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B EHANDLUNG PERIPHERER N ERVENVERLETZUNGEN

1.3.1 Klinischer Standard

Da die spontane Regeneration peripherer Nerven abhängig vom Ort und der Schwere der Verletzungen nur bedingt die Funktionalität wiederherstellt, ist bei der vollständigen Durchtrennung eines Nerven eine operative Wiederherstellung angebracht. Eine Quetschung dagegen kommt meist ohne klinische Behandlung aus (IJKEEMA-PAASSEN et al. 2004). Ist der Nerv glatt durchtrennt, ohne dass es zu einem Verlust von Nervenmaterial kommt, kann das Epineurium beider Stümpfe spannungsfrei vernäht werden (DE MEDINACELI et al. 1982).

Dadurch bleibt das intraneurale Gewebe unberührt, was Fibrosen vermindert. Allerdings können sich einzelne Faszikel desorientieren und somit das Zielorgan verfehlen. Es ist inzwischen durch mikrochirurgische Techniken auch möglich Faszikel einzeln zu vernähen.

Dadurch werden allerdings intraneurale Fibrosen gefördert (GORDON et al. 2003; IJKEEMA -PAASSEN et al. 2004; MILLESI 1997). Wenn eines der beiden Nervenenden nicht zugänglich ist, kann auch eine End-zu-Seit-Anastomose durchgeführt werden (BATTISTON et al. 2007).

Ist das Nervengewebe stark beschädigt, ist eine spannungsfreie End-zu-End-Anastomose ebenfalls nicht möglich. Durch die Spannung würde es vermehrt zur Desorientierung der Axone, und somit zur Neurombildung kommen. Daher wird in diesen Fällen ein Autotransplantat verwendet. Dazu wird standardmäßig ein sensorischer Nerv des Patienten, meist der N. suralis, entnommen und in die Läsionsstelle eingesetzt. Auf diese Weise sind bereits Defekte von einer Länge bis zu 7 cm überbrückt worden. Ein Vorteil dieser Methode ist, dass sowohl Schwann-Zellen als auch Basallamina vorhanden sind, so dass eine wachstumsfördernde Umgebung sowie die Produktion von Wachstumsfaktoren gesichert sind.

Des Weiteren entfallen durch die Verwendung patienteneigenen Materials Immunreaktionen.

Auf der anderen Seite bedeutet die Verwendung autologer Transplantate eine weitere Operation für den Patienten mit dem Verlust der sensorischen Integrität an der Donor-Stelle.

Außerdem ist das zur Verfügung stehende Material begrenzt, was gerade bei der Wiederherstellung großer Defekte wie des Plexus brachialis-Abrisses ein Problem darstellt.

Zudem ist die Größe des Donor-Nervs häufig inkongruent und die Verwendung von rein sensorischen Nerven vermindert den Erfolg einer Wiederherstellung der motorischen Funktion (DORNSEIFER et al. 2007; IJKEEMA-PAASSEN et al. 2004; LUNDBORG 2004).

Alternative Strategien sind daher bereits in zahlreichen experimentellen und klinischen Studien getestet worden. Die Verwendung von allogenen Transplantaten, die von fremden

Spendern der gleichen Spezies kommen, haben den Nachteil, dass eine Immunsuppression notwendig ist. Dadurch entstehende Komplikationen können die Regenerationserfolge mindern (NAVARRO et al. 2003). Auch Sehnen, Blutgefäße oder Muskelgewebe können als Nerveninterponat dienen. Die extrazelluläre Matrix der parallel angeordneten Muskelfasern bietet auswachsenden Axonen eine geeignete Leitschiene (FAWCETT and KEYNES 1990). Die tubuläre Form der Venen bietet sich ebenfalls als Leitstruktur an. Da die Venenwand jedoch relativ instabil ist, kann es durch den Druck des umgebenden Gewebes zum Kollaps kommen.

Es gibt daher Versuche, diese Venenimplantate mit Muskelgewebe zu befüllen. Mit diesem System ist es bereits gelungen, Resultate zu erzielen, die dem Autotransplantat recht nahe kommen (BATTISTON et al. 2007).

1.3.2 Biohybride Nerveninterponate mittels „Tissue engineering“

Auch mit einem Autotransplantat ist es nach komplexen Plexus brachialis-Läsionen bisher nur möglich Schulter und Ellbogen nicht jedoch Hände und Finger erfolgreich zu reinnervieren (NIKKHAH et al. 1997). Daher werden vermehrt artifizielle Gerüste als mögliche Interponate getestet. Diese Konstrukte bestehen in der Regel aus einem Röhrchen aus natürlichem oder synthetischem Material, das mit wachstumsfördernden Substanzen gefüllt ist (NAVARRO et al.

