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Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und der häufig-ste Grund für den Eintritt einer bleibenden Behinderung im Erwachsenenalter: Von den jährlich rund 150000 Schlaganfallpatienten leidet nur ein Drittel kurzfristig an eng begrenzten Ausfallerscheinungen und kommt schnell wieder in den Vollbesitz seiner Kräfte. Ein Drittel der Patienten verstirbt kurz nach dem Schlaganfall, und für ein weiteres Drittel ist er der Beginn lebenslanger körperlicher und geistiger Behin-derungen, die eine Behandlung, Rehabilitation und ggf. Pflege erforderlich machen.1 Daraus entstehen auch für das Gesundheits- und Sozialsystem erhebliche Kosten.

Da der Schlaganfall vor allem ältere Menschen betrifft, ist aufgrund des demogra-phischen Wandels in Deutschland mit einer Zunahme der Inzidenz und Prävalenz sowie einem Anstieg der damit verbundenen Kosten zu rechnen.

Trotz der teilweise recht vielversprechenden Entwicklungen in der Akutbehandlung von Schlaganfallpatienten kommt der Rehabilitation erhebliche Bedeutung zu: Sie soll die Pflegebedürftigkeit von Patienten überwinden, mindern oder ihre Ver-schlimmerung verhüten2 und somit auch – als „produktive Sozialpolitik“3 – die mit der Pflege verbundenen Ausgaben senken.

Aus diesen Gründen ist es um so verwunderlicher, dass hinsichtlich der Rehabilita-tion des Schlaganfalls auch in geriatrischen Einrichtungen, die einen erheblichen Teil der Versorgungslast tragen, noch immer große Unsicherheit besteht:

So ist die Realität der Schlaganfallrehabilitation hoch variabel.4 Dabei ist zwar ins-gesamt der grundsätzliche Nutzen der Schlaganfallrehabilitation prinzipiell akzep-tiert; von welchem Therapiekonzept, von welchen therapeutischen Maßnahmen Patienten am meisten profitieren, ist aber weithin unbekannt.5

Ähnliches gilt für die Organisation der Schlaganfallrehabilitation. Diese findet in den unterschiedlichsten Einrichtungen durch unterschiedliche Professionen und nach

1 Vgl. dazu Kapitel 2 dieser Arbeit.

2 Vgl. dazu auch § 31 SGB XI, in dem der Grundsatz ‘Rehabilitation vor Pflege‘ rechtlich kodifiziert wurde, und Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (1998: 106).

3 So Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (1998: 5); vgl. auch Bundesministerium für Ar-beit und Sozialordnung (1998: 107).

4 Vgl. Langhorne & Duncan (2001: 268). Ähnliches gilt aber auch für die Akutbehandlung; so konstatie-ren Kaste et al. (1995: 249): „Few other major illnesses are treated as inconsistently as stroke, and elderly stroke patients in particular are at risk of receiving suboptimal care.“ In die gleiche Richtung gehen auch Kaste et al. (1995: 249), Norris & Hachinski (1986: 362), Dombovy et al. (1986: 364) und Steinberg (1993).

den verschiedensten Rehabilitationskonzepten statt. Auch hier sprechen mittlerweile eine Reihe von Studien dafür6, dass organisatorische Strukturen die Effektivität und die Effizienz der Schlaganfallrehabilitation beeinflussen.7 Entsprechend hat es eine ganze Reihe von Veröffentlichungen gegeben, in denen bestimmte Organisations-formen empfohlen werden.8 Diese Empfehlungen sind jedoch häufig recht allgemein gehalten.9 Wissenschaftliche, empirisch fundierte Belege für ihre Empfehlungen bleiben die Autoren in vielen Fällen schuldig. Selbst in einem gegenwärtig sehr in-tensiv erforschten Bereich – dem der Effektivität und Effizienz spezieller Einrichtun-gen zur Schlaganfallbehandlung (Stroke Units)10 – gibt es zwar mittlerweile eine Reihe von Studien, die deren Vorteile gegenüber anderen stationären Versor-gungsformen belegen. Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang noch weitge-hend offen, welche spezifischen organisatorischen Merkmale dieser Stroke Units für diese erhöhte Effektivität und Effizienz verantwortlich sind. Hier sehen deshalb eine Reihe von Autoren11 noch erheblichen Forschungsbedarf. So schließen etwa die Autoren einer Meta-Analyse zur Effektivität von Stroke Units: „Future trials should focus on examining the potentially important components of care and on direct com-parisons of different models of organised stroke unit care.“12

Diese Variabilität im organisatorischen Bereich und die damit verbundene Unsicher-heit gelten in einem besonderen Maße für die geriatrische Schlaganfallrehabilitation.

