Numerische Stabilit¨ atsanalyse von Travelling Waves anhand der
Evans-Funktion und der Lopatinski-Determinante
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Naturwissenschaften
(Doctor rerum naturalium, Dr. rer. nat.) vorgelegt von Felix Kleberan der
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Sektion Fachbereich Mathematik und Statistik
Tag der m¨undlichen Pr¨ufung: 11. Februar 2016
1. Referent: Prof. Dr. Johannes Schropp, Universit¨at Konstanz 2. Referent: Prof. Dr. Heinrich Freist¨uhler, Universit¨at Konstanz
Danksagung
Zu aller erst m¨ochte ich mich ganz herzlich bei Herrn Prof. Dr. Johannes Schropp bedanken, der mir die M¨oglichkeit gegeben hat, im Fachbereich Mathematik und Statistik der Universit¨at Konstanz zu promovieren und stets dabei geholfen hat, meine Dissertation zu einem erfolgreichen Abschluss zu f¨uhren.
An zweiter Stelle gilt ein großer Dank Herrn Prof. Dr. Heinrich Freist¨uhler, dessen Kooperation mit Herrn Prof. Dr. Johannes Schropp – insbesondere f¨ur den zweiten Teil meiner Dissertation – ebenfalls zu einem erfolgreichen Abschluss der vorliegen- den Arbeit gef¨uhrt hat.
Des Weiteren bedanke ich mich nat¨urlich bei meiner Familie und bei meinen Freun- den, die mich ebenfalls w¨ahrend meiner Promotion an der Universit¨at Konstanz immer tatkr¨aftig unterst¨utzt haben.
Schließlich m¨ochte ich mich noch bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Fachbereichs Mathematik und Statistik bedanken, die mir w¨ahrend meiner Zeit an der Universit¨at Konstanz geholfen haben, meine Promotion erfolgreich zu beenden.
Konstanz, im November 2015 Felix Kleber
Inhaltsverzeichnis
Danksagung v
Abbildungsverzeichnis xi
Tabellenverzeichnis xii
Einleitung 1
I Die Evans-Funktion 7
1 Die Evans-Funktion – Herleitung und Eigenschaften 9
1.1 Stabilit¨at von Travelling Waves . . . 9
1.2 Die Evans-Funktion . . . 13
1.2.1 Spektrum und Fredholm-Eigenschaften . . . 13
1.2.2 Konstruktion der Evans-Funktion: Spezialfall . . . 14
1.2.3 Konstruktion der Evans-Funktion im allgemeinen Fall . . . . 16
1.2.4 Eigenschaften der Evans-Funktion . . . 19
1.2.5 Hyperbolizit¨at und asymptotisches Verhalten . . . 20
1.3 Ein explizites Beispiel f¨ur die Evans-Funktion . . . 21
2 Die numerische Berechnung der Evans-Funktion 27 2.1 Einf¨uhrung in die Problemstellung . . . 27
2.2 Berechnung analytischer Basen . . . 29
2.3 Numerische Integration von Unterr¨aumen . . . 31
2.3.1 Die Stiefel-Mannigfaltigkeit . . . 31
2.3.2 Die Polarkoordinaten-Methode . . . 32
2.3.3 Numerische Umsetzung . . . 35
2.4 Algorithmus zur Berechnung der Evans-Funktion . . . 36
2.5 Fazit . . . 37
2.6 Alternative Berechnungsm¨oglichkeiten der Evans-Funktion . . . 37
2.6.1 Die Methode des ¨außeren Produkts . . . 38
2.6.2 Die Riccati-Methode . . . 40
3 Numerik orthogonaler Fl¨usse 43 3.1 Grundlagen f¨ur Differential-algebraische Gleichungen . . . 44
3.2 Orthogonale Fl¨usse im Reellen . . . 47
3.2.1 Der Fluss auf der reellen Stiefel-Mannigfaltigkeit . . . 47
3.2.2 Zusammenhang zum vektorwertigen Fall . . . 48
3.3 SPARK-Verfahren f¨ur reelle Index-2-Probleme . . . 52
3.3.1 Anwendung auf die vektorwertige Gleichung . . . 55
3.3.2 Anwendung auf die matrixwertige Gleichung . . . 58
3.4 Ubertragung ins Komplexe . . . .¨ 62
3.4.1 Formulierung als Differential-algebraische Gleichung . . . 62
3.4.2 Aquivalenz zum reellen Fall . . . .¨ 64
3.4.3 Vom reellen zum komplexen Algorithmus . . . 68
4 Anwendung und Beispiele 71 4.1 Numerisches Set-Up . . . 71
4.1.1 Runge-Kutta-Verfahren f¨ur die Q-Gleichung . . . 71
4.1.2 Runge-Kutta-Verfahren f¨ur die ˜γ-Gleichung . . . 72
4.1.3 Praktische Umsetzung in Matlab . . . 73
4.1.4 Numerische Daten . . . 74
4.2 Beispiele . . . 74
4.2.1 Reaktionsdiffusionsgleichung . . . 75
4.2.2 Boussinesq-Gleichung . . . 77
4.2.3 Ekman-Randschichtproblem . . . 79
4.2.4 Autokatalytisches System . . . 83
4.3 Vergleich mit der Davey-Methode . . . 88
4.4 Fazit . . . 90
II Die Lopatinski-Determinante 93
5 Die Lopatinski-Determinante 95 5.1 Erhaltungsgleichungen und Schock-L¨osungen . . . 955.2 Stabilit¨at von Schock-L¨osungen – die Lopatinski-Determinante . . . 96
6 Das zweidimensionale ideale isotherme MHD-System 101 6.1 Das MHD-System in konservativer und symmetrischer Form . . . . 102
6.2 Langsame und schnelle, parallele und nicht-parallele Schocks . . . . 106
6.3 Die Lopatinski-Determinante des MHD-Systems . . . 113
7 Analyse der Lopatinski-Determinante des MHD-Systems 117 7.1 Parallele Lax-Schocks . . . 117
7.1.1 Langsame parallele Lax-Schocks . . . 119
7.1.2 Schnelle parallele Lax-Schocks . . . 127
7.1.3 Numerik f¨ur den parallelen Lax-Schock . . . 128
7.1.4 Ergebnisse f¨ur den parallelen Lax-Schock . . . 135
7.2 Nicht-parallele Lax-Schocks . . . 136
Inhaltsverzeichnis
7.2.1 Ingredienzen der Lopatinski-Determinante . . . 137
7.2.2 Numerik f¨ur den nicht-parallelen langsamen Lax-Schock . . . 140
7.2.3 Ergebnisse f¨ur den nicht-parallelen langsamen Lax-Schock . 144 7.3 Fazit f¨ur den langsamen Lax-Schock . . . 149
Zusammenfassung 151
III Anhang 153
A Grundlagen aus der linearen Algebra 155 B Parameterabh¨angige Matrizen 159 B.1 Fortsetzung von Unterr¨aumen . . . 159B.1.1 Der Algorithmus nach Beyn . . . 159
B.1.2 Der Algorithmus nach Dieci und Friedman . . . 165
B.2 Differentiation von mehrfachen Eigenwerten . . . 168
C Numerische Berechnung von Travelling Waves 171 C.1 Schritt 1: Endliches Intervall . . . 171
C.2 Schritt 2: Systemverdopplung . . . 171
C.3 Umsetzung in Matlab . . . 172
C.4 Extraktion der Profill¨osung . . . 173
C.5 Beispiel . . . 173
