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A) Soziale Gruppenarbeit und B) Gemeinwesenorientierte Beratung

2. A) Soziale Gruppenarbeit: Ausgangssituation und konzeptionelle Zielrichtung Die praktizierte Form der Gruppenarbeit entstand aus einer Sammlung von

2.4. Themenfelder der Sozialen Gruppenarbeit: Mitwirkung am Planen und Bau- Bau-en, Rückgewinnung von Alltagskompetenz, Partizipation am gesellschaftlichen

2.4.6. Bauliche Selbsthilfe, eine Beteiligungsform mit vielseitigen EntwicklungsmöglichkeitenEntwicklungsmöglichkeiten

Bauliche Selbsthilfe sollte ursprünglich ein wesentlicher Bestandteil der BewohnerInnen-arbeit ausmachen. Als Gestaltungsmöglichkeit zukünftigen Wohnens und als Angebot der Kostenersparnis für die Miethaushalte wurde diese Beteiligungsform grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt der behördlich erteilten Einzugsberechtigung realisiert. Das hatte zur Folge, dass z.B. vorbereitende Aufräumarbeiten, die während der baulichen Grundinstandsetzung des Anwesens ohne handwerkliche Vorerfahrung von BewohnerInnen erledigt worden wären, einem Bauhandwerker übertragen werden mussten. Nach einem den SelbsthelferIn-nen durch den bauleitenden Architekten vorgeschlageSelbsthelferIn-nen Verrechnungsmodus hätten sich, abgesehen von kranken und gebrechlichen Personen, alle interessierten BewohnerInnen durchaus mit diesen einfachen und den schrittweise hinzukommenden (Handwerker-) Ar-beiten eine (Miet-)Kostenersparnis erwirtschaften können. Die bauhandwerklichen Lei-stungen wurden je nach Schwierigkeit des Gewerkes durchschnittlich mit 12,-- DM pro Lauf- bzw. Quadratmeter verrechnet. Bei dieser Art Verrechnung spielt der Zeitfaktor eine untergeordnete Rolle; ungeübte SelbsthelferInnen können ohne wesentlichen Druck an die Arbeiten herangeführt werden. Allein das Repertoire laufend anfallender und einfach zu verrichtender Arbeiten ist vielfältig. Ein privater Haushalt erledigt solche Arbeiten meist selbst, ohne sich dieser Tätigkeiten als Bauleistung bewusst zu sein. An der Baustelle Orle-ansstraße 65a mussten Fachfirmen für solche sogenannten Regiedienste be auftragt werden, da mit Beginn der Baumaßnahme lediglich zwei der interessierten Haushalte eine Einzugs-berechtigung erhalten hatten.

Der monetäre Wert individuell erbrachter Selbsthilfeleistungen sollte ursprünglich mit dem jeweiligen Mietpreis der betreffenden Haushalte monatlich und über den Zeitraum von fünf Jahren verrechnet werden. Letztlich wurde das Entgelt – es betrug bei den selbsthil-feleistenden Haushalten lediglich zwischen 600,-- DM und 10.000,-- DM in Form von ein-oder zweimaligen Auszahlungen erstattet.

Im Anwesen Orleansstraße 65a konnten hauptsächlich in zwei Tätigkeitsbereichen

bau-liche Selbsthilfeleistungen erbracht werden, die den zukünftigen Haushalten zugute kamen.

Es handelt sich um das Abspachteln aller Wände und Decken und das Abschleifen von Türen und Zargen im gesamten Anwesen. Dies sind beides monotone langwierige Arbeiten die Unlust bereiten und die wegen ihrer Unüberschaubarkeit zunächst kein persönliches Erfolgserlebnis mit sich bringen, wie es vergleichsweise beim Fertigstellen eines Regals der Fall sein kann. Um diese öden Tätigkeiten dennoch kurzweilig zu gestalten, ver-abredeten sich zukünftige BewohnerInnen an Wochenenden, um die Wände gemeinsam abzuwaschen. Verrechnungstechnisch war es unerheblich in der eigenen, späteren Miet-wohnung die Arbeit aufzunehmen, oder gemeinsam mit anderen in einer Wohnung zu ar-beiten, da die Leistungen nach Laufmetern abgerechnet wurden. Für SelbsthelferInnen stand die Überlegung im Vordergrund, der unüberschaubaren und anstrengenden Arbeit nicht allein gegenüber zu stehen. Angenehmere Tätigkeiten, wie Ölen und Wachsen von Parkett, Wände streichen und Lackarbeiten ausführen, verrichteten einige SelbsthelferIn-nen in ihrer jeweils zukünftigen Wohnung, weil absehbar war, dass trotz fachlicher Anlei-tung die Ausführungen sehr unterschiedlich ausfallen würden und jeder sich beteiligende Miethaushalt seine Maßstäbe in der eigenen Wohnung geltend machen wollte. Der Ver-rechnungsmodus blieb davon unberührt und wurde in gleicher Weise wie bei den Gemein-schaftsarbeiten angewandt.