So kritisiert etwa Meier-Baumgartner (2001: I4): „Nichts ist so heterogen wie geria-trische Einrichtungen.“ Er fordert deshalb: „Die Frage nach dem Konzept geriatri-scher Rehabilitation, nach Anzahl und Dichte von Therapien, Fragen nach Stellen-plänen, z.B. in der Pflege, nach dem Teamgedanken, der Ausbildung der Mitarbei-ter, dem Einbezug von Angehörigen, sind dringend zu diskutieren.“13 Auch Pientka (2001: I60) sieht gerade im Bereich der Geriatrie einen besonderen Bedarf an

5 Vgl. dazu z.B. Gresham et al. (1997).

6 Vgl. dazu etwa Hoenig et al. (1999: 19), Martin & Smith (1996: 281), Johnston et al. (1997: 9).

7 Dabei muss betont werden, dass diese Erkenntnis alleine schon einen bedeutenden Fortschritt dar-stellt. Denn in der Vergangenheit wurden zumeist Struktur- und Prozessqualität auf der einen Seite und die Ergebnisqualität von Einrichtungen auf der anderen Seite getrennt analysiert. Eine gemeinsame Analyse dieser Dimensionen in einer Studie findet verstärkt erst in jüngerer Zeit statt.

8Vgl. dazu u.a. Stroke Unit Trialists' Collaboration (1997), Kalra & Eade (1996: 2034), speziell für die deutsche Geriatrie Deckenbach et al. (1997: 162), Thiele & Rüschmann (2000: 32).

9 So weist etwa eine ideale stationäre Geriatrie nach einem Bericht von Thiele & Rüschmann (2000:

32) die folgenden Merkmale auf: Sie kooperiert intensiv mit den zuweisenden Kliniken; sie hat eine angegliederte Tagesklinik; sie hat eine entwickelte Struktur-, Prozess und Ergebnisqualität; sie ist mit dem ambulanten Bereich vernetzt.

10 Vgl. dazu Kapitel 2.4.2 dieser Arbeit.

11 So etwa Evans et al. (2001), Gillum & Johnston (2001), Lincoln et al. (1996), Langhorne & Duncan (2001), Indredavik et al. (1999), Stroke Unit Trialists' Collaboration (1997), Gresham et al. (1997), Meier-Baumgartner (1992: 4).

12 Stroke Unit Trialists' Collaboration (1997: 1159)

13 Vgl. Meier-Baumgartner (1992: 4).

sorgungsforschung, um die Effektivität und Effizienz geriatrischer Interventionen zu überprüfen.14

Ein solches Defizit mutet in Zeiten, in denen eine ausdrücklich evidenzbasierte Me-dizin gefordert wird, nicht nur seltsam an. Es verhindert auch die bestmögliche Re-habilitation der Patienten.15 Denn Einrichtungen können ihre Strukturen nur dann optimal nach den Bedürfnissen der Patienten ausrichten, wenn sie wissen, welchen Einfluss diese Strukturen auf die Effektivität und Effizienz der Rehabilitation haben.16 Ebenso erleichtert ein Wissen über solche Zusammenhänge Patienten die Auswahl und Planungs- und Aufsichtsbehörden die Überwachung von Einrichtungen. Es bil-det somit die Basis für eine bedarfsgerechte und kostengünstige Gestaltung der Versorgung von Schlaganfallpatienten.

