• Keine Ergebnisse gefunden

Auswahlregeln und Wigner-Eckart-Theorem

Die Leistungsf¨ahigkeit der Darstellungstheorie in der Quantenmechanik zeigt sich auch darin, daß man mit ihrer Hilfe leicht Aussagen dar¨uber machen kann, wann eine Matrixelementenabbildung trivial ist, also immer 0 liefert. Die physikalische Interpretation davon ist zum Beispiel, daß gewisse ¨Uberg¨ange in der zeitabh¨angigen St¨orungstheorie ausgeschlossen werden k¨onnen. Das l¨aßt sich experimentell am Fehlen von Spektrallinien oder an ihrer geringeren Intensit¨at nachweisen.

Lemma 4.21. Sei GGruppe. Dann ist f¨ur drei endlichdimensionale G-ModulnU, V und W HomG(V0, W, U;C) = HomG(W ⊗U, V) (kanonisch isomorph).

Beweis. Es ist

HomG(V0, W, U;C) = HomG(V0⊗W⊗U,C) = (V ⊗W0⊗U0)G= HomG(W ⊗U, V).

Korollar 4.22 (Auswahlregel). Sei H G-Modul, R:W → LD(H) komplexer Tensoroperator und V ⊂ H undU ⊂D endlichdimensionale Untermoduln. FallsV undW⊗U disjunkt sind, ist die Matrix-elementenabbildung

V ×W ×U →C, (v, w, u)7→ hv, R(w)ui, trivial.

Dabei heißen zweiG-Modulndisjunkt, wenn sie keine isomorphen einfachen Untermoduln besitzen.

Da alle Darstellungen als unit¨ar vorausgesetzt sind und folglich jeder UntermodulU komplementiert ist (n¨amlich durchU), ist diese Bedingung nach dem Lemma von Schur ¨aquivalent zum Fehlen nichttrivialer G-Morphismen.

Dieses Korollar tr¨agt den Namen ”Auswahlregel“, weil es einem im Rahmen der St¨orungstheorie ein Kriterium an die Hand gibt, zu entscheiden, welche ¨Uberg¨ange zwischen verschiedenen Zust¨anden m¨oglich sind (also beobachtet werden k¨onnen) und welche nicht. Die Betonung liegt dabei auf dem zweiten Aspekt: Mit Hilfe der Darstellungstheorie lassen sich einige ¨Uberg¨ange definitiv ausschließen. Falls aber W⊗U undV nicht disjunkt sind, kann die vonRinduzierte Matrixelementenabbildung trotzdem trivial sein.

Im FalleG=SU(2) l¨aßt sich sehr viel Genaueres ¨uber die Matrixelementenabbildung sagen.

Korollar 4.23. SeienUl, Ul1 undUl2 drei einfache SU(2)-Moduln mit Spinl, l1 bzw.l2. Dann ist dim HomSU(2)(Ul02, Ul, Ul1;C) =

1 l2∈ {|l−l1|, . . . , l+l1}

0 sonst .

Beweis. Aus der Clebsch-Gordan-Zerlegung vonUl⊗Ul1 ergibt sich mult[Ul2]Ul⊗Ul1 =

1 l2∈ {|l−l1|, . . . , l+l1}

0 sonst .

4.8. Auswahlregeln und Wigner-Eckart-Theorem 73 Das Kriterium

|l−l1| ≤l2≤l+l1

wird auch Dreiecksbedingung genannt, weil es ebenfalls f¨ur die Seitenl¨angen eines Dreiecks zutrifft. Es ist ebenso wie die im Korollar enthaltene Forderung der Halb- bzw. Ganzzahligkeit vonl2symmetrisch in l, l1 undl2. [F¨ur l1,l2 undl3 =l mußl1+l2+l3∈N undlπ(1)+lπ(2) ≥lπ(3) f¨ur jede Permutation π∈S3sein.]

SeienUl1undUl2Untermoduln einesSU(2)-ModulsHundR:Ul→LD(H) ein komplexerSU (2)-Ten-soroperator mit Ul1 ⊂D undl2∈ {|l−l1|, . . . , l+l1}. W¨ahlt man ein von 0 verschiedenes ElementE von HomSU(2)(Ul02, Ul, Ul1;C), dann muß nach dem letzten Korollar die zugeh¨orige Matrixelementenab-bildung, aufgefaßt als trilinearer G-Morphismus, ein Vielfaches von E sein. Dieses (nach Wahl von E eindeutig bestimmte) Vielfache nennt man dasreduzierte Matrixelementund bezeichnet es mit

hUl2kRkUl1iE.