D Rechnungen des MHD-Systems 177 E Komplexe Nullstellen 195 E.1 Das Muller-Verfahren . . . 195
E.2 Das Argumentprinzip . . . 195
F Computerinformation 197
Literaturverzeichnis 199
Abbildungsverzeichnis
1.1 Travelling-Wave-L¨osung der Boussinesq-Gleichung . . . 10
1.2 Travelling-Wave-L¨osung der Reaktionsdiffusionsgleichung . . . 22
2.1 Die drei Basisl¨osungen ˜W1, ˜W2 und ˜W3 . . . 30
4.1 Die Evans-Funktion f¨ur die Reaktionsdiffusionsgleichung . . . 75
4.2 Orthogonaler Fehler f¨ur die Reaktionsdiffusionsgleichung . . . 76
4.3 Die Evans-Funktion f¨ur die Boussinesq-Gleichung . . . 77
4.4 Orthogonaler Fehler f¨ur die Boussinesq-Gleichung . . . 79
4.5 Die Ekman-Spirale in der u-v-Ebene . . . 80
4.6 U- und V-Komponenten der Travelling Wave Φ f¨ur ε= 0.014156 . . . . 81
4.7 H¨ohenprofil von |D(λ)| f¨ur das Ekman-Randschichtproblem . . . 83
4.8 Orthogonaler Fehler f¨ur das Ekman-Randschichtproblem . . . 84
4.9 Die Komponenten ¯u und ¯v der Travelling Wave Φ f¨ur δ= 0.1 undm = 9 85 4.10 H¨ohenprofil von|D(λ)| f¨ur das autokatalytische System . . . 86
4.11 Orthogonaler Fehler f¨ur das autokatalytische System . . . 87
4.12 Orthogonaler Fehler bis auf Maschinengenauigkeit . . . 90
6.1 Sprungstelle der Schock-L¨osung in der x1-x2-Ebene . . . 107
6.2 Die Funktion gam0 f¨ur drei verschiedene Situationen . . . 110
6.3 Die Funktion gamc f¨ur a= 1.5, m= 1 undc= 0.5 zum H¨ohenlevel j = 4 112 7.1 H¨ohenprofil f¨ur den langsamen Lax-Schock zu a= 4 und ρ+= 3 . . . . 130
7.2 Kurven ∆(Γ,1) und ∆(Γ,−1) f¨ur den langsamen Lax-Schock . . . 131
7.3 H¨ohenprofil nahe der imagin¨aren Achse f¨ur den langsamen Lax-Schock 133 7.4 H¨ohenprofil nahe der imagin¨aren Achse f¨ur den schnellenLax-Schock . 134 7.5 Kurve f¨ur den Stabilit¨atswechsel beim Eigenwert λ∗ = 0 . . . 135
7.6 Funktion gamc f¨ur c= 0 und c= 0.2 zu a= 2.2 und m= 2 . . . 139
7.7 St¨orung der Kurve ρ+ = aa22+2+1 f¨ur |c| 6= 0 klein – 2D-Ansicht . . . 144
7.8 St¨orung der Kurve ρ+ = aa22+2+1 f¨ur |c| 6= 0 klein – 3D-Ansicht . . . 145
7.9 Kurven f¨ur ∆a,ρ+,c(iβ,±1) = 0 mit c≷0 – 2D-Ansichten . . . 146
7.10 Die FunktionenR und γ zum Wert a= 1.25 . . . 147
7.11 Auftreten instabiler Schock-L¨osungen f¨ur c= 0 . . . 148
7.12 Auftreten instabiler Schock-L¨osungen f¨ur c= 0.01 – ω2 = 1 . . . 149
7.13 Auftreten instabiler Schock-L¨osungen f¨ur c= 0.01 – ω2 =−1 . . . 150
7.14 Konstanz des Drucks ρ+ w¨ahrend den Rechnungen f¨ur c= 0.01 . . . . 150
4.1 Zeit in Sekunden f¨ur die Berechnung der Evans-Funktion . . . 89
4.2 Orthogonaler Fehler maxξ∈[−10,10]maxλ∈ΩλkQ∗(ξ)Q(ξ)−Ilk∞ . . . 89
7.1 Eigenwerte λ∗ zu a= 2 undρ+ ց aa22+2+1 = 1.2 . . . 132
7.2 Eigenwerte λ∗ zu verschiedenen Paaren (a, ρ+) mit ρ+ > aa22+2+1 . . . 132
F.1 Informationen ¨uber den verwendeten Computer . . . 197
Einleitung
Die vorliegende Dissertation besch¨aftigt sich mit der mathematischen Analyse von Travelling Waves und deren Stabilit¨at. Aus physikalischer Sicht sind Wellen Ver¨ande- rungen einer orts- und zeitabh¨angigen Gr¨oße, welche sich mit einer gewissen Ge- schwindigkeit durch ein Medium oder auch durch das Vakuum fortbewegen, ohne dabei ihre Form zu ver¨andern. Beispiele hierf¨ur sind u. a. Wasserwellen, die sich kreisf¨ormig ausbreiten, wenn man einen Stein in das Wasser wirft, oder elektroma- gnetische Wellen, die von einem Fernsehsender ausgehen und sich durch den Raum fortbewegen, oder auch Wellen im Kontext der Magnetohydrodynamik (MHD), wel- che sich im Inneren eines Plasmas ausbilden k¨onnen. Aufgrund der Bewegung der Wellen spricht man in diesem Zusammenhang von laufenden Wellen (engl. travelling waves). Die Stabilit¨at einer Travelling Wave beinhaltet die Fragestellung, ob eine ge- gebene Travelling Wave robust gegen¨uber gewissen Ungenauigkeiten bzw. St¨orungen und demzufolge in der Realit¨at beobachtbar ist.
Aus mathematischer Sicht kann eine Travelling Wave als L¨osung U einer gegeben partiellen Differentialgleichung der Form
U(x, t) = Φ(ξ), ξ :=x·N −st
mit einer passenden Funktion Φ beschrieben werden. Hierbei sind
• x∈Rd die Ortsvariable,
• t ≥0 die Zeitvariable,
• s die Geschwindigkeit, mit der sich die Travelling Wave fortbewegt und
• N ∈Sd−1 die Richtung, in der sich die Travelling Wave ausbreitet, wobeiSd−1 die Einheitssph¨are im Rd ist.
Die Variable ξ=x·N −stbezeichnet man als mitbewegte Koordinate.
In dieser Arbeit werden zwei Klassen von partiellen Differentialgleichungen betrach- tet, welche eine Travelling-Wave-L¨osung generieren, und zwar
Ut =A(∂x)U +N(U) (1)
sowie
Ut+ Xd
j=1
fj(U)xj = 0. (2)
Dabei ist in Gleichung (1) A ein linearer Differentialoperator und N eine Nichtli- nearit¨at. Gleichung (2) ist der allgemeine Vertreter eines Systems von Erhaltungs- gleichungen. F¨ur d= 1 kann man sich eine Travelling Wave gut in einem Schaubild veranschaulichen, z. B. einen Puls als L¨osung f¨ur Gleichung (1), der sich nach links fortbewegt:
←−−s<0
Ein weiteres Beispiel f¨urd = 1 ist eine sogenannte Schock-L¨osung f¨ur Gleichung (2), welche sich nach rechts bewegt:
−−→s>0
F¨ur die Analyse der Stabilit¨at einer Travelling Wave ist das zentrale Konzept dieLi- nearisierungder Gleichungen (1) und (2) um die jeweilige Travelling Wave Φ sowie ein anschließenderExponentialansatzin der Zeittmit einem Faktor eλt. Dabei ist λ∈C eine komplexe Zahl, welche als Spektralparameter oder auch als Eigenwert bezeichnet wird. Die Linearisierung und der Exponentialansatz liefern schließlich aus der partiellen Differentialgleichung eine gew¨ohnliche Differentialgleichung, ein sogenanntes Eigenwertproblem. Dieses stellt die konzeptionelle Basis dieser Arbeit dar.