Neben diesen inhaltlichen Unsicherheiten in Bezug auf den Einfluss der Struktur-qualität auf die ErgebnisStruktur-qualität von geriatrischen Einrichtungen gibt es darüber hinaus methodische Probleme bei der Analyse derartiger Zusammenhänge: Bishe-rige Ansätze zur Evaluation der Versorgungsqualität von klinischen Einrichtungen beschränken sich – wie soeben dargestellt – meist darauf nachzuweisen, dass zwi-schen Einrichtungen Unterschiede hinsichtlich der Ergebnisqualität bestehen. Aller-dings basieren diese Untersuchungen in starkem Maße auf einem bloßen Ranking der Einrichtungen bezüglich des interessierenden Indikators zur Messung der Er-gebnisqualität.17

Weiter wird in diesen Studien häufig nur ein Punktschätzer (z.B. ein Mittelwert) an-gegeben, ohne eine Aussage über die damit verbundene statistische Unsicherheit zu machen, etwa durch Angabe eines Konfidenzintervalles. Wenn sich in Studien Angaben zu Konfidenzintervallen finden, so werden diese häufig unter- und damit die statistische Bedeutsamkeit von Unterschieden zwischen Einrichtungen über-schätzt.18

14 Dies gilt insbesondere für Deutschland. Denn obwohl der Krankenhausvergleich als Institution in Deutschland grundsätzlich schon auf eine lange Tradition zurückblicken kann, steht Deutschland im internationalen Vergleich immer noch am Anfang einer Entwicklung ebenso umfassender wie standar-disierter Messmethoden zur Erfassung der Qualität von klinischen Einrichtungen. Neuere Entwicklun-gen wie die der Aufbau von Akkreditierungs- und, wie das KTQ-Programm der Deutschen Kranken-hausgesellschaft, das gemeinsame Qualitätssicherungsprojekt der Rentenversicherungsträger für den Rehabilitationsbereich – vgl. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (2000) – oder das dieser Arbeit zugrunde liegende Geriatrische Minimum Data Set (Gemidas) der Bundesarbeitsgemeinschaft der klinisch-geriatrischen Einrichtungen e.V. – vgl. Borchelt et al. (1999) – versuchen, diesen Rück-stand zumindest in Teilbereichen aufzuholen.

15 Vgl. dazu auch Hammermeister et al. (1995).

16 Vgl. dazu Berger & Bernhard-Mehlich (1993: 148f.).

17 Vgl. dazu Goldstein (1997).

18 Dies geschieht entweder aufgrund einer ‘wundersamen Fallvermehrung‘ auf Einrichtungsebene oder der Überschätzung der Fallzahl auf Patientenebene durch mangelnde Berücksichtigung der statisti-schen Abhängigkeit zwistatisti-schen den Patienten. Vgl. dazu Kapitel 3 dieser Arbeit.

Dabei wird häufig nicht der Versuch gemacht, für konfundierende Effekte, die unab-hängig von der Versorgungsqualität der Einrichtung die Ergebnisqualität einer Ein-richtung beeinflussen könnten, adäquat zu kontrollieren.19 Geschieht dies doch, wird bei dem Versuch, die Unterschiede zwischen Einrichtungen hinsichtlich ihrer Ergeb-nisqualität durch die Strukturqualität der Einrichtungen zu erklären, häufig unkritisch das Design von Medikamentenstudien übernommen: Die Patienten werden in eine Testgruppe und eine Kontrollgruppe eingeteilt. Während die Testgruppe z.B. in einer geriatrischen Einrichtung behandelt wird, werden die Patienten der Kontrollgruppe in einer neurologischen Klinik behandelt. Dieses Design impliziert, dass die beiden untersuchten Einrichtungen allen anderen geriatrischen und neurologischen Ein-richtungen jeweils genauso gleichen wie eine Tablette der anderen im Rahmen ei-ner Medikamentenstudie. Wird diese Annahme nicht akzeptiert und statt dessen davon ausgegangen, dass diese beiden Einrichtungen bestenfalls eine Zufallsaus-wahl aus allen geriatrischen und neurologischen Einrichtungen darstellen, so beträgt die Stichprobengröße auf Einrichtungsebene n=2. Somit sind die meisten bisher durchgeführten Studien wegen ihres begrenzten Stichprobenumfangs nicht in der Lage, statistisch abgesicherte Aussagen über eine Population von Einrichtungen treffen zu können.

Und schließlich basieren Vergleiche zwischen Einrichtungen und Analysen des Ein-flusses von Einrichtungsmerkmalen auf die Ergebnisqualität von Einrichtungen häu-fig auf der Analyse aggregierter Daten.20 Die dadurch entstehenden Probleme21 bei der Interpretation der Ergebnisse werden dabei meist nicht hinreichend beachtet.