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Der Arbeitsmarkt für Ältere: Trend zu erhöhter Erwerbsbeteiligung? 94

6.1 Arbeitswelt und Alter

6.1.1 Der Arbeitsmarkt für Ältere: Trend zu erhöhter Erwerbsbeteiligung? 94

Seit gut einem Jahrzehnt steigt sowohl die Erwerbsbetei-ligung (Erwerbspersonen, d. h. Erwerbstätige plus Er-werbslose, in Relation zur Bevölkerung) als auch die Erwerbstätigenquote (Erwerbstätige in Relation zur Be-völkerung) in allen Altersgruppen über 50 Jahren an. Da-gegen hat die Anzahl der Erwerbstätigen unter 40 Jahren abgenommen und ist erst mit dem Aufschwung 2006 bis 2008 wieder angestiegen. Deutschland liegt damit im eu-ropäischen Vergleich an der Spitze und bewegt sich mitt-lerweile bei der Beschäftigung Älterer im oberen Drittel der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Aus Ta-belle 6.1 geht hervor, dass unbeschadet demografischer Veränderungen und Struktureffekte die Erwerbsbeteili-gung (Erwerbsquote) der Älteren in den letzten 13 Jahren in allen höheren Altersgruppen deutlich zugenommen hat, dieses zusätzliche Arbeitsangebot überwiegend auf Nachfrage stieß und nur zum kleineren Teil in Erwerbslo-sigkeit mündete.

Der gelegentlich gegebene Hinweis, dass die höhere Er-werbstätigenquote der Älteren auf statistische Effekte zu-rückzuführen sei, da zum Jahr 2005 der Mikrozensus um-gestellt wurde, trägt nur nachrangig zur Erklärung dieser Entwicklung bei. Auch schon bis zum Jahr 2004 war ein deutlicher Anstieg von Erwerbsquote und Erwerbstäti-genquote zu beobachten. Anpassungen des Fragepro-gramms zur verbesserten Erfassung nicht-typischer Er-werbstätigkeit gab es in der Vergangenheit mehrfach. Da die im Mikrozensus ausgewiesene Erwerbstätigenzahl um rund 1,5 Millionen Personen unter der in den Volkswirt-schaftlichen Gesamtrechnungen ausgewiesenen Zahl liegt, muss tatsächlich bis dato von einer allgemeinen Un-tererfassung ausgegangen werden.

In dem betrachteten Zeitraum haben sich die Erwerbstäti-genquoten sowohl für Männer wie auch für Frauen erhöht (Tabelle 6.2). Bei Männern gilt dies besonders für die Al-tersgruppe von 58 bis 62 Jahren, die in den 1980er Jahren die Frühverrentungsprogramme intensiv nutzen konnten und nutzten. Bei Frauen hat die Erwerbsbeteiligung in al-Ta b e l l e 6.1

Ältere nach Beteiligung am Erwerbsleben (Deutschland, 1 000 Personen bzw. in Prozent)

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus.Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln.

1996 2004 2006 2008 2009

50–54

Jahre Bevölkerung 5.078 5.671 5.687 5.837 5.954

davon Erwerbspersonen 80,1 84,4 84,9 85,3 85,4

Erwerbstätige 71,9 73,8 76,1 79,1 79,3

sofort verfügbare Erwerbslose 7,1 9,4 8,8 6,2 6,1

55–59

Jahre Bevölkerung 6.270 4.680 5.156 5.402 5.439

davon Erwerbspersonen 64,3 72,8 73,7 75,2 76,2

Erwerbstätige 52,7 61,1 64,2 68,6 69,9

sofort verfügbare Erwerbslose 9,6 10,0 9,6 6,6 6,2

60–64

Jahre Bevölkerung 4.728 5.762 4.439 4.363 4.374

davon Erwerbspersonen 20,2 29,5 33,2 37,8 41,5

Erwerbstätige 18,3 25,1 29,6 35,0 38,4

sofort verfügbare Erwerbslose 1,5 3,5 3,6 2,9 3,1

50–64

Jahre Bevölkerung 16.076 16.113 15.382 15.602 15.767

davon Erwerbspersonen 56,3 61,4 65,9 68,5 70,0

Erwerbstätige 48,7 52,7 58,4 63,1 64,7

sofort verfügbare Erwerbslose 6,4 7,5 7,5 5,4 5,3

len Altersstufen zugenommen. Interessant ist ferner der Befund, dass die Altersbeschäftigung in vielen Branchen zugenommen hat und keineswegs auf einzelne Branchen beschränkt ist. Bei aller Differenzierung gilt: „Sowohl in Branchen mit einem niedrigen als auch mit einem hohen Ausgangsniveau bei der Beschäftigung Älterer ist der An-teil der älteren Beschäftigten gestiegen. Dieses gilt für wachsende wie schrumpfende Branchen gleichermaßen“

