versetzt sich der Autor in eine Lehrkraft und gibt in dem Artikel wieder, was sie vor einer Schülerschaft sa-gen würde. Im Anschluss an die fiktive Unterrichtseinheit fordert er die Schülerschaft dazu auf zur nächsten Sitzung eigene Entwürfe zu entwickeln, die in der Klasse sodann bespro-chen werden. Dies ähnelt dem Vorgehen von Wallis, dem in Manchester angestellten Leh-rer aus Dyce’ Ausbildungsgang.

Im Anschluss an den wiedergegebenen Ideal-Lehrinhalt verweist der Autor darauf, dass dieses Vorgehen der Intention der Schule gerechter werde als zwei Vorlesungen über die Lebensart und das Kostüm der alten Griechen. Auch die nächste Unterrichtsstufe wird wieder explizit im Wortlaut des Lehrenden wiedergegeben, womit der Autor auch sei-ne umfangreichen Kenntnisse und damit seisei-ne Autorität über die Materie unter Beweis stellen kann. Dies ist auch nötig, denn zum Abschluss, nachdem er die Vorzüge seiner Methode für eine gute Design-Ausbildung aufgezeigt hat, verweist er darauf, in wenigen Stunden eine Lehrperson soweit instruieren zu können, dass sie in der Lage sei, seinen Lehrplan zu vermitteln. Das Ende des Artikels ist ein expliziter Appell mit dem System Wil-son zu brechen, da es gescheitert sei. Es müsse eine industrial nicht fine art Atmosphäre an den Schulen einkehren. Den beginnenden Umbau durch das Board of Trade sieht der Autor hoffnungsvoll entgegen, doch der begonnene Wechsel müsse auch radikal mit dem alten System brechen.

Im September 1848 verkündete die Design-Schule in Glasgow anlässlich der jährlich stattfindenden Preisverleihung an die Schülerschaft stolz, dass sie mehr Menschen

be-77 Glasgow Printer 1848, S. 266.

schult hatte als jede vergleichbare Institution, wobei Sommerset House mit eingeschlos-sen wurde. Ein Wermutstropfen ist der Verweis darauf, dass im Jahr zuvor 5000 bis 6000 Pfund aus Glasgow nach Frankreich für den Kauf von Designs geflossen seien. Der Hoff-nung wurde Ausdruck verliehen, dass dies in Zukunft in dieser GrößenordHoff-nung nicht wie-der geschehen müsse. Unter den ersten Plätzen bei wie-der Preisverleihung befand sich eine Büste der Niobe. Weiter wurden im Artikel Teile eines Berichts mit folgendem Hinweis an die Schülerschaft wiedergegeben: „[..] they ought to consider, that their main object would be to gain power of hand to imitate any form placed before them ; - to attain a knowledge of these forms, and fit them to the requirements of manufactures; and to gain a knowledge of the principles of Art, to enable them to this in a characteristic and pure style.“78

Im Dezember müssen dann die Vorgänge um Wilson in Glasgow der Art-Union be-kannt geworden sein, da sie darüber berichtete. Sie verkündete Unmut darüber, dass je-den Monat neue Erkenntnisse über Fehler in der Verwaltung auftauchen würje-den und ver-langte eine Erklärung. Zuvor jedoch berichtete sie über die School of Design in Manches-ter in einem sehr kritischen Ton, der die Enthüllungen in Glasgow vorbereitete. Dabei ging es in erster Linie um eine schlechte Organisation der Schule und Verfehlungen der Lei-tung. Besonders von Interesse ist aber die eindeutige Positionierung zum Lehrplan mit fol-gender Aussage: „It is not by the occasional delivery of a few lectures on Greek Art, that young men can be made skilful designers ; nor by the routine practice of drawing from an-tique models ;[..].“79 Der Beitrag endet mit dem Appell, die Interessen und das Wohlerge-hen der Gemeinschaft der Herstellenden stärker zu verfolgen. Wilsons Jahre als Direktor der Normal School of Design waren damit endgültig zu Ende gegangen, doch bis Henry Cole dann an die Spitze als Superintendant des neu gegründeten Departments of Prac-tical Art gelangen sollte, vergehen noch drei Jahre.

Die Deutungshoheit erlangte Cole, indem er die Felix Summerly’s Art Manufacture gründete und in diesem Zusammenhang ein preisgekröntes Teeservice entwarf. Weiter nahm er prominent am Diskurs über das Entwerfen mit seinem Journal of Design teil, wel-ches er einstellte, nachdem er 1850 mit der Planung zur ersten Weltausstellung begonnen hatte.80 Damit schuf er einen ersten öffentlichen Raum, in dem es auf noch breiterer Ebene zur Diskussion um das Zusammenspiel von Kunst und Arbeit kommen konnte. In der

glei-78 Art in the Provinces. Glasgow School of Design 1848, S. 277.

79 Art in the Provinces. Manchester School of Design 1848, S. 354.

80 Macdonald 1970, S. 133; S. 141. Prominent wurde auch auf Fragen des Urheberrechts in Coles Maga-zin eingegangen. Fehlender Urheberrechtsschutz wurde als ein Grund genannt, warum in großem Um-fang auf französische Entwürfe zurückgegriffen wurde. Siehe auch: Dutta 2007, S. 126.

chen Weise gingen sezessionistische Künstlergruppen vor, um sich außerhalb der Akade-mie zu etablieren. Sie schufen zuerst eigene Ausstellungsräume, um selbst darüber zu be-stimmen, was die Öffentlichkeit zu Gesicht bekam. Erst nach eigener Anschauung der Ausstellung konnte jede AmateurIn urteilen und ein öffentlicher Diskurs überhaupt erst ent-stehen. Die kleineren Preisverleihungen in den Normal Schools of Design wurden zuvor noch von den Akademiemitgliedern ausgelobt. Quinn sieht den Diskurs, den Henry Cole um den öffentlichen Geschmack vorantreibt, als verbindendes Element zwischen Kunst und Industrie. Indem Cole zum nationalen Tonangeber in Sachen Geschmack aufsteigt, kann er die Deutungshoheit der Akademie in Fragen der Kunst brechen.

Für mein Dafürhalten hat er aber nicht die Deutungshoheit der Akademie auf dem Ge-biet der Kunst gebrochen, sondern sie auf dem GeGe-biet der ornamentalen Gestaltung er-langt, nachdem dieser Bereich argumentativ der Akademie abgerungen worden war, in-dem kontinuierlich das Ornament in eine vermittelnde Position zwischen Hochkunst und Industrie gesetzt worden war. Diese angesprochene Mittlerin-Position des Ornaments und dessen Bedeutung wird am Ende des folgenden Fazits ausführlicher beschrieben.