(Falls l2 ∈ {|/ l−l1|, . . . , l+l1}ist, setzt man das reduzierte Matrixelement gleich 0.) Diese Erkenntnis heißt das

Wigner-Eckart-”Theorem“ 4.24. F¨url /∈ {|l1−l2|, . . . , l1+l2}ist die durch den komplexenSU (2)-Tensoroperator R bestimmte Matrixelementenabbildung trivial. Anderenfalls gibt es zu jedem von0 ver-schiedenen E∈HomSU(2)(Ul02, Ul, Ul1;C)ein eindeutig bestimmtes hUl2kRkUl1iE ∈C mit

hu2, R(u)u1i=hUl2kRkUl1iEE(u02, u, u1)

f¨ur alle u1∈Ul1,u2∈Ul2 undu∈Ul. Entsprechendes gilt f¨ur reelle Tensoroperatoren.

Dieser Satz ist einfach eine ¨Ubertragung von Korollar 4.23 auf die quantenmechanische Situation.

Als einzige spezielle Eigenschaft vonSU(2) wurde im Beweis von Korollar 4.23 benutzt, daß das Tensor-produkt zweier irreduzibler Darstellungen multiplizit¨atenfrei ist. Gruppen mit dieser Eigenschaft nennt man einfach reduzibel. Beispielsweise folgt aus Korollar 2.24, daß zu zwei kompakten, einfach redu-ziblen Gruppen G und H auch das Produkt G×H einfach reduzibel ist. Die Verallgemeinerung des Wigner-Eckart-Theorems auf einfach reduzible Gruppen liegt auf der Hand.

Seien in Ul, Ul1 und Ul2 Basen aus Gewichtsvektoren gew¨ahlt, und zwar durch Anwendung des

”Leiteroperators“ Y ∈su(2) auf H¨ochstgewichtsvektoren. Wenn man sich dann noch bei der Clebsch-Gordan-Zerlegung auf eine bestimmte Methode zur Konstruktion neuer Basen aus denen vonUl,Ul1 und Ul2 einigt, dann ist das reduzierte MatrixelementhUl2kRkUl1i eindeutig festgelegt und h¨angt nur noch von der Wahl der H¨ochstgewichtsvektoren ab. (Zwei verschiedene, normierte H¨ochstgewichtsvektoren unterscheiden sich um einλ∈U(1).) Die Eintr¨age der Basiswechselmatrix einer in der Physik verbreiteten Methode dieser Art heißen Clebsch-Gordan-Koeffizienten. Eine sch¨one Diskussion dazu findet man in [Ste94, Sec. 4.7]. Wichtiger als die konkreten Zahlenwerte ist wohl die Tatsache, daß man die Eintr¨age der Basiswechselmatrix reell w¨ahlen kann, wie es bei den Clebsch-Gordan-Koeffizienten getan ist.

Beispiel 4.25 (Auswahlregeln f¨ur Multipol¨uberg¨ange). Mit Hilfe des Wigner-Eckart-Theorems k¨onnen wir ohne weitere Rechnerei die Auswahlregeln f¨ur durch die elektrischen Multipoloperatoren aus Beispiel 4.17 induzierten ¨Uberg¨ange zwischen verschiedenen Niveaus eines Atoms angeben.

Sei Q(l):Hl(K,R) → LD(H) der l-te Multipoloperator, und seien Ul1 ⊂ D, Ul2 ⊂ H einfache Spin(K)-Untermoduln (HSpin(K)-Modul verm¨ogeTL oderTJ). Zu einemX∈su(2) mit (beispielswei-se) kXk= 1 sei in der KomplexifizierungHl(K) von Hl(K,R) eine Basis (hm) aus Gewichtsvektoren gew¨ahlt,Xhm=−im hmf¨ur−l≤m≤l(vgl. Abschnitt 3.5), und ebenfalls solche Basen (um1) und (vm2) inUl1 bzw.Ul2. Setzt manw=vm0 2⊗hm⊗um1, so zeigt die Gleichung

Xw=Xv0m2⊗hm⊗um1+vm0 2⊗Xhm⊗um1+v0m2⊗hm⊗Xum1=−i(m+m1−m2)w [Xvm0 2=im2vm0 2], daßwElement des Gewichtsraumes zum Gewichtλ=−i(m+m1−m2) ist. Im Falle λ 6= 0 muß w in einem zum Invariantenraum disjunkten Untermodul liegen. Folglich verschwindet in diesem Fall das Matrixelementhvm2, Q(l)(hm)um1i. F¨ur dessen Nichtverschwinden sind also

l2 ∈ {|l−l1|, . . . , l+l1} und m2 = m+m1

notwendige Bedingungen. Die physikalische Interpretation ist die folgende: Der Multipoloperator Q(l) beschreibt die Absorption von Photonen mit Bahndrehimpulsquantenzahll. Wird ein Photon absorbiert,

dann tr¨agt sein Bahndrehimpuls zu dem des Atoms (Quantenzahll1) bei, so daß der Gesamtdrehimpuls erhalten bleibt. Insbesondere addieren sich die Projektionen m1 und m l¨angs X. Der Emission eines Photons entspricht die Absorption eines solchen mit entgegengesetztem Drehimpuls.