(Brussig und Wojtkowski 2008: 5). Das ist insofern be-merkenswert, als sich damit branchenspezifische Erklä-rungsmuster ausschließen lassen und ein gesamtwirt-schaftlicher Vorgang in den Vordergrund tritt. Dabei resultiert die generell höhere Erwerbsbeteiligung Älterer primär nicht aus einem entsprechend gewandelten Ein-stellungsverhalten der Unternehmen (Brussig 2009: 10f.).

Die höhere Arbeitsmarktintegration Älterer erklärt sich vor allem aus einem längeren Verbleib in der Erwerbstä-tigkeit, was unter anderem durch das kontinuierlich an-steigende Bildungsniveau dieser Gruppe begünstigt wird.

Die Beschäftigung in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jäh-rigen stieg zwischen 2003 und 2009 stärker an als die Be-schäftigung insgesamt: Gab es im März 2003 nur 2 736 311 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Alter über 55 Jahren, so waren es sechs Jahre später schon fast 920 000 mehr, nämlich 3 656 001. Demgegen-über stieg die Beschäftigung insgesamt nur um rund 350 000. Dabei erweist sich die Erwerbsintegration älte-rer Frauen als deutlich dynamischer; so stieg die Erwerbs-tätigenquote der Frauen im Alter von 55 bis 64 Jahren von 1996 bis 2009 um über 72 Prozent an, während die der Männer in dieser Altersgruppe nur um gut 32 Prozent anstieg. Das dürfte an der insgesamt bedeutsameren Bil-dungsexpansion bei Frauen ebenso liegen wie an der

Tat-sache, dass Frauen tendenziell Gewinnerinnen des Struk-turwandels der Arbeitswelt sind, der individuellere und stärker dienstleistungsorientierte Beschäftigung begüns-tigt. Der vom Herbst 2008 bis ins Frühjahr 2009 zu ver-zeichnende scharfe Produktionseinbruch infolge der Weltwirtschaftskrise hat bislang nicht zu einer Rückkehr zu den traditionellen Anpassungsmustern bei der Beschäftigung geführt. Zwar ist die Arbeitslosigkeit der 55- bis 65-Jährigen stärker angestiegen als die aller Er-werbspersonen, doch ist dies vor allem ein westdeutsches Phänomen und erklärt sich wesentlich dadurch, dass die vorruhestandsähnliche Regelung (58er-Regelung) auslief.

Unabhängig davon hat sich die Betroffenheit der älteren Beschäftigten angesichts größer werdender Geburtsjahr-gänge nicht verändert. Die Arbeitslosenquoten der 55- bis 65-Jährigen und aller Erwerbspersonen haben sich paral-lel entwickelt und lagen zum Jahresende 2009 um einen halben Prozentpunkt über der Quote vom Jahresende 2008. Bemerkenswert ist zudem, dass der Anstieg der Ar-beitslosigkeit Älterer nicht durch Entlassungen verursacht wurde, sondern durch eine geringere Zahl von Einstellun-gen von Personen aus Maßnahmen der aktiven Arbeits-marktpolitik und aus der Nichterwerbstätigkeit. Generell hat die Rezession wenig zu Beschäftigungsabbau, wohl aber zu deutlichen Einschränkungen bei Einstellung ge-führt.

Zu betonen ist, dass ein Anstieg der Erwerbstätigkeit im Alter nicht zwingend mit einem Rückgang der entspre-chenden Erwerbslosenquoten einhergeht. Der Anstieg der Erwerbsquote konnte nicht vollends durch einen Anstieg der Erwerbstätigenquote aufgefangen werden. Zudem ha-ben institutionelle Änderungen die Anzahl der faktisch

Ta b e l l e 6.2 Altersspezifische Erwerbstätigenquoten nach Geschlecht

(Deutschland, in Prozent) Erwerbstätigenquote im Alter von …

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus. Brussig, Knuth und Wojtkowski 2008 und Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln.

