[72] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 112|
Heft 8|
20. Februar 2015VON SCHRÄG UNTEN
Test
Dr. med. Thomas Böhmeke
D
ie allermeisten meiner Schutzbefohlenen gehen davon aus, dass auch Kardiologe drin ist, wo Kardiologe drauf steht. Gelegentlich, eigentlich nur manchmal, also fast nie, hinterfragen sie meine berufli- che Qualifikation. Das macht das Berufsleben einfa- cher, weil mehr Zeit übrig ist, sich dem Anliegen der Patienten zu widmen.Aber Ausnahmen bestätigen die Regel, wie heute in der Sprechstunde: „Herr Doktor Böhmeke, wann haben Sie eigentlich Examen gemacht?“ Oh, da muss ich nachdenken, das war vor Dekaden, genauer gesagt im letzten Jahrhundert, exakt formuliert im letzten Jahrtau- send. Trotz dieser aus meiner Sicht erschöpfenden Re- plik kommt die Frage, die meine berufliche Qualifikati- on in selbige stellt: „Würden Sie denn die Tests von da- mals heute noch bestehen?“ Ach, du meine Güte. Ich hatte mir vor einiger Zeit aus Gründen der Recherche für eine *hüstel* nicht streng wissenschaftliche Publi- kation die heutigen Multiple-Choice-Fragen angeguckt und muss ehrlicherweise verneinen. „Ja, wie kann das denn sein, dass Sie gar nicht mehr getestet werden?“ Da irrt er sich aber gewaltig.
Mein Berufsalltag gleicht einer Teststafette, ist ge- spickt mit kryptischen Kalamitäten. Fangen wir an mit A wie Anamnese: Wie komme ich zur Annahme einer absoluten Arrhythmie, wenn der Patient darüber klagt, er fühle sich irgendwie anders? Das ist doch eine an- spruchsvolle Aufgabe, oder? Weiter mit B wie Befun- de: Wie fische ich aus einem fünfzehnseitigen Bericht das winzige Bruchstück heraus, das für meinen Patien-
ten von Bedeutung ist? Die Besten schaffen das in dem Bruchteil einer Minute. Fahren wir fort mit C wie Com- pliance: Kann er erahnen, wie häufig Ceterizin mit Ce- furoxim verwechselt wird? Carvedilol mit Calciferol?
Täglich muss ich diese Medikamententests, vorgetra- gen von meinen Schutzbefohlenen, bestehen, ansonsten schlägt das Chaos der Chemie um in eine Katastrophe.
Gehen wir über zu D wie Diagnose. Moderne Diagno- sen sind von der DRGitis befallen, die zu einer drasti- schen Dramatisierung führt. Aus simplem Durchfall wird eine lebensbedrohliche, das Bauchfell durchwan- dernde Darmentzündung, aus einem dicken Zeh eine destruierende Osteomyelitis. Immer häufiger muss ich Patienten wieder aufrichten, die durch DRGitis-infi- zierte Diagnosen völlig destabilisiert sind. Fahren wir fort mit E. Glaubt er ernsthaft, dass . . .
„Genug! Genug! Hören Sie auf! Um Himmels willen nicht das ganze Alphabet!“ Ach nö, das ist aber schade, ich bin doch lange noch nicht fertig. „Nein, hören Sie auf! Um mit Ihren Worten zu sprechen: Ich bin schon bei Z!“ Wie, Z? „Z wie Zufrieden!“
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.