Durch den Ansatz mit dem Faktor eλt wird die Stabilit¨at bzw. Instabilit¨at der Tra- velling Wave Φ mithilfe des Realteils des Eigenwertsλentschieden. Und daher ist die Hauptaufgabe in der Stabilit¨atsanalyse einer Travelling Wave den oder die Eigen- werte zu finden. Ein grundlegendes Konzept hierf¨ur sind die Evans-Funktion[1,57]
und die Lopatinski-Determinante[19,49,50], deren Nullstellen genau die Eigenwerte der zugrunde liegenden Travelling Wave sind. In den meisten F¨allen sind diese kom- plexwertigen Funktionen allerdings nicht explizit berechenbar, und daher spielt die Numerik ein wichtige Rolle in der Berechnung der Nullstellen der Evans-Funktion und derLopatinski-Determinante und damit in der Stabilit¨atsanalyse von Travel- ling Waves.
Der erste Teil dieser Arbeit behandelt dieEvans-Funktion, zu deren Definition nach
Einleitung
Linearisierung von (1) und dem Exponentialansatz ein Eigenwertproblem der Form
W′ =A(ξ, λ)W, ξ∈R, W ∈Cn (3)
dient mitk linear unabh¨angigen instabilen Moden Wi−(·, λ),i= 1, . . . , k und n−k linear unabh¨angigen stabilen ModenWi+(·, λ),i= 1, . . . , n−k, welche f¨urξ → −∞
bzw. ξ→+∞abklingen. Damit kann die Evans-Funktion definiert werden durch D(λ) := det
W1−, . . . , Wk−, W1+, . . . , Wn+−k (ξ, λ)
ξ=0
. Diese hat die zentrale Eigenschaft
D(λ) = 0 ⇔ λ ist Eigenwert
und ist zudem analytisch1 im Spektralparameter λ. F¨ur die numerische Berechnung der Evans-Funktion ist es wichtig diese beiden Eigenschaften zu erhalten, d. h., im Einzelnen sind folgende Punkte zu beachten:
(i) Die Sicherstellung, dass D analytisch in λ ist.
(ii) Die Moden Wi± besitzen in der Regel unterschiedliche Wachstumsraten, was f¨ur das L¨osen von Gleichung (3) zu numerischer Instabilit¨at f¨uhrt; man spricht in diesem Zusammenhang von numerischer Steifheit.
Beide Punkte betreffen die numerische (glatte) Fortsetzung von Unterr¨aumen, und zwar im Fall (i) bez¨uglich λ und im Fall (ii) bez¨uglich ξ. Das Hauptaugenmerk in dieser Dissertation richtet sich auf die Analyse von Punkt (ii) und basiert auf der Arbeit vonHumpherysundZumbrun[30], deren Ansatz es ist, die einzelnen Moden Wi−bzw.Wi+als kompletten Unterraum aufzufassen, der bez¨uglich dem Problem (3) integriert werden muss. Eine Zerlegung der Basis des entsprechenden Unterraums inPolarkoordinaten resultiert aus (3) schließlich in dem System
Q′ = (In−QQ∗)A(ξ, λ)Q,
γ′ = Spur (Q∗A(ξ, λ)Q)γ, (4)
in welchem die matrixwertige Gr¨oßeQ∈Cn×l, Q∗Q=Il2 den Unterraum repr¨asen- tiert und die skalare Gr¨oße γ das Wachstum der Moden beinhaltet. Das System (4) bietet eine alternative M¨oglichkeit dieEvans-Funktion D zu berechnen und ist insbesondere aus numerischer Sicht interessant, da dieser Ansatz einen effizienten und robusten Algorithmus liefert.[30] Die Untersuchung der Q-Gleichung aus (4) in Bezug auf die Erhaltung der Eigenschaft
Q∗Q=Il
1Es wird hier die Bezeichnung
”analytisch“ f¨ur eine holomorphe – also auf einer offenen Menge inCkomplex differenzierbare – Funktion verwendet.
2Eine Matrix mit dieser Eigenschaft wird als orthogonal bezeichnet; dabei istl=koderl=n−k, je nachdem ob die instabilen oder die stabilen Moden betrachtet werden.
w¨ahrend der numerischen Integration ist Gegenstand der vorliegenden Dissertation.
Als Basis hierf¨ur dient die Arbeit vonJay[34], mithilfe derer dieQ-Gleichung aus (4)
¨aquivalent in eine Differential-algebraische Gleichung umgeschrieben werden kann.
Diese Umformulierung erm¨oglicht die Entwicklung eines Algorithmus, welcher die Orthogonalit¨atsbedingungQ∗Q=Il explizit beinhaltet und diese dadurch w¨ahrend der Rechnung bis auf Maschinengenauigkeit erhalten kann. Im Kontext derEvans- Funktion ist der Ansatz ¨uber eine Differential-algebraische Gleichung neu3 und lie- fert eine wettbewerbsf¨ahige Alternative zur L¨osung der Q-Gleichung im Vergleich zu den Methoden von Humpherys und Zumbrun[30] und damit zur numerischen Berechnung derEvans-Funktion.
Teil II dieser Arbeit behandelt dieLopatinski-Determinante f¨ur hyperbolische Glei- chungen der Form (2). W¨ahrend Teil I einen Algorithmus zur allgemeinen numeri- schen Berechnungen derEvans-Funktion liefert, liegt der Fokus im zweiten Teil auf der Betrachtung eines konkreten Beispiels f¨ur das System (2), und zwar auf dem zweidimensionalen idealen isothermen MHD-System
0 = ρt+ div(ρV), 0 = (ρV)t+ div
ρV ⊗V +
p+1 2|B|2
I2−B⊗B
, 0 = Bt+ div(B⊗V −V ⊗B)
(5)
mit der zus¨atzlichen Bedingung div(B) = 0. Dabei bezeichnen ρ > 0 die Dichte, p >0 den Druck und V ∈R2 das Geschwindigkeits- sowie B ∈R2 das Magnetfeld.
Das System (5) besitzt eine Travelling Wave als Schock-L¨osung der Form Φ(ξ) =
(U+, fallsξ > 0, U−, fallsξ < 0
mit konstanten Zust¨andenU+ undU−, an welche dieRankine-Hugoniot-Beding- ung gefordert wird. Dadurch generiert das MHD-System (5) eine ganze Schar von Schock-L¨osungen, welche unterteilt werden k¨onnen in sogenannte langsame und schnelle sowie zus¨atzlich in parallele und nicht-parallele Lax-Schocks. Diese Lax-Schocks werden in der vorliegenden Arbeit mithilfe der Lopatinski-Determi- nante auf Stabilit¨at untersucht. ¨Ahnlich wie bei der Evans-Funktion basiert die Lopatinski-Determinante auf einem Eigenwertproblem der Form (3), welches auf- grund der Betrachtung von Schock-L¨osungen abschnittsweise f¨ur ξ >0 bzw. ξ < 0 autonom ist. DieLopatinski-Determinante ist damit schließlich definiert durch
∆(λ, ω) := det R−s(λ, ω), J(λ, ω), R+u(λ, ω)
, ω·N = 0,
wobei die Matrizen R−s(λ, ω) und R+u(λ, ω) die beschr¨ankten L¨osungen des Eigen- wertproblems charakterisieren und jeweils eine Basis des stabilen bzw. instabilen
3Zumindest ist dem Autor dieser Arbeit noch nichts dergleichen in anderweitiger Literatur be- gegnet.
Einleitung
Unterraums der bez¨uglich ξ ≷ 0 konstanten Systemmatrix des Eigenwertproblems bilden4;J(λ, ω) ist der Sprungvektor an der Stelleξ= 0 und die Gleichheitω·N = 0 charakterisiert die St¨orungen des Lax-Schocks senkrecht zur Ausbreitungsrichtung N. Die beiden zentralen Eigenschaften
• ∆(λ, ω) = 0 ⇔ λ ist Eigenwert,
• ∆ ist analytisch im Spektralparameter λ
gelten analog zurEvans-Funktion und sind Kernpunkt bei der (numerischen) Sta- bilit¨atsanalyse der Lax-Schocks. Hierbei stehen insbesondere die langsamen Lax- Schocks im Vordergrund, f¨ur welche in der Situation λ = 0 und der parallelen Schocks sogar eine explizite Darstellung derLopatinski-Determinante m¨oglich ist.
