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Die letzten drei Indikatoren des Kapitels Öffnung versus Autonomie geben über die gewünschte Autonomie der Befragten Auskunft. Dabei wird einerseits die Zustimmung zu der politischen/wirtschaftlichen, der militärischen und der absoluten Autonomie der Schweiz gemessen. Seit Messbeginn 1993 erreicht die Frage zur wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit die grösste Zustimmung der drei Fragen (siehe Abbildung 7.5). Stets an zweiter Stelle steht die militärische Autonomie, gefolgt von der absoluten Autonomie, nach der sich die Schweiz von sämtlichen Bündnissen und Zusammen-schlüssen fernhalten soll.

77% (+3 Pp) der Befragten befürworten, dass die Schweiz wirtschaftlich und politisch möglichst unabhängig von anderen Staaten bleiben soll. Davon sind 39% «sehr» und 38%

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«eher» einverstanden. Eine Minderheit von 44% (–2 Pp) ist der Ansicht, dass sich die Schweiz nur auf die eigene Landesverteidigung verlassen soll. Mit dieser Vorgabe sind 16% «sehr» und 28% «eher» einverstanden. Eine noch kleinere Gruppe der Befragten (35%; +1 Pp) ist der Auffassung, dass sich die Schweiz von sämtlichen Bündnissen und Zusammenschlüssen fernhalten und somit eine absolute Form der Autonomie vertreten soll. 9% der Stimmbürger*innen sind damit «sehr» und 26% «eher» einverstanden.

Die drei Indikatoren haben in den Neunzigerjahren beträchtliche Fluktuationen durchlaufen. Zu Beginn der 1990er Jahre wiesen sie zuerst relativ hohe Werte auf, dann Mitte der Dekade erreichten sie Tiefstwerte. Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts stiegen die Werte dann wieder an und erreichten das Niveau der frühen Neunzigerjahre. Die Zustimmung zur absoluten Autonomie ist seit Anfang der Nullerjahre relativ konstant und aktuell mit 35% leicht über dem langjährigen Schnitt von 33%. Ähnlich sieht es bei der militärischen Autonomie aus. Wenn auch in den letzten zehn Jahren tendenziell leicht sinkend, ist sie im Vergleich zum Vorjahr auf einem ähnlichen Niveau und liegt momentan mit 44% unter dem langjährigen Schnitt von 48%. Der dritte Indikator, die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit von anderen Staaten, kletterte zu Beginn des Jahrtausends kontinuierlich und erreichte 2013 einen Höchstwert von 81%. Wurde 2019 ein Rückgang festgestellt, so zeigt sich aktuell, dass die wirtschaftliche und politi-sche Autonomie der Schweiz signifikant stärker unterstützt wird. Auch dieses Jahr liegt sie mit 77% deutlich über dem langjährigen Schnitt von 66%.

Abbildung 7.5

Indikatoren zur Betonung nationaler Autonomie

«Wie kann die Schweiz Ihrer Meinung nach am besten ihre Interessen wahren und gleichzeitig zur Sicherheit in der Welt beitragen?»

(«sehr» und «eher» einverstanden in Prozent, gerundet)

Si/377/20

«Die Schweiz sollte wirtschaftlich und politisch möglichst unabhängig von anderen Staaten bleiben.»

«Die Schweiz sollte sich nur auf ihre eigene Landesverteidigung verlassen.»

«Die Schweiz sollte sich von Bündnissen und Zusammenschlüssen aller Art mit anderen Staaten fernhalten.»

´93 (1003) ´94 (827) ´95 (795) ´96 (821) ´97 (1014) ´98 (1000) ´99 (1201) ´00 (1202) ´01 (1235) ´02 (1201) ´03 (1202) ´04 (1200) ´05 (1200) ´06 (1200) ´07 (1200) ´08 (1200) ´09 (1200) ´10 (1200) ´11 (1209) ´12 (1200) ´13 (1200) ´14 (1200) ´15 (1239) ´16 (1211) ´17 (1209) ´18 (1209) ´19 (1213) ´20 (1227)

