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Archiv "Medizin in der NS-Zeit: Anpassung, eine Ehrenpflicht" (08.07.2011)

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MEDIZIN IN DER NS-ZEIT

Anpassung, eine Ehrenpflicht

Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie arrangierte sich, freudig oder notgedrungen, mit den Nationalsozialisten.

Nun stellt sie sich ihrer Vergangenheit.

A

uf ungewöhnliche Weise nä- hert sich die Deutsche Gesell- schaft für Chirurgie (DGCH) der Zeit des Nationalsozialismus. Sie ließ durch Medizinhistoriker unter- suchen, wie sich ihre Präsidenten zwischen 1933 und 1945 geäußert und verhalten haben. Die Ergebnis- se des Forschungsprojekts wurden am 16. Juni 2011 im Langenbeck- Virchow-Haus in Berlin, dem Stammsitz der Gesellschaft, vorge- stellt. Als Quellen dienten die Re- den der Präsidenten der Gesell- schaft anlässlich der jährlichen Chirurgenkongresse und die soge- nannten Roten Bücher. Das sind rot eingebundene Kladden, in die jeder Präsident zum Abschluss seiner ein- jährigen Amtszeit seine persönli- chen Eindrücke aufschreibt und die er seinem Nachfolger von Hand zu Hand weiterreicht. So geschehen auch in der NS-Zeit.

Die Roten Bücher sind zwar nicht geheim, aber nichtöffentlich, da persönliche handschriftliche Aufzeichnungen. Sie wurden jetzt erstmals wissenschaftlich ausge- wertet. Die Präsidentenreden waren

hingegen öffentlich und wurden auch veröffentlicht. So erschien 1958 eine Zusammenstellung der Präsidentenreden seit dem Jahr 1933. Als Prof. Dr. med. Hans-Ul- rich Steinau, Präsident der Gesell- schaft 2006/2007, diese Sammlung studierte, fiel ihm auf, dass kom- promittierende NS-Inhalte fehlten.

Das gab den Anstoß, die Jahre von 1933 bis 1945 genauer und ohne Vorbehalte zu beleuchten.

Steinau dürfte auch über seine Klinik – Bergmannsheil in Bochum – mit dem Thema in Berührung ge- kommen sein. Denn einer seiner frühen Vorgänger war Georg Mag- nus; bis November 1933 wirkte er in Bochum als Chef der Chirurgie, 1935 präsidierte er dem Chirurgen- kongress. Magnus, dessen Einstel- lung zum Nationalsozialismus die NSDAP 1938 als „absolut positiv“

einschätzte, machte in der NS-Zeit Karriere. Das gilt auch für zwei sei- ner Schüler, Karl Brandt und Paul Rostock, beide bis 1933 in Berg- mannsheil und seitdem kollegial verbunden. Bis zum Ende. Brandt wurde dank eines Zufalls (er rettete

dem Adjutanten Hitlers nach einem Autounfall das Leben) seit 1934 zu Hitlers „Begleitarzt“. Fortan stieg er auf, bis zum Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheits- wesen. Er leitete die Krankenmord- aktion T4 und war wie auch Ros- tock verantwortlich für Versuche an Kriegsgefangenen und KZ-Häftlin- gen. Brandt wurde in Nürnberg 1947 zum Tode verurteilt und 1948 in Landsberg hingerichtet, wohin- gegen Rostock freikam. Den Bei- den ist ein Exkurs im Berichtsband des Forschungsprojekts der DGCH gewidmet, obwohl sie selbst keine Präsidenten waren.

