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Altersbilder seit dem frühen 20. Jahrhundert

3.1 Historische Perspektiven auf Altersbilder

3.1.2 Altersbilder seit dem frühen 20. Jahrhundert

Prägnante Veränderungen gingen zunächst von der Sport-bewegung aus, welche die kulturellen Körpercodes radikal umschrieb und ein neues Körperbild zum Ideal erhob, das in scharfem Kontrast stand zu den Körperformen und Fä-higkeiten der alten Menschen. Die mit der Sportbewegung verbundenen neuen Körpernormen haben das Alter zu-sätzlich in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen.

Schon vor dem 20. Jahrhundert war der menschliche Körper in zunehmendem Maße zum Forschungsobjekt von Naturwissenschaftlern, Medizinern und Hygienikern geworden, die alle seine Funktionstüchtigkeit und Leis-tungsfähigkeit überwachen und verbessern wollten. Spä-testens seit den Tagen der Lebensreformbewegung um die Jahrhundertwende hatten viele Experten den Körper des Menschen fest im Griff und begannen, ihn systematisch zu kontrollieren, zu bearbeiten und umzuformen. Sie sahen sich in ihrem Tun bestärkt durch die gleichzeitig

entstan-dene Jugendbewegung, welche die Erneuerung der Gesell-schaft auf ihre Fahnen geschrieben hatte, indem sie die junge Generation zu einer selbstverantwortlichen und kör-perbetonten Lebensführung ermunterte. Berauscht von ei-nem ästhetisierenden Jugendmythos beschworen seine Propagandisten eine bessere Zukunft. 1896 und 1897 ver-öffentlichte der Münchener Verleger Georg Hirth auf den Titelseiten der von ihm neu herausgegebenen Zeitschrift

„Jugend“, die dem Jugendstil seinen Namen gab, zwei Zeichnungen, welche diese Abwertung des Alters und die Aufwertung der Jugend zum Thema hatten. Auf der einen packen zwei junge Frauen einen alten Mann am Arm und schaffen ihn als Leichtgewicht mühelos hinweg. Auf der anderen folgt eine endlose Schlange alter Männer und Frauen einer Flöte spielenden jungen Frau, ebenso wie die Ratten und Mäuse von Hameln blindlings dem dortigen Rattenfänger in den Fluss und damit in den Untergang ge-folgt waren (Borscheid 1992). Wenige Jahre später zeich-nete Hirth in der „Jugend“ unmissverständlich das neue Leitbild des 20. Jahrhunderts: „Wir lernen nie aus, jedoch noch wichtiger als das schulmeisterliche Lernen ist auch für die Aeltesten die unablässige Pflege des Willens zur Jugend […]“ (Hirth 1903: 253). Jugend- und Lebensre-formbewegung trugen wesentlich bei zu einer gewandel-ten Einstellung zum menschlichen Körper, die verbunden war mit einem neuen Körperbild.

Während des allgemeinen Modernisierungsschubs nach dem Ersten Weltkrieg verbreiteten zudem Publizisten in Romanen, Essays, populärphilosophischen Abhandlun-gen und Sporttexten zukunftsweisende Konzepte, die sich in erster Linie an der US-amerikanischen Industriegesell-schaft mit Taylorismus, Fordismus und Massenkonsum orientierten. Sie präsentierten neue kulturelle Muster zur Bewältigung der veränderten lebensweltlichen Bedingun-gen, darunter auch Konzepte für eine neue Körperlich-keit, die sie mit Vorliebe aus der Welt des Sports bezogen.

Dieser war seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als Leistungs- und Rekordsport zu einer Massenbewegung aufgestiegen und ließ die alten Leibesübungen eines Turnvaters Jahn bereits als antiquiert erscheinen. Die ur-bane Gesellschaft investierte gewaltige Summen in den Aufbau von Infrastruktur, Institutionen und Organisatio-nen des Leistungssports und feierte die Sieger als Heroen, zumal diese genau denselben Zielen und Regeln folgten wie die Akteure in der industriellen Welt: schneller, wei-terer, höher beziehungsweise produktiver und erfolgrei-cher. Als Freizeitbeschäftigung wurde Sport zwar als ein Stück aktiver Lebensgestaltung und Befriedigung jenseits der Arbeitswelt verstanden, doch zugleich war er mit sei-nen Organisationsformen und seinem überwältigenden Lob von Schnelligkeit und Rekord auch ein Abbild dieser technisch-bürokratischen Leistungswelt, wie umgekehrt die Sieger und Siegerinnen mit ihren Körperformen zu Vorbildern für die Arbeits- und Lebenswelt wurden.

