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Archiv "NS-ZEIT: Unzutreffend" (14.01.1987)

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troffenen wirklich Gewalt an- gewendet wurde. 1937/38 ha- be ich auf der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Mannheim eine Reihe von Sterilisatio- nen nach diesem Gesetz (sie durften ausschließlich nur vom Oberarzt durchgeführt werden!) erlebt. Ich habe aber nicht erlebt, daß diese Operation unter Protest eines Patienten durchgeführt wurde .. .

Mir sind keine nach dem genannten Gesetz Operierte (oder sogar Angehörige) mit Scham- und Schuldgefühlen bekannt geworden. Ich verste- he auch nicht, warum sie sol- che haben sollten. Wenn sie unter Zwang sterilisiert wur- den oder bei Vorliegen eines der genannten Leiden sich freiwillig operieren ließen, so können doch nur „Schwach- sinnige" oder nur „bösarti- ge" Menschen dies als einen Makel betrachten. Und gilt die freiwillige Sterilisation in mehreren Ländern nicht als anerkanntes und erwünschtes Mittel zur Geburtenregelung, ohne dabei zur Bildung einer Gruppe von Menschen zwei- ter Klasse beizutragen? In die- sem Zusammenhang von

„Schmach" , „Minderwertig- keit" , „Nichtaufnahme in die Gemeinschaft der Bundesbür- ger" zu sprechen, klingt gera- dezu grotesk in einem Land, das die Tötung normalen Le- bens aus sozialer Indikation für rechtens hält und in dem das Traum-Ziel von Millionen Menschen die Erlangung ei- nes „Schwerbehinderten- Ausweis" darstellt!

Wenn Prof. Dörner sagt, daß „man 1933 schon welt- weit wußte, daß die Grundla- gen des Erbgesundheitsgeset- zes unwissenschaftliche Glau- benssache waren", so muß dieser Aussage unbedingt wi- dersprochen werden. Die Antwort auf die Aussage:

„Wie schon 1933 so wissen wir auch heute, daß weder psychische Krankheiten noch geistige Behinderungen (von wenigen Ausnahmen abgese- hen) Erbkrankheiten sind, wenn auch statistisch gesehen Erblichkeit eine Rolle spielt,

„diese Antwort müssen die Vererbungsforscher Prof.

Dörner geben. Sie dürften als Befürworter einer eugeni- schen Indikation zur Schwan- gerschaftsunterbrechung und als Leiter einer zunehmenden Zahl von „Humangeneti- schen Beratungsstellen`

nicht seiner Ansicht sein.

Diese Ausführungen über ein bestimmtes Problem be- dürfen unbedingt der Ergän- zung durch einige allgemeine Aussagen:

1) Überall in der (unbe- rührten) Natur können wir eine Fortentwicklung feststel- len, die als naturgesetzlich und damit als gottgewollt be- zeichnet werden muß. Es er- hebt sich daher die Frage, ob beim Menschen diese Fort- entwicklung bereits am Ende angelangt ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß dieser heute die Welt beherr- schende, furchterregende und fürchterliche Clown das Ende der Schöpfung dar- stellt. Man müßte sonst von.

einer Fehlentwicklung spre- chen.

2) Eine Weiterentwick- lung (auch beim Menschen) kann es nur über eine Ver- besserung des Erbgutes ge- ben. Das heißt andererseits, daß jede Verschlechterung der Erbmasse einen Schritt zurück, eine Degeneration bedeutet. Da beim Menschen die Erhaltung und Verbesse- rung der Erbsubstanz durch die natürliche Auslese ausge- schaltet wurde, müssen

„künstliche" Maßnahmen an ihre Stelle treten. Wer also einen Fortschritt beim Men- schen für möglich und gottge- wollt hält, muß die Maßnah- men der Eugenik bejahen.

3) Wenn auch die negati- ven Maßnahmen der Eugenik gegenüber den positiven Maßnahmen . . . in den Hin- tergrund treten, so dürfen doch die negativen Maßnah- men keineswegs unbeachtet bleiben. Durch die Fort- schritte der Medizin errei- chen immer mehr Menschen mit starken Schädigungen des Erbgutes das Fortpflanzungs- alter, und durch die zivilisa-

tionsbedingten Schädigungen des Erbgutes . . . gewinnen die negativen Maßnahmen immer mehr an Bedeu- tung .. .