55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 55-59 60-64 55-64

Männer

1996 77,4 71,2 65,3 54,6 47,0 38,1 31,4 26,9 16,4 13,3 63,7 26,3 48,0

2001 75,9 71,8 70,6 64,1 57,1 44,2 35,9 29,8 19,7 14,4 66,9 29,4 46,7

2006 76,8 75,5 72,4 69,5 64,6 52,6 48,0 41,5 30,6 22,5 72,1 37,9 56,1

2009 81,3 79,3 78,1 74,5 70,9 61,3 54,1 48,1 35,6 28,3 76,9 46,7 63,5

Frauen

1996 52,9 47,0 43,1 35,4 29,0 15,9 12,0 8,9 7,3 5,9 41,8 10,4 28,1

2001 57,2 56,9 50,6 45,0 38,4 23,7 14,9 12,0 10,3 7,4 48,6 13,8 29,4

2006 65,2 59,2 57,4 51,2 47,9 35,6 28,1 23,8 15,6 12,0 56,6 21,9 40,3

2009 69,0 66,8 64,6 60,9 53,9 42,5 35,8 30,2 21,9 16,5 63,1 30,4 48,5

Beschäftigungslosen gesteigert. So haben die nach der Rentenreform 1992 eingeführten – versicherungsmathe-matisch gemeinhin als Untergrenze angesehenen – Ab-schläge bei früherem Rentenbezug dazu geführt, dass der Renteneintritt hinausgeschoben wird. Dies hat die Anzahl erwerbsloser Älterer erhöht, ohne dass sich mit Blick auf den Arbeitsmarkt etwas verändert hat. Ein Teil der Er-werbslosigkeit wurde durch die Möglichkeit „des Arbeits-losengelds unter erleichterten Bedingungen“ für ältere Ar-beitslose (bis Ende 2007) aufgefangen und aus der entsprechenden Statistik ausgebucht. In der Aufschwung-phase 2006 bis 2008 ist die Arbeitslosigkeit auch der Äl-teren aber wieder gesunken. Im Jahresdurchschnitt 2008 war die Anzahl der Arbeitslosen über 50 Jahre um 25,9 Prozent niedriger als im Jahresdurchschnitt 2006.

Dieser Rückgang war nur unwesentlich geringer als der für die Arbeitslosen unter 50 Jahren, der 27,6 Prozent be-trug. Somit haben ältere Arbeitslose in nahezu gleichem Maße vom Aufschwung profitiert wie jüngere. Daran hat der nachfolgende konjunkturelle Einbruch kaum etwas ge-ändert. Im Jahresdurchschnitt 2009 lag die Zahl der Ar-beitslosen über 50 Jahre immer noch um 21 Prozent nied-riger als 2006.

Steigende Anteile von Teilzeit- und geringfügiger Be-schäftigung sind langfristig insgesamt bei allen Alters-gruppen beobachtbar. Gemessen an der Gesamtzahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten stellten Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter von 50 bis 65 Jahren im Jahr 2003 einen Anteil von 25,1 Prozent. Bis

zum Jahr 2009 fiel der Anteil geringfügig auf 24,5 Prozent. Bei den nebenerwerbstätigen Personen stieg der Anteil der Älteren in diesem Zeitraum dagegen von 16,8 auf 20,1 Prozent. Es finden sich insgesamt keine Hin-weise darauf, dass Ältere überproportional zunehmend diese atypischen Beschäftigungsverhältnisse ausüben. Im Gegenteil: Die Anzahl der geringfügig Beschäftigten un-ter 50 Jahren nahm um 29,5 Prozent zu, während es bei den über 50-Jährigen nur einen Zuwachs von 28,7 Prozent gab.