Die Gestalt des Sportlers stieg innerhalb kurzer Zeit zum Prototyp des modernen Menschen auf. Nach Ansicht der Meinungsmacher ließ sich ein den Prinzipien des Leis-tungssports unterworfener Körper reibungslos und mit Spitzenergebnissen in die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der modernen Industriegesellschaft einpassen. Sportler

wurden unter den veränderten Bedingungen mit ihren schlanken Körpern zuerst zu Vorbildern für alle, die von den neuen Lebensbedingungen am meisten profitierten:

die städtischen Mittel- und Oberschichten, vor allem die Aufsteiger aus den freien Professionen und die Angestell-ten. Diese verwandten fortan viel Zeit und Geld für Kör-perpflege und Mode und präsentierten der Öffentlichkeit ihre vorteilhaft gestalteten Körper, die Dynamik, Aus-dauer, Gesundheit, Gestaltungswillen, Selbstbeherrschung und Wissen signalisierten. Sie setzten ihre Körper als kul-turelles Kapital ein. „Jugendmensch“ wurde zu einem Adelsprädikat, das fast jeder erwerben konnte, nur nicht die von lebenslanger harter Arbeit deformierten Älteren.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts scheint der Körper frei modellierbar und zwar durch eine bewusste „Arbeit am Leib“ und durch ein „zähes Ringen um den Leib“ (Reuter 1986: 408). Der Körper scheint seitdem nicht mehr als Schicksal und unveränderbar von Gott oder der Natur ge-geben, sondern er wird zur lebenslangen Aufgabe. Der moderne Mensch wird zum „Unternehmer seines eigenen Lebens“ (Foucault 2004: 314). Jugend und jugendlich scheinende Körper wurden zum Inbegriff für Leistung und Aktivität, Alter und altersgraue Körper dagegen zum Syn-onym für Schwäche und Rückschritt. Den alternden Kör-pern haftet seitdem Unsportlichkeit wie ein sozialer Makel an. Die betonte Glorifizierung des athletischen, jugendli-chen Körpers ließ das Älterwerden als doppelt störend er-scheinen. Das Primat der Jugendlichkeit verstärkte indi-rekt die negativen Ansichten vom Alter. Alterszeichen wucherten zu einem von der Norm abweichenden Makel.

Alter schien gleichbedeutend mit altmodisch, rückständig, träge und lendenlahm.

Die von der Sportbewegung herkommenden Körperbilder fanden in der Zwischenkriegszeit, als die Massenmedien endgültig zu Großversorgern von Lebensentwürfen ge-worden waren, eine rasche und weiträumige Verbreitung.

Die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht hatte das Analphabetentum inzwischen zurückgedrängt, und seit der Jahrhundertwende war es zudem möglich, Drucker-zeugnisse mit Fotos zu illustrieren und dem Leser so eine neue Dimension von Authentizität zu vermitteln. Speziell die Modefotografie und die Werbung sorgten mit Hilfe von Illustrierten und Plakaten für eine massenhafte Verbrei-tung der neuen Körperbilder, wenig später auch der Spiel-film, der mit seinen künstlich geschaffenen Leinwandido-len die Attraktivität dieser Körperformen weiter steigerte.

Während sich zuvor die Altersbilder an der Realität orien-tierten, fungierten spätestens seit der Weimarer Republik die zum Teil künstlich erzeugten Medienbilder als Vorla-gen. Die Bedeutung eines muskulösen, jugendliche Fri-sche ausstrahlenden Körpers nahm proportional zu Zahl und Qualität der Abbildungen zu. Der Nationalsozialismus hat diesen Körperkult alsbald für seine Zwecke instrumen-talisiert und dem athletischen Körper in den Medien zu Omnipräsenz verholfen mit dem Höhepunkt während der Olympischen Spiele 1936. Leni Riefenstahl bannte den Auftritt der Olympiakämpfer als „Fest der Schönheit“ auf Zelluloid, stellte Kraft, Eleganz und Macht anhand mus-kulöser Körper dar und idealisierte Menschen von makel-loser Schönheit als die besseren Geschöpfe.