Dr. P. Leistenschneider, Am Kurpark 8, 5408 Nassau- Lahn

Unzutreffend

Das Thema ist sehr wich- tig und verdient ernst genom- men zu werden. Unzutref- fend (und eher eine Hervor- hebung eigener Wichtigkeit) ist es allerdings zu behaup- ten, andere Ärzte hätten sol- che Kranke und Betroffene bislang, also mehr als vierzig Jahre, nicht gesehen. Verall- gemeinerung eigener Erfah- rungen bedeutet nicht wis- senschaftliche Objektivität.

Woher nimmt der Autor das Recht zu Pauschalisierungen wie „Daß das so ist, begin- nen wir erst in den letzten Jahren zu ahnen ... "

Dr. med. Eberhard Ruh, Erwinstraße 50, 7800 Frei- burg

Schlußwort

„Während ich von jünge- ren ärztlichen Kollegen in Zuschriften überwiegend Zu- stimmung erfahren habe, ha- ben sich in den Leserbriefen eher ältere Kollegen zu Wort gemeldet, die selbst noch bei Sterilisationen nach dem NS- Erbgesundheitsgesetz teilge- nommen haben. Ihren Ein- druck, nie Widerstand der Betroffenen gegen die Sterili- sation erlebt zu haben, kann ich gut verstehen. Er ist frei- lich zugleich ein erschüttern- der Beleg für den totalen Zwangscharakter des Geset- zes. Denn nachdem man jetzt begonnen hat, die Prozeßak- ten zu untersuchen, weiß man wie die Betroffenen und ihre Angehörigen gegen die drohende Sterilisation ge- kämpft haben — freilich meist ohne Erfolg. Daher gab es meist zu der Zeit, zu der die Sterilisationsoperation durchgeführt wurde, in der Tat keinen Widerstand mehr.

Die Diagnose „Sozialer Schwachsinn" war freilich selbst nach der Meinung der Erfinder und Kommentato- ren des Erbgesundheitsgeset- zes verboten. Aber in der Tat haben die Mehrzahl der Be- troffenen nie eine Psychiatrie von innen gesehen, da ja ge- rade solche „Fälle" sterili- siert werden sollten, die selbst nicht so sehr krank oder gestört sein sollten, eben deshalb aber als beson- ders „fortpflanzungsgefähr- lich" galten.

Entgegen dem Eindruck der älteren Kollegen stütze ich meine Urteilsbildung einerseits auf die quantitative Analyse der Erbgesundheits- gerichtsprotokolle , zum an- deren aber auch inzwischen auf etwa 100 noch lebende Zwangssterilisierte, die ich bisher kennengelernt habe, seit ich dafür aufmerksam ge- worden bin und aktiv meine Gesprächsbereitschaft ihnen gegenüber bekundet habe.

Erst seither weiß ich von dem unermeßlichen Elend der zwangssterilisierten Men- schen, weiß von ihrer Ein- samkeit — gerade im Alter oh- ne Kinder —, von ihren Min- derwertigkeitsgefühlen und ihren Schamgefühlen. Das geht bis dahin, daß sie Krebs- vorsorgeuntersuchungen aus- lassen, um die Herkunft der Operationsnarben nicht be- gründen zu müssen.

Von daher weiß ich, daß wir Ärzte in den letzten Jahr- zehnten nach dem Kriege mit wenig Worten viel Elend hät- ten lindern können, wenn wir nur sensibler, aufmerksamer und aktiver auf diese Leute zugegangen wären. Dabei setze ich mich wahrlich nicht aufs hohe Roß, denn auch ich hätte schon 25 Jahre lang auf- merksamer sein können. Im- merhin scheint es nun doch so zu sein, daß der Deutsche Bundestag in Kürze ange- messene Worte für die Unge- rechtigkeit finden wird, die etwa 400 000 Menschen an- getan worden ist."

Prof. Dr. Dr. Klaus Dör- ner, Westfälisches Landes- krankenhaus, Postfach 33 52, 4830 Gütersloh 1

A-70 (18) Dt. Ärztebl. 84, Heft 3, 14. Januar 1987

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