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Altersrollen und Altersbilder in Staat, Markt und Zivilgesellschaft 76

Die bürgerschaftlich Engagierten schaffen mit und durch ihre Arbeit und Beteiligung Sozialkapital in Form von so-zialen Netzwerken, die den gesellschaftlichen Zusam-menhalt fördern sowie soziale und kulturelle Teilhabe er-möglichen. Solche Netzwerke stärken nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sie sind auch einer der wichtigsten Faktoren für erfolgreiches Alter(n). Das bür-gerschaftliche Engagement gewinnt zunehmend an Be-deutung für die Gestaltung und Produktion von Wohl-fahrt. Diese Entwicklungen sind eingebettet in einen

„Welfare-Mix“ (Wohlfahrtspluralismus), bei dem Staat (Kommune), Wirtschaft, Dritter Sektor (z. B. Verbände, Kirchen) und Bürgerinnen und Bürgern zusammenwir-ken. Altersbilder haben in den verschiedenen Funktions-bereichen von Staat, Markt und Zivilgesellschaft unter-schiedliche Bedeutungen.

Staat

Bürgerschaftliches Engagement in seinen vielfältigen Va-rianten ist vor dem Hintergrund der Leitvorstellung eines produktiven und aktiven Alters eine zeitgemäße Form der Altersaktivität. Es avanciert gleichzeitig zum Kernele-ment eines neuen Vergesellschaftungsmodells des Alters, das die Ressourcen und Handlungspotenziale älterer Menschen betont und damit das Leitbild des verdienten Ruhestandes ergänzt. Dabei ist das soziale, sinnvolle und zielbewusste Tätigsein im Alter jedoch ambivalent: Es enthält zum einen Autonomiespielräume zur Persönlich-keitsentfaltung und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe und Mitgestaltung; gleichzeitig aber besteht die Gefahr, dass das bürgerschaftliche Engagement Älterer instru-mentalisiert wird, und zwar dann, wenn es die begrenzte Leistungsfähigkeit des Sozialstaates kompensieren soll (Kricheldorff, Köster und Kolland 2002). Die Anrufung und die Betonung der Potenziale des Alters sind keines-wegs immer unschuldig, sondern eng mit dem Diskurs um die notwendige Weiterentwicklung des Sozialstaates verwoben. Der Erhalt und die Entfaltung von

Kompeten-zen werden dabei dem gesellschaftlichen Interesse an ih-rer Nutzung untergeordnet. In dieser Perspektive ist vor allem ein solches Engagement älterer Menschen gefragt, das das Gemeinwesen entlastet. Angesichts der Engpässe in der Finanzierung sozialer Leistungen ruhen auf dem bürgerschaftlichen Engagement älterer Menschen große Hoffnung von Sozialpolitikern und Sozialpolitikerinnen (Aner 2008b).

Eine solche Nutzenorientierung in der Diskussion um bürgerschaftliches Engagement steht im Widerspruch zu einem differenzierten Altersbild und dem zunehmenden Selbstbewusstsein älterer Menschen, die ihr Leben selbst-bestimmt gestalten und damit auch (in der Dialektik einer vita activa und einer vita contemplativa) Beiträge zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten. Die Potenziale und die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für Vergemeinschaftung und für individuelle soziale Ge-staltungsmöglichkeiten bestehen gerade nicht im Rahmen des gesellschaftlichen Nutzens beziehungsweise der Nützlichkeit, sondern jenseits davon.

Neue gesellschaftliche Realitäten, wie der demografische Wandel und die Krise des Sozialstaats, generieren ein

„aktivgesellschaftliches Anforderungsprofil an das Alter“

(Lessenich 2005) und tragen zur Favorisierung des Bildes vom rüstigen leistungsfähigen älteren Menschen bei. Be-deutungszuschreibungen des Alters sind insoweit stark kontextabhängig und wandeln sich durch den program-matischen Wechsel hin zum aktivierenden Staat. „Active ageing“ avanciert zum Schlüsselbegriff auch der europäi-schen Beschäftigungspolitik. Damit gehen eine Deinstitu-ionalisierung der Phase des „Ruhestandes“ und eine Viel-zahl alterspolitischer Aktivierungsprogramme einher. Der ältere Mensch mutiert vom Kosten- zum Produktionsfak-tor.