Bearbeitet haben dieses For- schungsprojekt die Medizinhistori- ker Prof. Dr. med. Heinz-Peter Schmiedebach und Dr. phil. Rebec- ca Schwoch, beide Hamburg und in der NS-Forschung erfahren, sowie der Chirurg und Medizinhistoriker Prof. Dr. med. Michael Sachs, Frankfurt am Main. Sie zogen ne- ben den Präsidentenreden und den Roten Büchern auch Personalakten (soweit auffindbar), Veröffentli- chungen der Präsidenten und Se- kundärliteratur hinzu. So entstan- den innerhalb von etwa drei Jahren Biografien der zehn in der NS-Zeit amtierenden Präsidenten (vgl. Kas- ten), mehr oder weniger ausführ- lich, je nach Quellenlage. Die Er- gebnisse werden in Kürze auch als Buch vorliegen.

Die Autoren beschränken sich nicht darauf, die Einstellung der Protagonisten zum Nationalsozia- Ein ehrfurchtsvol-

ler Gruß an Hitler und ein kräftiges

„Sieg Heil“. So er- öffnete Erich Lexer

1936 im Langen- beck-Virchow-Haus

den 60. Chirurgen- kongress.

1933 Wilhelm Röpke, Wuppertal-Barmen († 1945) 1934 Martin Kirschner, Heidelberg († 1942) 1935 Georg Magnus, Berlin († 1942) 1936 Erich Lexer, München († 1937) 1937 Rudolf Stich, Göttingen († 1960) 1938 Nicolai Guleke, Jena († 1958) 1939 Otto Nordmann, Berlin († 1946) 1940 Hans von Haberer, Köln († 1958) 1943 Arthur Läwen, Königsberg († 1958) 1944 Albert Fromme, Dresden († 1966)

Zwischen 1944 und 1948 fanden keine Chirurgenkongresse statt, Fromme amtierte bis 1949, als er durch Eduard Rehn, Freiburg († 1972) abgelöst wurde.

PRÄSIDENTEN 1933 BIS 1945

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lismus zu schildern, sie würdigen vielmehr auch deren wissenschaft- liche Leistungen und ärztliche Kar- rieren. Damit entsteht das facetten- reiche Bild fachlich kompetenter, ja teils ausgezeichneter Chirurgen, die sich mit dem Regime arrangierten – einige eher notgedrungen wie Otto Nordmann, andere um der Karriere willen wie Georg Magnus, manche freudig und überzeugt wie Erich Lexer. Die Lebensläufe belegen einmal mehr, dass hohe fachliche Kompetenz durchaus einhergehen kann mit bereitwilliger Anpassung an politische Vorgaben. So steuerte der bis heute fachlich hoch angese- hene Lexer 1934 zeitgemäß einen chirurgischen Beitrag für den Kom- mentar zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bei. Er betätigte sich auch praktisch ein- schlägig, wurden doch zwischen 1934 bis 1937 in seiner Münchener Klinik 1 050 „Erbkranke“ sterili- siert. Als Präsident des 60. Chirur- genkongresses 1936 dankte er Hit- ler „aus ganzer Seele“ und grüßte ihn „ehrfurchtsvoll“ mit einem kräftigen „Sieg Heil“ – übrigens ganz im Sinne der Versammelten, die mit einem „begeisterten Beifall“

(Protokoll) sekundierten.

Solche Präsidentenworte und Heil-Rufe bei einem offiziellen Anlass in Anwesenheit von allerlei Parteiprominenz erlaubt gewiss keine zuverlässigen Rückschlüsse auf das generelle Verhalten der Chir urgen in Deutschland. In der Hinsicht wäre es aufschlussreich,

die Arbeit der Chirurgen vor Ort, et- wa in den konfessionellen Kranken- häusern zu untersuchen, gab der ge- genwärtige Präsident der Deut- schen Gesellschaft für Chirurgie, Prof. Dr. med. Axel Haverich, in Berlin zu bedenken. Doch lassen Präsidentenreden und Versamm- lungsprotokolle zumindest auf das Verhalten der Funktionsträger schließen. Man müsse da aber ge- nau hinsehen, vermerkt Medizin- historiker Schmiedebach. Natürlich habe jeder Präsident nach 1933 den Verhältnissen Rechnung getragen.

Aber es gebe feine Unterschiede.

