• Keine Ergebnisse gefunden

Die Kooperationstypen im Trend von 1993 bis 2020

Auch 2020 wurde die aussenpolitische Öffnungsbereitschaft der Schweizer*innen anhand von 14 verschiedenen Items ermittelt. Davon werden seit 1993 neun Fragen für die Bildung einer Kooperationstypologie4 verwendet. Dies sind sieben Fragen zu sämtlichen Koope-rationsarten, zudem zwei Fragen zur Neutralität (Beibehaltung der Neutralität und der Zustimmung zur differenziellen Neutralität) (siehe Anhang II). Daraus lassen sich drei charakteristische Haltungen bezüglich der aussenpolitischen Öffnung der Schweiz ableiten.

«Harte Öffnungswillige» (24% der Antwortenden, –7 Pp, siehe Abbildung 7.6):

Befragte dieser Kategorie befürworten eine aussenpolitische Öffnung und somit einen gewissen Souveränitätsverlust stärker als der Rest der Befragten. Über die Frage eines vor-behaltlosen Beitrittes zur EU sind sich die «harten Öffnungswilligen» uneinig (50%). Sie stimmen jedoch mehrheitlich für eine politische Annäherung an die EU (72%) und eine grosse Mehrheit unterstützt eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit, ohne der EU beizutreten (67%). Diese Gruppe unterstützt alle nicht-institutionellen internationa-len Kooperationsformen vehement. Eine aktivere Rolle bei internationainternationa-len Konferenzen befürworten 89% der «Harten Öffnungswilligen», eine vermehrte Konfliktvermittlung wird von 86% und ein grösseres Engagement in der Entwicklungshilfe wird von 88% unter-stützt. Das gleiche Bild zeigt sich beim Engagement in der Uno: 87% sind für eine aktive Schweiz, die sich an vorderster Front für die Anliegen der Uno einsetzt und 77% möchten, dass die Schweiz einen Sitz im Sicherheitsrat anstrebt. 76% befürworten die Bereitstellung von Friedenstruppen für die Uno. In Bezug zu sicherheitspolitischen Kooperationen sind sie deutlich skeptischer: Es herrscht Uneinigkeit, ob sich die Schweiz der Nato annähern soll (53%) und nur eine Minderheit von 39% befürwortet einen Beitritt zur Nato. Die

«harten Öffnungswilligen» sind gegenüber aussenpolitischer Öffnung und Kooperation positiv eingestellt, sie stehen Beitritten zur EU und Nato jedoch skeptisch gegenüber.

Soziodemografische Zusammensetzung der «harten Öffnungswilligen»:5 Diese Gruppe beherbergt überdurchschnittlich viele Westschweizer*innen, wogegen Deutschschweizer*innen untervertreten sind. Das Tessin ist dabei durchschnittlich vertre-ten. Die Westschweiz zeigt sich offener und ist eher bereit, internationale Kooperationen einzugehen. Insgesamt wird jedoch auch eine «harte Öffnung» in der Westschweiz nicht von einer Mehrheit befürwortet. Politisch ist die Gruppe links einzuordnen, da überdurch-schnittlich viele politisch links orientierte Personen sich hier zusammenfinden, wogegen die politische Mitte und die politische Rechte untervertreten sind. «Harte Öffnungswil-lige» haben überdurchschnittlich oft ein hohes Bildungsniveau. «Harte ÖffnungswilÖffnungswil-lige»

leben vor allem in Städten und weniger in Agglomerationen und auf dem Land.