Die Suche nach „neuen Rollenmodellen eines aktiven, in-dividuell gelingenden Alters“ (Lessenich 2005: 2) findet sektorenübergreifend statt. Dabei sollte Politik stets offen sein für die Inspirationen durch die Zivilgesellschaft und sie nicht vordergründig pragmatisch zweckrational in Verwendungszusammenhänge einbinden, bei aller Not-wendigkeit der Neuvergesellschaftung öffentlicher Auf-gaben. Es besteht anderenfalls die Gefahr, dass der Zivilgesellschaft eine fiskalisch-ökonomische Logik übergestülpt wird. Im Sinne einer auf offene und reflexive Alters- und Generationenbilder ausgerichteten Generatio-nenpolitik sind Rahmenbedingungen für generationenof-fene Experimentierfelder im bürgerschaftlichen Engage-ment, etwa in Freiwilligendiensten aller Generationen, vor allem aber in der kommunalen Engagementförderung zu schaffen. Diese Rahmenbedingungen müssen so ge-staltet sein, dass sich Grenzen zwischen den Generatio-nen überschreiten lassen. Wenn der GeneratioGeneratio-nenaspekt aufgehoben wird, können im Sinne einer bunten Altersge-sellschaft neue personale und soziale Identitäten im Alter entdeckt werden.

Wirtschaft

Das Konzept der „Produktivität im Alter“ ist nicht über-wiegend auf ökonomisch fassbare Werte bezogen, die für

andere geschaffen werden, sondern umfasst als „soziale Produktivität“ das Engagement in der gesamten „bunten Mischung“ von Tätigkeitsoptionen (Aner 2008: 263). Be-sondere Aufmerksamkeit verdient dabei der Übergang von der Erwerbsarbeit in eine nachberufliche Phase, mit den dabei auftretenden „Gemengelagen“ und Mischfor-men zwischen Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem En-gagement.

In der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt kann in jüngster Zeit vor dem Hintergrund eines drohenden Man-gels an qualifizierten Arbeitskräften ein Funktionswandel des Alters konstatiert werden. Mit dem sich im System der Erwerbsarbeit abzeichnenden Paradigmenwechsel von der Früh- zur Spätpensionierung geht ein Altersbild einher, das die aktiven „jungen Alten“ mit ihren Kompe-tenzen und Lernfähigkeiten in den Mittelpunkt stellt. Da-mit wird eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung älterer Menschen angestrebt. Die Erwerbsquoten älterer Men-schen nehmen tendenziell zu und stützen das Altersbild der Produktivität des Alters. Dabei kann sich auch bei Rentenbezug produktives Alter manifestieren, etwa als (Teilzeit-)Erwerbsarbeit, die durchaus auch auf ökonomi-schen Notwendigkeiten beruhen kann.

Zivilgesellschaft

Im bürgerschaftlichen Engagement in seinen unterschied-lichen Formen zeigen sich immer auch Altersbilder: Die Vorstellungen dessen, was Alter(n) ist, fließt in das Ver-halten und Handeln ein. Dabei werden Altersbilder zu-gleich auch wieder hervorgebracht oder können hier neu gestaltet werden. Die Reflexionen zur Zivilgesellschaft zeigen, dass diese einen Erprobungs- und Möglichkeits-raum für neue Altersbilder und Altersrollen darstellen kann. Dabei steht das Miteinander von Alt und Jung und damit die intergenerationale Perspektive stärker als zuvor im Zentrum. Die Vielfalt der Gestaltungsoptionen des Al-ters entspricht der Vielfalt der Rollenangebote der Zivil-gesellschaft.

Die Offenheit für verschiedene Altersbilder bei gleichzei-tiger Ermöglichung kreativer Altersrollen ist ein Kennzei-chen von Zivilgesellschaft. Zivilgesellschaft bietet die Chance, viele unterschiedliche Altersbilder und Rollen-modelle des Alters als authentisch anzusehen und ihnen Bedeutung beizumessen. Die interne Differenzierung des Alters im Hinblick auf verschiedene Milieus und sozio-kulturelles und ökonomisches Kapital bringt selbst hete-rogene Altersbilder hervor. Zivilgesellschaft ist auch nicht wie die anderen gesellschaftlichen Sektoren auf den Aktivbürger festgelegt. Die Altersbilder der Zivilgesell-schaft enthalten eine Spannung, da auch das Altersbild des schwächer werdenden Menschen integraler Bestandteil zivilgesellschaftlicher Zuwendung und Auf-merksamkeit bleiben muss.