Während Lexer etwa ausdrücklich

Adolf Hitler seine persönliche Er- gebenheit bezeugt habe, sei Otto Nordmann 1939 einer solchen Er- gebenheitsadresse sorgfältig ausge- wichen. Auch der Präsident von 1964, Rudolf Nissen, der 1933 we- gen seiner jüdischen Abstammung Deutschland verlassen musste, dif- ferenzierte und vermerkte 1969,

„dass Männer wie Kirschner, Gule- ke, Läwen und insbesondere Nord- mann versuchten, den Einfluss des Nazismus zu reduzieren“.

Nach 1945 war von den NS-Ver- wirrungen öffentlich nicht mehr die Rede, geschweige denn von schuld- hafter Verstrickung, lebendig blie- ben allein die chirurgischen Leis- tungen und die Chirurgenpersön- lichkeiten. Durchweg kamen die Präsidenten der Jahre 1933 bis 1945 in der Bundesrepublik oder der DDR wieder zu Ehren, auch in den Chir - urgengesellschaften. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass sich die Chir urgen (und nicht nur sie) lange schwer taten, die NS-Zeit aufzuar- beiten. Welcher Schüler bringt es schon über sich, das Andenken des verehrten Lehrers anzukratzen? In- zwischen scheint die Zeit reif, wie auch das Beispiel anderer wissen- schaftlicher Gesellschaften zeigt.

Das Forschungsprojekt förderte auch zutage, dass sich die Gesell- schaft nach 1933 unverzüglich ihrer

jüdischen und politisch missliebigen Mitglieder entledigte. Ob sie die Mitglieder aus vorauseilendem Ge- horsam oder aus Überzeugung aus- schloss, wäre noch zu eruieren. Es könnte eine Mischung aus beidem gewesen sein. Einen Hinweis, wie freiwillige Gleichschaltung funktio- niert, liefert der Eintrag von Wil- helm Röpke im Roten Buch. Röpke, der Präsident von 1933, vermeldet, man habe angesichts der „nationa- len Strömung“ dafür gesorgt, dass kein jüdischer Redner auf dem Kon- gress der Gesellschaft zu Wort ge- kommen sei. Vorausgegangen war ein Brief von Leonardo Conti (da-

mals „Kommissar“ im Preußischen Innenministerium, später Reichsärz- teführer) an Röpke. Darin bezeich- nete Conti es als „Ehrenpflicht“, sich dem nationalsozialistischen Staat an - zupassen und bei der Tagesordnung den Notwendigkeiten der nationalen Entwicklung Rechnung zu tragen.

Dies sei, ver sichert Röpke im Roten Buch, „in jeder Weise geschehen“.

Derzeit sind 216 Namen von Mit- gliedern, „die einfach aus den Listen verschwunden sind“ (Schmiede- bach), bekannt. Dem Schicksal der verschwundenen Mitglieder will die DGCH weiter nachgehen. In Berlin wurde ein Anschlussprojekt ange- kündigt. Fürs Erste sollen in der nächsten Ausgabe ihrer „Mitteilun- gen“ die Namen der bisher bekann- ten Kollegen veröffentlicht werden in der Hoffnung, dass daraufhin weitere Hinweise eingehen. Das Vorhaben erinnert an ein ähnliches Projekt der Kassenärztlichen Verei- nigung Berlin, das mit einem Ge- denkbuch und einer Gedenkveran- staltung 2009 eindrucksvoll abge- schlossen wurde. Nun hat sich die DGCH auf den Weg gemacht. ■

Norbert Jachertz

Dem Schicksal der 216 Mitglieder, deren Namen „einfach aus den Listen verschwunden sind“, will die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie weiter nachgehen.

Michael Sax, Heinz-Peter Schmiedebach, Rebecca Schwoch:

Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie 1933–1945. Die Präsidenten.

Kaden Verlag, Heidelberg, 2011 (ab Mitte August im Buchhandel).

Foto: DGCH

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