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Ansatzpunkte für eine Analyse von Altersbildern in

Mit der Formulierung des Auftrags an die Sechste Alten-berichtskommission wird der Tatsache Rechnung getra-gen, dass die Entwicklung und Verwirklichung der Poten-ziale des Alters für Wirtschaft und Gesellschaft wie auch der gesellschaftliche und individuelle Umgang mit Gren-zen im Alter in erheblichem Maße durch die

Wahrneh-mung und Deutung des Alters und des Alterns beeinflusst ist. Aus der wechselseitigen Abhängigkeit von individu-ellen Alternsprozessen und gesellschaftlichen Strukturen folgt auch, dass die für die verschiedenen gesellschaftli-chen Bereiche charakteristisgesellschaftli-chen Altersbilder prinzipiell veränderbar und zumindest in Grenzen gestaltbar sind.

Eine Reflexion von Altersbildern in verschiedenen gesell-schaftlichen Kontexten, die charakteristische, auf das Al-ter bezogene Meinungen, Überzeugungen, Bewertungen und Wissenssysteme mit Ergebnissen empirischer For-schung konfrontiert, ist deshalb im Hinblick auf die zu-künftige Gestaltung einer alternden Gesellschaft notwen-dig und sinnvoll.

Mit Blick auf die Politik ist festzustellen, dass der Grad der Sensibilität für Unterstützungsbedarfe, Kompetenzen und Teilhabemöglichkeiten älterer Menschen – und damit die Forderung und Durchsetzung spezifischer Maßnah-men – auch Altersbilder von Politikern und Politikerinnen widerspiegelt, die im Allgemeinen nicht expliziert und schon gar nicht Gegenstand einer kritischen Reflexion werden. Im Sechsten Altenbericht ist deshalb die Frage von Interesse, inwieweit der politische Diskurs der Viel-falt des Alters gerecht wird, inwieweit Potenziale und Grenzen akzentuiert, zum Teil auch instrumentalisiert werden. Zum Beispiel spiegelt die Forderung nach einer Rationierung im Gesundheitswesen ungerechtfertigte und unangemessene Altersbilder wider. Ein weiteres Beispiel ist ein Verständnis von Pflegebedürftigkeit, das individu-elle Unterstützungsbedarfe und Leistungsansprüche allein auf der Grundlage körperlicher Funktionstüchtigkeit fest-legt. Eine solche Gleichsetzung von Pflege mit körperli-cher Versorgung beruht auf einem reduktionistischen Al-ters- und Menschenbild, das das emotionale Erleben, die Bezogenheit auf andere und Möglichkeiten von Teilhabe vernachlässigt.

Im öffentlichen Diskurs über die Folgen des demografi-schen Wandels wird zunehmend argumentiert, dass es sich eine alternde Gesellschaft auf Dauer nicht leisten kann, auf die gezielte Nutzung von Potenzialen des Alters zu ver-zichten. Als ein Potenzial des Alters werden dabei häufig die im Durchschnitt vergleichsweise hohen materiellen Ressourcen älterer Menschen gewertet, deren Verwendung einen bedeutenden Impuls für die Wirtschaft darstellen kann. Doch die Potenziale des Alters für die Gesellschaft beschränken sich nicht auf die materiellen Ressourcen und deren Impuls für die Wirtschaft. Genauso wichtig sind die Potenziale des Alters für die Arbeitswelt. In der Arbeits-welt wird die Frage, wie das Humanvermögen älterer Menschen produktiv genutzt werden kann, eher ausge-blendet; bis heute werten zu wenige Unternehmen die Be-schäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie deren Qualifizierung und Angebote der Gesund-heitsvorsorge als eine wichtige, zukunftsorientierte Unter-nehmensstrategie. Stattdessen wird nach wie vor häufig die Befürchtung geäußert, dass die Alterung der erwerbs-tätigen Bevölkerung auf Dauer die Absatzchancen auf ei-nem globalisierten Markt gefährden und langfristig die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutsch-land beeinträchtigen wird. Diese Befürchtungen gründen auf der Annahme, dass zum einen ein Zusammenhang

zwischen dem Alter der Beschäftigten und den Lohnne-benkosten bestehe, und dass zum anderen ältere Arbeit-nehmer und ArbeitArbeit-nehmerinnen gegenüber jüngeren im Allgemeinen weniger kreativ und innovationsfähig seien.

