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4. Ergebnisse

4.1. Qualitativ: Ergebnisse der Experteninterviews

4.1.2. Allgemein: Der ausländische Patient

Grundsätzlich und übergeordnet ist aus den Interviews zu erkennen, dass Patienten mit seltenen Erkrankungen zu einer Behandlung außerhalb des Heimatlandes unabhängig von der Nationalität kommen. Der Unterschied zwischen den russischen und arabischen Patienten ist direkt abgefragt worden. Es wurde deutlich, dass die beteiligten Klinken trotz einer erwähnten Unabhängigkeit gegenüber der Nationalität aktuell russische Patienten bevorzugen. Als

Begründung für dieses Vorgehen wurden zum einen eine solidere Zuverlässigkeit und zum anderen weniger soziokulturelle Herausforderungen genannt. Gerade in der Erwartungshaltung und im Benehmen bestünden signifikante Unterschiede.

Bei diesen Feststellungen sei aber immer auch die Abhängigkeit vom Operationsverlauf zu beachten.

Neben den medizinischen Hintergründen und Einflussfaktoren spiele das emotionale und moralische Umfeld für den ausländischen Patienten in einem fremden Land eine wichtige Rolle. Die psychologischen Zusammenhänge zwischen der medizinischen Genesung und dem sozialen Umfeld wurde in dieser Untersuchung nicht analysiert. Es fand lediglich eine Befragung zu den soziodemografischen Daten der Patienten statt. Eine zusätzliche Herausforderung und teilweise auch Hürde stelle die Verständigung bzw. die Sprache dar. Die sprachlichen Schwierigkeiten würden über Dolmetscher und/ oder ärztliche oder pflegerische Klinikmitarbeiter kompensiert. Dies sei zunächst ein unkomplizierter Lösungsweg. Die Problematik der Dolmetscher sei allerdings die Übermittlung von Emotionen und ethischen Werten. Eine weitere Herausforderung sei die Ernährung. Die Experten messen dem Essen allerdings eine untergeordnete Bedeutung zu.

Neben der Kommunikation und der Ernährung gehöre die Religion als dritte soziale Herausforderung dazu. Bei der Religion solle ein spezielles Verhalten akzeptiert und auch die Freiheit zur Ausübung ebendieser respektiert werden. Das ärztliche und pflegerische Personal sehe sich sehr hohen Erwartungshaltungen und Ansprüchen der ausländischen Patienten und Angehörigen gegenüber. Als Verständnisbeispiel wurde die Mobilisation eines arabischen Patienten erwähnt:

Der arabische Patient möchte nach seinen Werte- und Normvorstellungen behandelt werden, die eine Therapieanwendung durch eine weibliche Physiotherapeutin am Bett ausschließt. Hier bestünde auf jeden Fall Aufklärungsbedarf der ausländischen Patienten und Unterstützungsbedarf für das ärztliche und pflegerische Personal.

Aktuell seien die internationalen Patienten in den befragten Kliniken in die bestehenden OP- und Stationsabläufe integriert. Die stationäre Unterkunft finde auf der jeweiligen Privatstation statt. Hier entstünden auch Konfliktsituationen, da

nicht immer der erwartete Komfort/ Infrastruktur außerhalb der medizinischen Versorgung geboten werden könne.

Die politischen Rahmenbedingungen sind nach Angaben der befragten Experten gegeben und es bestehen grundsätzlich keine Hürden. Es gäbe allerdings keine politischen Förderungen zur Akquise und Versorgung von ausländischen Patienten. Gerade bei der Visumerstellung würden immer wieder individuelle Entscheidungen und Bearbeitungen benötigt. Bei einer unvorhergesehenen Komplikation mit einem längeren stationären Aufenthalt müssten individuell mit der jeweiligen Botschaft die administrativen Schwierigkeiten gelöst werden. In diesen Fragen solle für eine optimalere Prozessorganisation eine Standardisierung eingeführt werden.