Darüber hinaus sollte im Hinblick auf Partizipation, Res-sourcen und Potenziale immer danach gefragt werden, welche Bevölkerungsgruppen (unterschieden nach Ge-schlecht, Generation, Ethnie) sich bürgerschaftlich enga-gieren (können). Um Exklusion zu vermeiden, muss künftig stärker auf eine angemessene Beteiligung

benach-teiligter Bevölkerungsgruppen am bürgerschaftlichen En-gagement geachtet werden, vor allem auch im Hinblick auf Angebote zur Qualifizierung zum bürgerschaftlichen Engagement. Bürgerschaftliches Engagement darf nicht nur als „Solidarität unter Freunden“ eingesetzt und ge-nutzt werden. Den sozial ungleich verteilten Chancen zur Beteiligung am bürgerschaftlichen Engagement gilt es entgegenzutreten.

Die in jüngster Zeit in den Bereichen Staat und Markt konzipierten Altersbilder und Altersrollen erscheinen im Lichte der Zivilgesellschaft verkürzt. Im zivilgesell-schaftlichen Kontext stehen Pluralisierung, Individuali-sierung und BiografiIndividuali-sierung des Alters stärker im Blick-punkt, ebenso wie die Relativierung festgeschriebener Altersrollen und das Bestreben, neue Engagementkultu-ren zu entwickeln. Auch dürften die individuell hervorge-brachten Altersbilder nicht deckungsgleich sein mit syste-misch hervorgebrachten Altersbildern. Eine Differenz ist hier nötig, weil durch sie ein Unterschied von Selbst- und Fremdbestimmung wahrgenommen werden kann. Für den Diskurs über neue Altersbilder in der (Zivil-)Gesellschaft entsteht hieraus ein wichtiger Impuls. Etwas Neues aus seinem Alter zu machen, ist vor allem die Entscheidung des älter werdenden Individuums. Dafür Ermöglichungs-räume zu schaffen, ist die Aufgabe der sich derzeit dem Alter als produktive Kraft mehr als je zuvor in der Ge-schichte zuwendenden Systeme Staat, Markt und Zivilge-sellschaft.

Die zivilgesellschaftlichen Bedeutungszuschreibungen des Alters sind umfassender und offener als die Zuschreibun-gen in den anderen gesellschaftlichen Sektoren. Sie erlau-ben Rollenerkundung, Rollenexploration, Rollenüber-nahme und selbstbestimmte Rollenfindung älterer Menschen. Die zivilgesellschaftlich geprägte Daseinsge-staltung findet vor allem in individualisierten Altersbil-dern ihren Ausdruck. Zum Beispiel sind Begegnungen mit Menschen mit Demenz nicht auf natürliche Weise hierarchisch und deshalb herabsetzend strukturiert. Viel-mehr entstehen im gemeinschaftlichen zivilgesellschaftli-chen Handeln die Altersbilder aus der Interaktion zwischen den anwesenden Individuen. Wenn sich Ange-hörige unterschiedlicher Generationen in Initiativen be-gegnen, können sich im Zuge dieser Begegnungen, des Austauschs und des gemeinsamen Handelns neue Alters-bilder herausbilden.

4.6 Zivilgesellschaft als Zukunftskonzept Der demografische Wandel bringt für jeden Einzelnen und jede Einzelne die Aussicht auf ein langes Leben mit sich. Diese Veränderung fordert zur Herausbildung neuer, differenzierter Altersbilder heraus. Inwieweit lassen sich diese gesellschaftlichen Veränderungsprozesse und Auf-gaben mit zivilgesellschaftlichen Konzepten und Ent-wicklungen verknüpfen?

John Keane (2009) stellt Verbindungslinien zwischen der Thematisierung des Alterns in der Kunst und beginnen-den zivilgesellschaftlichen Diskursen über das Alter her.

Beides, die Themensetzung in der Kunst und die

zivilge-sellschaftlichen Diskurse, rücken Ältere vom Rand in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Aufmerksamkeit. Die Zi-vilgesellschaft als „das Etwas“ zwischen Markt und Staat, als die Welt selbstorganisierter Initiativen, Bewegungen, Netzwerke und Organisationen, ist durch einen Tätigkeits-typus charakterisiert, der weder den Koordinaten des Marktes noch den Gesetzmäßigkeiten staatlicher Verwal-tung folgt. Er besitzt eine eigene Logik: die der Freiwil-ligkeit, der Selbstorganisation, der Anerkennung von Vielfalt und Differenz, der Ehrenamtlichkeit, des partiku-laren, aber gemeinsamen und verantwortlichen Einsatzes für allgemeinere Dinge, für das gemeine Wohl (Kocka und Brauer 2009: 175). Aus dieser Sicht erscheint das zi-vilgesellschaftliche Projekt zu einer großen Hoffnung des 21. Jahrhunderts zu werden (Kocka 2004), gerade wenn der Markt nicht als Lösung, sondern als Ursache vieler Probleme gesehen wird und die Grenzen des vor- und nachsorgenden Sozialstaats erkannt werden.

