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Archiv "Medizin in der NS-Zeit: Forschung kaum noch zu überblicken" (01.04.2011)

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A 692 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 13

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1. April 2011

MEDIZIN IN DER NS-ZEIT

Forschung kaum noch zu überblicken

Ein von der Bundesärztekammer initiierter Bericht ordnet und bewertet den aktuellen Forschungsstand zur Rolle der Ärzteschaft in den Jahren 1933 bis 1945.

W

ir stehen erst am Anfang unseres Wissens“ – gar so extrem, wie dies Bundesgesund- heitsminister Philipp Rösler bei der Verleihung des gemeinsam von Bundesärztekammer (BÄK), Kas- senärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Bundesgesundheits - ministerium gestifteten Preises für Forschungen zur Rolle der Ärzte- schaft in der NS-Zeit formulierte, stellt sich der Sachverhalt inzwi- schen wohl nicht mehr dar. Zutref- fend allerdings ist: „Ärzte waren mit an den schlimmsten Verbre- chen beteiligt, sie haben die Arzt- Patienten-Beziehung missbraucht.

Sie haben mit ihrem medizinischen Wissen geholfen, anderen Men- schen Leid zuzufügen“ – so Rösler am 23. März bei der Gedenkveran- staltung für die Opfer der während des Nationalsozialismus begange- nen Verbrechen in der Neuen Sy-

nagoge in Berlin. Doch dass der Forschungsstand zur NS-Medizin- geschichte insgesamt unbefriedi- gend sei, wurde im Grunde bei der- selben Veranstaltung durch den von renommierten Medizinhisto - rikern vorgelegten Forschungsbe- richt „Medizin und Nationalsozia- lismus. Bilanz und Perspektiven der Forschung“ widerlegt.

Dieser stellt einen ersten Über- blick dar über die kaum noch über- schaubare Literatur auf diesem Ge- biet. Das Buch bietet Orientierung zum bisher erreichten Stand der Forschung und ist gleichzeitig ein Wegweiser für künftige For- schungsprojekte. Zentrale Themen sind die NS-Gesundheitspolitik und die ihr zugrundeliegende Weltan- schauung, das Gesundheitswesen und die medizinische Forschung, die medizinische Praxis in der Zeit vor und während des Zweiten Welt-

kriegs sowie Brüche und Kontinui- täten nach 1945.

Dass es zu dieser Publikation kam, ist insbesondere dem Engage- ment des im Juni aus seinem Amt scheidenden Bundesärztekammer- präsidenten Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe zu verdanken. Er gab den Anstoß zu diesem Projekt und sorgte durch die Bereitstellung der finanziellen Mittel vonseiten der Bundesärztekammer für eine rasche und erfolgreiche Durchfüh- rung. „Wir wissen, dass Ärzte nicht nur weggesehen und geschwiegen, sondern aktiv an der systematischen Ermordung von Kranken und soge- nannten gesellschaftlichen Rand- gruppen mitgewirkt haben. Ärzte haben in der Zeit des Nationalsozia- lismus Tod und Leiden von Men- schen herbeigeführt, angeordnet oder gnadenlos verwaltet“, sagte Hoppe bei der Vorstellung des For-

Robert Jütte, Wolfgang U. Eckart, Hans-Walter Schmuhl, Winfried Süß: Medizin und Nationalsozialis- mus. Bilanz und Perspektiven der Forschung. Wallstein- Verlag, Göttingen 2011, 324 Seiten, gebunden, 24,90 Euro

Foto: Norbert Michalke

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1. April 2011 A 693 schungsberichts in der Neuen Syna-

goge. Zu spät erst habe sich die deutsche Ärzteschaft nach dem Krieg zur Schuld der Ärzte im Na- tionalsozialismus bekannt. „Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den von Ärzten begangenen Verfeh- lungen und Verbrechen hat es in den Nachkriegsjahren bis weit in die 70er Jahre hinein nicht gegeben.“

Dies habe sich in den vergange- nen Jahrzehnten doch sehr ein- drücklich geändert, betonte Prof.

Dr. phil. Robert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Me - dizin der Robert-Bosch-Stiftung, Stuttgart. „Man kann sogar sagen, dass es kein Thema in der Medizin- geschichte gibt, das in den letzten 30 Jahren so intensiv erforscht worden ist wie die Rolle der Medi- zin im Nationalsozialismus.“ Diese an sich zu begrüßende wissen- schaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle der Medizin in der NS-

Zeit führt allerdings zu einem ganz neuen Problem. Jütte: „Kaum je- mand übersieht noch die gesamte Bandbreite der Forschung auf die- sem Gebiet. Selbst ausgewiesene Experten und Kenner der Materie tun sich deswegen gelegentlich schwer, den Stellenwert ihrer eige- nen Arbeit in diesem sich dyna- misch entwickelnden Forschungs- feld richtig einzuschätzen.“ Ange- sichts dieses inzwischen hochdiffe- renzierten Forschungsstands sei ein aktueller Forschungsbericht zur Geschichte der Medizin im Natio- nalsozialismus seit vielen Jahren überfällig gewesen.