Dieses Bild lässt sich um den Personenkreis ergänzen, der zusätzlich zur Erwerbstätigkeit Transfers nach dem So-zialgesetzbuch II erhält. Der Anteil dieser Personen ab dem Alter von 50 Jahren ist angestiegen. Allerdings ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Empfänger und Empfängerinnen von Arbeitslosengeld II (ALG II) an allen Beschäftigten bei den Älteren mit 1,6 Prozent deutlich niedriger als der Anteil bei den Per-sonen im Alter von 25 bis 50 Jahren (3 Prozent). Ähnlich ist dies bei den geringfügig Beschäftigten. Von älteren Mini-Jobbern und Mini-Jobberinnen erhalten 13,3 Pro-zent ergänzend ALG II, bei den jüngeren 19 ProPro-zent. Äl-tere müssen ihr Erwerbseinkommen also seltener mit ALG II aufstocken als jüngere Erwerbstätige. Insgesamt sprechen diese Befunde nicht dafür, dass die Qualität der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Zuge ihrer Ausweitung abgenommen hat (Tabelle 6.3).

Für diese hier nur skizzierte Entwicklung am Arbeits-markt lassen sich mehrere Einflussfaktoren anführen: Ins-Ta b e l l e 6.3

Arbeitsmarktbeteiligung, Altersgruppe 55 bis 64 Jahre (Deutschland, in Prozent)

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus. Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln.

1998 2004 2008

Männer

Insgesamt 100 100 100

davon erwerbstätig 47 49 61

selbständig 9 10 11

abhängig 38 39 50

Vollzeit 35 36 45

Teilzeit 3 3 5

erwerbslos 8 8 5

nicht erwerbstätig 45 43 34

Frauen

Insgesamt 100 100 100

davon erwerbstätig 28 33 46

selbständig 4 4 6

abhängig 24 29 40

Vollzeit 12 14 19

Teilzeit 12 15 21

erwerbslos 6 5 5

nicht erwerbstätig 66 62 49

gesamt hat der zurückliegende Aufschwung deutlich kräf-tigere Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen, als dies für die vorangegangenen Zyklen seit der deutschen Wieder-vereinigung der Fall war. Damit wurden neue Beschäfti-gungsperspektiven für Gruppen mit traditionell schwa-cher Erwerbstätigenquote eröffnet. Die Analysen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirt-schaftlichen Entwicklung (2008) zeigen dies deutlich: Ob bei der Entwicklung der Erwerbstätigkeit, beim geleiste-ten Arbeitsvolumen, der Anzahl der Vollzeit- oder sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten – in allen Katego-rien „schneidet die im Jahr 2008 zu Ende gegangene Aufschwungphase – die allerdings auch die mit Abstand längste Prosperitätsphase seit der deutschen Vereinigung war – günstiger ab als ihre Vorgänger“. Erstmals seit der Wiedervereinigung konnte der Rückgang der Vollzeitbe-schäftigung gestoppt werden. Zudem war der Rückgang

der Arbeitslosigkeit der markanteste, verglichen mit den anderen Zyklen. Der Sachverständigenrat schließt daraus, dass diese Entwicklung nicht nur auf konjunkturzyklische Faktoren zurückgeht, sondern ebenso auf die strukturell begründete größere Flexibilität und Dynamik am Arbeits-markt. Der scharfe Konjunktureinbruch im Herbst 2008 begründet einen Test auf Robustheit für diese strukturel-len Veränderungen am Arbeitsmarkt. Der bisherige Ver-lauf der konjunkturellen Abschwächung deutet nicht da-rauf hin, dass ein Rückfall in alte Muster mit einer Freisetzung vor allem älterer Arbeitnehmer und Arbeit-nehmerinnen zu beobachten sein wird. Im Gegenteil, die massive Inanspruchnahme der Kurzarbeit legt nahe, dass die Unternehmen hohe Investitionen in die Beschäfti-gungssicherheit vornehmen, um ihre Fachkräftebasis langfristig zu sichern, wovon auch ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen profitieren.

Ü b e r s i c h t 6 . 1 Reformen der Arbeitsmarktpolitik und der Rentensysteme

Quelle: Eigene Darstellung.

Institutionelle Veränderungen sind für den Arbeitsmarkt und vor allem für die Beschäftigung älterer Menschen in den letzten Jahren verschiedentlich vorgenommen worden.

(1) Dies betrifft die mit den Hartz-Gesetzen verkürzte Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I bei Älteren (maximal 18 Monate statt zuvor bis 32 Monate), die zum Jahresbeginn 2008 teilweise revidiert wurde (18 Monate für 55 bis 57 Jahre alte Erwerbslose, 15 statt 12 Monate für 50 bis 54 Jahre alte Erwerbslose, 18 (statt 24) Monate für mindestens 58-jährige Erwerbslose, wenn in den fünf Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens 30, 36 bzw. 48 Monate lang Arbeitslosenbeiträge gezahlt wurden).

