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Archiv "Medizin in der NS-Zeit: „Ich bin allein auf weiter Flur“" (20.08.2012)

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A 1696 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 33–34

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17. August 2012

MEDIZIN IN DER NS-ZEIT

„Ich bin allein auf weiter Flur“

Autografen jüdischer Dermatologen

D

ie nationalsozialistischen Ver- brechen an den Juden haben in vielen Zeugnissen ihren Nieder- schlag gefunden. Mehrere in den vergangenen Jahren aufgefundene, bisher nicht veröffentlichte Brie- fe jüdischer Dermatologen (Archiv Albrecht Scholz) dokumentieren den Absturz von Ärzten, die sich mit aller Kraft für die Medizin in Deutschland eingesetzt hatten und unter absoluter Missachtung ihrer Verdienste in Einsamkeit und Tod gedrängt worden sind.

Josef Jadassohn (1863–1936)

gehört zu den einflussreichsten Der- matologen des 20. Jahrhunderts. Das berufliche Leben des aus dem schle- sischen Liegnitz/Legnica stammen- den jüdischen Kaufmannssohnes ist durch die Direktorate von zwei Universitätshautkliniken bestimmt:

21 Jahre Leiter der Dermatologi- schen Klinik in Bern und 14 Jahre Ordinarius und Klinikdirektor in Breslau/Wroclaw. Es gibt kaum ein Teilgebiet der Dermatologie, für das er nicht entscheidende An - regungen gegeben hat. Mit seinem Namen verbunden ist das von 1927 bis 1934 erschienene 23-bändige

„Handbuch der Haut- und Ge-

schlechtskrankheiten“. Josef Jadas- sohn hatte die außergewöhnliche Fähigkeit großer Lehrer, selbst als Forscher tätig zu sein und gleicher- maßen Schüler mit sicherem In- stinkt auszuwählen, die Spezialge- biete bearbeiten und im fruchtbaren Austausch mit ihrem Lehrer das Wissen des Faches mit neuen Er- kenntnissen bereichern.

1931 trat Jadassohn im Alter von 68 Jahren auf eigenem Wunsch vom Lehramt und Klinikdirektorat zu- rück. Der mit Schlesien und der von ihm geliebten Universität Breslau tief verbundene Dermatologe wech- selte 1933 auf Drängen seiner Fa - milie nach Zürich. Der international gesuchte, mit der ganzen Welt im Austausch stehende, auf Kongres- sen brillierende Repräsentant der Dermatologie geriet in zunehmende Isolation und Einsamkeit. In einem Brief vom 27. November 1934 an die frühere Assistentin in Breslau, Ruth Noll, schreibt er: „[. . .] von mir hätte ich Ihnen ja auch nichts Gutes berichten können [. . .] Das letzte Jahr in Breslau hat mir, wie Sie sich denken können, sehr zuge- setzt – ich war, was Sie ja an mir kennen, andauernd schwer depri- miert.[. . .] Ich lebe hier sehr einsam [. . .] Nun habe ich Ihnen doch vor- geklagt – man soll eben auch brief- lich sich so zusammennehmen kön- nen, wie ich es persönlich jetzt meist thun kann.“

Der weitere Inhalt des Briefes ist überwiegend von kummervollen Nachrichten geprägt: Jadassohns Ehefrau werde wegen einer Depres- sion in einem Sanatorium behan- delt, die Verhandlungen über die Ruhestandsbezüge in Breslau seien

„mit einem finanziell katastropha- len Resultat abgeschlossen“ wor- den, der Schwiegersohn in Bres- lau könne sich nicht habilitieren.

Positiv empfinde er die Besuche früherer Assistenten aus Breslau, wobei ihre Vertreibung wegen ihrer

„nichtarischen“ Abstammung alle Probleme bewusst mache.

Am 24. März 1936 starb Josef Ja- dassohn in Zürich. Die in Deutsch- land erscheinenden medizinischen Zeitschriften widmeten ihm keinen Nachruf. Der Wiener Privatdozent Richard Volk (1876–1944) kenn- zeichnete in seinem Nachruf in der

„Wiener Klinischen Wochenschrift“

von 1936 die tiefe Enttäuschung Jadassohns über die Entwicklung seines deutschen Vaterlandes: „[. . .]

tiefste Depression umdüsterte sein Gemüt, er, der einst so Geschätzte, konnte sich in die neuen Verhältnis- se nicht hineinfinden.“

Eugen Galewsky (1864–1935)

war vor und nach dem Ersten Welt- krieg der gesuchteste und beliebtes- te Dermatologe in eigener Praxis in Dresden. Seine Klientel umfasste die gesamte soziale Breite von den Armen der Stadt bis hinauf in die königliche Familie. Die Praxis in der Christianstraße 21 im Zentrum der Stadt verband Sprechstunde, Klinikbetten, Bibliothek und eine berühmte Moulagensammlung. Ne- ben seiner täglichen Praxis war er wissenschaftlich engagiert, publi- zierte in Zeitschriften und veröf-

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Krönung seiner Aktivitäten war die Leitung der 14. Tagung der Deut- schen Dermatologischen Gesell- schaft 1925.

Eugen Galewsky war voll in das gesellschaftliche Leben der Dres - dener Oberschicht integriert. Er war sowohl als Rotarier als auch als Teilnehmer verschiedener Zirkel mit namhaften Musikern, Bildhau- ern, Malern, Architekten, Fabri- kanten und Kaufleuten befreundet.