Durch zahlreiche Studien ist heute gut belegt, dass derart pessimistische Szenarien nicht gerechtfertigt sind: Ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind nicht per se weniger, sondern anders leistungsfähig als jüngere. Verluste im Bereich der Sensorik oder der Informationsverarbei-tungsgeschwindigkeit können in der Regel durch Erfahrung kompensiert werden. Wenn Arbeitnehmer und Arbeitneh-merinnen die Möglichkeit haben, ihre Qualifikation durch kontinuierliche Fort- und Weiterbildung zu erhalten oder zu verbessern, wird sich eine Alterung der erwerbstätigen Bevölkerung nicht negativ auf die Produktivität der deut-schen Wirtschaft auswirken. Durch lebenslange, berufszogene Qualifizierung können Alternsprozesse positiv be-einflusst werden.

Die Selbstwahrnehmung von Arbeitnehmern und Arbeit-nehmerinnen und das Ausmaß der Teilhabe an betrieblicher Fort- und Weiterbildung spiegeln sich im Weiterbildungsin-teresse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und in ihrer Bereitschaft wider, bis zum Erreichen der Alters-grenze weiter zu arbeiten. Aus diesem Grunde erscheint eine kontinuierliche Investition in die Beschäftigungsfä-higkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als eine langfristige Strategie, mit der den Herausforderungen des demografischen Wandels auf dem Arbeitsmarkt nach-haltig begegnet werden kann. Inwieweit Betriebe zu einer solchen Investition bereit sind, hängt zum einen von der Konjunktur und den auf dem Arbeitsmarkt jeweils beste-henden Notwendigkeiten, zum anderen von Vorstellungen über den Verlauf von Alternsprozessen ab. Hier ist ent-scheidend, dass Betriebe zum einen auch bei älteren Be-legschaften die Potenziale sehen, neue Herausforderungen in der Arbeitswelt kompetent zu bewältigen und dass sie zum anderen Bildungs- und Gesundheitsangebote ma-chen, durch die diese Potenziale zur Innovation erhalten und entfaltet werden.

Mit der abnehmenden Anzahl von Personen im „beschäf-tigungsfähigen“ Alter wird es immer wichtiger, die Be-schäftigungsfähigkeit von Menschen im sechsten und siebten Lebensjahrzehnt zu erkennen und zu fördern. Vor dem Hintergrund der Alterung der erwerbstätigen Bevöl-kerung und der Betriebsbelegschaften steigt die Notwen-digkeit, von betrieblicher und gesellschaftlicher Seite die Voraussetzungen für den Erhalt der Beschäftigungsfähig-keit älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen. Zu diesen Voraussetzungen zählen lernförderli-che Arbeitsumgebungen für Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer aller Altersgruppen und spezifische Bildungs-maßnahmen für ältere Beschäftigte und Arbeitssuchende.

Die für die Beschäftigungspolitik für ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen relevanten gesetzlichen Bestim-mungen und Orientierungen müssen verlässlich sein.

Für die Analyse von Altersbildern im Sechsten Altenbe-richt ergibt sich die Aufgabe, zu untersuchen, welche Al-tersbilder in Unternehmen und in der Wirtschaft wirken, welche Altersbilder in den Unternehmen als Grundlage

für Entscheidungen genommen werden (z. B. in der Per-sonalentwicklung, der Produktpolitik oder der Werbung).

Dabei ist zu bedenken, dass einseitig negative Altersbil-der, die mit Alter primär das Festhalten an Vertrautem und fehlende Offenheit für neue Entwicklungen, für neue Produkte verbinden, die Wirtschaft daran hindern, poten-zielle Absatzmärkte zu erschließen. Das Wirtschafts-wachstum in einer alternden Gesellschaft hängt zuneh-mend davon ab, dass den Konsumbedürfnissen älterer Menschen angemessen Rechnung getragen wird und dass sie in ihrer Rolle als Kunden und Kundinnen gesehen werden.

