P O L I T I K
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A3474 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 50⏐⏐16. Dezember 2005
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or rund einem Jahr hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) seine Arbeit aufgenommen.Aufgabe des Instituts soll es sein, die kontinuierliche Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine qualitativ gesicher- te Leistungserbringung dadurch zu ge- währleisten, dass es den medizinischen Nutzen, die Qualität und die Wirtschaft- lichkeit der Leistungen bewertet. Viel wurde in den vergangenen Monaten über den Stellenwert des IQWiG im deutschen Gesundheitssystem geschrie- ben; mit seinem Vorbericht zum Nutzen von kurz wirksamen Insulinanaloga bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und der kritischen Bewertung des Wirkstoffs Atorvastatin hat es sich bei den Arznei- mittelherstellern nicht beliebt gemacht.Übersehen wird aber oft, dass das Insti- tut in seiner Wirksamkeit nicht autonom ist, sondern die wissenschaftliche Exper- tise für Entscheidungen seines Auftrag- gebers, des Gemeinsamen Bundesaus- schusses (G-BA), liefert. Die zentrale Frage, ob der G-BA die Bewertungen, die in nächster Zeit vom IQWiG zu er- warten sind, unverändert, in modifzier- ter Form oder gar nicht umsetzt, kann derzeit noch nicht beantwortet werden.
„Sie können davon ausgehen, dass wir es nicht bei den Berichten des Instituts be- wenden lassen, sondern daraus eigene Richtlinien machen“, betonte der Vorsit- zende des Gemeinsamen Bundesaus- schusses, Dr. jur. Rainer Hess, am 8. De- zember bei einer Euroforum-Konferenz in Köln. Bei Nichtberücksichtigung des IQWiG-Votums kann er sich kritischer Nachfragen aus dem Bundesgesund- heitsministerium (BMG) sicher sein.
Die Bundesärztekammer gehört dem G-BA nicht als Mitglied an. Deshalb kann sie nach Einschätzung ihres Haupt- geschaftsführers Prof. Dr. med. Christoph
Fuchs am ehesten für sich in Anspruch nehmen, dessen Wirken frei von eigenen Interessen zu beobachten.Aus dieser Po- sition beurteilt Fuchs die Entstehung des IQWiG kritisch: Die Politik habe alter- native Steuerungsmodelle für das Sy- stem der Gesetzlichen Krankenversiche- rung in Ablösung der gemeinsamen Selbstverwaltung gesucht. Deshalb sei das IQWiG ursprünglich als staatliche Behörde geplant gewesen. Durch die Umwandlung in ein Stiftungsinstitut ha- be die gemeinsame Selbstverwaltung dies in letzter Minute verhindern kön- nen; doch zeige die Performance des IQWiG, so Fuchs, mitunter noch einiges von der Ursprungsidee des Gesetz- gebers, als Gegengewicht zu den Selbst- verwaltungsorganen eine Bundesober- behörde mit Meinungsführerschaft in Sachen Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin zu gründen. So habe das Institut trotz der Vielzahl der bereits vor- liegenden Aufträge von sich aus noch keine externen Sachverständigen oder Institute zur Erledigung der Aufgaben hinzugezogen, obwohl dies vom Gesetz- geber ausdrücklich auch vorgesehen sei.
Erste Bewährungsprobe
Positiv vermerkte Fuchs das Bemühen des IQWiG um fachliche Unabhängig- keit, bei dem das Institut unterstützt werden müsse. In diesem Zusammen- hang bezeichnete er es als eine erste Be- währungsprobe des IQWiG, dass es beim Auftrag des G-BA zu Mindest- mengen bei Knie-Totalendoprothesen (TEP) zu dem Ergebnis gekommen sei, dass Fallzahlsteigerungen nicht auto- matisch zu signifikanten, klinisch be- deutsamen Qualitätsverbesserungen führen. Aus dem Qualitätsindikator
„Infektion“ habe sich kein sinnvoller
Schwellenwert ableiten lassen, der mit einer klinisch relevanten Qualitätsver- besserung assoziiert wäre. Die Kran- kenkassen hätten hier die Erfahrung machen müssen, „dass die Wahrheit wo- anders liegt als die Erwartung“. Fuchs kritisierte den G-BA dafür, dass er, oh- ne den IQWiG-Vorbericht abzuwarten, die Mindestmenge für die Knie-TEP bereits auf 50 pro Jahr erhöht hat.
Auch IQWiG-Leiter Prof. Dr. med.
Peter T. Sawicki sprach von Versuchen der Einflussnahme jenseits der Pharma- industrie. Der Stiftungsrat des Instituts könne jedoch nicht direkt auf dessen Ar- beit einwirken. Höchstens sei eine indi- rekte Einflussnahme über die Höhe des IQWiG-Budgets vorstellbar. Die einzig- artige Trennung zwischen Auftraggeber und Nutzenbewerter minimiere das Missbrauchsrisiko. Sawicki betonte, dass der Ablauf der Berichterstellung nach Beauftragung durch G-BA oder BMG transparent und jederzeit überprüfbar sei. Zu Irritationen sei es bei der Bewer- tung von Atorvastatin gekommen. Hier habe es keinen direkten Auftrag durch den G-BA gegeben, sondern die Bewer- tung erfolgte auf Initiative des IQWiG im Rahmen des ihm zugewiesenen General- auftrags. Hierbei gebe es einen verkürz- ten Bearbeitungsablauf und keine An- hörung, sondern die Ergebnisse werden in einer wissenschaftlichen Publikation öffentlich zur Diskussion gestellt.
Wie Hess plädierte Sawicki für eine möglichst große Nähe der Nutzenbe- wertung zur Zulassung.Ansonsten kön- ne sich mehrere Jahre nach Zulassung das Problem stellen, all denjenigen, die auf eine bestimmte Therapie eingestellt sind, erklären zu müssen, dass sie davon keinen Nutzen haben. Für den Februar 2006 kündigte Sawicki eine Bürgerin- formation im Internet mit evidenzba- sierten Inhalten an. Thomas Gerst