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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 51–52, 27. Dezember 1999 (1)
B
ereits einige Tage vor In- krafttreten der Gesund- heitsreform 2000 zeigen die Kassenärztliche Vereinigung Hes- sen (KVH) und die Hessische Krankenhausgesellschaft (HKG) verstärkt wettbewerbliches Ver- halten – ein von der Bundesge- sundheitsministerin oft genanntes Ziel ihrer Reform.In ihrer „Frankfurter Er- klärung“ definieren die KVH und die HKG Grundsätze für die Zu- sammenarbeit an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationä- rer Versorgung. Im Mittelpunkt steht eine Reihe von neuen Ser- viceleistungen, die eine ständige Arbeitsgruppe für die an Netz- strukturen beteiligten Ärzte er- bringen will: Stichworte wie „be- gleitende Beratung von Leistungs- erbringern“, „umfassender Infor- mationsservice“, „Schlichtungsbe-
ratung für den Fall von Konflik- ten“, „Hilfestellung bei relevanten Rechtsfragen“ und „kontinuierli- che Information über die Entwick- lung von vernetzten Versorgungs- formen im Wege von Symposien und Workshops“ klingen nach Wettbewerb. Die Organisationen buhlen um die Gunst der Ärzte und der Arztnetze.
Hintergrund: Ab dem 1. Januar dürfen Krankenkassen „integrier- te sektorenübergreifende Versor- gungsverträge mit Leistungser- bringern oder Gruppen von Lei- stungserbringern bei freiwilliger Beteiligung der Versicherten“
schließen. Eine Beteiligung der Vertragsärzteschaft ist nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Ärzte in Verzahnungsprojekten könnten somit in Versuchung kommen, iso- lierte Verträge mit einzelnen Kran- kenkassen abzuschließen.
Es ist sicherlich falsch, das Zustandekommen der „Frankfurter Erklärung“ nur als Reaktion auf die kommende Gesundheitsre- form einzuordnen. Ebenso ist es gefährlich, die Möglichkeit, inte- grierte Versorgungsformen ohne Beteiligung der Vertragsärzte- schaft ins Leben zu rufen, positiv zu beurteilen (immerhin könnte damit eine Aushöhlung des Sicher- stellungsauftrags verbunden sein).
Festzuhalten ist aber, daß in Frank- furt der Grundstein für eine bes- sere Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung in Hessen gelegt wurde, der sowohl Qualitätszuwächse als auch Ko- stenersparnisse verspricht. Bereits existierende Verzahnungsprojekte profitieren von dem neuen Dienst- leistungsangebot, die Bildung neu- er Ärztenetze wird nachdrücklich gefördert. Jens Flintrop
Neue Serviceangebote
W
enn Bundesgesundheits- ministerin Fischer zu Sil- vester gesundheitspoli- tisch Bilanz zieht (und nichts Bes- seres vorhat) kann sie zufrieden sein. Ihre so genannte GKV-Ge- sundheitsreform 2000 hat die Hürden genommen, einschließlich des Risikoausgleichs für die Ost- kassen. Welche gesetzgeberischen Finessen dazu erforderlich waren, ist unter dem Strich egal.Lediglich zwei – freilich ge- wichtige – Vorhaben konnten Frau Fischer und die rot-grüne Koalition nicht durchbringen:
Globalbudget und monistische Fi- nanzierung der Krankenhäuser.
Daß das Globalbudget nicht kommt, ist zu einem guten Teil auch den öffentlich wirksamen Bemühungen des „Bündnis Ge- sundheit“ zu verdanken. Ob aller- dings die an die Stelle tretenden sektoralen Budgets für die Betrof- fenen besser sein werden, steht
dahin. Die sektoralen Budgets haben zudem den Nachteil, daß nicht so ohne weiteres Gelder zwi- schen den Versorgungsbereichen umgeschichtet werden können.
Und das wiederum wird verhin- dern, daß Leistungen etwa vom stationären in den ambulanten Bereich verlagert werden. Wer hat schon Interesse an neuen Auf- gaben, wenn der Leistung nicht auch das Geld folgt?
Monistische Krankenhausfi- nanzierung hätte bedeutet, daß die Krankenkassen sämtliche Ausga- ben für die stationäre Versorgung, also einschließlich der Investiti- onsausgaben, hätten übernehmen müssen. Möglicherweise hat es sich bei diesem Vorhaben ohnehin um gesetzgeberisches Spielmateri- al gehandelt. Denn zusätzliche er- hebliche Belastungen der Kassen durch „Monistik“ und strikte Bei- tragssatzstabilität hätten sich eh nicht gut miteinander vertragen.
Wie auch immer, die Spekulatio- nen sind jetzt müßig.
Ansonsten hat Frau Fischer manches Lieblingskind über die reichlich aufgestellten Hürden hinüberheben können: Primäre Prävention, Soziotherapie, Ver- braucher- und Patientenberatung.
Dazu kommen die bekannten Strukturänderungen wie integrier- te Versorgung nach dem Einkaufs- modell, Versichertenbonus, wenn primär der Hausarzt angesteuert wird, Qualitätssicherung als Diszi- plinierungsmittel.
Da muß bei Frau Fischer und dem sie stützenden Bundeskanzler doch Freude aufkommen. Kein Wunder, wenn beide den Punkt GKV-Reform für diese Legislatur- periode abhaken und zu neuen Taten schreiten wollen. Von einer großen Reform im Sinne eines Lahnstein II träumen vielleicht noch gesundheitspolitische Nostal- giker. Norbert Jachertz