[60] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 14|
4. April 2014VON SCHRÄG UNTEN
Umständlich
Dr. med. Thomas Böhmeke
H
and auf den linken Ventri- kel, liebe Kolleginnen und Kollegen, beschleicht Sie nicht ge- legentlich auch das Gefühl, dass es in unserer Profession umständlich zugeht? Nehmen wir beispielsweise einen Patienten, der wissen möchte, ob seine Luftnot krankhaften Ur- sprungs ist. Da sein gewissenhafter Hausarzt von der Kassenärztlichen Verei- nigung gerätetechnisch entwaffnet ist, er- hält unser Patient Überweisungen zum Lun- genfacharzt, zum Kardiologen, zum Röntgen.Alsdann muss er um Termine telefonieren, Wochen Wartezeit in Kauf nehmen, an Anmeldungen drängeln, Datenschutzbestimmungen unterschreiben, Anamnese- bögen ausfüllen. Wenn er Glück hat, ist die Ursache nach zwei, drei Monaten geklärt. Wenn ihm bis dahin nicht die Luft ausgegangen ist. Gibt es eigentlich dieses kleinteilige, zeitraubende Prozedere nur in der medizi- nischen Versorgung, oder existiert Vergleichbares in anderen Berufen?
Ich bekomme Besuch von einem Projektleiter, der Filmaufnahmen in meinem Wohnzimmer drehen möch- te. Solch eine Produktion, so erläutert er mir, wäre schon ein ungeheurer Aufwand, der Außerfilmischen äußerst umständlich erscheinen würde. Ach was, so entgegne ich ihm, dass kenne ich doch von meiner Pro- fession: Umständlichkeit ist bei Medizinern Obsession.
Ich denke nur an meine Patienten, die stationär aufge- nommen werden: Einverständniserklärungen, Kosten- übernahmeerklärungen, Aufklärungen, MRSA-Testun- gen, prophylaktische Heparinisierungen und noch viel mehr, bevor auch nur ein einziger therapeutischer Handschlag erfolgt. Man müsse, so erklärt mir der Pro- jektleiter, die halbe Straße sperren, um Platz zu haben für Versorgungsfahrzeuge, Gerätewagen, Generatoren, auch ein Catering-Lkw wäre dabei. Also, das ist doch entschieden professioneller als bei meinen Patienten, so entgegne ich; Sie bringen wenigstens Ihr Catering mit, wenn meine Schutzbefohlenen sich irgendwo zum Zwecke einer Behandlung einfinden, laufen sie durch- aus Gefahr, sich von einer protrahierten Hypoglykämie martern zu lassen. Stundenlanges Hocken in stickigen Wartezimmern, wehmütiges Warten auf ein Kranken- hausbett.
Ich sollte, so der Projektleiter, mir doch eine konkre- te Vorstellung vom Ablauf machen: Frühmorgens bau- en die Techniker die Lichtanlage auf. Später kommen die Regisseure, Assistenten, Maskenbildner und viele mehr. Gegen Mittag treffen die Schauspieler ein. Die Aufnahmen nehmen mindestens fünf Stunden in An- spruch. Ich müsse damit rechnen, dass in meinem Haus mehr als 50 Personen ein- und ausgehen. Mein Wohn- zimmer wird komplett umgebaut, die Terrasse mit Topfpflanzen vollgestellt, Dutzende Kabel werden durch den Eingang, das Treppenhaus und die Einfahrt verlegt. Ja, das geht in Ordnung, das ist völlig über- sichtlich, geradezu banal. Hoffentlich fühlen sich alle wohl in meinem Haus. Eine Frage hätte ich aber noch!
Ja, bitte? Bei dem ganzen Aufwand, ich meine, 50 Menschen über fünf Stunden mit fünf Lkw, was soll denn eigentlich gedreht werden? Ein halber Tatort? Ein fünftel Spielfilm? Gar etwas Größeres?
Ach was, meint der Projektleiter, wir drehen nur einen kurzen Werbefilm. WAS?! Ja, einen kurzen Werbefilm, so 15 Sekunden, wenn es hoch kommt. NIEMALS! Nie- mals, liebe Kolleginnen und Kollegen, werde ich wieder behaupten, dass wir umständlich seien!
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.