Da diese ¨Uberlegungen sowohl f¨ur die Darstellung TL als auch f¨ur TJ, d. h. den Gesamtdrehimpuls, gelten, erh¨alt man insgesamt vier Auswahlregeln. Zudem ist die Herleitung sowohl f¨ur Ein- als auch Mehrteilchensysteme g¨ultig.

Weil der nullte Multipoloperator, der ein konstantes, physikalisch bedeutungsloses Potential be-schreibt, als Homothetie wirkt, bewirkt er keine ¨Uberg¨ange zwischen verschiedenen Niveaus. Auch die

¨ubrigen Multipoloperatoren k¨onne aufgrund der Dreiecksbedingung keine ¨Uberg¨ange zwischen verschie-denen Niveaus mit jeweilsl= 0 oderj= 0 induzieren. Also erhalten wir, daß ¨Uberg¨ange

l: 0→0 und j: 0→0 f¨ur alle Multipoloperatoren (

”in jeder Ordnung“) verboten sind.

Eine weitere Auswahlregel kommt durch Parit¨atserhaltung zustande. Im Falle der Darstellung TL

sindUl,Ul1 undUl2 O(K)-Untermoduln und besitzen als solche wohldefinierte Parit¨atenπ,π1und π2, die die Darstellungen vonZ2< O(K) beschreiben (vgl. Abschnitt 3.5). Da die Parit¨at vonUl⊗Ul1 gleich ππ1 ist, erfordert eine nichttriviale Matrixelementenabbildung gem¨aß Korollar 4.22

π2=ππ1

als notwendige Bedingung. In Abschnitt 3.5 hatten wir gesehen, daß bei nur einem Teilchen, also beiHK= L2(K), die Parit¨at eines einfachenO(K)-Untermoduls eindeutig durch dieSO(K)-Isomorphieklasse [Uk] bestimmt ist zu (−1)k. (Bei mehreren Teilchen gilt diesnichtmehr.) Dann l¨aßt sich die Parit¨atserhaltung als

l+l1+l2 gerade formulieren.

Es ist klar, wie man die SummeR1+R2zweier TensoroperatorenR1,R2:W →LD(H) definiert und dadurch einen neuen Tensoroperator erh¨alt. F¨ur die n¨achsten Beispiele sind zwei weitere Konstruktionen mit Tensoroperatoren n¨utzlich.

SeienR1:W1→LD(H) undR2:W2→LD(H) komplexe Tensoroperatoren zu einer GruppeG. Dann ist auch

R1⊗R2:W1⊗W2 → LD(H),

w1⊗w2 7→ R1(w1)R2(w2)

D,

ein komplexer Tensoroperator zuG. (Die Einschr¨ankung aufDist n¨otig, um die Definition durch Tensoren der Form w1⊗w2 im Hinblick auf den Definitionsbereich eindeutig zu machen.) Sind R1, R2 reelle Tensoroperatoren, die aufD vertauschen, d. h., f¨ur die

∀w1∈W1, w2∈W2, u∈D R1(w1)R2(w2)u=R2(w2)R1(w1)u (27) gilt, dann istR1⊗R2, wie man leicht nachpr¨uft, wieder ein reeller Tensoroperator.

SeiW endlichdimensionaler reeller oder komplexerG-Modul, also mitG-invarianter, nicht-ausgearte-ter Bi- bzw. Sesquilinearformh·,·i, und seienR1,R2:W →LD(H) relle bzw. komplexe Tensoroperatoren.

Nach Wahl einer Orthonormalbasis (ek) kann man den Operator hR1, R2i=X

k

R1(ek)R2(˜ek)

mit DefinitionsbereichDdefinieren. Tats¨achlich ist diese Definition unabh¨angig von der gew¨ahlten Basis, undhR1, R2iist ein unbeschr¨ankterG-Morphismus. (Beweis wie f¨ur das Casimir-Element in Abschnitt 3.4.) Faßt man R1 und R2 durch Restriktion als Elemente von HomG(W,End(D)) auf, dann ist die Zuordnung

(R1, R2)7→ hR1, R2i eine bilineare Abbildung

HomG(W,End(D))×HomG(W,End(D))→EndG(D).

4.9. Aufspaltung atomarer Energieniveaus 75