[96] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 11⏐⏐16. März 2007
S C H L U S S P U N K T
A
ls nieder-gelassenerArzt in deutschen Landen fühlt man sich wie ein pathoge- netisch unschuldiges Bakterium, das unter antibiotischen Beschuss geraten ist. Verzweifelnd sich abstrampelnd, eine nosokomiale Nische zu fin- den, immer öfter von un- gestörten Arbeitsbedingungen träumend, sagen wir mal: wie in einer Petrischale. Aber nein, un- ser Alltag hat so ganz und gar nichts mit den freundlichen leis- tungsfördernden Bedingungen eines Brutschrankes gemein, in dem wir uns medizinisch voll entfalten könnten.
Noch seltener finden wir bei anderen Gehör; hartnäckig hält sich das Gerücht, wir wollten nur Millionäre werden und ab Mittag Golf spielen. Aber gleich einem nährstoffoptimierten Agar, auf dem das Le- ben wie die Hoffnung keimt, gibt es doch noch Menschen, die einem Arzt Verständnis entge- genbringen.
Ein Patient kommt in die Sprechstunde und führt überraschenderweise keine Klage über Kran- kenkassenbeiträge und deren Veruntreuung durch niedergelassene Ärzte auf den Lippen. „Also, ich kann das wirklich gut verstehen, dass ihr Ärzte auf die Straße geht; ich meine, als Studenten und Assistenten bekommt ihr eh nur einen Hungerlohn, da ist es nur gerecht, dass ihr später wenigstens so viel verdient wie ein Malermeister. Leistung muss sich schließlich lohnen, nicht wahr?“ Ich bin ganz gerührt, die wohli- ge Wärme des Verständnisses macht sich in meinen Ventrikeln breit. Der Patient fährt fort: „Es ist eigent- lich kaum zu glauben, wie ihr all die Energie auf- bringt, für alle eure Patienten da zu sein, sich für die Menschen aufzureiben, wo ihr doch von Bürokratie und Regulierungswahn zermahlen werdet!“ Ich lau- sche ergriffen diesen ach so wahren Worten, kaum zu glauben, aber es gibt doch noch Patienten, die die Nö- te von uns Ärzten tief greifend erfasst haben. Das ist Serotonin für meine geschundenen medizinischen Synapsen. Mehr! Mehr! Als hätte er meine innere Stimme gehört, setzt er nach. „Eigentlich ist es ein Rätsel, wie ihr es trotz Budgetierung immer noch
schafft, uns Patienten die modernste Thera- pie und Diagnostik zukom- men zu lassen. Es ist eine Riesen- sauerei, dass euer Engagement per Regress noch bestraft wird!“ Vor lauter Rührung fangen mei- ne Glandulae lacrimales an zu sezernieren. Der Pati- ent beugt sich vor. „Wie Sie sehen, habe ich wirklich viel Verständnis für Ihre Situation, Herr Doktor. Da- mit hört es allerdings abrupt auf, wenn Sie nicht end- lich meine Erwerbsunfähigkeit durchkriegen, ka- piert?!!“
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.
VON SCHRÄG UNTEN
Verständnis
Dr. med. Thomas Böhmeke