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G. Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG

8. Aufsichtspflichtverletzung und Strafklageverbrauch

Der BGH hat eine einheitliche Aufsichtspflichtverletzung und damit eine Tat nach § 130 OWiG angenommen, wenn dem Aufsichtspflichtigen vorgeworfen wird, allgemeine, umfassende und nicht nur für eine Niederlassung geltende Organisationsverfügungen unterlassen zu haben und dadurch mehrere Zuwiderhandlungen in verschiedenen Niederlassungen nicht verhindert wurden. Allein die Tatsache, daß eine in der Unterlassung allgemeiner Aufsichtsmaßnahmen bestehende Pflichtverletzung Zuwiderhandlungen in

1214 Vgl. BGH WuW/E BGH 2394, 2396; BKartA WuW/E BKartA 2871, 2873.

1215 Vgl. Göhler, Anmerkung zu BGH Urteil vom 10. 12. 1985 - KRB 3/85, wistra 1986, 113; Müller-Gugenberger, Hdb. Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl., § 57, Rdnr. 25; Maschke S. 28; FK-Achenbach, 46.

Lfg., September 2000, Vorbem. § 81 GWB 1999, Rdnr. 67.

1216 Vgl. Hüneröder S. 58 m. w. N.; Bechtold NJW 1995, 1936, 1940.

1217 Maschke S. 29; ebenso Hermanns/Kleier S. 1, 11.

1218 Bauer/Wrage-Molkenthin WuW 1989, 789, 796, 797 weisen auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung einer Aufsichtspflichtverletzung von einer Begehung durch Unterlassen hin; auch eine Diffe-renzierung zwischen "allgemeinen" und "gesteigerten" Aufsichtsmaßnahmen lasse eine eindeutige Zuordnung zu § 130 OWiG oder zu einer Beteiligung an der Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 14 OWiG nicht zu. Mit Hinweis auf BGH WuW/E 2543 führen Bauer/Wrage-Molkenthin weiter aus, daß auch das bewußte Unterlassen besonderer Aufsichtsmaßnahmen lediglich als Aufsichts-pflichtsverletzung i. S. des § 130 OWiG zu bewerten sein kann.

1219 In BGH wistra 1991, 309, 310 wurde die Betreffende (nur) wegen fahrlässiger Aufsichts-pflichtverletzung geahndet, obwohl nach den Erkenntnissen des Senats der Schluß nahe lag, daß sie die Beteiligung des Zuwiderhandelnden "an Absprachen nicht mißbilligte, sondern jedenfalls billigend in Kauf nahm und sie deswegen nicht zu verhindern suchte." Eine Beteiligung an der Tat des Zuwiderhandelnden wurde daher zu Unrecht nicht weiter in Erwägung gezogen.

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verschiedenen Niederlassungen bewirke, führe nicht dazu, daß verschiedene Taten anzunehmen sind.1220 Die Durchführung eines Bußgeldverfahrens wegen allgemeiner Aufsichtspflichtverletzung, das an eine Zuwiderhandlung in einer Zweigstelle angeknüpft wurde, stehe einer eigenständigen Verfolgung später entdeckter Zuwiderhandlungen derselben Art in anderen Zweigstellen entgegen, da es sich um eine einheitliche Aufsichtspflichtverletzung handle.

Vor allem bei überregional operierenden Unternehmen können danach gleichartige Zuwiderhandlungen wegen Strafklageverbrauchs nicht mehr unter dem Aspekt der Aufsichts-pflichtverletzung verfolgt werden. Etwas anderes gilt jedoch für das bewußte Unterlassen besonderer, speziell für eine einzelne Niederlassung notwendiger Maßnahmen, auch wenn der Aufsichtspflichtige bereits wegen einer generellen Aufsichtspflichtverletzung geahndet worden ist. In diesem Falle kann nach Ansicht des BGH1221 ein neues Verfahren eröffnet werden;

dabei sei zuerst zu prüfen, ob es sich um eine Beteiligung an der Zuwiderhandlung handle;

wenn dies auszuschließen sei, käme eine Verfolgung nach § 130 OWiG wegen Unterlassens der für die konkrete Zweigniederlassung erforderlichen, speziellen Aufsichtsmaßnahmen in Betracht. Es handle sich bei der Beteiligung an der Zuwiderhandlung bzw. beim Unterlassen spezieller, auf die Zweigstelle bezogener Aufsichtsmaßnahmen verfahrensrechtlich im Verhältnis zu der bereits geahndeten, allgemeinen Aufsichtspflichtverletzung nicht um dieselbe Tat im Sinne von § 264 StPO. Zwischen dem Tatbild der generellen Aufsichtspflichtverletzung und dem der eigenen Beteiligung an den Zuwiderhandlungen bestehe ein wesentlicher Unterschied;

daher sei durch die Ahndung der Aufsichtspflichtverletzung kein Strafklageverbrauch gegeben.