Sicherheit 2020

164

«Autonomisten» (33%, –1 Pp): Diese Gruppe ist das Gegenstück zu den «harten Öff-nungswilligen». Sie lehnen einen Beitritt zur EU klar ab (2% Zustimmung). Einer politischen Annäherung sind sie ebenfalls stark abgeneigt (12%), sie treten jedoch grossmehrheitlich für eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Staatenbund ein, ohne diesem beizutreten (72%). Auch gegenüber der nicht-institutionellen internationalen Kooperation sind sie kritisch eingestellt: Nur eine aktivere Rolle bei internationalen Konferenzen wird von einer knappen Mehrheit (57%) befürwortet. Während bei der Frage der vermehrten Konfliktvermittlung ebenso nur eine knappe Mehrheit (54%) zustande kommt, lehnen sie vermehrte Entwicklungshilfe deutlich ab (34%). «Autonomisten» lehnen ebenfalls ein verstärktes Engagement der Schweiz in der Uno ab (Sitz im Sicherheitsrat: 37%; aktiv und an vorderster Front für die Anliegen der Uno: 24%; Friedenstruppen zur Verfügung stellen:

39%). Auch gegenüber sicherheitspolitischen Bündnissen ist dieser Cluster negativer als die anderen Typen eingestellt (Nato-Beitritt: 6%; Nato-Annäherung: 15%). «Autonomisten»

lehnen institutionell bindende aussenpolitische Kooperationsformen grundsätzlich ab und sind auch gegenüber nicht-institutionellen Kooperationen kritisch eingestellt.

Soziodemografische Zusammensetzung der «Autonomisten»: «Autonomisten»

sind seltener in der Westschweiz anzutreffen, jedoch überdurchschnittlich häufig in der deutschsprachigen Schweiz beheimatet. Sie sind deutlich öfters politisch rechts zu verorten als politisch links. Das Bildungsniveau der Befragten, welche sich in diesem Kooperationscluster befinden, ist tiefer als jenes der «harten Öffnungswilligen». Die

«Autonomisten» leben überdurchschnittlich oft auf dem Land und wohnen seltener in der Stadt und in der Agglomeration.

«Weiche Öffnungswillige» (43%, +8 Pp): Die dritte öffnungspolitisch unterscheidbare Gruppe ist zwischen den «Autonomisten» und den «harten Öffnungswilligen» anzusie-deln. Sie stehen aussenpolitischer Kooperation grundsätzlich positiv gegenüber, festen institutionellen Bindungen gegenüber sind sie jedoch skeptisch eingestellt. Betreffend einem EU-Beitritt sind sie so skeptisch wie die «Autonomisten» (1%), und auch eine politische Annäherung an die Organisation lehnen sie ab (30%). Sie unterstützen eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU ohne Beitritt am stärksten (96%).

Nicht-institutionelle internationale Kooperation wird von dieser Gruppe klar befürwortet (aktivere Rolle an Konferenzen: 83%; mehr in Konflikten vermitteln: 82%; mehr Entwick-lungshilfe leisten: 72%). Die «weichen Öffnungswilligen» treten auch für ein verstärktes Engagement in der Uno ein (Sitz im Sicherheitsrat: 69%; aktiv und an vorderster Front für die Anliegen der Uno einsetzen: 78%; Friedenstruppen zur Verfügung stellen: 61%).

Einen Beitritt zur Nato lehnen sie klar ab (25%), eine Annäherung zum Verteidigungs-bündnis kann sich aber fast die Hälfte der «weichen Öffnungswilligen» vorstellen (49%).

Die «weichen Öffnungswilligen» lehnen institutionelle Kooperationen in Organisationen deutlich ab, befürworten nicht-institutionelle Kooperationsformen jedoch klar.

165 Soziodemografische Zusammensetzung der «weichen Öffnungswilligen»: In diesem Cluster gibt es vergleichsweise wenig Westschweizer*innen. Deutschschweizer*innen sind übervertreten. Die politische Zusammensetzung ist gleichmässig über alle Lager verteilt.

Deutlich weniger Personen mit tiefem Bildungsniveau gehören den «weichen Öffnungs-willigen» an. Sie leben überdurchschnittlich oft in der Agglomeration und weniger in der Stadt oder auf dem Land.