Es entwickelte sich ein reger Austausch über die jeweiligen handwerklichen Erfahrungen.

Neben einer gewissen Umsichtigkeit fördert bauliche Selbsthilfe außerdem Kompetenzen zu Tage, an deren Existenz gerade leistungsschwächere oder Personen mit geringerem Selbstwertgefühl vor dem Kennenlernen handwerklicher Arbeit gezweifelt hätten. Die daraus gewonnene Gewandtheit macht mutig im Umgang mit fremden und neuen Situatio-nen und den darin involvierten Menschen. So fanden, angeregt durch die MitarbeiterInSituatio-nen der WOHNFORUM gGmbH, einige BewohnerInnen den Weg zum nahegelegenen Stadt-teilzentrum Haus der Eigenarbeit – HEI und konnten in dessen professionell ausgestatteten Werkstätten Kleinmöbel reparieren oder neue anfertigen.

Wenn man bedenkt, dass die Bedeutung der beiden Gruppenangebote bauliche Selbsthilfe und BewohnerInnen-Gruppenarbeit in ihrer Gegentendenz zur Rationalisierung der All-tagserfahrungen ihren Stellenwert einnimmt, so ermöglicht im speziellen die Palette bauli-cher Selbsthilfe insbesondere jenen Menschen eine Begegnungsform, die stärker, z.B. we-gen sprachlicher Unterlewe-genheit, auf expressive nichtsprachliche Darstellungsformen angewiesen sind. Erfahrensdimensionen, die von hohem qualitativem Gehalt sein können

und einzelnen zukünftigen BewohnerInnen eine Form bieten, sich selbstkongruent zu erle-ben, blieben durch die begrenzten Realisierungsmöglichkeiten baulicher Selbsthilfe wäh-rend der Sanierungsphase leider stark eingeschränkt. Man kann jedoch sagen, dass durch den mehrfachen Nutzwert baulicher Selbsthilfe und im Kontakt mit anderen Beteiligten sinnliche Erfahrungen im Umgang mit Rohstoffen und Materialien gemacht werden, zu denen Menschen in Großstadtquartieren selten Zugang haben. Von solchen praktischen und gemeinschaftlichen Erfahrungen ausgehend ist es möglich, im Alltag Gegenstände und Dienstleistungen in ihrer Beschaffenheit und Verarbeitung anhand des angeeigneten Wertmaßstabes zu überprüfen. Als Kristallisationspunkt eines Prozesses, in dem Wohnung und Umfeld aktiv gestaltet werden, bietet bauliche Selbsthilfe zudem auch Ausdrucks-mittel und Wege der halböffentlichen (Selbst-)Inszenierung. Die Unterstellung einer sol-chen sozial-multidimensionalen Wirkung setzt allerdings das vorweggenommene Ziel der WOHNFORUM gGmbH, 20% des Bauvolumens durch bauliche Selbsthilfe zu erbringen, an zweite oder unbedeutendere Stelle. Dagegen ist die Frage des sozialen Wertes baulicher Selbsthilfe im hier dargestellten Kontext von zentraler Bedeutung. Kennzeichnend ist die vielschichtige und nicht-hierarchische Wissensvermittlung im Kontakt mit ausgren-zungserfahrenen Personen, deren Selbsteinschätzung teilweise sehr destruktiv ausfällt.

Für die ProjektadressatInnen, die Selbsthilfe leisteten, ging das regelmäßig handwerkliche Arbeiten auf der Baustelle allerdings auch mit zusätzlichen Belastungen einher. Ein Groß-teil der zukünftigen BewohnerInnen lebte, bedingt durch drohende Obdachlosigkeit, in einer Situation des sozialen Überdrucks, insofern Einzelne nur noch mit Mühe ihre tägliche Routine aufrecht erhalten konnten. Bauliche Selbsthilfe kann zwar in ihrer Wirkung als langfristiges nachhaltiges Unter stützungsangebot gesehen werden, das Menschen in ihren Fähigkeiten fördert, sinnstiftende Verhaltensweisen bewusst zu suchen und eigenver-antwortliches Tätigwerden positiv zu erleben. Doch müssen die objektiven und materiellen Faktoren der Lebensbedingungen von Menschen, die für das Angebot baulicher Selbsthilfe gewonnen werden sollen, zumindest und unter Vernachlässigung der subjektiv-individu-ellen Dispositionen, auf einer ausreichenden Basis abgesichert sein, soll die Entwicklung des Interesses an baulicher Selbsthilfe nicht nur Alibifunktionen erfüllen. Die äußeren Um-stände der Lebenssituation von Armut Betroffener werden in erster Linie durch das unbe-fristete Wohnraumangebot stabilisiert und nicht durch das Erbringen bauhandwerklicher Selbsthilfe. Diese Sichtweise muss in Bezug auf die konzeptionelle Einbindung baulicher Tätigkeiten zur Folge haben, mögliche Kumulationen, Disparitäten oder auch Kompensa-tionen von Einzelaspekten der Lebenslage zukünftiger BewohnerInnen, ausreichend und

differenziert durch das Baubetreuungsteam vorab zu klären.

