4 Ergebnisse
4.4 Mechanistische Studien: Anteile von ATR und ATM bei der Checkpoint‐Induktion
4.4.2 Überlebensexperimente mit 82‐6hTert und F02‐98hTert‐Zellen nach IR und UVC
Im weiteren Verlauf sollte der G1/S‐Checkpoint nach Bestrahlung mit UVC untersucht und nach Bestrahlung mit IR verglichen werden. Bei IR wurden Dosen von 0,5 Gy bis 5 Gy gewählt. Die Fluenzen für die UVC‐Bestrahlung sollten ähnlich starke Effekte im Hinblick auf das Zellüberleben wie die ionisierende Strahlung hervorrufen. Daher wurden die Effekte von IR und UVC‐Bestrahlung auf die Zellen in Überlebensexperimenten miteinander verglichen.
Überlebensexperimente wurden ursprünglich entwickelt, um die Auswirkungen von Strahlung auf Zellen zu untersuchen und spielen eine wesentliche Rolle in der Strahlenbiologie. Überlebensexpe‐
rimente oder Cell Survival Assays ermitteln die Proliferationsfähigkeit einer Zelle und die Erhaltung ihrer reproduktiven Fähigkeiten zur Bildung von Kolonien oder Klonen. Als klonogen bezeichnet man Zellen, welche auch nach Bestrahlung über reproduktive Integrität und Proliferationsfähigkeit zur Bildung von Klonen oder Kolonien verfügen (Hall, 2006). Eine Überlebenskurve wird demnach definiert als Beziehung zwischen Dosis des Agens (hier UVC‐Strahlung oder IR), um einen Effekt aus‐
zulösen, und dem Anteil von Zellen, welche ihre Fähigkeit zur Reproduktion behalten. Die hier ein‐
gesetzten Fluenzen zwischen 3 J/m2 und 30 J/m2 wurden in Arbeiten über die Auswirkungen von UVC‐Bestrahlung auf humane Zellen verwendet (Attardi et al., 2004, Marini et al., 2006, Callegari und Kelly, 2007).
Vorab wurde in einem Experiment die Plating Efficiency (PE) der jeweiligen Zelllinie, d.h. der Pro‐
zentsatz von unbehandelten Zellen, die sich nach der Aussaat im neuen Kulturgefäß absetzen, sich teilen und Kolonien bilden, ermittelt. Hierzu wurde eine festgelegte Anzahl von Zellen in einer Zell‐
kulturschale ausgesät und als Kolonie eine Ansammlung von Zellen bewertet, welche aus mindes‐
tens 50 Einzelzellen bestand. Die PE errechnet sich aus dem Verhältnis der gezählten Kolonien zur Anzahl der ausgesäten Zellen. Die PE für 82‐6hTert‐Zellen lag bei durchschnittlich 4,4 %, für F02‐
98hTert bei 5,8 %. Anhand der PE wird anschließend berechnet, wie viele Zellen für den eigentli‐
chen Versuch ausgesät werden müssen, um eine bestimmte Anzahl gut auszählbarer Kolonien zu erhalten. Nach Bestrahlung der Zellen errechnete sich der Anteil der überlebenden Zellen (Surviving Fraction, SF) über die PE der Kontrollen. Die SF wurde innerhalb des Bereichs von 0,5 Gy, 1 Gy, 2 Gy und 5 Gy und 3 J/m2, 6 J/m2, 9 J/m2, 12 J/m2, 15 J/m2 und 30 J/m2 bestimmt und anhand einer Survival Curve dargestellt. Exponentiell wachsende 82‐6hTert‐ und F02‐98hTert‐Zellen wurden mit Dosen von 0,5 Gy bis 5 Gy und Fluenzen zwischen 3 J/m2 und 30 J/m2 bestrahlt und anschließend in Zellkulturschalen ausgesät. Dabei wurde die Anzahl der auszusäenden Zellen für jede Dosis oder Fluenz so gewählt, dass etwa 100 bis 300 Kolonien anwuchsen. Die Zellzahlen wurden in Vorversu‐
chen ermittelt. Sowohl für 82‐6hTert als auch für F02‐98hTert betrug die Wachstumszeit bis zur Ausbildung zählbarer Kolonien 11 Tage. Nach dieser Zeit erfolgte die Fixierung und Färbung der Zellen in einem Schritt mit einer Lösung aus 0,1% Kristallviolett in 25% Ethanol.
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A
0 Gy 0,5 Gy 1 Gy
2 Gy 5 Gy
B
0 J/m2 3 J/m2 6 J/m2
9 J/m2 12 J/m2 30 J/m2
Abb. 43: Exemplarische Darstellung der Kolonien der Überlebensexperimente mit 82‐6hTert‐Zellen nach IR und UVC‐
Bestrahlung
Die Aufnahmen zeigen exemplarisch eine Kristallviolett‐Färbung von 82‐6hTert‐Kolonien nach steigenden Dosen IR (A) und steigenden Fluenzen UVC (B) nach 11 Tagen Inkubation. Die Anzahl der ausgesäten Zellen nach Bestrahlung mit IR und UVC sind im jeweiligen Bild angegeben. In jeder Zellkulturschale sollten sich 100 bis 300 Kolonien bilden.
Die Aufnahmen in Abb. 43 zeigen mit Kristallviolett gefärbte Kolonien nach Bestrahlung mit 0,5 Gy, 1 Gy, 2 Gy und 5 Gy (A) und 3 J/m2, 6 J/m2, 9 J/m2, 12 J/m2 und 30 J/m2 (B) oder unbestrahlt.