Die Experteninterviews bestätigten das Resultat aus der Literaturrecherche, wonach dem deutschen Gesundheitswesen eine sehr hohe Reputation im Ausland attestiert wird. Gemäß der Experteneinschätzungen wird auch die Nachfrage nach medizinischen Leistungen aus dem Ausland steigen. Die Experten sehen hier allerdings nicht zu 100% eine universitäre Aufgabe. Eine Differenzierung nach Schweregrad der Fälle sei unbedingt notwendig. Die komplexen und seltenen Fälle werden als nationale wie auch als universitäre Aufgaben gesehen. Die Routinefälle sollten in den Krankenhäusern der Grundversorgung versorgt werden.

Die Erlöse aus dieser Patientengruppe seien sehr attraktiv, allerdings dürfe die Betrachtungsweise nicht einseitig stattfinden. Der finanzielle und auch emotionale Aufwand müsse analysiert und in ein ausgewogenes Verhältnis gesetzt werden.

Die Erlöse trügen zu einem Zusatz zum verhandelten Budget mit den Krankenkassen bei, allerdings müssten die zusätzlichen Patienten in den bestehenden OP- und Stationsablauf integriert werden. Der öffentliche Auftrag zur Patientenversorgung der deutschen Bevölkerung des Krankenhauses dürfe nicht vernachlässigt werden. Einige Experten sind der Meinung, dass einige Länder die komplexen und kostenintensiven Strukturen der Herzchirurgie nicht mehr lange aufrechterhalten können. Diese Annahme unterstützt das Szenario einer steigenden Nachfrage nach medizinischen, speziell herzchirurgischen, Leistungen aus dem Ausland.

Im Bereich der Herzchirurgie seien in Deutschland viele Therapien und Spezialbehandlungen im Gegensatz zum Ausland möglich. Das Vertrauen in das jeweilige Gesundheitssystem bzw. Krankenhaus vor Ort sei begrenzt und somit die Grundvorrausetzung für eine gute Arzt-Patienten-Beziehung nicht gegeben.

Neben der grundsätzlichen Option der Spezialbehandlungen existierten in Deutschland gegenüber den meisten Ländern kürzere Wartezeiten für bestimmte Therapieformen.

Des Weiteren verfügt die deutsche Medizin nach Angaben der Experten über eine sehr gute Reputation im Ausland. Einen wichtigen Vorteil sehen die Experten in sehr guten Ablauforganisationen in deutschen Krankenhäusern. Die Abläufe in den deutschen Kliniken seien standardisiert und die Organisation mit der entsprechenden Infrastruktur hebe sich gegenüber dem Ausland mancherorts ab.

Die Klinikdirektoren betonten, dass diese beiden Punkte für eine steigende Nachfrage aus dem Ausland ausschlaggebend sind. Diese vertrauensvollen Strukturen müssten erhalten bleiben. Die Patienten betonten gegenüber den Experten oft das sehr gute und transparente Preis-Leistungsverhältnis in Deutschland. Diese gute Reputation dürfe nicht durch „Wucherpreise“ oder ethisch fragwürdige Praktiken von Vermittlungsagenturen beschädigt werden. In diesem Zusammenhang forderten die Experten einmal mehr eine zentrale Koordinationsstelle für ausländische Patienten in Deutschland.

Die Klinikchefs sehen also den internationalen Reputationsgewinn als ein zentrales Motiv für die Versorgung ausländischer Patienten. Alle Experten geben an, dass Sie keine persönlichen Motive haben und auch kein spezieller Erwartungsdruck von außen herrscht. Neben dem möglichen Prestigegewinn sehen die meisten Experten allerdings auch die Gefahr des Prestigeverlustes. Eine enorme Steigerung der Fallzahl von ausländischen Patienten in der existierenden Infrastruktur könne zur Vernachlässigung bei der Gesundheitsversorgung der Heimatbevölkerung oder zumindest zu einem falschen Eindruck führen. Das dürfe nicht passieren, da der Versorgungsauftrag der deutschen Bevölkerung erfüllt werden solle.

Zur guten Reputation der deutschen Medizin trägt aus Sicht der Experten der Ruf des Chefs der Abteilung im Ausland entscheidend bei. Danach folgten als Einflusskriterien die Stadt und die Infrastruktur. Es würden sogar teilweise die Behandlungen und Operationen durch die Oberärzte/innen von den

internationalen Patienten nicht akzeptiert. Der Name des Klinikchefs und das dazugehörige Ansehen spiele bei den ausländischen Patienten aus Sicht der Experten eine sehr große Rolle.