Im Fall Re(λ)>0 ist dieLopatinski-Determinante f¨ur langsameLax-Schocks al- lerdings nur noch numerisch zu berechnen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass durch die Rankine-Hugoniot-Bedingung die Lax-Schocks und damit schließlich auch die Lopatinski-Determinante von mehreren Parametern abh¨angen. Eine ab- strakte Formulierung des Nullstellenproblems ∆(λ, ω) = 0 der Form
F(x) = 0, F :RN+1 →RN
mitN = 2 und in Abh¨angigkeit der auftretenden Parameter dient als Grundlage f¨ur die weitere numerische Analyse der langsamenLax-Schocks. Die ben¨otigte Glattheit vonF wird durch den sogenannten CIS5-Algorithmus vonDieciund Friedman[15]
gesichert und ist der zentrale Baustein f¨ur die Umsetzung der numerischen Rech- nungen im Matlab-Paket MatCont.[13] Diese Herangehensweise f¨ur das System (5) und die zugeh¨orige Lopatinski-Determinante ist bisher in der Literatur noch nicht vertreten, ebenso wenig wie die damit erzielten (numerischen) Ergebnisse in Bezug auf die Stabilit¨atsanalyse der langsamenLax-Schocks.6
S¨amtliche numerischen Resultate dieser Dissertation – sowohl im Fall der Evans- Funktion als auch im Fall derLopatinski-Determinante – wurden mit der Software Matlaberzielt.
Eine kapitelweise ¨Ubersicht dieser Arbeit liefert der folgende Abriss:
Teil I: Die Evans-Funktion
Kapitel 1: In diesem Kapitel wird die Evans-Funktion eingef¨uhrt sowie deren wichtigsten Eigenschaften aufgezeigt. Grundlage hierf¨ur ist insbesondere die Arbeit von Sandstede.[57]
4Damit entf¨allt aus numerischer Sicht das Problem der Steifheit, was die numerische Berechnung derLopatinski-Determinante entscheidend vereinfacht im Vergleich zurEvans-Funktion.
5CIS =Continuation of InvariantSubspaces.
6Auch hier beruht diese Tatsache auf dem Wissen des Autors dieser Arbeit; weitere Resultate f¨ur den schnellenLax-Schock sind z. B. in der Arbeit von Trakhinin[61]zu finden.
Kapitel 2: Dieses Kapitel widmet sich der numerischen Berechnung der Evans- Funktion, gr¨oßtenteils auf Basis der Arbeit von Humpherys und Zumbrun.[30]
Das zentrale Thema hierbei ist die Integration von Unterr¨aumen.
Kapitel 3: Die Problematik der Erhaltung der Orthogonalit¨atsbedingung der L¨o- sungQdes Systems (4) ist Gegenstand dieses Kapitels. Der Kernpunkt hierf¨ur ist die Formulierung einer zur ersten Zeile aus (4) ¨aquivalenten Differential-algebraischen Gleichung und daran anschließend die Entwicklung eines passenden numerischen Verfahrens auf Basis der Arbeit von Jay.[34]
Kapitel 4:Das letzte Kapitel aus Teil I widmet sich der Anwendung des in Kapitel 3 hergeleiteten numerischen Verfahrens f¨ur die Q-Gleichung aus (4) und damit der Berechnung derEvans-Funktion. Grundlage hierf¨ur sind vier konkrete Beispiele der Problemklasse (1) mit zugeh¨origer Travelling-Wave-L¨osung.
Teil II: Die Lopatinski-Determinante
Kapitel 5: Das erste Kapitel in diesem Teil besch¨aftigt sich mit der Problemklas- se (2) im Kontext der hyperbolischen Erhaltungsgleichungen und den zugeh¨origen Schock-L¨osungen. Im Zusammenhang mit der Stabilit¨at dieser L¨osungen wird die Lopatinski-Determinante definiert und deren wichtigsten Eigenschaften genannt.
Als Grundlage hierf¨ur ist die Arbeit vonFreist¨uhler und Plaza[19] zu nennen.
Kapitel 6: Dieses Kapitel behandelt das zweidimensionale ideale isotherme MHD- System (5) als konkretes Beispiel f¨ur die allgemeine Situation aus Kapitel 5. In diesem Zusammenhang bilden langsame und schnelle, parallele und nicht-parallele Schock-L¨osungen vom Lax-Typ die Grundlage zur Berechnung der Lopatinski- Determinante des vorliegenden MHD-Systems.[11,44,49,50]
Kapitel 7: Das abschließende Kapitel widmet sich der Stabilit¨atsuntersuchung der Lax-Schocks aus Kapitel 6 mittels der Lopatinski-Determinante. Hierbei stehen die langsamen Lax-Schocks im Vordergrund, welche sowohl mit expliziten als auch mit numerischen Rechnungen analysiert werden.
Teil III: Anhang
Abgerundet wird die Arbeit mit einem recht ausf¨uhrlichen Anhang, in welchem grundlegende Sachverhalte und Algorithmen formuliert sowie langwierige Rechnun- gen nachgeholt werden. Insbesondere werden auch spezielle Techniken im Kontext der (numerischen) Berechnung der Evans-Funktion und der Lopatinski-Determi- nante aufgezeigt, die in den Hauptteilen I und II dieser Arbeit keinen Platz gefunden haben.
Teil I
Die Evans-Funktion
1 Die Evans-Funktion –
Herleitung und Eigenschaften
Dieses einf¨uhrende Kapitel richtet sich gr¨oßtenteils nach der Arbeit von Sandste- de[57] und behandelt neben dem Konzept der Stabilit¨atsanalyse von Travelling Wa- ves eine kurze Herleitung und die grundlegenden Eigenschaften derEvans-Funktion.
1.1 Stabilit¨ at von Travelling Waves
Wir betrachten folgende allgemeine Klasse von partiellen Differentialgleichungen:
Ut=A(∂x)U +N(U), x∈R, U(t,·)∈ X. (1-1) Dabei ist A : X → X ein linearer Differentialoperator auf einem passenden Ba- nachraum X, der abgeschlossen und dicht definiert ist. Weiter ist N : X → X eine Nichtlinearit¨at, welche vonU und m¨oglicherweise auch von Ableitungen von U abh¨angt.
Eine wichtige Klasse von L¨osungen f¨ur die Gleichung (1-1) ist die der Travelling Wa- ves. Travelling-Wave-L¨osungen (oder auch Travelling-Wave-Profile genannt) haben allgemein die Form
U(x, t) = Φ(x−st),
sind also L¨osungen von (1-1), welche nur von der mitbewegten Koordinateξ :=x−st abh¨angen. Hierbei ist s der Parameter f¨ur die Geschwindigkeit, mit der sich die Travelling Wave fortbewegt.
Man betrachtet (1-1) ¨ublicherweise in den (ξ, t)-Koordinaten und erh¨alt in diesem Fall
Ut =A(∂ξ)U +s∂ξU +N(U), ξ∈R, U(t,·)∈ X, (1-2) folglich eine Gleichung in der mitbewegten Koordinateξ. Das bedeutet, die Travel- ling Wave Φ = Φ(ξ) ist eine station¨are L¨osung von (1-2), erf¨ullt also die Gleichung
0 =A(∂ξ)U +s∂ξU +N(U). (1-3)
1.1 Beispiel. Wir betrachten als Beispiel die Boussinesq-Gleichung[2]
utt =uxx−uxxxx− u2
xx, welche mittels der Definition U =
U1
U2
:=
u ut
∈R2 in die Form (1-1) ¨uberf¨uhrt werden kann:
Ut=A(∂x)U +N(U), wobei
A(∂x) :=
0 1
∂xx−∂xxxx 0
, N(U) :=
0
−(U12)xx
.