Dieser Rechtsprechung wird zu Recht entgegengehalten, daß sie den Tatbegriff des § 264 StPO verkennt; eine Aufsichtspflichtverletzung und eine Beteiligung an der Zuwiderhandlung sind verfahrensrechtlich als eine Tat zu beurteilen.1222 Dies folgt nach der zutreffenden Ansicht des KG aus dem Charakter des § 130 OWiG als Auffangtatbestand und aus der inneren Verknüpfung zum Grunddelikt, dessen Beschreibung dem eigentlichen Vorwurf erst die zur Abgrenzung des geschichtlichen Vorgangs - insbesondere in zeitlicher Hinsicht - erforderlichen Konturen verschafft. Eine Aufspaltung dieses zusammenhängenden Geschehens in rechtlich verschiedene Taten wirkt künstlich und entspricht nicht der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise.1223 Der BGH1224 widersprach dem KG jedoch und bekräftigte seinen schon vorher eingenommenen Standpunkt.1225

1220 BGH wistra 1986, 111, 112; vgl. Göhler, Anmerkung zu BGH Urteil vom 10. 12. 1985 - KRB 3/85, wistra 1986, 113.

1221 Vgl. BGH WuW/E BGH 2394, 2398; BGH WuW/E BGH 2543, 2544= wistra 1989, 109.

1222 So ausdrücklich das KG WuW/E OLG 4152, 4153 m. w. N. aus der Literatur und entgegen der vom BGH in BGH WuW/E BGH 2394, 2398 geäußerten Auffassung; in diesem Sinne auch Förster in Rebmann/Roth/Herrmann § 130, Rdnr. 36; Bauer/Wrage-Molkenthin WuW 1988, 10, 13;

Bauer/Wrage-Molkenthin WuW 1989, 789; Bauer wistra 1995, 170, 174ff.

1223 So das KG WuW/E OLG 4152, 4153.

1224 BGH WuW/E BGH 2543, 2544 (bestätigt in BGH wistra 1993, 110): "Entscheidend ist, daß zwischen dem Tatbild der generellen Aufsichtspflichtverletzungen, die Gegenstand des früheren Verfahrens war, und dem der eigenen Beteiligung an den Zuwiderhandlungen ein wesentlicher Unterschied besteht (v gl. auch BGHSt. 32, 215, 219). Der als Aufsichtspflichtverletzung bewertete, gegen ein Vorstandsmitglied gerichtete Vorwurf, keine allgemeinen, umfassenden und nicht nur für eine einzelne Zweigniederlassung geltende (Organisations-) Verfügungen erlas sen zu haben, ist mit dem Vorwurf, sich selbst - in der Zeit der fehlenden allgemeinen Verfügungen - an Baupreisabsprachen beteiligt zu haben, jedenfalls dann nicht identisch im Sinne von § 264 StPO, wenn sich der

Be-181 9. Vollendung, Beendigung, Verjährung

Die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG ist mit der Zuwiderhandlung gegen die betriebsbezogene Pflicht vollendet.

Tathandlung bei § 130 OWiG ist das Unterlassen der erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen.

Echte Unterlassungsdelikte sind beendet, wenn die Pflicht zum Tätigwerden nicht mehr besteht.1226 Bei § 130 OWiG tritt die Besonderheit hinzu, daß die Aufsichtspflichtverletzung nur geahndet werden kann, wenn eine Zuwiderhandlung tatsächlich eingetreten ist. Die Frage der Beendigung einer Aufsichtspflichtverletzung wird kontrovers beurteilt:

Relativ unstreitig dürfte die Ansicht des BGH1227 sein, daß eine Aufsichtspflichtverletzung solange nicht beendet ist, solange bereits vollendete Vortaten noch nicht beendet sind. In der angegebenen Entscheidung geht der BGH allerdings noch weiter: danach soll keine Beendigung des Aufsichtspflichtverstoßes vorliegen, solange im Unternehmen noch weitere Zuwiderhandlungen derselben Art in nächster Zeit zu befürchten sind.1228 Im zu entscheidenden Fall war die Bezugstat ein nach § 38 Abs. 1 Nr. 1, § 1 GWB a. F.

ordnungswidriges Hinwegsetzen über die Unwirksamkeit einer Submissionsabsprache.1229 Da vorliegend die Bezugstat noch nicht beendet war, lag auch noch keine Beendigung der Aufsichtspflichtverletzung vor.