Der Untertitel des Buches – „Bi- lanz und Perspektiven der For- schung“ – weist auf die inhaltlichen Schwerpunkte hin. Erstmals wür- den hier, führte Jütte aus, die Wege der wissenschaftlichen Annäherung an diesen Themenkomplex bewer- tend in knappen Strichen nachge-

zeichnet („bibliographie raisonée“);

darüber hinaus würden auch die Desiderate künftiger Forschung, die es durchaus noch gebe, benannt.

So gebe es etwa in Bezug auf die medizinische Praxis in der Zeit des Nationalsozialismus noch viel For- schungsbedarf. Einige Leitthemen der Sozialgeschichte der Medizin, wie zum Beispiel Professionalisie- rung oder Medikalisierung, seien bisher unzureichend berücksichtigt worden.

Der Forschungsbericht gibt eine ordnende Struktur für die Vielzahl der vorliegenden Einzeldarstellun- gen zur NS-Medizin. Deutlich zeigt er damit aber auch, woran es mitt- lerweile bei der wissenschaftli- chen Auseinandersetzung vor allem mangelt: Es fehlt an Gesamtdarstel- lungen, die auf dem neuesten Stand der Forschung ein möglichst breites Spektrum abdecken. ■ Thomas Gerst

Im Rahmen der Gedenkveranstaltung in der Neuen Synagoge wurden zum dritten Mal die mit insgesamt 10 000 Euro dotierten Forschungs- preise, gestiftet vom Bundesgesundheitsministerium, der Bundesärzte- kammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, für die histori- sche Aufarbeitung der Rolle der Ärzteschaft in der NS-Zeit verliehen.

Hauptpreisträgerin in diesem Jahr ist Dr. med. Susanne Rueß, die in ihrer Dissertation anhand von Einzelschicksalen das an jüdischen Ärzten begangene Unrecht in der NS-Diktatur – auch noch nach 1945 – be- schreibt. Die Arbeit der Stuttgarter Ärztin ist für die Jury nicht nur ein herausragendes Gedenkbuch, das die Opfer aus der Anonymität heraus- hole. Es sensibilisiere auch die nachwachsende Ärztegeneration dafür, dass Zivilcourage möglich und ein bleibendes Thema ärztlicher Ethik sei.

Weitere Forschungspreise gingen an Dr. phil. Rebecca Schwoch, aus deren Forschungsprojekt zwei Monografien hervorgingen, in denen die Strukturen der Verfolgung jüdischer niedergelassener Ärzte sowie die Kontinuitäten und Brüche im Denken und Handeln der organisierten Ärz- teschaft in Berlin vorbildlich dargestellt werden, und an Dr. phil. Anna von Villiez, die in ihrer Lokalstudie zum Schicksal jüdischer Ärzte in Hamburg während der NS-Zeit sowohl die niedergelassenen als auch die klinisch tätigen Ärzte berücksichtigt.

Mit einem Sonderpreis zeichneten die Juroren Dr. med. Hansjörg Ebell aus, der mit einem Ausstellungsprojekt an den 70. Jahrestag des Approbationsentzugs bei jüdischen Ärztinnen und Ärzte erinnert. Die Wanderausstellung ist vom 24. März bis zum 29. April im Haus der Bundesärztekammer in Berlin-Tiergarten zu besichtigen.

FORSCHUNGSPREIS VERLIEHEN

Ausgezeichnete Forschung: Preisträger, umgeben von Stiftern und Juroren (erste Reihe v.l.: Schwoch, von Villiez, Rueß; zweite Reihe, dritter v.l.: Ebell)

Foto: Norbert Michalke

Susanne Rueß:

Stuttgarter jüdische Ärzte während des Nationalsozialismus.

Königshausen & Neu- mann, Würzburg 2009, broschiert, 49,80 Euro Su

St Är Na m br

Judith Hahn, Rebecca Schwoch: Anpassung und Ausschaltung.

Die Berliner Kassen - ärzt liche Vereinigung im Nationalsozialis- mus. Hentrich & Hent - rich, Berlin 2009, 227 Seiten, 19,80 Euro Rebecca Schwoch,

(Hrsg.): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus.

Ein Gedenkbuch.

Hentrich & Hentrich, Berlin 2009, 973 Seiten, 38 Euro

Anna von Villiez:

Mit aller Kraft ver- drängt. Entrechtung und Verfolgung „nicht arischer“ Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945. Galitz Verlag, Hamburg 2009, broschiert, 24,90 Euro

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