Die Werbung nutzte die Glorifizierung des jugendlichen Körpers für ihre Zwecke und ließ in Zeitungen, Illustrier-ten und an den Häusergiebeln ganze Heerscharen glück-strahlender junger Menschen aufmarschieren. Sie lockte als Reaktion auf das inzwischen vermehrt geäußerte ge-sellschaftliche Unbehagen am Altern und Altsein mit im-mer neuen Verjüngungsmitteln, obwohl gerade diese Ver-sprechungen recht schnell in Enttäuschungen endeten. Die neuen Plakate und Werbeanzeigen, die sich dem großstäd-tischen Tempo anzupassen suchten und im Telegrammstil die Bevölkerung ansprachen, übermittelten ihre Botschaf-ten inmitBotschaf-ten der Hetze der Großstadt mit wenigen reinen Farben, einer klaren Typografie sowie einfachen, schlan-ken Körperformen, die ohne alle Worte Dynamik aus-strahlten. Die Werbemacher modellierten ganz im Sinne der sich am Horizont abzeichnenden Konsumgesellschaft immer neue Leitbilder, die stetig schöner und jugendfri-scher wurden. Sie verkündeten unausgesprochen, dass vor allem die jungen Frauen an ihrem Aussehen zu arbeiten hatten, um ihr Wohlbefinden zu perfektionieren, dass jeder Mann und jede Frau ihre Körper immer noch stärker oder schöner machen konnten, sieht man von den Alten ab.

Der Aufstieg des olympiareifen Körpers als Idealgestalt auf die oberste Stufe des Siegerpodests ging einher mit ei-nem Aufsehen erregenden Verjüngungsdiskurs − ebenso Ausdruck des zunehmenden Unbehagens am Alter. Zwei Richtungen standen sich dabei gegenüber, von denen jede auf unterschiedlichen Wegen – auf „natürliche“ und „un-natürliche „Weise“ – eine zweite Jugend versprach. Die eine Richtung propagierte die Stärkung der „natürlichen“

Kräfte durch Diät, Gymnastik und Abstinenz, die andere sah in Mode, Kosmetik und Chirurgie die wahren Heils-bringer. Der Ahnherr der Hormontherapie, der Neurologe und Physiologe Charles Edouard Brown-Séquard (1817–1894), hatte mit seinen Selbstversuchen gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch relativ wenig von sich re-den gemacht, als er sich eine Mixtur aus zerstampften tie-rischen Hoden unter die Haut spritzte. Dagegen produ-zierten der Wiener Physiologe Eugen Steinach (1861–1944) und der in Paris lehrende russische Arzt Serge Voronoff (1866–1951) unübersehbare Schlagzeilen und brachten es mit ihren Verjüngungsoperationen in den 1920er Jahren sogar auf die Leinwand. Steinach löste ab 1920 in der Presse wahre Begeisterungsstürme aus, als er versicherte, mit seinen Experimenten an Ratten und Meerschweinchen zu einer „Verjüngung durch experi-mentelle Neubelebung der alternden Pubertätsdrüsen“

beizutragen. In „Westermanns Monatsheften“ war darauf-hin zu lesen: „Die Verjüngungskur, der Stein der Weisen, dessen Wunderwirkung die Alchimisten vergebens such-ten, scheint gefunden zu sein“. Voronoff verkündete 1928 unter dem programmatischen Titel „Die Eroberung des Lebens“, die Gesellschaft habe die angeblichen Freuden des Alters lediglich erfunden, um die Menschen über ih-ren körperlichen und geistigen Verfall hinwegzutrösten.

Er schlug vor, „gegen das Altwerden vorzugehen wie ge-gen eine Krankheit“ und das biologische Naturgesetz zu überlisten. Er wie andere traten wie wahre Wunderheiler auf und versprachen eine Straffung der Muskulatur, Ver-schärfung der Sinne, Heilung von Herzleiden und eine

Wiederbelebung des Sexuallebens – kurz: eine erneute Jugend. Glaubt man den Berichten der Verjüngungsärzte, dann wurden in dem Jahrzehnt nach dem Ersten Welt-krieg Tausende von Eingriffen vorgenommen (Schroeter 2008; Stoff 2004).

