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Die Beibehaltung der Neutralität (Neutralitätsprinzip) als ein wichtiger aussenpolitischer Grundsatz der Schweiz geniesst seit Messbeginn eine äusserst hohe Zustimmung in der Stimmbevölkerung. Die langjährige durchschnittliche Zustimmung zu Neutralität zwi-schen 1989 bis 2020 liegt bei 89%. Veränderte sich die Zustimmung zwizwi-schen 1989 bis 1997 noch sprunghaft, zeigt sich seit 1998 ein klarer Trend: Die Zustimmungswerte für die Beibehaltung der Schweizer Neutralität wachsen langsam aber konstant (siehe Abbildung 6.2, blaue Linie). Wie bereits im Vorjahr, sprechen sich aktuell 96% (±0 Prozentpunkte) der Schweizer*innen dafür aus, dass die Neutralität beizubehalten sei. Am Festhalten des Neutralitätsgrundsatzes sind 70% «sehr» und 26% «eher» einverstanden. Dieser Wert liegt deutlich über dem langjährigen Durchschnitt von 89% und der im Vorjahr gemessene Höchstwert wird 2020 erneut bestätigt.

Abbildung 6.2

Verschiedene Einstellungen zur Neutralität

«Wie kann die Schweiz Ihrer Meinung nach am besten ihre Interessen wahren und gleichzeitig zur Sicherheit in der Welt beitragen?»

(«sehr» und «eher» einverstanden in Prozent, gerundet)

Si/376/20

«Die Schweiz sollte ihre Neutralität beibehalten.»

«Die Schweiz sollte bei politischen Konflikten im Ausland klar Stellung für die eine oder andere Seite beziehen, bei militärischen Konflikten aber neutral bleiben.» (Differenzielle Neutralität)

«Die Schweiz sollte bei militärischen Konflikten im Ausland klar Stellung für die eine oder andere Seite beziehen.»

(de-facto Aufgabe)

Soziodemografische Einflüsse: Die sehr hohe Zustimmung des Neutralitätsprinzips ist unabhängig von der Sprachregion, dem Geschlecht, dem Alter, dem Bildungsniveau sowie dem Einkommen der Befragten. Die Einstellung zur Beibehaltung der Neutralität unter-scheidet sich leicht bezüglich der politischen Selbsteinstufung. Politisch links eingestellte Schweizer*innen unterscheiden sich bezüglich der Neutralitätszustimmung signifikant von jenen, welche sich politisch rechts und in der Mitte positionieren. Während 77% der sich rechts und 71% der sich in der Mitte Positionierenden die Antwortkategorie «sehr einverstanden» wählten, liegt dieser Anteil bei den sich links einstufenden Personen bei vergleichsweise niedrigen 60%. Rechts Eingestellte befürworten die Beibehaltung der Neutralität damit stärker. Betrachtet man die kumulierten Zustimmungsanteile («sehr»

und «eher» einverstanden zusammengenommen) bleiben die Unterschiede abhängig von der politischen Orientierung bestehen, nähern sich jedoch stark an (links: 94%; Mitte:

98%, rechts: 97%; γ=0.27).3

Weitere signifikante Unterschiede: Die Einstellungen der Schweizer*innen gegenüber der EU, der Nato, der Uno sowie gegenüber dem individuellen Verlangen nach wirtschaft-licher und politischer Unabhängigkeit korrelieren zudem stark mit der Zustimmung zur Neutralität. Je stärker eine Person einen EU- oder Nato-Beitritt befürwortet, respektive für eine noch stärkere Zusammenarbeit mit der Uno einsteht, desto stärker lehnt sie die Neutralität ab (EU: γ=–0.55; Nato: γ=–0.36; Uno-Anliegen: γ=–0.17). Mit zunehmendem Verlangen nach politischer und wirtschaftlicher Autonomie steigt die Zustimmung zur Neutralität stark an (γ=0. 51).

Die Einstellung zur Schweizer Armee übt auch einen Einfluss auf die Zustimmung zur Neutralität aus. Je stärker die Armee für notwendig gehalten wird, desto stärker sprechen sich Schweizer*innen für die Beibehaltung der Neutralität aus (γ=0.40). Mit steigendem Vertrauen (γ=0.28) und steigender Zufriedenheit mit den Leistungen der Armee (γ=0.32) wächst ebenfalls die Zustimmung zum Neutralitätsprinzip.

Differenzielle Neutralität

Mit der Beteiligung an den Wirtschaftssanktionen der Uno gegen den Irak begann die Schweiz im Jahr 1990 die Neutralität wieder differenziell zu interpretieren, ohne jedoch diesen Ausdruck explizit in der öffentlichen Wahrnehmung aktiv zu benutzen

(Schwei-3 In der Studie weisen die Vorzeichen des Korrelationskoeffizienten γ auf die Richtung des inhaltlichen Zusammen-hangs zwischen ordinal- und intervallskalierten Merkmalen und nicht auf die den Antwortkategorien zugrunde-liegenden Werte hin. Erfolgt die Interpretation des Zusammenhangs mit dem Wortlaut «Je mehr … desto mehr»

bzw. «Je weniger … desto weniger» wird dies demzufolge stets mit einem positiven Korrelationskoeffizienten aus-gewiesen. Findet der Wortlaut «Je mehr … desto weniger» bzw. «Je weniger … desto mehr» für die Interpretation des Zusammenhangs Verwendung, wird dies mit einem negativen Korrelationskoeffizienten verdeutlicht.