(2) Ebenso bedeutsam ist die so genannte 58er-Regelung, die in der ursprünglichen Form bis zum 31. Dezember 2007 galt und vorsah, dass Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr vollendet hatten, Arbeitslosengeld I und II unter erleichterten Bedingungen beziehen konnten, indem sie der Arbeitsagentur beziehungsweise dem Jobcenter ge-genüber erklärten, dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Dies stand dem weiteren Bezug von Arbeitslosengeld I und II anders als bei jüngeren Arbeitslosen nicht im Wege – vorausgesetzt, der oder die Be-treffende war bereit, zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine abschlagsfreie Rente zu beantragen. Arbeitslosen-geld-I-Bezieher und -Bezieherinnen sind seitdem in die Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur einbezo-gen: Der Leistungsbezug ist nicht gefährdet, da Arbeitslosengeld I nicht gegenüber einer von der gesetzlichen Rentenversicherung geleisteten Rente nachrangig ist, d. h. Betroffene können wählen, ob sie Arbeitslosengeld I oder eine vorgezogene Altersrente beziehen. Für Arbeitslosengeld-II-Bezieher und -Bezieherinnen ist nun auf-grund der Nachrangigkeit dieser staatlichen Fürsorgeleistung gegenüber prinzipiell allen anderen Einkommens-möglichkeiten auch eine mit Abschlägen verbundene vorzeitige Rente eine vorrangige Leistung.

(3) Seit dem Jahr 1996 bestand in Deutschland die Möglichkeit, über Altersteilzeit den Übergang in die Rentenphase gleitend zu gestalten. Bis zum Dezember 2009 wurden – bei konstant hohen Fallzahlen – insgesamt 526 339 Al-tersteilzeitfälle von der Bundesagentur für Arbeit bewilligt und gefördert. Mit einem Anteil von 93,5 Prozent wurde bei den 2009 bewilligten Fällen primär die Blockzeitlösung gewählt. Das Instrument Altersteilzeit dient damit ganz überwiegend dem vorzeitigen Wechsel in den Ruhestand und nicht wie intendiert dem gleitenden Übergang. Gleichzeitig haben sich die beschäftigungspolitischen Erwartungen nicht erfüllt, denn der Anteil der Arbeitslosen, die auf Altersteilzeitstellen nachrücken, ist seit 1997 kontinuierlich gesunken. Nach dem novellier-ten Altersteilzeitgesetz wird eine bis zum Jahresende 2009 angetrenovellier-tene Alterszeit über die Arbeitsverwaltung ge-fördert, wodurch ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitszeit nach Vollendung des 55. Lebens-jahres auf die Hälfte vermindern können. Bedingung ist lediglich, dass über einen Gesamtzeitraum von bis zu drei Jahren die Arbeitszeit im Durchschnitt halbiert wird.

(4) Die Regelung des Rentenzugangs für die so genannten vorgezogenen Altersrenten (Altersrente für Frauen, Al-tersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit, AlAl-tersrente für Schwerbehinderte sowie Alters-rente für langjährig Versicherte) wurde bereits mit der Rentenreform 1992 geändert, was aber wegen der gleiten-den Einführung nachwirkt. So wurgleiten-den die Altersgrenzen für gleiten-den abschlagsfreien Bezug dieser Altersrenten schrittweise auf das 65. Lebensjahr angehoben; ein vorzeitiger Bezug wird mit Abschlägen von 0,3 Prozent für jeden Monat des früheren Beginns belegt. Mit der Rentenreform von 2004 wurde darüber hinaus die Alters-grenze für den frühestmöglichen Zugang bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit schrittweise vom 60. auf das 63. Lebensjahr angehoben.

Diese institutionellen Änderungen der letzten Zeit kom-men einem Paradigkom-menwechsel gleich. Dahinter steht je-doch nicht ein greifbar gewandeltes Alters- respektive Al-ternsbild in der Politik. Der vielfältig staatlich geförderte vorzeitige Ausstieg aus dem Erwerbsleben erwies sich vielmehr gleichermaßen als wenig effektiv und sehr teuer.6 Der gesamtwirtschaftliche Preis für die Frühver-rentung ist erheblich, der Druck zur Korrektur ist entspre-chend hoch (Pimpertz und Schäfer 2009).

