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Archiv "Klinische Krebsregister: Auf Erfahrungen aus dem Alltag kann nicht verzichtet werden" (02.03.2012)

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A 424 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 9

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2. März 2012

KLINISCHE KREBSREGISTER

Auf Erfahrungen aus dem Alltag kann nicht verzichtet werden

Am Beispiel des metastasierten Kolonkarzinoms wird aufgezeigt, wie klinische Krebsregister zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln beitragen können.

M

it jeder Zulassung eines neu- en Wirkstoffs, die auf Studi- en an hochselektierten Patientenko- horten basiert, wiederholt sich die Diskussion zu Kosten und Nutzen (1, 2). Die Sicherheit eines Arznei- mittels und seinen unter Alltagsbe- dingungen zu erreichenden therapeu- tischen Nutzen müssen die Ärzte mühsam selbst in Erfahrung bringen.

Klinische Krebsregister, die hierzu- lande noch nicht flächendeckend aufgebaut sind, könnten bei der Kos- ten-Nutzen-Abwägung wertvolle Hin - weise liefern. Denn sie verfolgen die Entwicklung von Krebstherapien und vergleichen die Qualität der Behand- lung unter anderem über die Zeit.

Derartige Register geben bei- spielsweise Antworten auf Fragen wie: Wie viele Patienten überleben?

Hängen ihre Heilungschancen da- von ab, in welches Krankenhaus sie kommen? Wie gut „klappt“ es mit der ambulanten Behandlung? Wer- den alle Patienten nach aktuellem Kenntnisstand bezüglich der best-

möglichen Therapie behandelt, oder gibt es deutliche Unterschiede?

Der mögliche Erkenntnisgewinn eines klinisches Krebsregisters lässt sich anhand von Daten des Tumor- registers München (TRM) zur Über- lebensrate von Patienten mit Kolon- karzinom ab dem Zeitpunkt der Metastasierung ablesen (Grafiken 1–4). Anzumerken ist, dass in der Bundesrepublik jährlich mehr als 25 000 Patienten allein mit metasta- siertem Darmkrebs zu behandeln sind. Die Überlebenskurven des TRM seit 1980 lassen drei Abhän- gigkeiten erkennen:

vom Zeitraum (und damit von neuen Therapien)

vom Alter bei Metastasierung

und vom Auftreten der Metas- tase (primär oder im Verlauf).

Etwa 58 Prozent aller Patien- ten mit einem Kolonkarzinom sind

≥ 70 Jahre. Allein der Zeitpunkt der Metastasierung zeigt also über die vier Gruppen konsistente, aber stark variierende Ergebnisse, die nicht aus

der Historie und/oder aktuellen ran- domisierten Studien auf die Bevöl- kerung extrapoliert werden können.

Zudem wird in Studien häufig nur das Ansprechen des Tumors und nicht patientenrelevante Endpunkte wie Überleben oder spätere Sym - ptomkontrolle bewertet. Die Grafi- ken verdeutlichen also, dass für eine Kosten-Nutzen-Bewertung eine be- völkerungsbezogene Sicht vorteil- haft ist, weil sie das alltägliche Al- ters-, Befund-, Komorbiditäts- und Komedikationsspektrum einbezieht.

Bei differenzieller Wirksamkeit eines Arzneimittels wird die Bewer- tung des Zusatznutzens komplex und kann nicht durch Zulassungs - daten transparent gemacht werden.

Gibt es (unabhängig von molekular- biologischen Varianten) Prädiktoren für die Definition von Patienten- gruppen, denen eine Therapie er- spart bleiben sollte? Wie werden die älteren Patienten (Grafiken 2 und 4) wirklich behandelt? Wann wird auf moderne Therapien begründet ver- zichtet? Wann werden Therapien ab- gebrochen? Sind sie im höheren Al- ter unwirksam, oder ist das Unwahr- scheinliche Realität, dass nur die Varianz der Überlebenszeiten größer geworden ist – das heißt: erzielte Überlebensverlängerungen für eini- ge werden durch verursachte Ver- kürzungen für andere kompensiert.