Nun verspricht aber das Konzept der Zivilgesellschaft auch kein Paradies auf Erden. In jedem Fall aber eröffnet die Zivilgesellschaft – verstanden als die Welt der auf Frei-willigkeit beruhenden Selbstorganisation von Bürgerinnen und Bürgern – bedeutungsvolle Handlungsspielräume und leistet wichtige Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Ohne zivilgesellschaftliche Dynamiken und Aktivitäten lassen sich Zukunftsprobleme und Herausfor-derungen in einer alternden Gesellschaft nicht bewältigen.

Eine solche Einsicht verändert Erwartungen an Markt und Staat und birgt Implikationen für Politikgestaltung ebenso wie für die individuelle Lebensführung. Eine Gesellschaft des langen Lebens ist auf die Aktivitätspotenziale von äl-teren Menschen angewiesen und hat Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass zivilgesellschaftliches Engage-ment für ältere Menschen entstehen kann. Dabei kann und darf bürgerschaftliches Engagement nicht als Geldspar-programm funktionalisiert werden. Demokratisch ver-fasste Gesellschaften brauchen eine zivilgesellschaftliche Infrastruktur von Vertrauen und bürgerschaftlichem Enga-gement als Basis für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung.

Wie mit den komplexen und vielfältigen Folgen des demo-grafischen Wandels in der demokratischen Gesellschaft umgegangen wird, wie der demografische Wandel gestal-tet wird, das ist in einer Zivilgesellschaft eingebunden in einen kritischen Dialog. Zivilgesellschaft fordert soziale Rechenschaft von Staat und Marktakteuren; sie erfordert auch Strategien zur Unterstützung derjenigen Bevölke-rungsgruppen, die von Ausgrenzung bedroht sind. Zivilge-sellschaft grenzt nicht aus; sie eröffnet gerade auch älteren Menschen Möglichkeiten der Beteiligung und des Han-delns und nutzt so ihre Aktivitätspotenziale, und zwar jen-seits von marktbezogener Erwerbsarbeit, privaten und fa-miliären Orientierungen und jenseits von Konsum und untätigem Ruhestand.

Um all dies leisten zu können, muss Zivilgesellschaft ent-wickelt und ausgebaut werden, etwa durch eine kommu-nale Infrastruktur, die Engagement ermöglicht und för-dert. Zur Stärkung der Zivilgesellschaft trägt auch die Förderung solcher politischer Leitbilder bei, die

Mitge-staltung und Mitwirkung als prägendes Element der All-tagskultur betonen und mit denen der ungleichen Vertei-lung von Beteiligung an Formen bürgerschaftlichen Engagements entgegengewirkt wird. Ein Pflichtjahr für Senioren und Seniorinnen ist kontraproduktiv: Zivilge-sellschaft lebt von der Selbstorganisation, von der Selbst-und Mitverantwortlichkeit von Bürgerinnen Selbst-und Bürgern und von deren Einsicht in die Notwendigkeit und in die Chancen der Mitgestaltung einer Gesellschaft im demo-grafischen Wandel. Eine funktionierende

Zivilgesell-schaft setzt voraus, dass die Verantwortung für die Stabi-lisierung bürgerschaftlichen Engagements in der älteren Bevölkerung (und damit verbunden auch die Stärkung des produktiven Alterns) nicht allein den Bürgerinnen und Bürgern übertragen wird. Der Staat darf sich nicht entziehen, sondern muss unterstützen – durch die Bereit-stellung einer staatlichen und kommunalen Infrastruktur und zielgruppenspezifischer Anspracheformen für die Bevölkerungsgruppen, die bislang kaum Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement finden.