Soziodemografische Einflüsse: Einmal mehr ist die politische Selbstverortung die wich-tigste soziodemografische Variable, welche die Zustimmung zu den verschiedenen aussen-politischen Autonomieformen erklärt. So sind bei allen drei Indikatoren zur aussenpoli-tischen Autonomie Befragte, die sich dem linken poliaussenpoli-tischen Lager zuordnen, signifikant weniger der Meinung, dass sich die Schweiz isolieren sollte. Bei der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit stimmen 67% der Linken, 80% der Mitte und 83% der Rech-ten zu (γ=–0.26). Die militärische Autonomie wird von lediglich 29% der politisch links Orientierten, von 42% der politischen Mitte und von 56% der politisch rechts Orientierten unterstützt (γ=–0.30). Bei der absoluten Autonomie, welche jedoch von keinem der drei politischen Lager insgesamt befürwortet wird, zeigt sich ein ähnliches Bild (links: 27%, Mitte: 38%, rechts: 41%; γ=–0.17).

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Die zweite soziodemografische Variable mit grossem Erklärungspotential hinsichtlich der drei Indikatoren zur aussenpolitischen Autonomie ist das Bildungsniveau. Hier sind es Befragte mit hoher Bildung, welche signifikant autonomiekritischer sind als der Rest der Befragten. 80% der Schweizer*innen mit tiefer und 83% mit mittlerer Bildung stimmen der wirtschaftlichen und politischen Autonomie zu, währenddessen die Zustimmung von Befragten mit hohem Bildungsniveau bei vergleichsweise tiefen 69% liegt (γ=–0.24). Dass sich die Schweiz lediglich auf die eigene Landesverteidigung verlassen soll, wird von 57%

der Befragten mit tiefer Bildung, 49% mit mittlerer und 36% mit hoher Bildung befür-wortet (γ=0.23). Mit einer absoluten Autonomie der Schweiz sind 44% der Befragten mit tiefer Bildung, bzw. 41% der Befragten mit mittlerer Bildung einverstanden. Lediglich 28% der Schweizer*innen mit hoher Bildung stimmen dem zu (γ=0.22).

Geht es nach dem Kanton Tessin, so soll sich die Schweiz einzig und alleine auf die eigene Landesverteidigung verlassen und absolut autonom sein. West- und Deutschschweizer*innen sind dagegen der gegenteiligen Auffassung. In diesen zwei Sprachregionen findet sich nur eine Minderheit, welche der Ansicht ist, die Schweiz solle sich nur auf die eigene Landesverteidigung verlassen (D-CH: 43%, F-CH: 42%, Tessin:

57%; CC=0.14) und auf Bündnisse jeglicher Art zu verzichten (D-CH: 37%, F-CH: 26%, Tessin: 59%; CC=0.21).

Für die Begründung der militärischen Autonomie lässt sich zusätzlich das Alter als erklärende Variable hinziehen (18 – 29-Jährige: 38%, 30 – 59-Jährige: 44%, ab 60-Jährige:

51%; γ=0.14). Während die jüngeren Altersgruppen eine klare Ablehnung der militärischen Autonomie entgegenbringen, sind sich ab 60-Jährige bei dieser Frage uneinig.

Alle Einkommensklassen sind sich dahingehend einig, dass die Schweiz offen gegen-über Bündnissen oder Zusammenschlüssen jeglicher Art sein soll. Die Frage, sich von Bündnissen und Zusammenschlüssen aller Art fernzuhalten, erfährt damit tiefe Zustim-mungswerte in Bezug auf alle drei Einkommensniveaus (tief: 37%, mittel: 37%, hoch: 28%;

γ=0.11). Schweizer*innen mit einem hohen Einkommen sind jedoch signifikant stärker dafür, dass die Schweiz Bündnisse und Zusammenschlüsse eingeht.

Bewohner*innen aus ländlichen Gebieten sprechen sich signifikant stärker für eine wirtschaftlich und politisch möglichst unabhängige Schweiz aus als Städter*innen (Stadt:

71%, Agglomeration: 80%, Land: 83%; CC=0.12).