Noch weiter als der BGH geht Brender1230, der eine Beendigung der Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG erst annimmt, wenn der Aufsichtspflichtige seiner Pflicht zur Ausübung der gehörigen Aufsicht nachgekommen ist. Brender begründet dies mit dem eigenständigen Charakter der Norm und der Funktion des § 130 OWiG, die er im allgemeinen Rechtsgüterschutz sieht. Das Argument, daß der Täter dadurch bezüglich der Verjährung seiner Aufsichtspflichtverletzung schlechter gestellt sei, als wenn er selbst Täter der Zuwiderhandlung sei, hält er für nicht zwingend. Im übrigen weist er auf die Eigenständigkeit der Regelung des § 130 OWiG hin.

teiligungsvorwurf nicht auf das Unterlassen der genannten allgemeinen Maßnahmen beschränkt, sondern ein weiteres Verhalten erfaßt, wie etwa das bewußte Unterlassen besonderer, speziell für eine einzelne Niederlassung notwendiger Maßnahmen."

1225 Nach Bauer wistra 1995, 170, 179 hat der in BGH WuW/E BGH 2904 (= NStZ 1994, 346 = wistra 1994, 232) seine "Tatbild - Rechtsprechung" "heimlich" geändert und ist in einer entspre chenden Fallkon-stellation von einer einheitlichen Tat ausgegangen. In der Entscheidung vertrat der BGH die Ansicht, daß in einem Verfahren zur Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße, die an eine Aufsichtspflichtverletzung eines bestimmten Leitungsorgans geknüpft werden sollte, auch Aufsichtspflichtverletzungen anderer Aufsichtspflichtiger einbezogen werden konnten, da der im Bußgeldbescheid bezeichnete Lebensvorgang alle mit dem Tatvorwurf zusammenhängenden Vor-kommnisse umfasse, auch wenn sie in dem Bußgeldbescheid selbst nicht ausdrücklich erwähnt seien.

1226 Vgl. Rosenkötter, Rdnr. 303.

1227 BGHSt 32, 389, 392; BayObLG wistra 1999, 71, 72; zustimmend Göhler § 130, Rdnr. 30.; Lan-gen/Kollmorgen, 9. Aufl., § 81, Rdnr. 99; Förster in Rebmann/Roth/Herrmann § 130, Rdnr. 35.

1228 BGHSt 32, 389, 392.

1229 Hier liegt nach der - m. E. abzulehnenden - Ansicht des BGH eine Beendigung der Ordnungswid-rigkeit erst mit dem Einreichen der Schlußrechnung vor, vgl. BGH wistra 1991, 309, 310; dem Zeitpunkt der Schlußrechnung zustimmend Langen/Kollmorgen, 9. Aufl., § 81, Rdnr. 99.

1230 Brender S. 174.

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Brenders Ansicht ist abzulehnen, denn wenn man erst mit der Wahrnehmung der erforderlichen Aufsicht die Beendigung einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG annehmen würde, würden in Unternehmen mit einer nachlässigen "Kultur" die Verjährung von Verstößen gar nicht beginnen; jedenfalls wäre eine Ahndung von Zuwiderhandlungen noch erheblich später möglich, als es nach den allgemeinen Verjährungsregel der Fall wäre. Die befriedende Wirkung der Verjährungsregeln wäre damit weitgehend ausgeschlossen.

Die überwiegende Ansicht der Literatur1231 folgert aus der Zuordnung des § 130 OWiG zum Rechtsgüterschutz für die Beendigung, daß nicht auf die Vornahme der gebotenen Handlung abzustellen sei, sondern auf die endgültige Rechtsgutsverletzung. Denn der Aufsichtspflichtige sei bis zu diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, eine Intensivierung zu verhindern. Bei mehreren gleichartigen Zuwiderhandlungen in engem zeitlichen Zusammenhang sei Beendigung mit der letzten Zuwiderhandlung eingetreten. § 130 dürfe nicht zur Folge haben, daß eine Beendigung für den Aufsichtspflichtigen später eintrete, als wenn er selbst Tä-ter der Zuwiderhandlung wäre.1232 Auch wenn infolge mangelhafter Erfüllung der Aufsichtspflicht noch weitere Verstöße zu befürchten seien, sei die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG bereits beendet, da dies eine bußgeldrechtlich irrelevante Gefahr für das Rechtsgut darstelle. Wenn nach einer Zuwiderhandlung die Aufsichtsmaßnahmen geändert würden, ist nach Rogall1233 damit die Tat nach § 130 OWiG beendet. Falls sich im Unternehmen erneut Zuwiderhandlungen ereigneten, beginne eine neue Tat nach § 130 OWiG.

