A 2144 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 49|
5. Dezember 2014QUALITÄT UND WIRTSCHAFTLICHKEIT
Die evidenzbasierte Zukunft
Vor zehn Jahren wurde das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund- heitswesen (IQWiG) gegründet. Es hat sich einen festen Platz im deutschen Ge- sundheitssystem erarbeitet. Jetzt geht es um die zukünftigen Herausforderungen.
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he future of evidence-based he- althcare: beyond medicine“ – unter dieser programmatischen Überschrift präsentierte Prof. David Haslan, Leiter des britischen Natio- nal Institute for Health and Care Excellence (NICE), beim IQWiG- Herbstsymposium am 28. November seine Überlegungen zu den neuen Herausforderungen für nationale Gesundheitssysteme. Diese seien nicht zuletzt Folge der erfolgreichen Medizin der vergangenen Jahrzehn- te. Die lange Lebenserwartung gehe einher mit Multimorbidität im Alter und stärkerer Nachfrage nach medi- zinischen Leistungen, die nicht kom- plett bedient werden könne. Es gebe, führte Haslan aus, zu wenig For- schung, die das Problem der Multi- morbidität im Fokus habe; dabei lit- ten die meisten der über 65-Jährigen unter mehreren chronischen Erkran- kungen. Hinzu komme noch das Problem der Polymedikation.Haslan, der lange Jahre als Haus- arzt tätig war, sieht deshalb in Zu- kunft für das NICE einige neue Ar- beitsschwerpunkte. Zentral müsse
eine Frage lauten: Was ist gut für den multimorbiden Patienten? Es nütze gar nichts, alles, was es dazu an evi- denzbasierten Leitlinien gebe, ein- fach zusammenzustellen. Leitlinien- gerechte Therapien, die sich bei Be- handlung bestimmter Erkrankungen als effektiv erwiesen haben, könnten bei multimorbiden Patienten einen geringeren Nutzen haben. Es gehe nunmehr vor allem darum, die beste Evidenz in Verbindung mit dem, was für den Patienten das Beste ist, zu nutzen. Dass dies ein sehr komple- xes Problem darstellt – darüber ist sich Haslan im Klaren.
Evidenz für alle Ebenen Auch Prof. Dr. med. Reinhard Bus- se, Leiter des Gesundheitsökonomi- schen Zentrums in Berlin, könnte sich eine Reihe neuer Aufgaben für das IQWiG vorstellen. „Wir haben – trotz aller Maßnahmen und Insti- tutionen – noch kein wahrhaft evi- denzbasiertes Gesundheitssystem.“
Bewertet würden derzeit vor allem Technologien im engeren Sinne – also Arzneimittel und Medizinpro-
dukte. Schon sehr viel weniger streng habe man neue klinische In- terventionen/Verfahren im Blick, fast gar nicht bevölkerungsbezoge- ne oder gesundheitssystembezoge- ne Interventionen (zum Beispiel die Praxisgebühr). Busse: „Nicht nur die klinische Versorgung muss evi- denzbasiert sein, sondern das gilt auch für die regulativen Stufen da- rüber.“ Zwar habe der Gesetzgeber in Deutschland mit einer Reihe von Vorschriften im Sozialgesetzbuch auf Probleme in der Gesundheits- versorgung reagiert. Zur Messung gebe es Qualitätsindikatoren, Re- gister, Patientenbefragungen – alles nebeneinander. Das reiche aber nicht aus. Beispielsweise gebe es ei- ne eindeutige Korrelation von einer im OECD-Vergleich hohen Kran- kenhaussterblichkeit in Deutsch- land bei akutem Herzinfarkt mit einer unterdurchschnittlichen finan- ziellen Ausstattung der Kranken- häuser. Es gebe aber keine Instanz, die sich systematisch solcher Fra-
gen annehme.
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Thomas Gerst
Zunächst habe es Friktionen in der Zusammenarbeit mit dem IQWiG ge- geben, heute herrsche aber eine gute Arbeitsatmosphäre, betonte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, beim IQWiG-Herbstsymposium. Ein gemeinsames Interes- se gelte der Aufklärung der Bevölkerung. Beeindruckt sei er von der Qualität der Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln; die BÄK bedauere, dass es nun nicht mehr zum Bestandsmarktaufruf kommen werde. Als eine weitere wichtige Aufgabe des IQWiG sieht Montgomery die Bewer- tung von Früherkennungsmaßnahmen an. Weiter erhofft er sich Unter- stützung durch das Institut bei dem Bemühen, eine diffuse Rationierung durch eine gerechte Priorisierung zu ersetzen.
Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion, empfahl dem IQWiG, seine über Jahre hinweg gepflegte Wagenburg-Mentalität abzulegen. „Sie sind jetzt drin im System, sehen Sie sich als Partner, im Wissen darum, dass es gegensätzliche Ansichten
geben kann.“ Spahn betonte, dass es nach dem AMNOG bei der Nut- zenbewertung um die zur Zeit der Bewertung bestmögliche Evidenz ge- he, nicht grundsätzlich um die beste. Es sprach sich mittelfristig für eine gemeinsame Nutzenbewertung auf europäischer Ebene aus.
WÜNSCHE UND ERWARTUNGEN
Gesundheitspolitische Statements beim IQWiG-Herbstsymposium:
Frank Ulrich Montgomery (links) und Jens Spahn
Fotos: IQWiG/Jürgen Seidel