Zeitgleich und als medizinische Alternative zu den Ver-jüngungstherapien und -operationen sagten andere Medi-ziner mit Hilfe der Eugenik der oftmals beschworenen

„Überalterung“ der Gesellschaft sowie dem altersbeding-ten Leistungsabbau den Kampf an. Auch ihr Ziel war un-ter anderem die Züchtung gesunder, leistungsstarker und leistungsbereiter Greise, indem sie kräftige und potente junge Männer und Frauen zum Zeugungsakt zusammen-führten. Der Rostocker Kliniker Friedrich Martius meinte im Jahre 1911 trotz seiner Skepsis gegenüber dem rassen-hygienischen Paradigma, dass allein der geistig und kör-perlich rüstige Greis als gesellschaftlich wertvoll gelten könne, während der senile Alte ein nutzloser Schädling sei.

Spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte der weitere Weg der Mediziner zur Hormonthera-pie und damit auch von der Verjüngung des Mannes zur Verjüngung der Frau (Stoff 2004). Er führte weg von ei-ner Utopie und hin zur Behandlung von spezifischen Al-terskrankheiten. Die Anti-Aging-Medizin erscheint als eine aktive Vorsorge, in gewisser Weise sogar als ein neuer Lebensstil, mit dem der einzelne Mensch unter ärztlicher Betreuung versucht, die negativen Begleiter-scheinungen des Alterns frühzeitig zu reduzieren und den Tod hinauszuzögern. Diese Technologie ist Ausdruck ei-ner „medikalisierten Alternssicht“, welche die Verant-wortung der Lebensführung dem Individuum überträgt, wobei Selbstdisziplin und Körperkontrolle als gesell-schaftliche Normen wirken (von Kondratowitz 2003).

Dagegen lehnten schon an der Wende zum 20. Jahrhundert die Vertreter und Vertreterinnen der so genannten „natürli-chen Verjüngung“ alle derartigen Eingriffe und Manipula-tionen durch Chirurgie und „Rassenhygiene“ ab. Ihr Ziel hieß nicht Verjüngung, sondern „Aufhalten des Alterns durch natürliche Mittel, Neubelebung und Wiedergesun-dung unseres durch die Kultur der Städte und die falsche Lebensweise geschwächten Körpers“ (Höfer-Abeling 1922: 50). Sie strebten danach, den Körper mit Hilfe von Diät, Gymnastik und Abstinenz zu stärken und ihn von sei-nen kulturellen Verformungen zu befreien. Während die

„künstliche Verjüngung“ Ausdruck der technikbegeister-ten Moderne war, verfolgte die „natürliche Verjüngung“

ein demonstrativ anti-modernes Programm. Auf ähnliche Ziele steuerte die Lebensreformbewegung mit ihrem „Zu-rück zur Natur“ zu. Aber alle diese Gruppierungen, die eine „natürliche Verjüngung“ durch eine veränderte Le-bensweise anstrebten, waren mit ihrem Körperkult eben-falls Ausdruck eines „Kulturkampfes“ der Jungen gegen die Alten.

Die Verherrlichung der Jugend und die Missachtung bis Verhöhnung des Alters mündeten in dem von immer mehr Menschen gehegten Wunsch, die mittlere Lebensphase zu verlängern. Eine jugendzentrierte Gesellschaft mit ihren vielgestaltigen Jugendbewegungen machte sich daran,

möglichst lange dem vorherrschenden Ideal zu entspre-chen und sich durch Tarnung mit einem jugendlientspre-chen Äu-ßeren vor einer altersfeindlichen Umwelt zu schützen.

Diese Entwicklung führte längerfristig dazu, dass heute auch das Bild der „neuen Alten“ Aktivität auszustrahlen hat. Auch ihre Körper sollen geschmeidig, weiterhin ge-staltbar und formbar sein. Die Ethik der Geschäftigkeit, von der die heutige Konsumgesellschaft durchdrungen ist, sowie die heute gültigen Konventionen, die Aktivität, Ge-sundheit und Unabhängigkeit verlangen, beziehen auch den Körper der Älteren mit ein.

