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ie ambulante Versorgung braucht neue Strukturen.Darüber waren sich die Teil- nehmer des von der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung (KBV) veranstalteten Symposiums in Kö- nigswinter einig. Der verstärkte Wett- bewerb der Krankenkassen und der zunehmende Kostendruck auf das Sy- stem der gesetzlichen Krankenversi- cherung bestimmen die aktuelle ge- sundheitspolitische Diskussion. Ko- operative Praxisstrukturen sollen die Effizienz steigern und die Versor- gungsqualität verbessern. Für den Vorsitzenden der KBV, Dr. Winfried Schorre, ist dies die zentrale Frage:
„In welchem Ausmaß können ver- netzte Praxen Rationalisierungsreser- ven erschließen und den Konkurrenz- druck unter den Ärzten mildern?“
Klare Absage an
„Einkaufsmodelle“
Über die Rahmenbedingungen solcher Modellvorhaben wurde in Kö- nigswinter teilweise kontrovers disku- tiert. Aus Sicht der KBV muß bei der Etablierung solcher Strukturen am Kollektivvertragssystem festgehalten werden, um die Vertrags- und Vergü- tungsstrukturen nicht ausschließlich an ökonomischen Interessen der Krankenkassen auszurichten. „Um Strukturmängel zu beseitigen, brau- chen wir ein kassenartenübergreifen- des Modell“, betonte der Hauptge- schäftsführer der KBV, Dr. Rainer Hess – eine klare Absage an kassenar- tenspezifische „Einkaufsmodelle“.
Die Krankenkassen stehen der Idee „Vernetzte Praxen“ durchaus
positiv gegenüber. Langfristig werde es jedoch einen Wettbewerb zwi- schen verschiedenen Modellen ge- ben, prognostizierte Karl-Heinz Schönbach vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen. Daß kein Weg an solchen alternativen Versor- gungsstrukturen vorbeiführe, meinte der Geschäftsführer des AOK-Bun- desverbandes, Dr. Hans-Jürgen Ah- rens. Es sei jedoch nicht realistisch, anzunehmen, daß alle Krankenkas- sen ein gemeinsames Modell bedie- nen werden.
Für Dr. Werner Gerdelmann vom Ersatzkassenverband ist das Mo- dell noch ein „zartes Pflänzchen“, das mit Ideenreichtum weiterentwickelt werden müsse. Er ist jedoch davon überzeugt, daß der zunehmende Wettbewerbsdruck ein geeignetes Mittel für Innovation, Wirtschaftlich- keit und eine erhöhte Versorgungs- qualität sei. Demgegenüber machte Prof. Dr. Hans-Ulrich Deppe von der Universität Frankfurt auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam.
Nach dem Prinzip „survival of the fit- test“ werde es keinen solidarischen Wettbewerb geben. Dieser wirke eher selektiv, polarisierend und verteu- ernd. Der ideale Versicherte sei dann derjenige mit der größten Rentabi- lität und dem geringsten Krankheits- risiko. Daß Wettbewerb vor allem die kranken Patienten gefährden kön- ne, unterstrich der stellvertretende Vorsitzende der KBV, Dr. Peter Schwoerer. Vernetzte Praxen könnten aber ein geeignetes Instrument sein,
„mit dem Wettbewerb umzugehen“.
Eine intensivierte ambulante Versorgung, erklärte Hess, werde zu Einsparungen in anderen Leistungs-
bereichen führen, insbesondere auf dem stationären Sektor und bei der Arznei- und Heilmittelversorgung.
Wie diese zur Finanzierung der Mo- delle genutzt werden können, steht noch in der Diskussion. Ebenso die Frage, wie konkrete Einsparungen zweifelsfrei nachgewiesen werden können.
Notwendig:
Kombinierte Budgets
Daß Umverteilungen zur Finan- zierung der Modelle unabdingbar sind, machten die Krankenkassenver- treter deutlich. Ahrens: „Das sta- tionäre Budget muß zugunsten des ambulanten Sektors abgeschmolzen werden.“ Für Gerdelmann steht fest, daß nur der Gesetzgeber das Problem lösen könne, indem er kombinierte Budgets zulasse. Die Modelle müßten sich selber finanzieren, denn eine bundesweite Vorfinanzierung werde es nicht geben.Geprüft werden müssen zudem die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen die neuen Versorgungs- und Vergütungsstrukturen etabliert werden können. Der gemeinsame Ju- stitiar von Bundesärztekammer und KBV, Horst-Dieter Schirmer, befür- wortete, das ärztliche Berufsrecht den Bedürfnissen der neuen Versorgungs- formen anzupassen. Zweckmäßig sei- en insbesondere gesellschaftsrechtli- che Zusammenschlüsse. Nach An- sicht des gesundheitspolitischen Spre- chers der FDP, Dr. Dieter Thomae, bietet das 2. GKV-Neuordnungsge- setz einen erweiterten gesetzlichen Rahmen für Modellvorhaben. Es er- leichtere beispielsweise die Erpro- bung neuer Organisationsformen und deren Finanzierungsmodalitäten.
Wichtig sei jedoch, so Thomae, daß sich Ärzte und Versicherte freiwillig für die Teilnahme an solchen Model- len entschieden.
In einigen Kassenärztlichen Ver- einigungen werden derzeit schon ver- netzte Praxisstrukturen in regionalen Modellversuchen erprobt. Am Bei- spiel der Medizinischen Qualitätsge- meinschaft Rendsburg wird im nach- folgenden Bericht erläutert, wie das Konzept „Vernetzte Praxen“ umge- setzt werden kann. Dr. Sabine Glöser A-3091
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 47, 22. November 1996 (23)