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Archiv "Irak – Selbst die Krankenhäuser sind nicht mehr sicher" (08.06.2007)

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A1634 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 23⏐⏐8. Juni 2007

P O L I T I K

In Krisengebieten sind Krankenhäuser oft die einzigen sicheren Orte. Auch im Irak flüchteten sich die Menschen in die Krankenhäuser. Das ist jetzt vorbei. Der Iraker Abu Nasr, dessen Cousin im Kran- kenhaus aus dem Bett gerissen und er- schossen wurde, sagte gegenüber der Washington Post: „Es ist besser zu ster- ben, anstatt ins Krankenhaus zu gehen.

Ich gehe nie wieder in ein Krankenhaus.

Niemals. Die Krankenhäuser sind zu ,Kil- ling Fields‘ (Todeszonen) geworden.“ Ei- ne Sprecherin des Internationalen Komi-

tees vom Roten Kreuz bestätigt dies:

„Bewaffnete Männer stürmen die Kran- kenhäuser und zwingen die Ärzte dazu, bestimmte Patienten vor allen anderen zu behandeln. Es ist sogar schon vor- gekommen, dass Patienten darauf be- stehen, während der Behandlung ihre Waffen und Masken zu behalten. Eine schockierende Situation für die behan- delnden Ärzte.“ So ist es kein Wunder, dass mehr als die Hälfte der 34 000 Ärzte, die vor Beginn des Krieges im Jahr 2003 registriert waren, bis Oktober vergangenen Jahres den Irak verlassen haben. 2 000 Ärzte wurden ermordet.

Die Folgen des Ärztemangels für die irakische Bevölkerung sind katastro- phal: 650 000 Zivilisten sind nach ei- ner Studie im Lancet von Oktober 2006 (Lancet 2006; 368: 1421–8) infolge des Krieges gestorben, die meisten durch Waffen- oder Bombengewalt. Mit einer funktionierenden medizinischen Infrastruktur hätte die Hälfte von ihnen gerettet werden können, schätzen Ex- perten. Auch die Pläne der USA und ih- rer Verbündeten, im Irak 180 Kliniken

zu errichten, haben an der Notlage nichts geändert: Bisher wurden nur vier Kliniken fertiggestellt, aber noch keine eröffnet.

Ärzte, die im Irak geblieben seien, hätten kaum Erfahrung in Notfallmedi- zin, berichtet Dr. Bassim Al-Sheibani vom irakischen Diwaniyah College. Von den 13 Krankenhäusern in Bagdad ist zurzeit nur eines mit Untersuchungs- geräten wie Ultraschall und Tomografen ausgestattet, die Ärzte benötigen, um die typischen Verletzungen nach Bom-

benexplosionen zu behandeln. Wer kann, macht es wie die meisten Ärzte und geht weg. Mehr als 40 000 Iraker fliehen jeden Monat nach Syrien. Bis jetzt haben rund 1,8 Millionen Men- schen das Land verlassen. Auch ande- re Indikatoren zeigen, dass der Wieder- aufbau nicht stattfindet: Zum Beispiel haben 68 Prozent der Iraker keinen Zu- gang zu sauberem Wasser.

Schlimmer noch sind die psycholo- gischen Folgen des andauernden Bür- gerkriegs. Eine Umfrage der Vereini- gung der irakischen Psychologen bei 2 000 Menschen aus 18 Provinzen er- gab, dass 92 Prozent der Befragten be- fürchteten, bei einem bewaffneten An- schlag ums Leben zu kommen. „Die El- tern schicken ihre Kinder mittlerweile nicht mehr in die Schule und nicht ein- mal vor die Haustür zum Spielen“, be- richtete der Vizepräsident der Vereini- gung irakischer Psychologen, Al-Sahad, der Nachrichtenagentur Irin. „Ich habe meinen Mann, meinen Sohn und mei- nen Schwiegersohn vor einem Jahr bei einer Bombenexplosion verloren. Sie

waren auf der Suche nach Arbeit“, er- zählt die 48-jährige Umm Youssef. „Jetzt erlaube ich meinen Töchtern nicht ein- mal, Brot einkaufen zu gehen. Ich gehe immer selbst. Ich will nicht auch noch meine beiden Töchter verlieren.“

Ein Dach über dem Kopf, Zugang zu Lebensmitteln, Schule und Gesundheits- einrichtungen – solche elementaren sozialen Rechte zu gewährleisten, ist nur möglich, wenn eine funktionierende Volkswirtschaft etabliert ist. In einem Land, das über die drittgrößten Ölvorrä-

te der Welt verfügt, sollte es vergleichs- weise leicht sein, wieder eine zivilge- sellschaftliche Infrastruktur aufzubau- en. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass das irakische Volk Souveränität über das Öl besitzt. Doch schon jetzt herrscht Korruption und Chaos im irakischen Öl- ministerium, das von den Schiiten kon- trolliert wird. Auch der Ölschmuggel grassiert an den Grenzen des Irak. Be- teiligt sein sollen Politiker aus Regie- rungsparteien sowie aufständische Gruppierungen. Der Entwurf für ein Öl- gesetz, das die Verteilung der Erd- öleinnahmen regeln soll, wurde von ei- ner kleinen Gruppe irakischer Politiker ein Jahr lang im Geheimen erarbeitet.

Beteiligt waren die US-Consulting-Firma BearingPoint, das Botschaftspersonal der USA und Großbritanniens sowie der US-Energieminister Samuel Bodman.

Dass diese das Wohl des irakischen Volkes und den Aufbau einer funktio- nierenden irakischen Wirtschaft als ihr Interesse ansehen, ist unwahrschein- lich, denn die Gewinnmargen ausländi- scher Ölfirmen bleiben unbegrenzt. I

KOMMENTAR

Angelika Claußen, Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs

IRAK

Selbst die Krankenhäuser sind nicht mehr sicher

Vier Jahre nach Beginn des Krieges ist die Zivilgesellschaft im Irak zerstört.

Die Gewalt hat auch Einzug in die Krankenhäuser gehalten und viele Ärzte,

die um Leib und Leben fürchteten, ins Ausland flüchten lassen.

Referenzen

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