Es ist dem BGH zuzustimmen, daß die Beendigung einer Tat nach § 130 OWiG nicht vor der Beendigung der Zuwiderhandlung gegeben sein kann. Da es Voraussetzung der Ahndung einer Aufsichtspflichtverletzung ist, daß sie einen bewehrten Verstoß nicht verhindert oder wesentlich erschwert hat, ist es auch nur konsequent, die Beendigung der Aufsichtspflichtverletzung mit der Beendigung des Verstoßes anzunehmen. Nicht zu folgen ist dem BGH jedoch, wenn er die Aufsichtspflichtverletzung solange nicht als beendet ansieht, wie in nächster Zeit noch weitere Verstöße derselben Art zu erwarten sind. Denn zum einen sind die Voraussetzungen, unter denen diese Erwartung berechtigt ist, unklar, zum anderen spricht dagegen die Konstruktion des § 130 OWiG, die die Verfolgbarkeit ausdrücklich von eingetretenen Zuwiderhandlungen abhängig macht und nicht von zukünftig zu erwartenden.

Gemäß § 131 Abs. 3 OWiG gelten für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach

§ 130 OWiG die allgemeinen Verfahrensvorschriften der Anknüpfungstat entsprechend; wenn die Anknüpfungstat eine Straftat ist, gelten die Regelungen entsprechend, die anzuwenden wären, wenn die mit Strafe bedrohte Pflichtverletzung nur mit Geldbuße bedroht wäre; zu den anzuwendenden Vorschriften gehören auch die allgemeinen Verjährungsvorschriften.1234 Ab-zustellen ist für den Beginn der Verjährung nach § 31 Abs. 3 S. 1 OWiG auf den Zeitpunkt der Beendigung der Zuwiderhandlung.1235

1231 Vgl. Dannecker NStZ 1985, 49, 55ff.; zustimmend Hüneröder S. 136; ebenso FK-Achenbach, 46. Lfg., September 2000, Vorbem. § 81 GWB 1999, Rdnr. 88.

1232 Ebenso Tessin BB 1987, 984, 989.

1233 KKOWiG-Rogall, 2. Aufl., § 130, Rdnr. 112.

1234 Die Verjährungsvorschriften zählen zu den nach § 131 Abs. 3 OWiG anwendbaren Verfah-rensvorschriften, vgl. Förster in Rebmann/Roth/Herrmann § 131, Rdnr. 21; FK-Achenbach, 46. Lfg., September 2000, Vorbem. § 81 GWB 1999, Rdnr. 87.

1235 FK-Achenbach, 46. Lfg., September 2000, Vorbem. § 81 GWB 1999, Rdnr. 88.

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Die Verjährungsfrist richtet sich gemäß § 31 Abs. 2 OWiG nach der Höhe der angedrohten Geldbuße. Bei einem Bußgeldrahmen von mehr als 30.000 DM verjährt die Tat nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG in drei Jahren. Die Verjährungsfrist der Bezugstat ist heranzuziehen, falls diese eine längere Verjährungsfrist aufweist.1236 Für die Ermittlung der Verjährungsfrist von Aufsichtspflichtverletzungen, bei denen eine strafbare Handlung Anknüpfungstat ist, ist die der Anknüpfungstat am nächsten kommende Ordnungswidrigkeit heranzuziehen. Bei einer Submissionsabsprache als Anknüpfungstat kommt eine Verfolgung unter strafrechtlichem Aspekt nach §§ 263, 298 StGB in Betracht; gleichfalls ist der Tatbestand der Kar-tellordnungswidrigkeit des § 81 Abs. 1 Nr. 1, § 1 GWB in der Regel erfüllt, die jedoch nach § 21 Abs. 1 OWiG zurücktritt.1237 Bei einer Submissionsabsprache als Anknüpfungstat ist zur Ermittlung der Verjährungsfrist nach § 133 Abs. 3 die ordnungswidrigkeitenrechtliche Vorschrift des § 81 Abs. 3 S. 2 GWB (§ 38 Abs. 5 S. 2 GWB a. F.) heranzuziehen. Damit verjährt eine Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG in Anknüpfung an eine Submissionsab-sprache in fünf Jahren.1238