Die prinzipielle Offenheit älterer Menschen für Innova-tionen – auch im Bereich der Technik – ist für Teilhabe durch die Nutzung neuer Medien von größter Bedeutung.

Die Fähigkeit, neue Medien effektiv nutzen zu können, ist gegeben. Entscheidend ist, dass ältere Menschen auch hier gezielt als Nutzer und Nutzerinnen angesprochen werden und dass bei der Oberflächengestaltung neuer Medien auf die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen geachtet wird.

Technische Innovationen und eine gestiegene Lebenser-wartung sind auch mit dem Risiko verbunden, dass in frü-heren Jahren ausgebildetes Wissen und erworbene Erfah-rungen veralten; die Vorstellung, man könne berufliche Bildungsprozesse ausschließlich auf einen frühen Ab-schnitt der Biografie konzentrieren, ist mithin nicht mehr zeitgemäß. Ebenso wie sich nachfolgende Generationen lebenslang weiterbilden müssen, sollten sich auch ältere Menschen für Bildungsangebote öffnen. Ältere Menschen verfügen heute über einen im Vergleich zu früheren Ko-horten höheren durchschnittlichen Bildungsstand sowie über eine im Durchschnitt höhere Vertrautheit im Um-gang mit Bildungsangeboten. Derart veränderte Bil-dungsbiografien gehen mit einer gesteigerten Lernfähig-keit im Alter einher. Damit sind die Voraussetzungen für lebenslanges Lernen auch bei älteren Menschen gegeben.

Pessimistische Szenarien zum demografischen Wandel vernachlässigen regelmäßig die „verborgenen“ schöpferi-schen Leistungen älterer Menschöpferi-schen. Ältere Menschöpferi-schen sind weit stärker für das Gemeinwohl engagiert als häufig angenommen wird, der Anteil der älteren Menschen, die ein selbst- und mitverantwortliches Leben führen, wird oft unterschätzt. Die im Fünften Altenbericht der Bundes-regierung vorgelegte Lageanalyse hat deutlich gemacht, dass durch das bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen erheblich zum Gelingen unserer Gesellschaft beigetragen wird. Empirische Untersuchungen zum Aus-tausch von instrumentellen und emotionalen Unterstüt-zungsleistungen in sozialen Netzwerken machen zweier-lei deutlich. Zum einen besteht bis ins sehr hohe Alter ein Gleichgewicht zwischen von anderen erhaltenen und durch andere gewährten Unterstützungsleistungen; zum anderen werden die von älteren Menschen benötigten Un-terstützungsleistungen häufig durch Angehörige der älte-ren Generation erbracht. Die Engagementbereitschaft äl-terer Menschen ist im Allgemeinen hoch. Die Tatsache, dass dies in der öffentlichen Diskussion nicht in ausrei-chendem Maße zur Kenntnis genommen wird, geht

da-rauf zurück, dass sich das Engagement älterer Menschen oft im privaten Bereich realisiert, der in Erwägungen zur Produktivität älterer Menschen eher unberücksichtigt bleibt.

Die Auswirkungen von Altersbildern auf die Gesundheit im Alter sind inzwischen durch mehrere empirische Stu-dien nachgewiesen. Altersbilder spiegeln sich zunächst in den auf den eigenen Alternsprozess bezogenen Wahrneh-mungen und Erwartungen wider, insbesondere im Aus-maß der Überzeugung, den eigenen Alternsprozess durch eigenes Handeln in gewünschter Weise beeinflussen zu können. Des Weiteren ist durch Untersuchungen die Be-deutung von Altersbildern für Gesundheitsverhalten, Ge-sundheitszustand – insbesondere die Vermeidung oder Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen – und Lebenserwartung belegt.

Bei aller Betonung der sozialen und biografischen Voraus-setzungen von Potenzialen des Alters darf nicht übersehen werden, dass Menschen bis ins sehr hohe Alter in der Lage sind, die Entwicklung entsprechender Potenziale durch ei-genes Verhalten zu fördern. So können etwa Gesundheit und Leistungsfähigkeit bis ins sehr hohe Alter durch den Verzicht auf Risikofaktoren, gesunde Ernährung und ein ausreichendes Maß an körperlicher und geistiger Aktivität gefördert werden. Dies ist auch in den öffentlich kommu-nizierten Altersbildern zu berücksichtigen.

