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Archiv "US-Militärgefängnisse: Ärzte beteiligten sich an Folterungen" (22.10.2004)

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ald nachdem im Frühjahr die Bilder von den Folterszenen im US-Mi- litärgefängnis in Abu Ghraib im Irak in die Öffentlichkeit gelangt waren, er- schienen in der amerikanischen Presse erste Berichte über die Beteiligung von Ärzten und Sanitätern an der Folterung von Gefangenen (1). Die amerikanische Ärzteorganisation Physicians for Human Rights und andere Menschenrechtsorga- nisationen protestierten mit Eingaben an Präsident George W. Bush und Verteidi- gungsminister Donald Rumsfeld (2). In- zwischen liegen Berichte amerikanischer Regierungskommissionen vor, aus denen hervorgeht, dass medizinisches Personal mit misshandelnden Vernehmern und Wächtern kollaboriert sowie Verletzun- gen und Todesfälle verschleiert hat (3).

Zu den Foltermethoden in US-Mi- litärgefängnissen im Irak und auch in Afghanistan gehörten demnach Schlä- ge, Verbrennungen, Aufhängen, Er- stickungsversuche, die Bedrohung von Gefangenen und deren Angehörigen, sexuelle Erniedrigung, Isolation, das Überstülpen von Kapuzen, Anketten, extreme Hitze, Kälte und Lärm, Schlaf- und Nahrungsentzug sowie das Vorent- halten angemessener Kleidung und per- sönlicher Hygieneartikel. Die Gefange- nen wurden gezwungen, den Islam zu verhöhnen und seine Riten zu verlet- zen. Sie mussten in vermintem Gelände arbeiten und wurden zum Teil dabei schwer verletzt. Frauen wurden sexuell erniedrigt und vergewaltigt.

Mehrfach hat den Kommissionsbe- richten zufolge medizinisches Personal bei den Folterungen zugesehen oder sich daran beteiligt. An die Öffentlich- keit drangen Einzelfälle: Ein Arzt und ein Psychiater steuerten und überwach-

ten in Abu Ghraib gewaltsame Verhöre.

Vertrauliche Informationen aus Arzt- berichten wurden an Vernehmer her- ausgegeben, um Schwachstellen bei den Gefangenen nutzen zu können. Als bei einem Verhör ein Gefangener bewusst- los geschlagen wurde, belebten Sanitä- ter und Ärzte ihn wieder und verließen danach den Raum. Die Folter wurde fortgesetzt. Ein Arzt erlaubte einem

medizinisch nicht ausgebildeten Wär- ter, die Platzwunde eines durch Schläge verletzten Gefangenen zu nähen.

Die Kommissionsberichte belegen ebenfalls, dass medizinisches Personal Krankheiten, Verletzungen und Todes- fälle nicht korrekt dokumentiert hat.

Angehörige wurden nicht informiert, schwer Kranke und Verletzte nicht ins Krankenhaus verlegt, wie es die Genfer Konvention vorschreibt. Ein Sanitäter legte einem durch Folter zu Tode gekom- menen Gefangenen nachträglich einen Venenkatheter, um vorzutäuschen, dass dieser noch lebend das Krankenhaus er- reichte. In einem weiteren Fall konnten

Angehörige einen von US-Soldaten ver- hafteten Iraker erst Monate später in ei- nem Krankenhaus aufspüren – komatös mit drei Schädelfrakturen, einer schwe- ren Daumenfraktur und Verbrennungen an den Fußsohlen. Im mitgelieferten Be- richt eines US-Militärarztes stand, dass ein Hitzschlag eine Herzattacke mit fol- gendem Koma ausgelöst habe. Die Ver- letzungen waren nicht erwähnt. Auch in anderen Fällen wurden Leichenschau- scheine und Autopsieberichte gefälscht oder ihre Ausstellung monatelang verzö- gert. Regelmäßig wurden bei durch Fol- ter zu Tode gekommenen Gefangenen natürliche Todesursachen wie Herz- attacke oder Hitzschlag angegeben. In einem Fall hatten Soldaten einen verprü- gelten Gefangenen geknebelt und an seiner Zellentür aufgehängt. Der Autop- siebericht verzeichnete, dass der Tote im Schlaf eines natürlichen Todes gestorben sei. Der Fall sorgte für Schlagzeilen, wor- aufhin das Pentagon den Bericht revi- dierte: Es habe sich um Mord gehandelt.