Mit dem letzten Konjunkturaufschwung offenbarte sich ab dem Jahr 2006 ein deutlicher Fachkräftemangel, der Unternehmen und Politik gleichermaßen überrascht hat.

Nach den umfangreichen Restrukturierungen in der deut-schen Wirtschaft infolge des Konjunktureinbruchs nach 2001 und der damit einhergehenden exogenen Schocks wurde im Aufschwung – wenn auch verzögert – doch um so deutlicher ein Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften erkennbar. Damit kombinierten sich zwei Trends am Ar-beitsmarkt: die Wissensintensivierung der Wertschöpfung und der demografische Wandel über die Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials (Koppel 2008). Akut zeigten sich dabei Fachkräfteengpässe (bedingt durch die Wis-sensintensivierung der Wertschöpfung) im Segment Hochqualifizierter; allerdings greift dieses Phänomen

an-gesichts der demografischen Zusammenhänge schnell auf andere Qualifikationsstufen – vor allem im Bereich der technischen Berufe – über (Abbildung 6.1). Angesichts der erkennbaren Ausbildungsstrukturen ist diese Ent-wicklung – weitgehend unabhängig von der 2008 begon-nenen Wirtschaftskrise – für die Zukunft verschärft zu er-warten. Kurzfristig hat die Wirtschaftskrise im Jahre 2009 zwar zu einer Entspannung geführt (so hat sich z. B. die Ingenieurlücke von weit über 60 000 (2008) auf knapp über 40 000 Personen (2009) reduziert); strukturell ist je-doch der Fachkräftemangel von höchster Bedeutung für die betriebliche Personalpolitik. Vor dem Hintergrund, dass die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und Arbeit-nehmerinnen im letzten Aufschwung in allen Branchen zugelegt hat, mag der Fachkräftemangel Erklärungen für die sektoral unterschiedliche Ausprägung liefern. Insbe-sondere das Instrument der Altersteilzeit, das sich im Rückblick als eine bedeutsame Option für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit überdurchschnittlichem Ein-kommen erwiesen hat, mag dadurch weiter unter Druck geraten. Aktuell dürften viele Beschäftigungsverhält-nisse der Altersgruppen über 50 durch diese Entwicklung begünstigt worden sein.

Diese Entwicklung spiegelt sich (noch?) nicht in den Da-ten für die Weiterbildungsbeteiligung älterer Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer. Obwohl auch in Deutsch-land in nahezu allen beobachteten Altersgruppen die beruflichen Weiterbildungsaktivitäten zugenommen ha-ben, sind Personen im höheren Erwerbsalter (50 bis 64 Jahre) immer noch die mit Abstand am wenigsten be-teiligte Gruppe (Tabelle 6.4).

6 Die Beitrags- und Steuerzahler und -zahlerinnen werden per Saldo mit 3 bis 4 Mrd. Euro (Basis der Berechnung 2007) belastet, zudem wenden die Unternehmen (2007) gut 4 Mrd. Euro für die Aufsto-ckung der ungeförderten Altersteilzeitentgelte auf. Ergänzend sind Wertschöpfungsverluste zu berücksichtigen, die sich aus der ver-meidbaren vorzeitigen Inaktivität der Älteren ergeben.

A b b i l d u n g 6.1

Struktureller Fachkräftebedarf, Ersatzquoten: 30- bis 35-Jährige in Relation zu 60- bis 65-Jährigen nach Qualifikation

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus. Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.

0,5 0,7 0,9 1,1 1,3 1,5

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Lehre

Meister, Techniker, Fachschule Fachhochschule

Universität

Ta b e l l e 6.4 Teilnahmequoten an beruflicher Weiterbildung nach Altersgruppen

(1979 bis 2007, in Prozent)

Daten: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2006.

Quelle: Menning 2008; Rosenbladt und Bilger 2008.