Zwischen den drei Kooperationstypen bestehen signifikante Abweichungen bezüglich der Sprachregion (CC=0.10), der politischen Einstellung (CC=0.30), des höchsten Bil-dungsabschlusses (CC=0.10) und ob die Befragten auf dem Land, in der Agglomeration oder in der Stadt wohnen (CC=0.14). Waren die Anteile der einzelnen Gruppe 2018 und 2019 relativ stabil, haben sich 2020 im Vergleich zum Vorjahr die Anteile der «harten Öff-nungswilligen» und «weichen ÖffÖff-nungswilligen» signifikant verändert (siehe Abbildung 7.6). Während die «weichen Öffnungswilligen» signifikant zugenommen haben, ist bei den

«harten Öffnungswilligen» ein statistisch signifikanter Rückgang zu verzeichnen. Aktuell lassen sich 43% (+8 Pp) der Befragten den «weichen Öffnungsbereiten» zuordnen, 33% (–1 Pp) den «Autonomisten» und 24% (–7 Pp) den «harten Öffnungswilligen». War der Anteil der «harten Öffnungswilligen» 2019 so hoch wie seit 2001 nicht mehr, ist dieser Anteil gesunken und befindet sich 2020 unter dem langjährigen Schnitt (28%). Seit 2002 befindet sich der Anteil derjenigen, welche eine aussenpolitische Öffnung unterstützen, im Bereich von 22% und 31% der Befragten. Noch in den Neunzigerjahren war der Anteil der «harten Öffnungswilligen» grösseren Schwankungen unterlegen und durchschnittlich auf einem höheren Niveau. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat sich der Anteil jedoch stabilisiert.

Der Anteil der «weichen Öffnungsbereiten» war zu Beginn der Neunzigerjahre auf relativ tiefem Niveau, stieg dann gegen Ende des Jahrzehnts auf einen Drittel an. Mitte der Nullerjahre stieg der Anteil der «weichen Öffnungsbereiten» auf einen Höchststand und blieb auf diesem hohen Niveau bis 2016. Nachdem in den vergangenen drei Jahren etwa ein Drittel der Befragten dieser Gruppe angehörte, steigt 2020 die Anzahl der «wei-chen Öffnungswilligen» wieder auf das Niveau vor 2016.

Die «Autonomisten» waren nach der wegweisenden EWR-Abstimmung 1992 die klar grösste Gruppe, verloren anteilmässig bis zum Ende des Jahrzehnts jedoch beträchtlich und entsprechen seitdem circa einem Drittel der Schweizer Stimm- und Wahlberechtig-ten. Detailliertere Darstellungen der unterschiedlichen Ausprägungen der aussen- und sicherheitspolitischen Kooperationstypen finden sich in Anhang II.

Abbildung 7.6

Die Kooperationstypen und ihre anteilmässige Veränderung 1993 bis 2020

«Weiche Öffnungsbereitschaft»

� Ablehnung EU-Beitritt, aber verstärkte bilaterale Zusammenarbeit mit der EU

� Befürwortung der differenziellen Neutralität

� Aktive Rolle der Schweiz bei Konfliktvermittlung, Entwicklungshilfe und in der Uno

� Neutral und möglichst unabhängig bleiben

� Spalten sich an der Frage einer Nato-Annäherung

«Autonomismus»

� Ablehnung EU-Beitritt und souveränitätsmindernder Bindungen

� Eng interpretierte Neutralität

Die ausgewiesenen Zahlen in den Klammern der untenstehenden Zeitreihe entsprechen den Fällen, die den drei Clustern «Weiche Öffnungsbereitschaft», «Autonomismus» und «Harte Öffnungs-bereitschaft» zugeordnet werden können.

(Angaben in Prozent, gerundet)

Sicherheit 2020

166

Fazit: Die Einstellungen der Schweizer Stimmbevölkerung zu den verschiedenen aussen- und sicherheitspolitischen Kooperationsformen hat sich im Vergleich zum Vorjahr leicht verändert. Die Zustimmung zu einem vorbehaltlosen EU-Beitritt, sowie die Bereit-schaft der Uno Friedenstruppen zur Verfügung zu stellen, sind signifikant gesunken.