Das Überleben aller Darmkrebs- patienten ist aus Krebsregistern be- kannt. Es gib keine regionalen Un- terschiede, und es wird international nicht überboten (5). Vergleichbare Ergebnisse sind auch für andere Krebserkrankungen verfügbar, sind aber weniger inhomogen.

Es wird zu Recht darauf hin - gewiesen, dass nach der Zulassung eines Medikaments aus der klini- Das Tumorregister München legt seit 1998 bevöl-

kerungsbezogene Daten aus einem Einzugsgebiet von heute mehr als 4,5 Millionen Einwohnern vor (3). Allein zur Dokumentation des Kolonkarzinoms haben mehr als 170 Kliniken und niedergelassene Ärzte beigetragen. Die Kohorten aus den 1980er Jahren sind überwiegend aus Universitätsklinika, die ab Anfang der 90er Jahre nahezu bevölkerungs- bezogen. Bezogen auf fünf Jahre tumorspezifisches Überleben von circa 63 Prozent ist mehr als die Hälfte der Sterbefälle auf die primär fortgeschritte- nen Erkrankungen zurückzuführen. Im Krankheits- verlauf fehlen allerdings zum Beispiel für die Ko- horte von 2000 bis 2003 etwas mehr als 400 oder

23 Prozent Angaben zur Metastasierung. Solche Einschränkungen sind zu erwarten, wenn Krebs - register nicht nach den Kriterien des Nationalen Krebsplans arbeitsfähig ausgestattet sind.

Für die Interpretation dieser Ergebnisse ist wei- ter anzumerken, dass in der Region München die in den jeweiligen Zeiträumen verfügbaren Thera- pien sicherlich auch eingesetzt wurden, die seit 1987 mit regelmäßig aktualisierten Manualen des Tumorzentrums empfohlen wurden (Manual zu GI- Tumoren, 8. Auflage 2010) (4). Eine Unterversor- gung ist begründet auszuschließen, zumal diese als Ursache für die Effekte in Grafiken 1 und 2 auf die Primärtherapie in Zentren zurückzuführen wäre.

METHODIK

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Deutsches Ärzteblatt

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Heft 9

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2. März 2012 A 425 schen Erfahrung wichtige Erkennt-

nisse für Patienten und die klinische Forschung gewonnen werden kön- nen und müssen (6). Für eine empi- rische Wissenschaft wie die Medi- zin wäre es deshalb naheliegend, sich die eigene klinische Erfahrung systematisch zu erschließen. Gera- de wenn viele neue Wirkstoffe ver- fügbar werden, würde das frühzei- tige Poolen erster Ergebnisse unter Alltagsbedingungen die in Krebs- registern vernetzten Versorgungs- träger im autonomen Handeln un- ter anderem für Empfehlungen in Leitlinien stärken, tentative Be- handlungsphasen und Lernprozes- se verkürzen.

Relevante Verbesserungen für Pa- tienten wären mit bevölkerungsbe-

zogenen Kohortenstudien der Krebs- register einfach zu beschreiben und könnten die externe Validität für die Studien aufzeigen. Allerdings fällt es fast allen Krebsregistern in Deutsch- land schwer, die Kostenträger zur Kooperation zu motivieren. Auch Daten zu Art, Dosis und Dauer ad - juvanter und palliativer Therapien wären einfach zu erheben, wie ein im TRM kooperierender Qualitäts- zirkel niedergelassener Onkologen belegen kann. Der Nationale Krebs- plan schafft dafür noch nicht die erforderlichen Voraussetzungen.

Adäquate Kosten-Nutzen-Bewer- tungen aber sind dringend erfor - derlich – letztlich auch um die in der Gesellschaft ungeliebte Frage zu beantworten: „Was ist ein Leben

wert?“ (7, 8). Unabhängige Krebs- register bieten im Sinne der Versor- gungsforschung eine Infrastruktur, mit der sich Ärzte mit geringem Aufwand ihre eigene Erfahrung mit Medikamenten erschließen, damit die Versorgung unterstützen und ge- gebenenfalls Patienten vor Unter-, Fehl- und Überversorgung schützen können (9, 10). Die Qualität würde transparent und bewertbar. Zumin- dest im Sinne einer Experimentier- kultur sollte wenigstens in einigen Regionen diese Chance zur Evi- denzgenerierung zum Nutzen der Patienten eingeräumt werden.