Alters-gruppen 1979 1982 1985 1988 1991 1994 1997 2000 2003 2007

19–34 16 15 14 23 25 27 33 31 29 27

35– 49 9 15 14 20 24 29 36 36 31 31

50– 64 4 4 6 8 11 14 20 18 17 19

Betrachtet man nun explizit die berufliche Weiterbildung in Unternehmen, so weist die Dritte Europäische Erhe-bung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (Continuing Vocational Training Survey (CVTS) 3, Be-richtsjahr 2005; Bannwitz 2008) ebenfalls eine nicht un-erhebliche Unterrepräsentanz älterer Beschäftigter (hier ab dem Alter von 55 Jahren) in der betrieblichen Weiter-bildung aus. Dies gilt zwar mit Ausnahme Dänemarks in allen erfassten europäischen Staaten, doch Deutschland erreicht regelmäßig nur ein Niveau knapp unter dem Durchschnitt der 27 Staaten der Europäischen Union. Da-bei weist Deutschland Da-bei allen Beschäftigten eine Teil-nahmequote an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen von 30 Prozent auf, bei den Älteren ab 55 Jahren von 21 Prozent. Die Werte liegen in Unternehmen, die spe-ziell Weiterbildungskurse anbieten, mit 39 respektive 27 Prozent zwar höher, doch im europäischen Vergleich auch nicht besser. Die Unternehmensgröße (gemessen an der Anzahl der Beschäftigten) liefert ebenso wie die Branchenzugehörigkeit keinen starken Erklärungsbeitrag;

das auf europäisches Niveau bezogen unterdurchschnittli-che Ergebnis bestätigt sich durchweg; lediglich generell scheint die Weiterbildung in Großbetrieben besser ausge-baut zu sein. Die Teilnahme der Bevölkerung mit Migra-tionshintergrund an der beruflichen Weiterbildung nahm in den letzten Jahren zu, während die der deutschen Be-völkerung ohne Migrationshintergrund stagnierte oder al-lenfalls leicht zunahm (Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2006). Die insgesamt im euro-päischen Kontext im Mittelfeld angesiedelte betriebliche Weiterbildungsaktivität kann mit dem überdurchschnittli-chen Bildungsniveau der Bevölkerung sowie der höchs-ten Teilnahmequote an allgemeiner Weiterbildung erklärt werden.

Schließlich muss mit Blick auf die bis zum Jahr 2005 vor-liegenden Daten zur Weiterbildungsbeteiligung Älterer in Deutschland berücksichtigt werden, dass diese Befunde noch durch den bis dahin vorherrschenden, vergleichs-weise frühen Austritt aus dem Arbeitsmarkt geprägt sind.

Die Weiterbildungserhebung 2008 des Instituts der deut-schen Wirtschaft Köln lässt jedoch erkennen, dass mit sich verbessernder konjunktureller Entwicklung die Quote der weiterbildungsaktiven Unternehmen wieder zunimmt (Lenske und Werner 2009). Allerdings zeigt sich auch in dieser Befragung, dass die Motivation für

Weiterbildungsangebote ganz überwiegend aus der Kom-petenzentwicklung der beschäftigten Mitarbeiter und Mit-arbeiterinnen folgt, während die erleichterte Rekrutierung neuer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kein dominantes Motiv darstellt. Dies fügt sich passend zusammen mit den Ergebnissen der nationalen CVTS-3 Zusatzerhebung, wo-nach die Unternehmen bislang eher geringe Schwierig-keiten aus dem demografisch bedingten Rückgang des Arbeitskräfteangebots ableiten. Allerdings zeigt sich auf Unternehmensebene ein negativer Zusammenhang zwi-schen Weiterbildungsangeboten und vorzeitigem Ruhe-stand. Bei älteren Beschäftigten werden Methodenkom-petenz und SozialkomMethodenkom-petenz als stärker eingeschätzt, während Fachkompetenz und personale Kompetenz den durchschnittlichen Kompetenzanforderungen entspre-chen.

Schließlich ist einem demografischen Struktureffekt ein Erklärungsbeitrag für die gestiegene Erwerbsbeteiligung älterer Menschen zuzuweisen: Derzeit gehen mit 60- bis 65-Jährigen die Geburtsjahrgänge aus den letzten Kriegs-jahren und den ersten NachkriegsKriegs-jahren in Altersrente.

Dies sind Jahrgänge, deren Besetzung so stark schwankt

Dies sind Jahrgänge, deren Besetzung so stark schwankt