Schweizer*innen sprechen sich 2020 zusätzlich signifikant stärker für eine wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der Schweiz gegenüber anderen Staaten aus.

Ein vorbehaltloser Beitritt zur EU ist immer noch eine Minderheitsmeinung in der Schweiz, dagegen wird eine Verstärkung der wirtschaftlichen Beziehungen ohne EU-Beitritt nach wie vor grossmehrheitlich unterstützt. Kooperationsformen ohne institutionelle Bindungen finden in der Schweiz die grösste Zustimmung und werden von 63% bis 74%

der Schweizer*innen unterstützt. Namentlich soll die Schweiz an internationalen Kon-ferenzen eine aktivere Rolle spielen, mehr in Konflikten vermitteln und mehr Entwick-lungshilfe leisten. Auch ein verstärktes Engagement im Rahmen der Uno wird von einer soliden Mehrheit unterstützt. So soll laut einer Mehrheit der Schweizer*innen ein Sitz im Sicherheitsrat angestrebt werden, die Schweiz sollte sich aktiv und an vorderster Front für die Anliegen der Uno einsetzen und der Uno Friedenstruppen zur Verfügung stellen.

Eine Annäherung oder ein Beitritt zur Nato wird klar abgelehnt. Auf einer abstrakteren Ebene ist eine grosse Mehrheit der Befragten der Auffassung, dass eine möglichst grosse politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit garantiert werden soll. Eine militärische und eine absolute Autonomie wird jedoch nur von einer Minderheit unterstützt.

Bei den Kooperationstypen zeigen sich drei unterschiedlich grosse Lager, die sich bezüg-lich der Kooperationsbereitschaft klar voneinander unterscheiden. Die grösste Gruppe, die «weichen Öffnungswilligen», stimmt weichen Kooperationen zu, lehnt institutionelle Kooperationen aber ab. Die «Autonomisten» sind die zweitgrösste Gruppe und lehnen fast alle Kooperationsformen ab. Die kleinste Gruppe bilden die «harten Öffnungswilli-gen». Sie sind aussenpolitischer Kooperationen positiv gesinnt, lehnen Beitritte zur EU und Nato aber auch ab. Gegenüber dem Vorjahr haben die «weichen Öffnungswilligen»

auf Kosten der «harten Öffnungswilligen» signifikant zugelegt.

Der Sicherheitspolitische Bericht 2016 des Bundesrates definiert neben Aussenpolitik, Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienst, Polizei, Wirtschaftspolitik, Zollverwaltung und Zivildienst auch die Schweizer Armee zu den sicherheitspolitischen Instrumenten der Schweiz (Schweizerische Eidgenossenschaft 2016b, 81f.). Aufgrund dessen und weil in der Schweiz die Wehrpflicht und das Milizsystem eine grosse historische und gesellschaftliche Rolle spielen, erhält die Armee in der Studienreihe «Sicherheit» grosse Aufmerksamkeit.

Das Verhältnis zwischen der Armee und der Gesellschaft (zivil-militärische Beziehungen) wird traditionellerweise anhand mehrerer Dimensionen gemessen. Dabei ist als erste Dimension die Wahrnehmung der Notwendigkeit der Armee zu nennen. Wie bereits in der Studie «Sicherheit 2009» (Szvircsev Tresch et al. 2009, 139ff.) wurde im Rahmen der aktuellen Studie «Sicherheit 2020» mittels einer offenen Frage nach den Gründen der Notwendigkeit und der Nicht-Notwendigkeit gefragt. Als Zweites wird der gewünschte Ausrüstungs- und Ausbildungsstand der Armee und drittens die gesellschaftliche Rolle der Armee erfragt. Zudem werden die Einstellungen zur Rekrutierungs- und Mobilisie-rungsform (4), zur Zufriedenheit mit der Leistung der Armee (5) und schlussendlich die Einstellung zu den Verteidigungsausgaben als sechste Dimension erhoben.