Sicherheit 2020

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zerische Eidgenossenschaft 2004; vgl. Tabelle 6.1). Dieses Neutralitätsverständnis erlaubt eine politische Positionierung der Schweiz zu ausländischen Konflikten und strikter Einhaltung der militärischen Neutralität.

Während die Zustimmung zur differenziellen Neutralität 2015, 2016 und 2017 im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr jedes Jahr signifikant gesunken ist, unterscheidet sich die weitergehende Verminderung der Zustimmungsrate in den letzten drei Jahren nicht mehr signifikant gegenüber dem jeweiligen Vorjahr (siehe Abbildung 6.2, orange Linie).

Aktuell sind sich Schweizer*innen bezüglich der differenziellen Betrachtungsweise der Neutralität uneinig (48%, –1 Pp). Seit dem Erhebungsbeginn 1993 fiel die Befürwortung der differenziellen Neutralität noch nie so tief aus wie in der aktuellen Umfragewelle.

Soziodemografische Einflüsse: Die differenzielle Auslegung der Neutralität divergiert nach Alter und Sprachregion. 18 – 29-Jährige stimmen der differenziellen Neutralität signifikant weniger oft zu als ab 60-Jährige. 52% der ab 60-Jährigen sprechen sich für die differenzielle Neutralität aus («sehr» oder «eher» einverstanden). Bei den 30 – 59-jäh-rigen Stimmbürger*innen liegt dieser Anteil bei 48% und bei den 18 – 29-Jäh59-jäh-rigen bei 41% (γ=0.14).

Regional hebt sich insbesondere die Westschweiz von den Zustimmungswerten der Deutschschweiz und dem Tessin ab. Westschweizer*innen weisen mit 39% die tiefsten kumu-lierten Zustimmungswerte («sehr» oder «eher» einverstanden) aus und lehnen eine differenzi-ell ausgelegte Neutralität damit ab. Deutschschweizer*innen (51%) sowie Tessiner*innen (53%) stehen dem differenziellen Neutralitätsverständnis dagegen uneinig gegenüber (CC=0.16).

De-facto Aufgabe der Neutralität

Würde die Schweiz auch bei militärischen Konflikten im Ausland klar Stellung beziehen, käme dies im Vergleich zur differenziellen Neutralität einer de-facto-Aufgabe der Neutralität gleich (vgl. Tabelle 6.1). Bei der Zustimmung zur de-facto-Aufgabe der Neutralität wird 2020 der tiefste je gemessene Wert festgestellt. Damit setzt sich der seit 2010 eingeleitete Sinkflug aktuell weiter fort (siehe Abbildung 6.2, rote Linie). Nur eine Minderheit von 14%

(–1 Pp) der Schweizer*innen spricht sich für die de-facto-Aufgabe der Schweizer Neutralität aus. Die aktuelle Zustimmungsrate liegt 10% unter dem langjährigen Durchschnitt von 24%. Eine Aufgabe der Neutralität ist für das Schweizer Stimmvolk aktuell kein Thema.

Soziodemografische Einflüsse: Westschweizer*innen stehen einer expliziten Positionie-rung der Schweiz in militärischen Konflikten im Ausland signifikant kritischer gegenüber als die Deutschschweizer*innen oder Tessiner*innen (F-CH: 10%, D-CH: 14%, Tessin:

20%; CC=0.13). Trotz der Unterschiede in den drei Sprachregionen wird eine de-facto Aufgabe der Neutralität deutlich in allen drei Landesteilen abgelehnt.

Weitere signifikante Unterschiede: Wie schon bereits bei der Frage nach der Beibehal-tung der Neutralität ist auch die Einstellung zur de-facto Aufgabe der Neutralität stark davon abhängig, welche Einstellungen die Befragten gegenüber der EU, der Nato und der Uno haben. Je stärker eine Person einen EU- oder Nato-Beitritt ablehnt, respektive gegen eine noch stärkere Zusammenarbeit mit der Uno ist, desto weniger möchte diese die Neutralität de-facto aufgeben (EU-Beitritt: γ=–0.38; Nato-Beitritt: γ=–0.30; Uno-Anliegen: γ=–0.22).

Das allgemeine Prinzip der Neutralität geniesst seit Messbeginn eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung, welche seit der Jahrhundertwende tendenziell sogar noch zugenom-men hat. Die Datenreihe zeigt allerdings, dass sich das Neutralitätsverständnis in den letzten Jahren zunehmend verändert hat. Die Akzeptanz für die differenzielle Auslegung der Neutralität hat zum dritten Mal in Folge den Tiefstwert von 1994 unterschritten.

Die Daten weisen auf eine gewisse Unsicherheit hin, wie heute die differenzielle Neu-tralität ausgelegt werden soll. Aktuell sind für die Zustimmung oder Ablehnung der differenziellen Neutralität die Zugehörigkeit zu einer der drei Sprachregionen sowie das Alter der Befragten zwei wichtige Indikatoren. Allerdings ist sich die Stimmbevölkerung dahingehend einig, dass eine de-facto-Abschaffung der Neutralität nicht in Frage kommt.