5 Altersbilder in Bildung und Weiterbildung Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Leitkonzepts Lebenslanges Lernen sind Alter und Äl-terwerden zentrale Themen der Bildungspolitik. Die Auf-merksamkeit von Bildungsträgern und Bildungsforsche-rinnen und -forschern sollte dabei nicht nur auf der viel diskutierten Weiterbildung älterer Arbeitnehmer und Ar-beitnehmerinnen liegen, sondern muss sich auch auf die nicht mehr erwerbstätigen älteren Menschen beziehen.

Die Kreativität und Innovationsfähigkeit älterer Arbeit-nehmer und ArbeitArbeit-nehmerinnen, Beteiligungschancen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, die Mög-lichkeit für hoch betagte Menschen, durch Bildung und Training selbstständig und autonom handlungsfähig zu bleiben – all dies sind vor allem bildungspolitische He-rausforderungen. Der Bildungspolitik sind diese Heraus-forderungen und Themen zwar durchaus bekannt, es kommt jedoch darauf an, die gerontologischen, pädagogi-schen und psychologipädagogi-schen Erkenntnisse konsequent auf-zugreifen und so auch aus bildungspolitischer Perspektive einen notwendigen Mentalitätswandel in einer Gesell-schaft des langen Lebens zu unterstützen.

In diesem Kapitel wird nach den im Bereich der Bildung wirksamen Altersbildern gefragt. Der Zusammenhang von Altersbildern und Bildung hat dabei eine individuelle und eine institutionelle Dimension. Einerseits hängen Bil-dungsinteressen, Bildungsmotivation und die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen in hohem Maße von individuel-len Altersbildern ab: Zum Beispiel partizipieren Personen mit positiven Altersbildern häufiger an Bildungsangebo-ten als Personen mit negativen Altersbildern, sie stützen damit ihre berufliche und soziale Integration sowie ihre kulturelle und politische Partizipation. Andererseits er-scheinen Altersbilder als organisationale Deutungsmus-ter, die in den Bildungsinstitutionen wirksam sind und die in entsprechenden institutionellen Regelungen – bei-spielsweise im Hinblick auf den Zugang zu Bildungsmaß-nahmen – ihren Ausdruck finden. So gehört es zu den alarmierenden Ergebnissen der international vergleichen-den Bildungsforschung, dass in Deutschland (anders als etwa in skandinavischen Ländern) das Angebot an allge-meiner und beruflicher Weiterbildung, die sich an ältere Menschen richtet, immer noch recht klein ist. Das Be-wusstsein dafür, dass auch im Alter ein hohes Maß an Lern- und Veränderungskapazität besteht und dass sich auch ältere Menschen auf neue soziale Rollen einstellen müssen, ist in den Bildungsinstitutionen noch nicht hin-reichend präsent. Bildungseinrichtungen werden künftig verstärkt ältere Menschen als kompetente, mitverantwort-lich handelnde Bürgerinnen und Bürger ansprechen müs-sen.

Bildung wird in diesem Beitrag in der Lebenslauf-perspektive behandelt (Abschnitt 5.1.3). Der Blick auf die gesamte Bildungsbiografie zeigt, dass bildungspolitische Interventionen in verschiedenen Handlungsfeldern statt-finden sollten. Dabei sind jeweils unterschiedliche Di-mensionen von Altersbildern relevant. Die Prävention im frühen Lebensalter (Abschnitt 5.3) thematisiert Altersbil-der vor allem als individuelle Determinanten des

lebens-weltlichen Nahbereichs, im späteren Jugend- und Er-wachsenenalter hingegen werden Altersbilder eher als kollektive Deutungsmuster und als Ausdruck institutio-neller Regelungen gesehen (Abschnitt 5.2). Die Themen Gesundheit und Bildungsintervention (Abschnitt 5.4), Le-benslanges und informelles Lernen (Abschnitt 5.1.4) so-wie intergeneratives Lernen (Abschnitt 5.1.5) adressieren hingegen stärker Altersbilder als Elemente der sozialen Praxis sowie als individuelle Vorstellungen und Überzeu-gungen. Bildungspolitik gewinnt dabei über die Befähi-gung zum selbstverantwortlichen Leben ihre Bedeutung.

Schließlich sind Altersbilder im Zusammenhang mit der betrieblichen Weiterbildung (Abschnitt 5.5) als Ausdruck institutioneller Regelungen und damit als kollektive Deu-tungsmuster angesprochen. Die gesellschaftliche Verant-wortung für die bildungspolitische Hebung von Potenzia-len scheint freilich bei alPotenzia-len Aspekten durch.

5.1 Bildung im Alter: Merkmale, Prozesse und