2003). Dieses überbrückt die Defektstrecke, grenzt dabei den Nerv vom umgebenden Gewebe ab um Narbenbildung zu verhindern und bildet gleichzeitig eine Leitschiene für die auswachsenden Axone (PFISTER et al. 2007). Es gibt mittlerweile eine Reihe von Materialien, die im Rahmen des „Tissue engineering“ als biohybride Nerveninterponate getestet werden.

Neben verschiedenen synthetischen Materialien finden auch biologische Substanzen wie Hyaluronsäure, Fibrin, Agarose und Chitosan oder die ECM-Moleküle Laminin, Kollagen oder Fibronectin Anwendung in der Forschung (SCHMIDT and LEACH 2003). Diese haben den Vorteil, dass sie biokompatibel und damit weniger toxisch sind (CHALFOUN et al. 2006). Es gibt vier essentielle Eigenschaften, die alle Interponate besitzen sollten: 1. sie sollten röhrenförmig angeordnet sein, um die Axone zum Ziel leiten zu können, 2. sie sollten sterilisierbar sein, um Infektionen oder Abstoßungsreaktionen zu vermeiden, 3. sie müssen Zugkräften stand halten können und 4. sie müssen einfach in der Handhabung und Implantation sein (CHALFOUN et al. 2006; EVANS 2001; SCHMIDT and LEACH 2003). Der erste Punkt wird jedoch weiter diskutiert. Eine Leitschiene für die auswachsenden Axone ist zwar nötig, doch eine leere Hülle ist nicht ausreichend. Topografische Signale, um den Axonen ein

Auswachsen zu ermöglichen müssen ebenfalls gegeben sein (CLEMENTS et al. 2009). Als erste haben Lundborg und Kollegen 1982 einen 10 mm langen Defekt im Transsektionsmodell des N. ischiadicus der Ratte mittels Silikonröhrchen überbrückt und damit eine axonale Regeneration zeigen können (LUNDBORG et al. 1982). Allerdings können mit einem impermeablen, inerten Material wie Silikon keine längeren Defekte überbrückt werden. Die Forschung konzentriert sich daher auf resorbierbare und semipermeable Interponate wie die Polyester Polyglykolsäure, Polylaktidsäure, Polylaktid-koglykolid oder Polycaprolacton. Diese synthetischen Materialien können in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften wie der Degradationsrate, ihrer Porosität oder ihrem Härtegrad dem Applikationsziel angepasst werden (SCHMIDT and LEACH 2003). Eine Reihe weiterer physikalischer Parameter des Interponat-Gerüstes beeinflussen zusätzlich den Erfolg der Regeneration. Hierzu zählen der Innendurchmesser, die Wandstärke, die Permeabilität und die Oberflächenbeschaffenheit der Innenwand (NAVARRO et al. 2003). Da diese Interponate allein jedoch nicht an die funktionelle Regeneration eines Autotransplantates heranreichen und auch in der maximalen Defektlänge, die sie erfolgreich überbrücken können, eingeschränkt sind, müssen die Interponate durch die Schaffung einer wachstumsfördernden Umgebung bereichert werden. Bellamkonda hat die Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche Regeneration mittels biohybridem Nerveninterponat notwendig sind, zusammengefasst: 1. das Gerüst muss eine wachstumsfördernde Struktur aufweisen, z.B. ein Hydrogel oder Nanofasern, 2. es muss eine extrazelluläre Matrix mit ihren charakteristischen Proteinen vorhanden sein, 3. auch Gliazellen, wie z.B. Schwann-Zellen sind nötig, um eine wachstumsfördernde Umgebung zu schaffen, 4. und schließlich müssen neurotrophe Faktoren, wie der basische Fibroblastenwachstumsfaktor (FGF-2), NGF oder BDNF vorhanden sein (BELLAMKONDA 2006). Abbildung 1-2 zeigt schematisch ein solches ideales Nerveninterponat.

proximaler Stumpf distaler Stumpf biohybrides Nerventransplantat gefüllt mit Hydrogel

Schwann-Zelle Neurotropher Faktor ECM-Molekül Nanofaser

Abbildung 1-2: Ideales biohybrides Nerveninterponat.

Das Gerüst besteht aus einem biokompatiblen, möglichst resorbierbarem Material und ist gefüllt mit einem Hydrogel. Darin sind Nanofasern in der Wuchsrichtung der Axone, gespickt mit Molekülen der extrazellulären

Matrix, Schwann-Zellen und neurotrophen Faktoren, um eine wachstumsfreundliche Umgebung für die auswachsenden Axone zu schaffen.