Prof. Dr. rer. biol. hum. Dieter Hölzel Prof. Dr. med. Jutta Engel

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit0912 GRAFIK 1

Primär M1, Alter < 70 Jahre, n = 2 475

% 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Jahre

Zeitraum 1980–1984

n = 128 1985–1989 n = 193 1990–1994 n = 320

1995–1999 n = 606 2000–2003 n = 575 ab 2004 n = 653

GRAFIK 2

Primär M1, Alter ≥ 70 Jahre, n = 2 025

% 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Jahre

Zeitraum 1980–1984

n = 52 1985–1989 n = 109 1990–1994 n = 212

1995–1999 n = 495 2000–2003 n = 496 ab 2004 n = 661

GRAFIK 3

Primär M0, MET im Verlauf, Alter < 70 Jahre, n = 1 276

% 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Jahre

Zeitraum (Metastase) 1980–1984

n = 69 1985–1989 n = 144 1990–1994 n = 186

1995–1999 n = 284 2000–2003 n = 274 ab 2004 n = 319

GRAFIK 4

Primär M0, MET im Verlauf, Alter ≥ 70 Jahre, n = 839

% 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Jahre

Zeitraum (Metastase) 1980–1984

n = 29 1985–1989 n = 61 1990–1994 n = 98

1995–1999 n = 155 2000–2003 n = 227 ab 2004 n = 269

Kolonkarzinom – Überleben ab Metastasierung primär oder im Verlauf nach M0 und in Abhängigkeit vom Alter und vom Fünfjahresintervall seit 1980.

M0: keine Metastase, M1: lokale Metastase, MET: Metastasierung

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A 3 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 9

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2. März 2012

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 9/2012, ZU:

KLINISCHE KREBSREGISTER

Aus Erfahrungen aus dem Alltag kann nicht verzichtet werden

Am Beispiel des metastasierten Kolonkarzinoms wird aufgezeigt, wie klinische Krebsregister zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln beitragen können.

LITERATUR

1. Sullivan R, Peppercorn J, Sikora K, et al.:

Delivering affordable cancer care in high- income countries. Lancet Oncol 2011; 12:

933–80.

2. Tangka FK, Trogdon JG, Richardson LC, Howard D, Sabatino SA, Finkelstein EA:

Cancer treatment cost in the United States: has the burden shifted over time?

Cancer 2010; 116: 3477–84.

3. Tumorregister München. http://www.tu morregister-muenchen.de

4. Bruns CH: Manual: Gastrointestinale Tu- moren. Tumorzentrum München, Zuck- schwerdt München 2010; 8.Aufl.

5. Hofstädter F, Hölzel D: Was leisten Tumor- register für die Qualitätssicherung in der Onkologie? Onkologe 2008; 14:

1220–33.

6. Glaeske G: Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie.

Gutachten im Auftrag des BMG 2010.

7. Garattini S, Bertele V: Efficacy, safety, and cost of new anticancer drugs. BMJ 2002;

325: 269–71.

8. Fojo T, Grady C: How much is life worth:

cetuximab, non-small cell lung cancer, and the $440 billion question. J Natl Can- cer Inst 2009; 101: 1044–8.

9. Hölzel D, Altwein J: Hodentumoren: Ist der Rückgang der Mortalität in der Bundesre- publik Deutschland zu langsam erfolgt?

Dtsch Arztebl 1991; 88(47): A-4123.

10. Schlesinger-Raab A, Eckel R, Engel J, et al.: Metastasiertes Mammakarzinom: Kei- ne Lebensverlängerung seit 20 Jahren.

Dtsch Arztebl 2005; 102(40): A-2706–14.

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Referenzen

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