Die Boussinesq-Gleichung besitzt die Schar von Travelling-Wave-L¨osungen Φ(ξ) = 3
2(1−s2) sech2 √
1−s2
2 ξ
, ξ =x−st, |s|<1,
wobei sech(x) = cosh(x)1 der Sekans Hyperbolicus ist. In Abbildung 1.1 ist die Travel- ling-Wave-L¨osung f¨ur den Parameter s = 0.4 abgebildet.
−100 −5 0 5 10
0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4
ξ= x−st
Φ(ξ)
Abbildung 1.1: Travelling-Wave-L¨osung der Boussinesq-Gleichung f¨ur den Para- meter s= 0.4.
Eine nat¨urliche Frage in der Untersuchung von Travelling Waves ist die nach der Stabilit¨at, d. h. die Frage nach dem Langzeitverhalten einer L¨osungU von (1-2), falls
1.1 Stabilit¨at von Travelling Waves
deren Anfangsbedingung hinreichend nahe bei der Travelling-Wave-L¨osung Φ ist. Da wegen (1-3) eine ganze Familie {Φ(·+τ) :τ ∈R} von Travelling-Wave-L¨osungen existiert, fordern wir, dass U(·, t) f¨ur alle t ≥ 0 nahe bei dieser Familie bleibt und sagen Φ ist nichtlinear stabil. Formal haben wir folgende
1.2 Definition (Nichtlineare Stabilit¨at). Sei Φ eine Travelling-Wave-L¨osung von (1-2) und Uγ(Φ), γ >0 bezeichne eine Umgebung von Φ in X.
(i) Wir sagen Φ ist nichtlinear stabil, falls f¨ur jedes ε > 0 ein δ > 0 mit der folgenden Eigenschaft existiert: Eine L¨osungU von (1-2)mit dem Anfangswert U(·,0)∈ Uδ(Φ) erf¨ullt die Bedingung U(·, t)∈ Uε({Φ(·+τ) :τ ∈R}) f¨ur alle t >0.
(ii) Die Travelling-Wave-L¨osungΦist nichtlinear stabil mit asymptotischer Phase, falls (i) gilt und zus¨atzlich ein τ∗ ∈R existiert mit der Eigenschaft U(·, t)→ Φ(·+τ∗) f¨ur t→ ∞.
Das Standardvorgehen bei der Untersuchung der Stabilit¨at einer Travelling-Wave- L¨osung ist die Betrachtung der Linearisierung von (1-2) an der Travelling-Wave- L¨osung Φ:
Ut=A(∂ξ)U +s∂ξU +N′(Φ)U.
Durch den ¨ublichen Ansatz
U(ξ, t) = eλtU¯(ξ)
mit λ∈C erhalten wir die gew¨ohnliche Differentialgleichung λU¯ =A(∂ξ) ¯U +s∂ξU¯+N′(Φ) ¯U oder kompakt geschrieben das folgende Eigenwertproblem:
λU¯ =LU¯ (1-4)
mit dem linearen Operator
L:D(L)→ X, L:=A(∂ξ) +s∂ξ+N′(Φ), wobeiD(L)⊂ X der Definitionsbereich des Operators L ist.
1.3 Bemerkung. Bisher traten in unserem Kontext weder Funktionenr¨aume (z. B.
f¨ur X) noch irgendwelche entsprechende Normen auf, mit welchen die Umgebungen in Definition 1.2 charakterisiert werden k¨onnen. Der Grund daf¨ur ist, dass diese stark von der Struktur der partiellen Differentialgleichung (1-2) und speziell von der Linearisierung L an der Travelling-Wave-L¨osung abh¨angen. Da dies f¨ur die Einf¨uhrung der Evans-Funktion aber nicht relevant ist, werden wir auch im Fol- genden nicht auf Funktionenr¨aume eingehen. F¨ur Details sei z. B. auf das Buch von Henry[28] verwiesen.
Im Folgenden untersuchen wir die Stabilit¨at der Travelling Wave Φ in Bezug auf das Eigenwertproblem (1-4). Wir betrachten also den OperatorLund dessen Spektrum σ(L).
1.4 Definition. F¨ur L:D(L)→ X heißt
ρ(L) :={λ ∈C:L −λ ist bijektiv} die Resolventenmenge vonL und
σ(L) := C\ρ(L) das Spektrum vonL.
1.5 Beispiel. Ist Φ eine nichtkonstante Travelling-Wave-L¨osung von (1-2), dann gilt 0∈σ(L) mit zugeh¨origer Eigenfunktion Φξ. Dies l¨asst sich wie folgt zeigen: Da Φ die Gleichung
0 =A(∂ξ)Φ +sΦξ+N(Φ)
erf¨ullt, k¨onnen wir beide Seiten nach ξ differenzieren und erhalten 0 = A(∂ξ)Φξ+s(Φξ)ξ+N′(Φ)Φξ,
d. h., Φξ erf¨ullt die Gleichung λU =LU f¨ur λ = 0.
Bez¨uglich des Operators L und der Stabilit¨atsuntersuchung sprechen wir nun von spektraler Stabilit¨at (anstatt von nichtlinearer Stabilit¨at).
1.6 Definition (Spektrale Stabilit¨at). Falls das Spektrum σ(L) des OperatorsL = A(∂ξ) +s∂ξ+N′(Φ) den beiden Bedingungen
(i) es existiert ein δ >0 mit
σ(L)\ {0} ⊂ {λ: Re(λ)<−δ}; (ii) λ = 0 ist einfacher Eigenwert von L
gen¨ugt, so heißt die Travelling-Wave-L¨osung Φ spektral stabil. Falls ein λ ∈ σ(L) existiert mit Re(λ)>0, so nennen wir die Travelling-Wave-L¨osung Φ instabil.
F¨ur gewisse Konstellationen besteht ein enger Zusammenhang zwischen spektraler und nichtlinearer Stabilit¨at, der kurz zusammengefasst Folgendes besagt:
Spektrale Stabilit¨at impliziert nichtlineare Stabilit¨at mit asymptotischer Phase.
Unter welchen Voraussetzungen und f¨ur welche Gleichungen (1-2) dieses Ergebnis gilt, dazu sei auf die Arbeiten von Sandstede[57] oder Henry[28] verwiesen. Wir gehen darauf nicht weiter ein, sondern interessieren uns in dieser Arbeit nur f¨ur die spektrale Stabilit¨at. Wir sprechen in diesem Fall auch von der linearen Stabilit¨at oder in unserem Kontext einfach nur von der Stabilit¨at.
1.2 Die Evans-Funktion
1.2 Die Evans-Funktion
Ziel dieses Abschnitts ist es, eine Funktion D – die sogenannte Evans-Funktion – anzugeben, mithilfe derer man bequem (insbesondere aus Sicht der Numerik) das Punktspektrum des OperatorsL untersuchen kann.
1.2.1 Spektrum und Fredholm-Eigenschaften
F¨ur die Konstruktion derEvans-Funktion ist es ¨ublich, das Eigenwertproblem (1-4) als System erster Ordnung zu betrachten. Wir schreiben also (1-4) um in ein ¨aqui- valentes System der Form
W′(ξ) = A(ξ, λ)W(ξ), W(ξ)∈Cn, ξ∈R, (1-5) wobei λ ∈ C wieder der Eigenwertparameter ist, und analysieren die zugeh¨orige Operatorfamilie
T(λ) :D → H, W 7→W′−A(·, λ)W
mit Definitionsbereich D ⊂ H und Wertebereich H. Dabei treffen wir folgende Annahmen:
• F¨ur λ ∈Cist T(λ) ein abgeschlossener und dicht definierter Operator;
• die Matrix A∈Cn×n aus (1-5) ist von der Form
A(ξ, λ) = ˜A(ξ) +λB(ξ), (1-6) wobei ˜A, B ∈C∞(R,Rn×n).
1.7 Bemerkung. Beispielsweise kann man als Funktionenr¨aume f¨ur D bzw. H die Wahl
D=Cunif1 (R,Cn), H =Cunif0 (R,Cn)1 oder
D =H1(R,Cn), H=L2(R,Cn)
treffen, vgl. Kapitel 3.1 in der Arbeit von Sandstede.[57] Detaillierter soll hier darauf aber nicht eingegangen werden.
Wir interessieren uns im Folgenden f¨ur diejenigen λ ∈ C, f¨ur die T(λ) nicht inver- tierbar ist, d. h., wir suchen nichttriviale L¨osungen (Eigenfunktionen) des Problems
T(λ)W = 0.
Um dies zu pr¨azisieren, gehen wir kurz auf die Theorie der Fredholm-Opera- toren[37,57] ein.
1Hierbei ist Cunif0 (R,Cn) der Raum der beschr¨ankten, gleichm¨aßig stetigen Funktionen;
Cunif1 (R,Cn)-Funktionen sind zus¨atzlich noch einmal stetig differenzierbar.
1.8 Definition. Gegeben sei ein linearer, dicht definierter Operator L auf einem Hilbertraum H. Dann heißt L ein Fredholm-Operator, falls
(i) der Kern ker(L) endlich-dimensional ist, und
(ii) das Bild im(L)⊂H abgeschlossen ist mit endlicher Kodimension.
Die Gr¨oße
ind(L) := dim (ker(L))−codim (im(L)) bezeichnet man als Fredholm-Index.
Damit k¨onnen wir das Spektrum von T(λ) : D → H, W 7→ W′ −A(·, λ)W definieren. Der ¨Ubersicht halber schreiben wir im Folgenden f¨ur die Familie T(λ) einfach kurz T.
1.9 Definition. a) F¨ur den Operator T definieren wir
σ(T) := {λ∈C:T(λ) ist nicht invertierbar} und bezeichnen σ(T) als das Spektrum von T.
b) Die Menge
σpt(T) :={λ∈σ(T) :T(λ) ist ein Fredholm-Operator mit ind(T) = 0} heißt das Punktspektrum von T und λ∈σpt(T) bezeichnen wir als Eigenwert von T.
c) Das Komplement
σess(T) := σ(T)\σpt(T) heißt das wesentliche oder essentielle Spektrum von T.
1.10 Bemerkung. Das Spektrum von L :D(L)→ X, L := A(∂ξ) +s∂ξ+N′(Φ), aus dem vorigen Abschnitt und das Spektrum vonT :D → H, W 7→W′−A(·, λ)W ist dasselbe, d. h., es gilt
σ(L) = σ(T).
In Bezug auf dieEvans-Funktion interessieren wir uns speziell f¨ur das Punktspek- trumσpt(T) des linearen Operators T.
1.2.2 Konstruktion der Evans-Funktion: Spezialfall
In gewissen Situationen[36] ist es relativ einfach die Evans-Funktion anzugeben.
Dazu treffen wir in diesem Abschnitt folgende Voraussetzungen an die MatrixA(ξ, λ) des Systems (1-5):
1.2 Die Evans-Funktion
• Die Matrix A hat die Form
A(ξ, λ) = ˜A(ξ) +B(λ) mit einer in λ analytischen Matrix B(λ)∈Cn×n;
• es gilt
ξ→±∞lim
A(ξ) = 0˜ und die Konvergenz ist exponentiell;
• f¨ur eine Teilmenge Ω⊂C ist die Matrix A±(λ) := lim
ξ→±∞A(ξ, λ) =B(λ)
f¨ur alle λ ∈Ω hyperbolisch und alle Eigenwerte dieser Matrix sind einfach.
F¨ur die Konstruktion der Evans-Funktion seien die n Eigenwerte von A±(λ) fol- gendermaßen verteilt: Wir haben
k St¨uck instabile Eigenwerte µ−j (λ) mit Re(µ−j(λ))>0, j = 1, . . . , k und n−k St¨uck stabile Eigenwerteµ+j (λ) mit Re(µ+j(λ))<0, j = 1, . . . , n−k, jeweils mit den dazugeh¨origen (in)stabilen Eigenvektoren vj−(λ), j = 1, . . . , k bzw.
vj+(λ), j = 1, . . . , n−k.
1.11 Bemerkung. Die Eigenvektoren k¨onnen nach Kato[38] analytisch im Spek- tralparameter λ gew¨ahlt werden.
Unter den oben genannten Voraussetzungen (siehe Theorem 2, Kapitel IV im Buch vonCoppel[12]) existiert ein Fundamentalsystem von L¨osungenWj±(ξ, λ) der Glei- chung (1-5), welche die Eigenschaft
ξ→−∞lim Wj−(ξ, λ) e−µ−j(λ)ξ =vj−(λ), j = 1, . . . , k,
ξlim→∞Wj+(ξ, λ) e−µ+j(λ)ξ =vj+(λ), j = 1, . . . , n−k
erf¨ullen und f¨ur festes ξ analytisch in λ sind (siehe Lemma 2.1.4 im Buch von Kapitula und Promislow[37]). Mit diesem Fundamentalsystem k¨onnen wir die Evans-Funktion definieren.
1.12 Definition (Evans-Funktion). Die Evans-Funktion ist f¨ur λ ∈ Ω definiert durch
D(λ) := det W1−(ξ, λ), . . . , Wk−(ξ, λ), W1+(ξ, λ), . . . , Wn+−k(ξ, λ) ξ=0.
1.2.3 Konstruktion der Evans-Funktion im allgemeinen Fall
Wir kehren nun wieder zur Annahme (1-6) zur¨uck. Dass in diesem Fall die Eigen- werte der Matrix A±(λ) = limξ→±∞A(ξ, λ) wie im vorigen Abschnitt alle einfach sind, ist in der Regel nicht erf¨ullt. Deswegen gibt es einen anderen Zugang – und zwar den ¨uber exponentielle Dichotomien, mit deren Hilfe man analog zum Spezial- fall ¨uber die L¨osungen des Problems (1-5) eine FunktionDkonstruieren kann. Dazu betrachten wir im Folgenden das Problem (1-5) etwas genauer.
1.13 Definition. F¨ur das Problem (1-5) sei φ =φ(ξ, ξ0) : Cn → Cn der L¨osungs- operator, d. h., f¨ur ξ, τ, ζ ∈R gilt
φ(ξ, ξ) = id, φ(ξ, τ)φ(τ, ζ) = φ(ξ, ζ)
und f¨ur W0 ∈Cn l¨ost W(ξ) =φ(ξ, ξ0)W0 das Problem (1-5) mit W(ξ0) =W0. Die Idee der exponentiellen Dichotomien ist, das Konzept der Analyse einer Diffe- rentialgleichung der Form
W′(ξ) =A(λ)W(ξ), ξ ∈R
mit einer bez¨uglich ξ konstanten Matrix A(λ) auf den Fall des nicht-autonomen Systems (1-5) zu ¨ubertragen, um so dessen L¨osungen und deren Eigenschaften zu charakterisieren.
1.14 Definition (Exponentielle Dichotomien). Sei I = R+, R− oder R und sei λ∗ ∈ C fest gew¨ahlt. Das System (1-5) besitzt auf I eine exponentielle Dichotomie zu λ = λ∗, falls Konstanten K > 0 und κs < 0 < κu sowie eine Familie von Projektionen(P(ξ))ξ∈I :Cn→Cn,P stetig inξ∈I, existieren, so dass f¨ur ξ, ξ0 ∈I Folgendes gilt:
(i) F¨ur φs(ξ, ξ0) :=φ(ξ, ξ0)P(ξ0) gilt f¨ur alle ξ, ξ0 ∈I mit ξ ≥ξ0
kφs(ξ, ξ0)k ≤Keκs(ξ−ξ0).
(ii) F¨ur φu(ξ, ξ0) := φ(ξ, ξ0)(id−P(ξ0)) gilt f¨ur alle ξ, ξ0 ∈I mit ξ≤ξ0
kφu(ξ, ξ0)k ≤Keκu(ξ−ξ0).
(iii) Die Projektionen kommutieren mit dem L¨osungsoperator, d. h.
φ(ξ, ξ0)P(ξ0) =P(ξ)φ(ξ, ξ0) und es gilt f¨ur W0 ∈Cn und ξ, ξ0 ∈I
φs(ξ, ξ0)W0 ∈im(P(ξ)) f¨ur ξ ≥ξ0, φu(ξ, ξ0)W0 ∈ker(P(ξ)) f¨ur ξ ≤ξ0.
1.2 Die Evans-Funktion
Die vonξ unabh¨angige Dimension vonker(P(ξ))heißt Morse-Index der exponenti- ellen Dichotomie aufI. Falls (1-5)beiλ=λ∗ exponentielle Dichotomien aufR+und R− besitzt, so schreibt man f¨ur die zugeh¨origen Morse-Indizes i+(λ∗) bzw. i−(λ∗).
Man beachte, dass in obigen Definitionen sowohl der L¨osungsoperator φ, die Pro- jektionenP als auch die L¨osung W selbst vom Spektralparameterλ abh¨angen. Aus Gr¨unden der ¨Ubersicht lassen wir diesen in den Notationen aber h¨aufig einfach weg.
Einen Zusammenhang zwischen Spektraleigenschaften vonT und der Existenz von exponentiellen Dichotomien von (1-5) liefert der folgende Satz, dessen Beweis auf die Arbeiten vonPalmer[53,54] zur¨uckgeht.
1.15 Satz. F¨ur λ∈C gilt
λ∈σpt(T) ⇔ (1-5) hat exponentielle Dichotomien auf R+ und R− mit i+(λ) = i−(λ) und dim(ker(T(λ))>0.
Bezeichnet man in diesem Fall mitP±(ξ, λ) die zu den exponentiellen Dichotomien aufR±geh¨origen Projektionen, so sind die R¨aumeker (P−(0, λ))∩im (P+(0, λ))und ker(T(λ)) via W(0)7→W(·) isomorph zueinander.
1.16 Lemma. Sei P :Cn →Cn eine Projektion. Dann gilt ker(P) = im(id−P).
Beweis. Zun¨achst sei x∈ker(P), d. h., es gilt
P x= 0 ⇔ x−P x=x ⇔ (id−P)x=x
und damit x ∈ im(id−P). Haben wir umgekehrt x ∈ im(id−P), so existiert ein
˜
x∈Cn mit
(id−P)˜x=x.
MitP2 =P erhalten wir
(P −P2)˜x=P x ⇒ 0 =P x und somit x∈ker(P).
Als Konsequenz von Satz 1.15 erhalten wir folgendes
1.17 Korollar. F¨urλ ∈σpt(T) existiert einW0 ∈ker (P−(0, λ))∩im (P+(0, λ))mit W0 6= 0, so dass f¨ur die nichttriviale L¨osung W(ξ) =φ(ξ,0)W0 gilt:
∃K, κ >0 ∀ξ ∈R:|W(ξ)| ≤Ke−κ|ξ||W0|,
d. h., Eigenfunktionen von (1-5) mit λ ∈ σpt(T) sind beschr¨ankt und klingen expo- nentiell ab f¨ur |ξ| → ∞.
Beweis. Nach Satz 1.15 ist der Schnitt ker (P−(0, λ))∩im (P+(0, λ)) nichttrivial, d. h., f¨ur 0 6=W0 ∈ker (P−(0, λ))∩im (P+(0, λ)) ist die L¨osung W ebenfalls nicht- trivial.
(i) Da W0 ∈ im(P+(0, λ)), existiert ein X+ ∈ Cn mit W0 = P+(0, λ)X+. Da P+(0, λ) eine Projektion ist, erhalten wir nach Definition 1.14 f¨ur ξ≥0
|W(ξ)|=|φ(ξ,0)W0|=|φ(ξ,0)P+(0, λ)X+|=
φ(ξ,0) (P+(0, λ))2X+
≤ kφ(ξ,0)P+(0, λ)k |P+(0, λ)X+| ≤Keκsξ|W0|.
(ii) Da nach Lemma 1.16 die Gleichheit ker(P−(0, λ)) = im(id−P−(0, λ)) gilt sowie W0 ∈ker(P−(0, λ)), existiert einX− ∈Cn mit W0 = (id−P−(0, λ))X−. Damit erhalten wir analog zu (i) f¨ur ξ ≤0
|W(ξ)|=|φ(ξ,0)W0|=|φ(ξ,0)(id−P−(0, λ))X−|=
φ(ξ,0)(id−P−(0, λ))2X−
≤ kφ(ξ,0)(id−P−(0, λ))k |(id−P−(0, λ))X−| ≤Keκuξ|W0|. Mitκ:= min{−κs, κu}>0 folgt die Behauptung.
Wie wir gesehen haben, ist das Spektrum vonT die Vereinigung des Punktspektrums σpt(T) und des wesentlichen Spektrums σess(T). Da f¨ur viele Typen von Travelling- Wave-L¨osungen das wesentliche Spektrum direkt berechnet werden kann[57], kon- zentrieren wir uns im Folgenden auf das Punktspektrum. Wir nehmen also an, dass gilt:
λ /∈σess(T), d. h. λ∈σpt(T).
Nach Satz 1.15 folgt aus dieser Annahme, dass die Gleichung (1-4) exponentielle Di- chotomien aufR+ undR− hat mit zugeh¨origen Projektionen P+(ξ, λ) und P−(ξ, λ), und dass dieMorse-Indizes i+(λ) und i−(λ) dieselben sind:
dim (ker(P+(0, λ))) = dim (ker(P−(0, λ))). Insbesondere haben wir die wichtige Eigenschaft
λ∈σpt(T) ⇔ ker(T(λ))∼= ker (P−(0, λ))∩im (P+(0, λ))6={0}, welche die Grundlage zur Definition der Evans-Funktion ist.
Sei nun Ω⊂ C\σess(T) eine einfach-zusammenh¨angende Menge. F¨ur λ ∈ Ω ist der Morse-Index konstant[57] und wir bezeichnen ihn mit
k := dim (ker(P+(0, λ))) = dim (ker(P−(0, λ))). Wir w¨ahlen zu diesem k eine Basis
W1−(λ), . . . , Wk−(λ) von ker(P−(0, λ)) und eine Basis
W1+(λ), . . . , Wn+−k(λ) von im(P+(0, λ)), so dass die einzelnen Vektoren analytisch von λ∈Ω abh¨angen.[38] Damit kommen wir zur zentralen
1.2 Die Evans-Funktion
1.18 Definition (Evans-Funktion). Die Evans-Funktion ist f¨ur λ ∈ Ω definiert durch
D(λ) := det W1−(λ), . . . , Wk−(λ), W1+(λ), . . . , Wn+−k(λ) .
1.19 Bemerkung. Die Definition der Evans-Funktion D ist offensichtlich nicht eindeutig, denn sie h¨angt von der speziellen Wahl der Basisvektoren W1−(λ), . . . , Wk−(λ) und W1+(λ), . . . , Wn+−k(λ) ab. Zwei beliebige Evans-Funktionen unterschei- den sich demnach nur durch einen nichtverschwindenden Faktor, der aus den Deter- minanten der Basiswechselmatrizen entsteht. Trotz der Nichteindeutigkeit sprechen wir vonder Evans-Funktion.
1.2.4 Eigenschaften der Evans-Funktion
Hier werden die wichtigsten Eigenschaften der Evans-Funktion zusammengefasst.
Weitere Details und Hintergr¨unde dazu sind z. B. auch in der Arbeit von Alexan- der,Gardner und Jones[1] zu finden.
1.20 Satz. F¨ur die Evans-Funktion gilt
λ∈σpt(T) ⇔ D(λ) = 0.