5*103 6,5*103 7*103
8,5*103 5*104
5*103 5*103 8*103
5*104 1*105 8*105
A B
0 1 2 3 4 5
0,1 1 10 100
% Überleben
Dosis [Gy]
F02-98hTert 82-6hTert
0 5 10 15
1 10 100
% Überleben
Dosis [J/m2]
F02-98hTert 82-6hTert
Abb. 44: Überlebensexperimente mit 82‐8hTert‐ und F02‐98hTert‐Zellen nach nach IR und UVC‐Bestrahlung
Die exponentiell wachsenden 82‐6hTert‐Zellen oder F02‐98hTert‐Zellen wurden mit 0,5 Gy, 1 Gy, 2 Gy und 5 Gy (A) bzw.
3 J/m2, 6 J/m2, 9 J/m2, 12 J/m2, 15 J/2 und 30 J/m2 (B) bestrahlt oder unbestrahlt belassen. Nach Bestrahlung wurden die Zellen abtrypsiniert und in Vorexperimenten bestimmte, definierte Zellzahlen ausgesät, um nach Ende der Inkubationszeit zwischen 100‐300 Kolonien zu erhalten. 11 Tage nach Aussaat wurden die gewachsenen Kolonien fixiert, mit Kristallviolett gefärbt und ausgezählt. Der Wert bei 30 J/m2 wurde zur besseren Vergleichbarkeit beider Zelllinien nicht im Graphen (B) dargestellt. Die Fehlerbalken der mit 82‐6hTert durchgeführten Experimente geben die Standardfehler von 5 unabhängi‐
gen Versuchen an. Die Experimente mit F02‐98hTert wurden nur ein Mal jeweils für IR und UVC‐Bestrahlung durchge‐
führt.
Nach Auswertung der Kolonien zeigte der Verlauf der Kurve von 82‐6hTert‐Zellen mit IR einen Rück‐
gang des Anteils der überlebenden Zellen auf 70 % bei 0,5 Gy und auf 60 % bei 1 Gy (Abb. 44 A). Bei weiterer Verdopplung der Dosis auf 2 Gy wurde ein Anteil von 38 % überlebender Zellen, bei Be‐
strahlung mit 5 Gy wurden noch etwa 6 % überlebende Zellen gemessen. Ein ähnliches Bild wie bei IR von 82‐6hTert‐Zellen ergab sich bei IR von F02‐98hTert‐Zellen nach 0,5 Gy und 1 Gy. Nach Be‐
strahlung mit 2 Gy überlebten nur noch 24 % der ursprünglich ausgesäten Zellen. 3 % überlebende Zellen wurden bei Bestrahlung mit 5 Gy gezählt. Bei höheren Dosen zeigten sich diese Zellen etwas strahlenempfindlicher.
Nach UVC‐Bestrahlung der 82‐6hTert‐Zellen mit 3 J/m2 war der Anteil der überlebenden Zellen im Vergleich zu unbestrahlten Zellen auf 76 % abgesunken (Abb. 44 B). Ein deutlicherer Abfall der über‐
lebenden Fraktion auf 40 % wurde bei Verdopplung der Fluenz auf 6 J/m2 festgestellt. Kaum noch überlebende Zellen konnten nach Bestrahlung mit 30 J/m2 gezählt werden. Bei Bestrahlung der ATR‐defizienten Zelllinie F02‐98hTert mit 3 J/m2 ergab sich eine deutlichere Abnahme der überle‐
benden Zellen auf 31 %. Sie reagierten bei niedrigen Fluenzen wesentlich empfindlicher als der WT.
Nach 6 J/m2 konnten nur noch 10 % überlebende Zellen gemessen werden. Bei weiterer Erhöhung der Fluenz zeigte sich zwar ein weiterer Rückgang der überlebenden Fraktion, die sich aber dem WT anglich. Allerdings befand man sich bei Dosis und Fluenz in einem Bereich, in dem kaum noch Zellen überlebten und die Messung dadurch unzuverlässiger wurde. F02‐98hTert‐Zellen zeigten im Ver‐
gleich zur Wildtyp‐Zelllinie 82‐6hTert normale zelluläre Sensitivität gegenüber Bestrahlung mit IR.
Dieses Ergebnis zeigt, dass ATR nicht zur Strahlenresistenz nach IR beiträgt. Eine verstärkte Sensitivi‐
tät von F02‐98hTert‐Zellen im Vergleich zu 82‐6hTert‐Zellen war bei Bestrahlung mit UVC erkenn‐
bar. Dies lässt auf eine beeinträchtige DNA‐Schadensantwort im Zuge der verminderten ATR‐
Seite 113 Funktion dieser Zellen schließen. Weiterhin sind diese Ergebnisse konsistent mit den Daten der Erstbeschreibung der primären F02‐98‐Zellen (O´Driscoll et al., 2003).
In Experimenten mit IR wurden Dosen von 0,5 Gy bis 5 Gy verwendet, was einem Überleben von 10 % bei 5 Gy entspricht. Für UVC‐Bestrahlung sollte ein Fluenzbereich gewählt werden, der ähnli‐
che Effekte auf das Überleben der Zellen wie IR hervorruft. In zukünftigen Experimenten wurden daher Fluenzen bis 12 J/m2 gewählt, höhere Fluenzen zeigten sich lethal für die Zellen. Der lethale Dosisbereich bei der Bestrahlung mit IR wurde bis zu einer Dosis von 5 Gy nicht erreicht, abge‐
schätzt liegt er bei 8‐10 Gy (Rothkamm et al., 2001, O´Driscoll et al., 2003).