Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
BRIEFE AN DIE REDAKTION
BALINT
Zu dem Aufsatz „Zehn Jahre Balint- Gruppen mit Studenten" von Prof. Dr.
med. Boris Luban-Plozza, Heft 9/1979:
Zuwenig bekannt
... Den Ausführungen von Luban- Plozza ist nur zu wünschen, daß sie auch von den für die Fortentwick- lung der ärztlichen Ausbildung Ver- antwortlichen gelesen werden und den Denkprozeß auch im Hinblick auf die Lernziele der medizinischen Ausbildung in der Bundesrepublik fördern helfen. Einige Anmerkungen seien noch erlaubt:
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Im Augenblick ist in vielen medi- zinischen Zeitschriften etwas über Balint-Gruppen und die Balint-Me- thode zu lesen. Daraus könnte gefol- gert werden, daß diese Methode all- gemein bekannt ist und einen festen Platz in der medizinischen Aus- und Weiterbildung hat. Leider sieht die Praxis ganz anders aus. Im Ver- gleich zur Gesamtzahl haben nur wenige Ärzte und noch weniger Me- dizinstudenten eigene Erfahrungen mit Balint-Gruppen und sind in der Lage, die dort gemachten Erfahrun- gen im Umgang mit ihren Patienten anzuwenden.0
Die Verschulung des Medizinstu- diums hat inzwischen solche For- men angenommen, daß jeder nicht- kognitive Wissenserwerb für den Studenten zu einem „Luxus" gewor- den ist, den er sich kaum noch lei- sten kann. Die Folgen zeigen sich schon jetzt. So stehen in meiner stu- dentenärztlichen Sprechstunde an der Spitze der Kranken mit psychi- schen Beschwerden nicht mehr Phi- losophie- und Psychologiestuden- ten, sondern die jungen Mediziner.Erfahrungen mit Famuli in der eige- nen Praxis sowie zahlreiche Diskus- sionen mit Medizinstudenten zei- gen, daß diese sich den Patienten gegenüber hilflos fühlen, weil deren Klagen meistens nicht in den Kata- log objektiver Krankheitssymptome passen und weil sie nicht lernen, wie die Beziehung mit einem Patienten ohne den klinischen Apparat im Hin- tergrund hergestellt werden kann.
C) Es kann daher nicht nachdrück- lich genug mit Luban-Plozza gefor- dert werden, daß die Balint-Methode zum Erlernen der Arzt-Patienten-Be- ziehung einen festen Platz in der medizinischen Ausbildung findet, und zwar, wie er richtig sagt, mög- lichst schon am Anfang. Ein Engpaß ergibt sich bei den Gruppenleitern.
Eine Balint-Gruppe zu leiten, ist kei- neswegs einfach, wie bei Luban- Plozza anschaulich zu lesen ist. Je- doch müßte es möglich sein, mehr Ärzte, die eine psychotherapeuti- sche Grundausbildung und eine ent- sprechende Erfahrung mit Balint- Gruppen haben, für die dringend notwendige Arbeit mit Studenten zu interessieren.
Dr. med. Hans-Joachim Strecker Studentenarzt der Universität Saarstraße 21, SB II
6500 Mainz
Eigene Erfahrungen
Ich möchte einige Erfahrungen, die ich auf dem 7. Balint-Treffen in As- cona (23. bis 25. März 1979) als Stu- dent gemacht habe, zu ihrem Artikel in Beziehung setzen. Als Teilnehmer
—ECHO
Zu: Die universitäre Ausbildung zum Arzt— mehr „Praxisnähe oder mehr Theorie?" von Prof. Dr.
med. Klaus Dietrich Bock in Heft 17/1979, Seite 1182 ff.
Tiefstand
„Die große Mehrheit der Hochschullehrer der klini- schen Medizin ist sich einig darüber, daß die Ausbildung zum Arzt einen gefährlichen Tiefstand erreicht hat." Die- se alarmierende Feststellung traf kürzlich ein Hochschul- mediziner, Professor Klaus Dietrich Bock (Essen), im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, dem Organ der Bundesärz- tekammer. (Rosemarie Stein in: Der Tagesspiegel)
an dieser in ihrer Art wohl einzigarti- gen Begegnung zwischen Prakti- kern und Studenten erlebte ich fol- gende Probleme als mitteilenswert:
Deutlich zeigte sich bei mir und an- deren Teilnehmern zu Beginn der Balint-Gruppenarbeit die Angst, über eigene Erfahrungen mit Patien- ten — genauer: die Beziehung zum Patienten — und die Unsicherheit zu sprechen. In der Gruppe führte dann der Austausch an Gedanken und Gefühlen in bezug auf eine vorge- stellte Arzt-Patienten-Beziehung bald zu einer wachsenden Intensi- vierung der Gespräche, zu genaue- rer Fremd- und Selbstwahrnehmung und zu größerer Sicherheit und Kompetenz. Wichtig war für mich das soziale Lernen in der Balint- Gruppe und das Erleben und der Umgang mit meinen Gefühlen zur geschilderten Patienten-Beziehung.
Ich fühlte mich allgemein bereichert.
Auch die ärztlichen Teilnehmer (Praktiker) erlebten in der Gruppen- begegnung mit den Studenten eine
„Befruchtung durch die Jüngeren"
und deren Probleme. Die Zusam- menarbeit in Ascona war vielleicht gerade wegen ihrer raum-zeitlichen Begrenzung sehr intensiv. Das Pro- gramm bot in seiner Verknüpfung von Referaten (Fakten, Information als „kognitiver Rahmen") und Grup- penarbeit (Bezug zum Patienten, zur eigenen Person und Umwelt als
„emotionales Feld") ein Arbeitsmo- dell, das in seiner Grundkonzeption richtungweisend für die in ihrem Artikel angesprochenen Fragen ist.
Ich lernte in Ascona alternative Kommunikationsmöglichkeiten von Student zu Arzt und umgekehrt ken- nen, die sich in der Hierarchie des Alltags kaum ergeben — sicherlich ein Produkt der gemischt arbeiten- den Gruppen. Anhand der Bearbei- tung von einzelnen Fällen wurde die
„ganzheitliche" Betrachtungsweise des Patienten deutlich, die zu einem besseren Verständnis von Krankheit überhaupt führen kann. Denn gera- de der „psychosomatische Zugang"
zum Patienten wird im Studium an den meisten Universitäten etwas stiefmütterlich behandelt .. .
cand. med. Rainer Hofmann Draiserstraße 164, 6500 Mainz 1
1878 Heft 28 vom 12. Juli 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT