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Archiv "Migranten im Gesundheitswesen: „Türken haben Kultur, Deutsche eine Psyche“" (25.02.2000)

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ine türkische Patientin auf der gynäkologischen Abteilung, die Einzelheiten ihrer Erkran- kung erfahren will, muss wegen ihrer schlechten deutschen Sprachkennt- nisse ihren Sohn bitten zu dolmet- schen – wie peinlich ihr das auch sein mag. Eine Kroatin soll einem Eingriff zustimmen; der Aufklärungsbogen liegt zwar in ihrer Muttersprache vor, doch Nachfragen kann der Arzt nicht beantworten. Eine Puertoricanerin hält sich illegal* in Deutschland auf;

sie ist schwanger und leidet an einer Krebserkrankung – legale Hilfe ist nicht möglich.

Beispiele, die kürzlich auf einem Symposium zum Thema „Migration – Frauen – Gesundheit im europäischen Kontext“ angeführt wurden (siehe Ab- bildung). Beispiele, die man mit zwei Sätzen abtun kann: „Sollen sie doch Deutsch lernen“ und „Illegale haben hier nichts zu suchen“. Sätze, mit de- nen man es sich zu einfach macht.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, hat Anfang Februar ihren jüngsten Bericht über die Lage von Auslän- dern in Deutschland vorgelegt. Da- nach beträgt der Anteil der ausländi- schen Bevölkerung in Deutschland

circa neun Prozent. Wer etwas über ihre Inanspruchnahme des Gesund- heitswesens, über ihre Morbidität oder ihre Versorgungswünsche erfahren will, findet kaum Daten. In den GKV- Statistiken wie der über Krankenhaus- entlassungsdiagnosen wird nicht un- terschieden zwischen „deutsch“ und

„nicht deutsch“. Die in letzter Zeit so beliebten Versichertenbefragungen sparen Ausländer in der Regel aus.

So weiß man wenig, beispielswei- se, dass die Müttersterblichkeitsrate bei ausländischen Frauen 1997 erst- mals nicht höher lag als bei deutschen.

Die Säuglingssterblichkeit bei Aus- ländern ist jedoch erhöht; Ursache:

unbekannt. In vielen Bereichen feh- len Präventions-, Beratungs- und The- rapieangebote für Migranten: zur Ver- hütung von Arbeitsunfällen beispiels- weise oder zum Umgang mit Suchter- krankungen**. Immerhin wurde im Sommer 1999 im Bundesministerium für Gesundheit ein eigener Aufgaben- bereich Migration und Gesundheit eingerichtet.***

Dass es zum Thema Migration und Gesundheit noch viel zu forschen und zu tun gibt, wurde auf dem Berli- ner Symposium deutlich. Prof. Dr. Ul- rike Maschewsky-Schneider, Institut für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin, kritisierte, dass meist aus- gewählte Randgruppen untersucht würden. Die Selbstverständlichkeit, mit der Aspekte der Migration in Ge- sundheitsprojekte einbezogen wür- den, fehle in Deutschland. Prof. Dr.

Ursula Boos-Nünning, Institut für Mi- grationsforschung, Ausländerpädago- gik und Zweitsprachendidaktik an der Universität/Gesamthochschule Es- sen, plädierte dafür, das Argument der fremden Kultur fallen zu lassen und stattdessen die sozialen Lebens- bedingungen zu betrachten, die sich für Migranten in der Schule, im Beruf, durch das Wohnumfeld ergäben.

Viele ausländische Familien wohnten in „Stadtteilen mit Erneue- rungsbedarf“, früher auch „sozialer Brennpunkt“ genannt. Solche Kon- stellationen hätten Folgen, ganz be- sonders für Kinder. Wenn es in einem Wohngebiet Hilfsangebote gebe – bei- spielsweise Erziehungsberatung, Vor- sorgeuntersuchungen für Kinder, Scheidungsmediation –, dann nähmen Migranten diese selten wahr, obwohl sie von den Problemen überdurch- schnittlich betroffen seien. Ursache:

Die Institutionen sind deutsch. Boos- Nünning forderte, man solle keine be- sonderen Anlaufstellen für Ausländer oder Migranten schaffen, sondern in- nerhalb vorhandener Einrichtungen spezifische Angebote integrieren.

Wichtig sei es, qualifiziertes zweispra- chiges Personal einzustellen.

Auf das Erklärungsmuster „an- dere Kultur“ ging auch Dr. Elcin Kür- sat-Ahlers, Institut für Soziologie der Universität Hannover, ein: „Es ist, als hätten die Türken Kultur und die A-430 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 8, 25. Februar 2000

P O L I T I K AKTUELL

Migranten im Gesundheitswesen

„Türken haben Kultur, Deutsche eine Psyche“

Das Gesundheitswesen ist für alle da – auch für Ausländer, die legal in Deutschland leben. Doch sprachliche,

soziale und kulturelle Barrieren können zu Problemen führen.

E

*Zu diesem Thema hat das Erzbischöfliche Ordinariat Berlin eine Publikation vorgelegt:

„Illegal in Berlin – Momentaufnahmen aus der Bundeshauptstadt“.

**Derzeit läuft an der Charité ein Forschungs- projekt „Migranten und Sucht“, in das nieder- gelassene Allgemeinmediziner und hausärzt- lich tätige Internisten eingebunden sind.

***Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlicht vierteljährlich ein

„FORUM Sexualaufklärung und Familienpla- nung“. Das Heft „interkulturell“ befasst sich mit sprachlichen Barrieren und kulturellen Missverständnissen, die bei der Aufklärung, Beratung, Versorgung und Therapie von Mi- grantinnen ein Problem darstellen.

In der vergangenen Woche ist ein gleichnamiger Be- richtband über das Symposium „Migration – Frauen – Gesundheit – Perspektiven im europäischen Kon- text“ erschienen, das im Herbst von der Frauenklinik an der Charité/Campus Virchow-Klinikum veran- staltet wurde. Herausgegeben wird er von Matthias David, Theda Borde und Heribert Kentenich. Er erscheint im Mabuse-Verlag und kostet 39,80 DM.

Zeichnung: Pascale Gräbener

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Deutschen Psyche.“ Damit war ge- meint, dass man hierzulande das Ver- halten von Türken, aber auch anderen Ausländern oftmals als kulturell be- dingt erklärt, das eigene aber nicht.

Kürsat-Ahlers schilderte die

„Gefühlstriade“ der Migration: Trau- er, Schuld, Angst. Vor diesem Hinter- grund analysierte sie das Verhalten von Migranten, das manchmal so be- fremdlich erscheint: die Schwierig- keit, im neuen Land anzukommen, weil man dies als Illoyalität mit der er- sten Sozialisation empfindet; die Pro- jektion der Wünsche in die Zukunft oder Vergangenheit, beispielsweise den Traum, mit besserem Status in die alte Heimat zurückzukehren; die star- re Identifikation mit der Herkunftsge- sellschaft, um die Angst vor dem Neu- en zu bewältigen. Die Lösung sah sie für den Einzelnen in einer Synthese:

die Vergangenheit integrieren, keinen blinden Gehorsam gegenüber einer der beiden Gesellschaften entwickeln, in denen man lebe oder gelebt habe.

Ob solche Synthesen für eine Gesell- schaft bereichernd seien, hänge davon ab, ob diese sich „bereichern“ wolle – oder abgrenzen.

Über seine Erfahrungen in Eng- land berichtete Prof. Dr. Stefan Prie- be, St. Bartholomew’s and the Royal London School of Medicine der Uni- versity of London. Priebe arbeitet als Psychiater im Stadtteil Newham, tra- ditionell einem Einwanderer-Bezirk.

Er vertrat ebenfalls die Auffassung, dass gesundheitliche Belastungen und Gefährdungen von Migranten oft mit ihren sozialen und persönlichen Pro- blemen zu tun hätten.

Als Problem schilderte er es, dass in anderen Sprachen seine Worte fehl- ten (Beispiel: Neurose) oder dass man Erkrankte in der Familie behalte, eine professionelle Behandlung aber eher unbekannt sei. Der National Health Service habe in Deutschland keinen guten Ruf, sagte Priebe, aber Dolmetscher zahle er durchaus. Eine Möglichkeit der Ärzte besteht darin, Übersetzer per Telefon einzuschalten.

Das sei vielen Patienten der Psychia- trie durchaus angenehm. Priebe plä- dierte dafür, Mitarbeiter unterschied- licher Herkunft einzustellen. Ein mul- tinationales Team sei eine klare Bot- schaft: Ausländer arbeiten hier nicht nur als Putzfrau oder Küchenhilfe.