Da aber der Gang zum Chirurgen und zur Chirurgin für die meisten zu kostspielig und der Gang auf den Sport-platz zu anstrengend oder eine Korrektur des Körpers von vornherein zwecklos ist und war, entschieden sich bereits in der Zwischenkriegszeit viele für das kostengünstigste und bequemste Mittel, nämlich die Maskerade mit Hilfe von Stoff, Schminke und Farbe, so wie es Frauen aus den obersten Gesellschaftsschichten schon seit Jahrhunderten vorexerziert hatten. In der Zwischenkriegszeit, als sich die spätere Massenkonsumgesellschaft mit billiger Klei-dermode bereits am Horizont ankündigte, gingen weibli-che Angestellte in den Städten als Erste diesen Weg. Sie hatten bereits in jüngeren Jahren während des Kaiser-reichs zu Kosmetika gegriffen und deren positive Wir-kung für das Selbstwertgefühl schätzen gelernt. Mit dem Älterwerden benutzten sie die Mittel der Maskerade dazu, die von der städtischen Gesellschaft fortan immer weni-ger akzeptierten Erscheinungen des Alters zu verdecken und sich selbst vor möglichen gesellschaftlichen Aus-grenzungen zu schützen. Sie fingen an, den außer Kon-trolle geratenen Körper durch Kleidung und Schminke, bisweilen auch schon durch Ernährung zu bearbeiten, um gut auszusehen und sich wohlzufühlen. Simon Biggs (2004) weist darauf hin, dass derartige „taktische Manö-ver“ durchaus helfen, eine Lösung zu finden für die Wi-dersprüche zwischen der in der Gesellschaft vorhandenen Altersdiskriminierung und dem persönlichen Wunsch nach Integration in die Gesellschaft. Die Maskerade un-terstützt die Aufrechterhaltung einer stabilen Identität im Alter.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Altersmaskerade nur sehr zögernd zur Anwendung – keinesfalls in der ländli-chen Welt, kaum einmal im Arbeitermilieu der Städte, eher schon im aufstrebenden städtischen Bürgertum. Männer versteckten ihr Alter noch nicht unter einer Maske, ledig-lich Frauen, die damit zu Vorreiterinnen einer Entwicklung wurden, die seit Anfang der 1960er Jahre auch von älteren Frauen allgemein akzeptiert und vermehrt praktiziert wurde. Noch 1949 hatte Simone de Beauvoir im Alter von 40 Jahren mit Blick auf ihre französischen Mitbürgerinnen kritisiert, dass ihr Kampf, „dem Verfall jenes fleischlichen Objekts“ mit gefärbtem Haar, glatt rasierten Beinen und Schönheitsoperationen entgegenzuwirken, lediglich „ihre verblühende Jugend“ hinauszögere und sie sich nur noch im Spiegel etwas vormachen könnten (de Beauvoir 1972).

Sie konnte nicht voraussehen, dass sich vom ausgehenden 20. Jahrhundert an auch Männer der Kosmetik bedienen würden. Dennoch scheint es auch heute vor allem bei Frauen Unzufriedenheiten mit dem eigenen äußeren

Er-scheinungsbild zu geben. Glaubt man entsprechenden For-schungen, dann gründen Frauen ihre Identität stärker als Männer auf den Körper, zumal Mädchen von Kindheit an erfahren, dass sie von anderen vor allem ästhetisch beur-teilt werden.

Die Maskerade fand gegen Ende des 20. Jahrhunderts all-gemein Verbreitung und war eine neue Form des Alters-managements. Zuvor hatten die Mitmenschen vor allem im ländlichen Raum erwartet, dass sich Ältere durch Symbole des Alters wie graue Haare, faltige und alters-pigmentierte Haut oder Gehstock gegenüber ihrer Um-welt auch als alt auswiesen. Für die Älteren war es bis da-hin leichter und psychosozial „kostengünstiger“, sich diesen Erwartungen anzupassen, wobei diese Rollener-wartungen von den Menschen verinnerlicht und inkorpo-riert wurden. Der alte Mensch fügte sich, indem er diese gesellschaftlichen Fremdbilder in sein Selbstbild inte-grierte. In der postmodernen Gesellschaft dagegen haben sich die ehemals klar markierten Altersstufen und die da-mit verbundenen Erwartungshaltungen zunehmend ver-wischt – mit Auswirkungen auf die Lebensführung und Identität im Alter. Lebensstile des mittleren Lebensalters werden in die spätere Altersphase ausgedehnt, und die Alten rücken als wichtige Konsumenten zunehmend ins Visier der Werbemacher. Insgesamt hat sich heute bereits ein Lebensstil herausgebildet, der die Lebensmitte zum Maßstab nimmt, bei dem die Kinder den Erwachsenen immer ähnlicher werden und die Erwachsenen den Kin-dern, bei dem eine Nivellierung der Generationsmerk-male stattfindet und bei dem über allem und allen ein uni-verselles Jugendlichkeitsideal thront.