Baulicher Selbsthilfe kommt im Sanierungskonzept der WOHNFORUM gGmbH haupt-sächlich der kostensenkende Effekt zu, der an enorme voraussetzungsvolle Erwartungen seitens der InitiatorInnen geknüpft ist. So wird von einem, zum Zeitpunkt der Sanierungs-konzepterstellung, noch anonymen AdressatInnenkreis erwartet, dass dieser in ökonomisch verwertbaren Relationen, u.a. die Wände der 18 Wohnungen und der zwei Stiegenhäuser für den Anstrich präpariert, d.h. per Hand abspachtelt. In allen der WOHNFORUM gGmbH damals vor liegenden Projektberichten vergleichbarer Wohnraumsanierungen wird davon ausgegangen, dass Menschen in Multiproblemlagen zu diesen psychisch und phy-sisch verausgabenden Arbeitsweisen das entsprechende Durchhaltevermögen kaum mit-bringen. Diese Ergebnisse fanden zu geringe Beachtung im Hinblick der Sanierungskon-zeptentwicklung für das Anwesen Orleansstraße 65a. Monetäre Größenordnungen bauli-cher Selbsthilfe lassen sich nicht im Voraus und ohne die Beurteilung der aktiv leistenden BewohnerInnen kalkulieren. Es erwies sich als verfehlt ein Selbsthilfekonzept umzusetzen, ohne dabei die Lebenslagen der beteiligten AdressatInnen berücksichtigen zu wollen – obendrein in einem sozialen Projekt, das sich ausdrücklich der Betroffenenpartizipation verpflichtet40. Angesichts dieses Fauxpas haben die Aktionen baulicher Selbsthilfe für die daran mitwirkenden Haushalte sowohl auf der Erfahrungsseite wie auch ökonomisch er-freuliche Ergebnisse bewirkt. Selbstverständlich kann davon ausgegangen werden, dass den betreffenden BewohnerInnen in der Situation des Neueinzugs die Auszahlungen – für manche SelbsthelferIn war es eine kleinere Geldsumme – gelegen kamen, auch wenn ein ökonomischer Effekt, der sich auf mittelfristige Sicht in Form einer Mietreduzierung nie-derschlagen sollte, bei keinem Haushalt zustande kam.

40 Der Berliner Sanierungsträger Ausnahme & Regel, eine Abteilung des Sozialpädagogischen Insti-tuts Berlin – Walter May – (SPI), prüft die bauliche Selbsthilfeleistungsfähigkeit seiner AdressatInnen inner-halb eines formellen Anerkennungsverfahrens ab. In der Praxis bedeutet das, dass die SelbsthilfeleisterInnen, bevor sie das Nutzungsrecht für ein bestimmtes Sanierungsobjekt erhalten können, baufachliche Leistungen in verschiedenen Gewerken erbringen müssen. Diese werden von ArchitektInnen begutachtet, mit dem Ziel, die Selbsthilfeleistung der interessierten Wohngruppe im Umfang von 20% der Gesamtbausumme zu pro-gnostizieren. Das Verfahren ist Grundlage des sog. Selbsthilfevertrages zwischen SelbsthilfeleisterInnen und Sanierungsträger. Vgl. Sozialpädagogisches Institut Berlin – Walter May -: Stadterneuerung und Soziale Arbeit. Darin: Brocke, Hartmut: „Wenn ich das vorher gewusst hätte!“ – Ein nicht ganz fiktives Interview mit einem Selbsthelfer. Berlin. 1986. S. 36-40. Mit dem Autor nahm WOHNFORUM im Vorfeld der Sanie-rungsmaßnahme des Wohnprojektes Orleansstraße 65a im Rahmen von Beratungsgesprächen Kontakt auf;

ebenso mit den alternativen Sanierungsträgern Stattbau Hamburg – Stadtentwicklungsgesellschaft mbH und Johann Daniel Lawaetz-Stiftung Hamburg. Unverständlich bleibt, dass zu diesem Zeitpunkt, die berichteten und dokumentierten Erfahrungen keinen Niederschlag in der baulichen Selbsthilfekonzeption der WOHNFO-RUM München gGmbH fand.

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