Die Versorgungssituation von gynäkologisch erkrankten türkischen und deutschen Patientinnen war Ge- genstand eines Public-Health-Pro- jektes der Klinik für Frauenheil- kunde und Geburtshilfe des Campus Virchow-Klinikums. Dessen Ergeb- nisse stellte Prof. Dr. med. Heribert Kentenich von den DRK-Kliniken Berlin-Westend vor. Für das Projekt wurden einerseits Patientinnen am Aufnahmetag und am Tag vor der Entlassung befragt, andererseits Mitarbeiter der Klinik. Inhaltliche Schwerpunkte waren unter anderem

das Verständnis der aktuellen Erkran- kung und der medizinischen Maßnah- men in der Klinik, Gesundheitswis- sen, Arzt-Patientinnen-Interaktion, Versorgungserwartung und Patientin- nenzufriedenheit.

Kentenich berichtete, dass zehn Prozent der befragten türkischen Frauen nicht zur Schule gegangen sei- en und 40 Prozent keinen Abschluss hatten. Die Verteilung der Aufklä- rungsbögen, selbst wenn sie in Tür- kisch verfasst seien, sei deshalb

„höchst ineffizient“. Um autonom entscheiden zu können, sei Wissen ge- fragt. Daran mangele es; das sei nicht arrogant gemeint. Ein Beispiel: Auf die Frage zum Zusammenhang zwi- schen Hormonen und Monatsblutung identifizierten nur 13 Prozent der tür- kischen und 40 Prozent der deutschen Frauen die richtige Antwort. Circa 45 Prozent der türkischen Frauen, aber auch rund 14 Prozent der deutschen antworteten „weiß nicht“.

Kentenich kritisierte, dass es heu- te im Krankenhaus viel um Qualitäts- sicherung gehe und diese oft mit ei- nem hohen bürokratischen Aufwand

verbunden sei. Die Frage sei jedoch, inwieweit man die Zeit in der Klinik nutze, um Wissen und damit Auto- nomie der Frauen zu stärken. Er empfahl, Gruppen einzurichten, zum Beispiel, um Kenntnisse über das Stil- len weiterzugeben. Hebammen und Schwestern seien hierfür entscheiden- de Bezugspersonen. Außerdem solle man nicht nur Broschüren verfassen, sondern auch Videos.

Theda Borde berichtete über die interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus, ebenfalls Teil der Stu- die. Ihren Erkenntnissen zufolge gibt

es universelle Erwartungen an eine Krankenhausversorgung (zum Bei- spiel: gute Ausbildung und Kompe- tenz der Ärzte, sorgfältige Untersu- chung und Behandlung, Ehrlichkeit bei der Aufklärung, Hygiene und an- deres). Von den befragten türkischen Patientinnen wurden aber entgegen mancher Erwartung folgende Aspek- te als besonders wichtig bewertet:

weite Mitbestimmung, professionelle psychologische Betreuung, Zuspruch und Trost bei Schwierigkeiten. Die Erwartungen der Patientinnen schätz- ten die Mitarbeiter in manchen Berei- chen sehr zutreffend ein. Insgesamt ist ihre Zufriedenheit höher, als es die Klinikmitarbeiter erwartet hätten.

Theda Borde leitete aus der Un- tersuchung die Forderung ab, in einer Klinik erst einmal die „Versorgungs- realität“ zu erheben: Wie viele auslän- dische Patienten gibt es? Welcher Na- tion? Welche Bedürfnisse haben sie?

Nur so ließen sich bedarfsgerechte Angebote und Aufklärungsmateriali- en entwickeln. Zudem sollten qualifi- zierte Dolmetscher verfügbar sein – und eingesetzt werden. Sabine Rieser A-431

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 8, 25. Februar 2000

Krank in der Fremde

Unter diesem Titel hat die gebürtige Iranerin Zahra Ghaeni ein Buch heraus- gegeben, das Perspektiven zur interkulturellen Entwicklung von deutschen Klini- ken entwerfen will. Ihre Firma Cinco (centre of intercultural communication) berät Unternehmen sowie soziale Einrichtungen zum Thema interkulturelle Kommunikation.

Der erste Teil des Buches umfasst eine Ist-Analyse und Lösungsansätze für den Klinikalltag. Er krankt jedoch daran, dass nur zehn Mitarbeiter sowie eine Hand voll „Experten“ befragt wurden. Im zweiten Teil werden Projekte inner- halb Deutschlands und Europas vorgestellt. Die Übersicht ist nicht vollständig, ermöglicht aber einen ersten Einstieg ins Thema. Das Buch kostet 48 DM, Bezug

über: Cinco, Tel 0 69/97 08 01 98. Rie

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