[52] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 40|
3. Oktober 2014VON SCHRÄG UNTEN
Schwätzchen
Dr. med. Thomas Böhmeke
W
enn Ärzte sich unterhalten, geht es im- mer um die Gebührenordnung und das damit verbundene Geldscheffeln, ersatzweise auch um die hundsmiserable Entlohnung für unendliche Mühen mit all diesen undankbaren Kassenpatienten. So die gängige öffentliche Mei- nung. Ist das wirklich so?Ein niedergelassener Kollege ruft mich an und möchte wissen, ob er bei Patienten, die bisher nicht durch makroangiopathische Veränderun- gen aufgefallen sind, das LDL medikamentös unter 100 drücken sollte; aber eigentlich will er nur ein Schwätzchen mit mir halten. Ich bin erst mal sachlich und antworte, dass zwar unter Statinen eine Verringerung des Infarkttodes in über 40 Prozent publiziert werde, dies seien aber nur relative, keine ab- soluten Risikoreduktionen. „Ach ja, die euphemistische Pharma-Poesie. Absolut relativ muss man sie sehen!“
Bei seinem makroangiopathisch unbelasteten Patienten liegt die NNT, also die Numbers needed to treat, bei etwa 300, demgegenüber stehen die bekannten Störwir- kungen. „Herr Kollege Böhmeke, ich wundere mich immer wieder, wie häufig Störwirkungen auftreten, auch diejenigen, die nur ganz, ganz selten vorkommen dürfen! Mich beschleicht das Gefühl, als würden sich die Störwirkungen auf meine Praxis konzentrieren!“
Dieser Konzentrationseffekt ist möglicherweise durch folgendes bedingt: je konzentrierter der Doktor, desto auffälliger, also effektiver die Störwirkung.
„Sie meinen aber nicht im Ernst, ich sollte Konzentra- tion durch Kontemplation ersetzen?“ Überhaupt nicht.
Ich, also besser gesagt meine Patienten leiden unter dem gleichen Phänomen, daher habe ich mal versucht, die NNH, also die Numbers needed to harm, aus den Lipid- studien zu eruieren, und muss leider sagen, dass ich trotz vieler Mühen keine Statistik darüber bekommen konnte.
„Numbers needed to harm wird von den Pharmafirmen mit ’verharmlosen’ übersetzt. Können Sie sich noch an die COX-2-Hemmer erinnern? Erst drohten die Patien- ten mit der Presse, um sie zu bekommen und danach mit der Presse, weil ich sie verschrieben habe!“ Tja, das war auch ein ziemlich steiler und schmerzhafter Sturz, den diese Entzündungshemmer hingelegt haben. „Die meis-
ten von den sogenannten Innovationen sind rasend schnell
in die Leitlinien gedrückt worden, wir mussten sie dann verschreiben und haben genauso schnell gemerkt, dass gravierende Störwirkungen auftreten!“
Wir könnten ja eine NNL erfinden. „Eine was?!“
Numbers of days needed until published in the Leitlinien.
„Und was soll uns das sagen?“ Das wäre ein Index für erfolgreiche Lobbyarbeit. Dieser Index würde sich wahr- scheinlich kongruent zum NNR verhalten. „Und was ist das?“ Numbers of days needed until published as Rote- Hand-Brief. „Herr Kollege, ein Schwätzchen mit Ihnen ist erfrischend und ohne Nebenwirkungen!“ Danke.
Auch wenn Sie die Presse nicht mögen, muss ich Sie ehrlicherweise fragen, ob Sie sich mit einer Veröffent - lichung dieses Gesprächs einverstanden erklären. „Nur zu!“ Also darf ich Sie in das Deutsche Ärzteblatt schreiben. „Aber ich kann Ihnen nicht garantieren, dass ich die Gelegenheit habe, Ihren Artikel mit Muße zu würdigen!“ Warum? „Keine Zeit! Bin mit Geldschef- feln beschäftigt!“ Chapeau! Der geschätzte Kollege ist ein begabter Satiriker.
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.