Das hohe und sehr hohe Alter konfrontiert unabhängig von Bemühungen um eine selbst- und mitverantwortliche Lebensführung mit der Verletzlichkeit, der Vergänglich-keit und der EndlichVergänglich-keit der menschlichen Existenz. Mit dem demografischen Wandel wird die Anzahl der auf Hilfe und Unterstützung anderer angewiesenen Menschen deutlich zunehmen; so sehr sich Menschen im siebten und achten Lebensjahrzehnt durch Kompetenzen und Poten-ziale auszeichnen, so sehr gehören Pflegebedürftigkeit und Demenz zum sehr hohen Alter. Gerade am Beispiel von Demenzerkrankungen, die sich nach wie vor kausa-len Therapieansätzen entziehen, wird deutlich, dass sich Alter nicht beliebig gestalten lässt, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung nicht immer aufrechterhalten werden können.

Gerade die für hirnorganische Erkrankungen charakteris-tischen deutlichen Verluste in der kognitiven Leistungsfä-higkeit können vor dem Hintergrund eines reduktionisti-schen Menreduktionisti-schenbildes, das Wesen und Würde des Menschen vor allem auf Nützlichkeit gründet, Bemühun-gen um eine individuellen Bedürfnissen und Präferenzen Rechnung tragende Betreuung und Versorgung als aus-sichtslos und deshalb auch unangemessen erscheinen las-sen. Denn eine Veränderung der Situation wird mutmaß-lich nicht mehr wahrgenommen, aufrichtige Zuwendung wird mutmaßlich nicht mehr verstanden. Vor dem Hinter-grund eines umfassenderen Menschenbildes, das die Per-son nicht allein über Kognition und individuelle Leistung, sondern auch über ihre Emotionalität und ihre grundle-gende Bezogenheit auf andere definiert, erscheint das Er-leben und Verhalten der betroffenen Personen dagegen deutlich differenzierter.

Die Bedeutung von Altersbildern für ein selbst- und mit-verantwortliches Leben des Individuums wie auch für die Differenziertheit, mit der ältere Menschen in unserer Ge-sellschaft angesprochen werden, erfordert eine tiefgrei-fende Analyse ihrer inhaltlichen Akzente und Wirkungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Dabei muss auch untersucht werden, wie sich Altersbilder in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben – diese Frage erweist sich zum Beispiel im Hinblick auf gesell-schaftliche und politische Diskurse als bedeutsam. Die Analyse solcher Entwicklungen hilft uns, die kulturelle

Bedingtheit von Altersbildern besser zu verstehen. Und dieses Verständnis wiederum bildet eine Grundlage für jene eher grundsätzliche Empfehlung, die die Kommis-sion gibt: Dass nämlich in den verschiedenen gesell-schaftlichen Bereichen eine kritische Reflexion der eige-nen Vorstellungen von Alter sowie der Ansprache älterer Menschen geleistet oder – sofern diese bereits erkennbar ist – weiter intensiviert wird. Nur diese kritische Refle-xion wird letztlich dazu beitragen, dass sich Altersbilder differenzieren und sich der Differenziertheit des Alters und des Alterns immer weiter annähern.

2 Alter – Bilder – Altersbilder:

Ein erster Überblick

Das Thema „Altersbilder in der Gesellschaft“ ist vielfäl-tig. Nicht nur, dass es eine große Anzahl von Altersbil-dern in verschiedenen Lebensbereichen gibt – es gibt auch viele verschiedene Auffassungen darüber, was Al-tersbilder überhaupt sind, in welcher Form sie auftreten, wie sie wirken und – noch schwieriger – was man von ih-nen halten soll. Solche grundlegenden konzeptuellen Fra-gen werden in diesem Kapitel konzentriert behandelt. Auf diese Weise erfährt das Thema „Altersbilder“ eine erste Strukturierung; gleichzeitig wird damit eine Einführung in wissenschaftliche Konzepte und Methoden zur Erfor-schung von Altersbildern gegeben.