Der Tod sei durch gewaltsame Verlet- zungen und Ersticken eingetreten. Im November 2003 stülpte man dem gefan- genen irakischen Generalmajor Abed Hamed Mowhoush einen Schlafsack über den Kopf, während Vernehmer sich auf seinen Brustkorb setzten. Er starb.

Ein Chirurg stellte eine natürliche To- desursache fest. Monate später räumte das Pentagon „Tod durch Ersticken“ ein.

Bevor US-General Antonio Taguba im Januar 2004 den ersten Bericht über Misshandlungen in Abu Ghraib vorleg- te, gab es vonseiten des Sanitätsper- sonals keine Meldungen über Gewalt oder Folterspuren. Beamte des Penta- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4322. Oktober 2004 AA2873

US-Militärgefängnisse

Ärzte beteiligten sich an Folterungen

Hätten die Täter befürchten müssen, durch medizinische Nachweise überführt zu werden, hätten sie möglicherweise von ihren Taten abgesehen.

Vereidigung von Generalmajor Antonio Taguba vor dem US- Senat: Der Militär- ermittler hatte die Misshandlungsvor- würfe in Abu Ghraib untersucht. Taguba prangerte mangelnde Disziplin, fehlende Ausbildung und Auf- sicht der Soldaten und Militärpolizisten an.

Foto:dpa

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gons erklären die „Versäumnisse“ mit mangelhafter Ausbildung, Personal- mangel, Überfüllung der Gefängnisse, anti-islamischen Vorurteilen, Rassis- mus, mit dem Druck, verwertbare Ver- hörergebnisse zu erzielen, aber auch mit kriminellen „schwarzen Schafen“

beim Bewachungspersonal.

Guantanamo: rechtsfreier Raum

Doch die Verantwortung für das Fehl- verhalten scheint bis in höchste Re- gierungskreise zu reichen. Im Februar 2002 verweigerte Verteidigungsminister Rumsfeld eine gerichtliche Überprü- fung der Frage, ob die Genfer Konventi- on auf die gefangenen mutmaßlichen Al-Quaida-Anhänger in Guantanamo auf Kuba anzuwenden sei. Die Begrün- dung: Der Krieg gegen den Terrorismus müsse unter anderen Bedingungen ge- führt werden als frühere Kriege, sodass die Genfer Konvention hier keine Gül- tigkeit habe. Die US-Regierung hat bis- lang alle Forderungen nach freiem Zu- gang von Anwälten, Angehörigen, der Presse und internationalen Beobach- tern abgelehnt. Die Haft der Gefange- nen in Guantanamo vollzieht sich im rechtsfreien Raum, abgeschirmt von jeglicher demokratischen Kontrolle. Da- mit hat die Regierung Bush nach dem 11. September 2001 einen permanenten Ausnahmezustand und ein Klima der Missachtung von Rechtsnormen ge- schaffen, das auf den nachgeordneten Befehlsebenen als Aufforderung ver- standen wurde, es mit der Genfer Kon- vention und der UN-Konvention gegen Folter nicht so genau zu nehmen.

Ein Memorandum des US-Justizmini- steriums an den Präsidenten von August 2002 und der Bericht einer Arbeitsgrup- pe des Verteidigungsministeriums vom März 2003 unterscheiden zwischen grau- samer, inhumaner oder erniedrigender Behandlung und Folter, die normaler- weise verboten ist – es sei denn, der Prä- sident setze im Zuge seiner besonderen Befugnisse im Kriegsfall die Verpflich- tung der USA auf die UN-Konvention gegen Folter außer Kraft.

Um den Widerstand von Gefange- nen in Guantanamo zu brechen, geneh- migte Verteidigungsminister Rumsfeld Ende 2002 das Ausziehen von Häftlin-

gen, Isolationshaft und die Bedrohung mit Hunden. Im April 2003 widerrief er diese Genehmigung und ließ verlauten, dass andere Länder Techniken wie Be- drohung, Beleidigung und Einschüchte- rung als Bruch der Genfer Konvention ansähen. Er fügte hinzu: „Nichts in die- sem Memorandum schränkt in irgend- einer Weise ihre Befugnis ein, Ordnung und Disziplin unter den Gefangenen aufrechtzuerhalten.“

Es stellte sich heraus, dass die An- gehörigen des Sanitätsdienstes in Abu Ghraib keine Unterweisung in Men- schenrechtsstandards erhielten, wie es ansonsten in der US-Army üblich ist.