Der Absturz aus diesem Lebens- umfeld war entsprechend drama- tisch. Der organisierte Boykott von Geschäften und Arztpraxen am 1. April 1933 traf auch seine Pra- xis. Der seit 1926 in seiner Pra- xis arbeitende Sozius Karl Linser (1895–1976) trennte sich am 1. Sep- tember 1933 von Galewsky, der da - durch tief betroffen war. Galews ky schrieb an Felix Pinkus (1868–

1947): „[. . .] Inzwischen ist auch bei mir die Entscheidung gefallen, Linser verlässt mich, da er nicht glaubt mit einem Nichtarier (Neb- bich) zusammen bleiben zu dürfen.

Es ist für mich ein harter Schlag und ich überlege mir, ob ich allein weiter wurstele [. . .] Hier ist es z. Z. scheusslich, die jungen Col- legen suchen alle Nichtarier weg- zudrängen [. . .].“

Galewsky koordinierte seit Be- ginn des Jahres 1933 die Vorberei- tung einer Festschrift zum 70. Ge- burtstag von Josef Jadassohn. Im diesbezüglichen Briefwechsel än- dert sich mit dem Tag des Boy- kotts der optimistische Tonfall.

„Unter den heutigen Verhältnissen glaubten Martenstein (Hans Mar- tenstein, 1892–1945, seit 1930 Leiter der Dresdener Hautklinik) und ich vorläufig von allen Vor - bereitungen für die Ehrung von Jadassohn absehen zu müssen, bis sich die Verhältnisse geklärt haben werden. [. . .].“ Am 3. August 1933, vier Wochen vor dem 70. Geburts- tag von Jadassohn, schreibt Ga - lews ky abschließend an Pinkus:

„[. . .] Ich habe in Ihrem Sinne also noch einmal an Volk geschrieben und ihm mitgeteilt, dass wir von ei- ner grossen Feier absehen.[. . .].“

Eugen Galewsky praktizierte al- lein in seiner Dresdener Praxis wei-

ter und starb am 15. Februar 1935 vor einer geplanten Reise nach Lo- carno; Zeitzeugen vermuten einen Suizid.

Karl Herxheimer (1861–1942)

war eine der herausragenden Gestal- ten in der Gründungsphase der deut- schen Dermatologie. Er war Schüler von Albert Neisser (1855–1916) und gehörte zu den Wegbereitern der uni- versitären Dermatologie in Deutsch- land. Herxheimer war Mitbegründer der Universität Frankfurt/Main im Jahr 1914 und leitete die Hautkli- nik an dieser neuen Universität.

Nach 1894 hatte er die Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten am Städtischen Krankenhaus Frank- furt-Sachsenhausen zu einer vorbild- lichen, modern ausgestatteten Ein- richtung ausgestaltet. Viele seiner Schüler übernahmen die Leitung von städtischen Hautkliniken oder Universitätskliniken. Sein umfas- sendes wissenschaftliches Werk war von wissenschaftlicher Präzision und klinischer Anwendbarkeit be- stimmt. Eponyme tragen seinen Na- men bis in die Gegenwart.

Herxheimer wurde 1933 die Lehr- befugnis entzogen und das Betreten der von ihm in Jahrzehnten aufge- bauten Klinik verboten. Freunde und Verwandte rieten ihm, das Land zu verlassen. Herxheimer hätte sich in sein Schweizer Landhaus in Gunten am Thuner See zurückziehen kön- nen. Er lehnte alle Angebote ab, da er die Sturmzeichen nicht anerken- nen wollte. Seinem Nachfolger, Os-

car Gans (1888–1983), der 1933 so- fort entlassen worden war, sagte er bei einem Besuch 1936: „Ich kann Frankfurt nicht verlassen, und ich will es auf meine alten Tage nicht verlassen. Mich kennt hier ja jeder- mann [. . .]“.

Die Kontakte und Besuche von Schülern und Freunden wurden von Jahr zu Jahr weniger. Der 80. Ge- burtstag am 26. Juni 1941 war für Karl Herxheimer der letzte Höhe- punkt seines Lebens, denn viele Freunde und Schüler besaßen die Zivilcourage, ihren verehrten Meis- ter zu besuchen und ihm ihre Glück- wünsche zu übermitteln. Die nach dem Tod von Herxheimers Ehefrau Olga im Jahr 1928 den Haushalt be- treuende Henriette Rosenthal schrieb am 7. Juli 1941 in einem Dan - kesbrief an Frau Hofmann, die Ehefrau des Direktors der Hautkli- nik in Kassel: „[. . .] Der 80. Ge- burtstag von Prof. H. ist sehr schön und für ihn sehr freudvoll verlau- fen;[. . .] Unsere Wohnung gleicht einem Blumengarten, fast wie beim 70sten, und zahllose Briefe, Depe- schen und last not least schöne Bü- cher deckten den Tisch.“ In einem Brief an E. Hofmann vom 19. Juli 1941 berichtet Herxheimer, dass die Packer seine Bibliothek für die Kollegen Erich Hoffmann (1868–

1959) in Bonn und Friedrich Schmidt-La Baume (1892–1973) in Mannheim gepackt hätten.

Anschließend resümiert er seine Situation mit der dramatischen Erkenntnis „[. . .] Ich bin allein auf weiter Flur: Allen Gewalten – Zum Trotz sich erhalten!“. Herxheimer, der „[. . .] sein Schicksal bis zur Neige [. . .]“ tragen wollte, wurde in Frankfurt am 28. August 1942 durch die Gestapo verhaftet und wenige Tage später in das Konzen- trationslager Theresienstadt depor- tiert, wo er am 6. Dezember 1942 starb.

Es muss das Anliegen deutscher Ärzte und Medizinhistoriker blei- ben, durch biografische Forschung den gedemütigten, vertriebenen und getöteten jüdischen Kollegen ihre Würde zurückzugeben.

Prof. em. Dr. med. Albrecht Scholz, Mendelsohnallee 30, 01309 Dresden, albrecht.scholz@yahoo.de

Fotos: Privatarchiv Scholz

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