A 2214 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 45|
12. November 2010RATIOPHARM-PROZESS
Verurteilt wegen Bestechlichkeit
Das Amtsgericht Ulm hat gegen zwei Ärzte Geldbußen und Freiheitsstrafen zur Bewährung verhängt, weil sie für Verordnungen Geld genommen haben.
E
rstmals hat ein Gericht zwei Vertragsärzte wegen Bestech- lichkeit verurteilt. Als „juristische Sensation“ bezeichnete das Nach- richtenmagazin „Der Spiegel“ das Urteil des Amtsgerichts Ulm. Sollte es rechtskräftig werden, wäre es zumindest ein Präzedenzfall. Denn der Straftatbestand der Bestechlich-keit ist nur dann erfüllt, wenn es sich bei den Tätern um Angestellte oder Beauftragte handelt. In genau dieser Funktion agierten nach Auf- fassung des Gerichts die beiden an- geklagten Ärzte: als Beauftragte der Krankenkassen.
Den Ärzten aus dem Alb-Donau- Kreis wurde vorgeworfen, für die bevorzugte Verordnung von Präpa- raten des Pharmaherstellers Ratio- pharm Geld genommen zu haben.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass zwischen 2002 und 2005 dafür circa 19 000 Euro an die Ärzte ge- flossen sind. Da Kassenärzte Me - dikamente für ihre Patienten zulas- ten der Krankenkassen verordnen, schaden sie diesen, wenn sie – zum eigenen materiellen Vorteil – mög- licherweise zu teure Präparate ver- ordnen. Die Ärzte seien als Vertre- ter der Krankenkassen verpflich- tet, wirtschaftlich zu handeln, so
die zuständige Richterin. Mit dem Strafmaß von jeweils einem Jahr Freiheitsentzug auf Bewährung und einer Geldbuße von je 20 000 Euro blieb sie jedoch unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil die beiden Ärzte Rechtsmittel einge- legt haben.
Der Fall ist nur einer von ur- sprünglich etwa 3 000, in denen Staatsanwaltschaften aus dem ge- samten Bundesgebiet ermitteln oder ermittelt haben. Eingestellt wurden inzwischen alle Verfahren, bei de- nen im Einzelfall nicht mehr als 250 Euro geflossen sind. Federfüh- rend war zu Beginn der Ermittlun- gen im Jahr 2005 die Staatsanwalt- schaft Ulm, die der Firma Ratio- pharm vorwirft, bereits seit Mitte der 90er Jahre über ihre Außen- dienstmitarbeiter bundesweit mit Ärzten Vereinbarungen über Um- satzbeteiligungen geschlossen zu haben. Gestaffelt nach dem Ver- schreibungsanteil erhielten die Ärz- te der Staatsanwaltschaft zufolge Umsatzbeteiligungen zwischen zwei und maximal acht Prozent des Herstellerabgabepreises. Während Ratiopharm den Ärzten anfangs Sachleistungen beispielsweise in
Form von EDV-Produkten gewährt habe, seien später Schecks über - geben worden. Die Zuwendungen hätten die Beteiligten als Honorare für Schulungen und Vorträge de - klariert.
Da Ärzte in ganz Deutschland betroffen waren, gab die Staatsan- waltschaft Ulm im Juni 2009 sämt- liche Verfahren an die örtlich zu- ständigen Staatsanwaltschaften ab.
Die Firma Ratiopharm nahm das zum Anlass, um betroffenen Ärzten juristische Unterstützung anzubie- ten. Die Vorwürfe der Staatsanwalt- schaft Ulm gegen Ärzte seien we- der straf- noch sozialrechtlich nach- vollziehbar, hieß es in einer Presse- mitteilung vom 23. Juli: „Bis heute konnte die Staatsanwaltschaft nicht überzeugend aufzeigen, worin die Strafbarkeit dieses Vorganges lie- gen soll.“ In Wirklichkeit sei den Krankenkassen durch das Verord- nen von Ratiopharm-Produkten kein Schaden entstanden.
Das sah die zuständige Richterin am Ulmer Amtsgericht jetzt offen- bar anders. Über die Auswirkungen des Urteils – so es denn Bestand hat – auf die Zusammenarbeit von Ärz- ten und Pharmafirmen sowie auf das Verhältnis zwischen Vertrags- ärzten und Krankenkassen will noch niemand etwas sagen. Die Bundesärztekammer und die Lan- desärztekammer Baden-Württem- berg wollen das schriftliche Urteil abwarten, bevor sie den Fall berufs- rechtlich und -politisch bewerten.
Eindeutig ist dagegen die ärztliche Berufsordnung: Ärzten sei es nicht gestattet, „für die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten eine Vergü- tung oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen“, heißt es dort. ■
Heike Korzilius Stopp – Die Firma
Ratiopharm geriet ins Visier der Er- mittler, weil Außen- dienstmitarbeiter Ärzte bestochen ha- ben sollen. Die Fälle beziehen sich auf die Zeit vor 2005.
Foto: dpa