Bei der Bewertung der verschiedenen Körperstrategien, die während des 20. Jahrhunderts bis heute zur Anwen-dung kamen, haben sich als Folge der feministischen Dis-kussion zu diesem Thema zwei Lager herausgebildet. Die eine Seite kritisiert die auf die Schönheit ihres Körpers be-dachten Frauen als Opfer eines falschen Bewusstseins, wäh-rend die andere Seite diese Verschönerungsbemühungen als ein frei gewähltes und bewusstes Handeln interpretiert.

Letztere sehen darin ein „Medium der Kommunikation“, das der „Inszenierung der eigenen Außenwirkung“ dient, um auf sich aufmerksam zu machen und die eigene Iden-tität zu sichern (Degele 2004: 10). Sie glauben, dass ein gutes – und das heißt den jeweiligen Standards angepass-tes Aussehen – in der Gesellschaft als soziale Währung eingesetzt werden kann.

In unserer modernen Konsumgesellschaft sind auch die älteren Menschen in Fortführung ihres bisherigen Le-bensstils von einem stetigen Verlangen nach Konsum und Teilhabe an den modernen Zivilisationsgütern geleitet.

Wenn nunmehr ältere Menschen von der Werbung, den Medien, Ärzten und Ärztinnen und Gerontologen und Gerontologinnen dazu ermuntert werden, sich nicht nur jugendlich zu kleiden und jung auszusehen, sondern auch Sport zu treiben, Geschlechtsverkehr zu haben, auf Ur-laubsreise zu gehen und ihren Lebensstil der Generation ihrer Kinder anzugleichen, dann erfordert dies ein verän-dertes Identitätsmanagement im Alter. Es erscheint damit zwar als eine postmoderne Strategie, die mit dem Altern

einhergehenden körperlichen Veränderungen als kulturell auferlegte Altersmaske zu interpretieren. Der Preis dieser Strategie besteht jedoch darin, die persönliche Identität zugunsten einer äußerlich legitimierten zu verleugnen. In einer Kultur, die das Alter entwertet, ist eine solche Mas-kerade daher immer auch Ausdruck der Ablehnung des Alters; sie ist Ausdruck einer Strategie, das Alter überlis-ten und auslöschen zu wollen.

Das 20. Jahrhundert hat zahlreiche Möglichkeiten dafür entwickelt, dass Junge wie Ältere dem neuen Körperideal entsprechen können. Die meisten Menschen haben sich aufgrund der damit verbundenen vielgestaltigen Kosten immer nur für einen Teil dieser Angebote entschieden, und dies wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Die so genannte Schönheitschirurgie findet heute trotz zuneh-mender Akzeptanz die geringste Anwendung. In weitaus höherem Maße setzen die Menschen auf Sport und Gym-nastik, während Mode und Maske eindeutig dominieren und zwar nicht nur in der Stadt, sondern auch in den länd-lichen Gemeinden. Erstmals in der Geschichte kann ein Großteil der deutschen Bevölkerung seit dem

Das 20. Jahrhundert hat zahlreiche Möglichkeiten dafür entwickelt, dass Junge wie Ältere dem neuen Körperideal entsprechen können. Die meisten Menschen haben sich aufgrund der damit verbundenen vielgestaltigen Kosten immer nur für einen Teil dieser Angebote entschieden, und dies wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Die so genannte Schönheitschirurgie findet heute trotz zuneh-mender Akzeptanz die geringste Anwendung. In weitaus höherem Maße setzen die Menschen auf Sport und Gym-nastik, während Mode und Maske eindeutig dominieren und zwar nicht nur in der Stadt, sondern auch in den länd-lichen Gemeinden. Erstmals in der Geschichte kann ein Großteil der deutschen Bevölkerung seit dem