Weitere signifikante Unterschiede: Die Frage zur wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit der Schweiz sowie jener, dass sich die Schweiz nur auf die eigene Lan-desverteidigung verlassen solle, korreliert mit der Einstellung gegenüber der Schweizer Armee. Befragte, welche sich für eine wirtschaftlich und politisch unabhängige Schweiz mit eigener Landesverteidigung aussprechen, halten die Schweizer Armee häufiger für notwendig (Unabhängigkeit: γ=0.29; Landesverteidigung: γ=0.30), sind zufriedener

mit deren Leistung (Unabhängigkeit: γ=0.26; Landesverteidigung: γ=0.24), finden die Schweiz solle eine «vollständig ausgerüstete» (Unabhängigkeit: γ=0.34; gung: γ=0.32) und eine «sehr gut ausgebildete» (Unabhängigkeit: γ=0.35; Landesverteidi-gung: γ=0.28) Armee unterhalten und möchten nicht, dass das Militär abgeschafft wird (Unabhängigkeit: γ=0.29; Landesverteidigung: γ=0.34).

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Die VOTO-Studien

Seit 1977 werden jeweils direkt nach jeder eidgenössischen Volksabstimmung die Mo-tive der Stimmbürger*innen für die Annahme oder Ablehnung der einzelnen politischen Abstimmungsvorlagen durch bevölkerungsrepräsentative Befragungen erhoben. Neben den Abstimmungsmotiven wird auch die Öffnungsbereitschaft der Schweizer*innen eru-iert. Die Befragten werden deshalb regelmässig gefragt, ob sie sich eine Schweiz wün-schen, die sich nach aussen öffnet oder eine Schweiz, die sich vor äusseren Einflüssen verschliesst. Diese Wahl- und Abstimmungsnachbefragungen waren in der Vergangenheit als Vox-Analysen bekannt. Seit 2016 wird dieses Projekt unter dem Namen VOTO ge-führt und veröffentlicht. Es werden jeweils knapp 1500 Stimmberechtigte in der ganzen Schweiz telefonisch befragt. Für die hier dargestellte Übersicht wurden die Daten zu den zwei Abstimmungsterminen ausgewertet, die 2019 stattgefunden haben. Dies sind die Abstimmungen vom 10. Februar 2019 (N=1517) und 19. Mai 2019 (N=1519). Anhand der Daten der beiden Befragungen wurden hierfür die durchschnittlichen Werte der Öffnungs-bereitschaft der Schweizer*innen berechnet.

Befragte können ihre Öffnungsbereitschaft auf einer Skala von 1 («Schweiz, die sich vermehrt nach aussen öffnet») bis 6 («Schweiz, die sich vermehrt verschliesst») angeben.

Im Durchschnitt über die beiden VOTO-Studien vom 10. Februar 2019 und 19. Mai 2019 sprechen sich 72% der Befragten für eine sich vermehrt öffnende Schweiz aus. 23% der Befragten bevorzugen eher eine Schweiz, die sich vor äusseren Einflüssen verschliesst.

Milic, T., Feller, A., Kübler, D. (2019). VOTO-Studie zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 19. Mai 2019. ZDA, FORS, LINK: Aarau/Lausanne/Luzern. Daten unter: https://forsbase.unil.ch

Bernhard, L., Lauener, L. (2019). VOTO-Studie zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 10. Februar 2019. ZDA, FORS, LINK: Aarau/Lausanne/Luzern. Daten unter: https://forsbase.unil.ch

Die VOTO-Studien und die Studie «Sicherheit 2020» im Vergleich

Die Resultate der Studie «Sicherheit 2020» zeigen, dass sich eine klare Mehrheit von 81%

lediglich eine wirtschaftliche Kooperation mit der EU wünscht. Eine Minderheit von 13%

befürwortet einen vorbehaltlosen EU-Beitritt. Auch ein Beitritt (20%) und eine Annähe-rung an die Nato (36%) wird nur von Minderheiten unterstützt. Ausserdem sind 35% der Schweizer Stimmbevölkerung der Auffassung, dass sich die Schweiz von Bündnissen und Zusammenschlüssen jeglicher Art fernhalten sollte. 77% befürworten hingegen eine mög-lichst grosse politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Schweiz.

In den VOTO-Studien befürworteten 72% der Stimmbevölkerung eher eine aussen-politische Öffnung als eine aussenaussen-politische Isolation. Dieser Befund zeigt ein ähnliches Bild wie die Studie «Sicherheit 2020», in der fast zwei Drittel (63%) eine aussenpoliti-sche Isolation ablehnen. Auch die Resultate aus der VOTO-Studie zeigen, dass sich Schweizer*innen eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU wünschen, jedoch ohne der EU beizutreten.