Auch waren deren Vorgesetzte weder mit der Genfer Konvention noch mit den Armeevorschriften über die Behand- lung von Gefangenen vertraut. Dabei sind die Rechtsnormen und Konventio- nen, die die USA unterzeichnet haben, eindeutig: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Na- tionen, die UN-Konventionen zur Be- handlung von Gefangenen, die UN- Konvention gegen Folter, die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegs- gefangenen und die Dienstvorschriften der US-Armee verbieten Folter und un- menschliche Behandlung. Nach der De- klaration von Tokio des Weltärztebun- des dürfen Ärzte sich in keinerlei Weise an Folterungen beteiligen.

Das Pentagon hat inzwischen zugege- ben, dass die verantwortlichen Militärs die seit 2002 vorliegenden Berichte von amnesty international und des Interna- tionalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) über die Misshandlung von Ge- fangenen ignoriert haben. Nachdem das IKRK die Methoden in Abu Ghraib kri- tisiert hatte, wurde ihm der Zugang zu den Gefangenen verwehrt.

Offenbar ist aber noch längst nicht die ganze Wahrheit ans Licht gekommen.

Mehrere Tausend Seiten des ersten Un- tersuchungsberichts von General Tagu- ba sind bislang nicht öffentlich zugäng- lich.Andere Berichte, wie die der verant-

wortlichen Generäle Geoffrey Miller und Donald Ryder, bleiben unter Ver- schluss. Es gibt mehrere geheime Mi- litärgefängnisse, die bislang von den Un- tersuchungen ausgeschlossen blieben.

In einer Bilanz fordert Steven H.

Miles, Professor für Bioethik an der Uni- versity of Minnesota, in der Zeitschrift

„Lancet“ eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge und eine grundlegende Re- form der Militärmedizin. Gregg Bloche, Professor für Rechtsmedizin an der Georgetown University in Washington, schreibt dazu in der „New York Times“:

„Wenn Gefängniswärter und Vernehmer zu Folterern werden, sind Ärzte die Er- sten, die davon erfahren. Internationale Rechtsnormen verlangen von ihnen, dass sie entsprechend handeln. Hätten Mili- tärärzte die ersten Anzeichen von Miss- handlungen sofort angezeigt, hätten die brutalen Praktiken gestoppt werden können. Hätten die Täter befürchten müssen, durch medizinische Nachweise überführt zu werden, hätte sie das mögli- cherweise von ihrem kriminellen Weg abgebracht.“ (4)

Folterverbot gilt auch im Krieg

Das Folterverbot der UN-Konvention gilt auch im Ausnahmezustand oder im Krieg. Das, was jetzt in US-Militärge- fängnissen geschehen ist, zeigt, wie ge- fährlich und verantwortungslos es ist, wenn Politiker und Juristen in den USA und auch in Deutschland öffentlich dar- über „nachdenken“, ob Folter nicht ein legitimes Mittel sei im Kampf gegen Terroristen.Aus dem Nachdenken kann, wie man sieht, schreckliche Realität werden. Dr. med. Christian Pross, Behandlungszentrum für Folteropfer, Berlin

Literatur

1. Brutal Interrogation in Iraq – five detainees’ death pro- bed. The Denver Post May 19, 2004; Only a Few Spoke Up on Abuse as Many Soldiers Stayed Silent. The New York Times, May 22, 2004; Aussagen von Gefangenen auf der Homepage der Washington Post vom Mai 2004.

2. Physicians for Human Rights: www.phrusa.org.

3. Seymour Hersh: Torture at Abu Ghraib.The New Yorker 10. Mai 2004; und ders.: The Gray Zone. The New Yor- ker 24. Mai 2004. Alle im Folgenden aufgeführten Fak- ten mit Quellenangaben stammen aus: Steven H.

Miles, Abu Ghraib: its legacy for military medicine. The Lancet Vol. 364 vom 21. August 2004.

4. M. Gregg Bloche: Physician Turn Thyself In. The New York Times 10.

T H E M E N D E R Z E I T

A

A2874 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4322. Oktober 2004

Das Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin bittet um Spenden zur Finanzierung der Arbeit für schwer traumatisierte Patien- ten. Spendenkonto:

Deutsche Apotheker- und Ärztebank, Konto-Nr. 020 30 74 234, BLZ 100 906 03.

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