Beweis. Die Behauptung folgt aus
λ∈σpt(T) ⇔ ∃W ∈ker (P−(0, λ))∩im (P+(0, λ)) mit W 6= 0 ⇔ D(λ) = 0.
Weitere Eigenschaften der Evans-Funktion sind im folgenden Satz (vgl. Theorem 4.1 in der Arbeit vonSandstede[57]) zusammengefasst.
1.21 Satz. Die Evans-Funktion D: Ω→C ist analytisch in λ∈Ω und es gilt:
a) Falls λ∈R∩Ω, so ist D(λ) reell.
b) D(0) = 0.
Dabei hatten wir die Eigenschaft b) des letzten Satzes bereits am Anfang dieses Kapitels gesehen, vgl. Beispiel 1.5.
1.22 Bemerkung. Die Analytizit¨at der Evans-Funktion im Parameter λ ist ei- ne wichtige Eigenschaft. Beispielsweise kann man dadurch (insbesondere aus der numerischen Sicht) global nach Nullstellen von D suchen, in dem man das Argu- mentprinzip aus der Funktionentheorie anwendet.
1.2.5 Hyperbolizit¨ at und asymptotisches Verhalten
In diesem Abschnitt geht es um den Zusammenhang des Spektrums des Operators T und der Endmatrizen
A±(λ) := lim
ξ→±∞A(ξ, λ)
des Systems (1-5). Dazu betrachten wir verschiedene Typen von Travelling-Wave- L¨osungen Φ der partiellen Differentialgleichung (1-2):
1. Homogene station¨are L¨osung: Die L¨osung Φ ist unabh¨angig von der Variablen ξ, so dass auch die Linearisierung der partiellen Differentialgleichung (1-2) an der L¨osung Φ unabh¨angig von ξ ist. Wir k¨onnen in diesem Falls das Eigen- wertproblem (1-5) schreiben als
W′(ξ) = A(λ)W(ξ), ξ∈R, wobei die Matrix A(λ) nicht mehr von ξ abh¨angt.
2. Front: Die L¨osung Φ bezeichnet man als Front, falls Φ nichtkonstant ist und der Grenzwert
Φ±:= lim
ξ→±∞Φ(ξ) existiert mit Φ+ 6= Φ−.
3. Puls: Die L¨osung Φ bezeichnet man als Puls, falls Φ nichtkonstant ist und der Grenzwert
Φ±:= lim
ξ→±∞Φ(ξ)
existiert mit Φ+ = Φ−. Dies ist also ein Spezialfall einer Front-L¨osung.
Folgender Satz (vgl. Kapitel 3.4 in der Arbeit vonSandstede[57]) fasst den Zusam- menhang Spektrum vs. Endmatrizen des OperatorsT zusammen.
1.23 Satz. Sei λ∈C. Dann gilt f¨ur obige drei F¨alle:
1. Homogene station¨are L¨osung:
λ ist in der Resolventenmenge von T ⇔ A(λ) ist hyperbolisch.
Insbesondere ist das Punktspektrum σpt(T) leer.
2. Front:
λ∈σpt(T) ⇔ A±(λ) sind beide hyperbolisch und es gilt dim(ker(T(λ))) >0.
1.3 Ein explizites Beispiel f¨ur die Evans-Funktion
3. Puls:
λ∈σpt(T) ⇔ A0(λ) := lim
ξ→±∞A(ξ, λ) ist hyperbolisch und es gilt dim(ker(T(λ))) >0.
Dieser Satz hat zur Folge, dass f¨ur nichttriviale Eigenfunktionen die Endmatrizen A±(λ) bzw. A0(λ) automatisch hyperbolisch sind.
Des Weiteren spielt die Asymptotik der Eigenfunktionen des Systems (1-5) eine wichtige Rolle, es gilt n¨amlich[57]
U(λ) :={W0 ∈Cn:W(ξ, λ)→0 f¨urξ → −∞}= ker(P−(0, λ)) sowie S(λ) :={W0 ∈Cn:W(ξ, λ)→0 f¨urξ → ∞}= im(P+(0, λ)).
Dabei istW jeweils eine nichttriviale L¨osung von (1-5) zum AnfangswertW(0, λ) = W0 und P± sind die Projektionen der jeweiligen exponentiellen Dichotomien aus Satz 1.15. Genauer haben wir sogar folgenden Zusammenhang zum (in)stabilen Un- terraum vonA±(λ) bzw.A0(λ): Die L¨osungen von (1-5) verhalten sich f¨urξ → ±∞
wie die L¨osungen des Systems
W′(ξ) = A±(λ)W(ξ) bzw. W′(ξ) = A0(λ)W(ξ),
d. h., f¨ur ξ → ±∞ verhalten sich die L¨osungen aus U(λ) bzw. S(λ) wie die (ver- allgemeinerten) (in)stabilen Eigenvektoren vonA±(λ) bzw. A0(λ) (f¨ur Details siehe Kapitel 3 aus der Arbeit von Zumbrun und Howard[63]).
1.3 Ein explizites Beispiel f¨ ur die Evans-Funktion
In diesem Abschnitt wollen wir ein Beispiel[36] betrachten, anhand dessen wir die Evans-Funktion konkret angeben k¨onnen. Gegeben sei die folgende skalare partielle Differentialgleichung (Reaktionsdiffusionsgleichung):
Ut(ξ, t) = Uξξ(ξ, t)−U(ξ, t) + 2 (U(ξ, t))3, U(ξ, t)∈R, ξ ∈R, t ≥0. (1-7) 1.24 Lemma. Die Gleichung (1-7) hat die station¨are Puls-L¨osung
Φ(ξ) = sech(ξ). (1-8)
Beweis. Mit Φ(ξ) = sech(ξ) = ex+ e2−x und Φ′′(ξ) = 2 e2x(ex−+ e12+2 e−x)3−2x gilt Φ′′(ξ)−Φ(ξ) + 2 (Φ(ξ))3 = 2 e2x−12 + 2 e−2x
(ex+ e−x)3 − 2
ex+ e−x + 16 (ex+ e−x)3
= 2 e2x−12 + 2 e−2x−2(ex+ e−x)2+ 16 (ex+ e−x)3
= 0.
−100 −5 0 5 10
0.2 0.4 0.6 0.8 1
ξ
Φ(ξ)
Abbildung 1.2: Travelling-Wave-L¨osung der Reaktionsdiffusionsgleichung (1-7).
Da der Geschwindigkeitsparameter s hier nicht auftaucht (d. h., hier gilt s = 0), spricht man in diesem Fall von einer stehenden Welle.
Linearisieren wir die Gleichung (1-7) um die L¨osung (1-8), so erhalten wir die lineare partielle Differentialgleichung
Ut(ξ, t) =Uξξ(ξ, t) + 6(Φ(ξ))2−1
U(ξ, t) bzw.
Ut(ξ, t) = Uξξ(ξ, t) + (6 sech2(ξ)−1)U(ξ, t).
Das dazu assoziierte Eigenwertproblem lautet damit
λU¯(ξ) = ¯Uξξ(ξ) + (6 sech2(ξ)−1) ¯U(ξ) (1-9)
1.3 Ein explizites Beispiel f¨ur die Evans-Funktion
bzw. geschrieben als System erster Ordnung
W′(ξ) =A(ξ, λ)W(ξ), (1-10)
wobeiW(ξ) :=
U¯(ξ) U¯ξ(ξ)
undA(ξ, λ) :=
0 1
λ+ 1−6 sech2(ξ) 0
. F¨ur dieses System gilt:
• die Matrix A hat die Form
A(ξ, λ) = ˜A(ξ)+B(λ) mit A(ξ) =˜
0 0
−6 sech2(ξ) 0
, B(λ) =
0 1 λ+ 1 0
;
• es gilt
ξ→±∞lim
A(ξ) = 0 (und zwar exponentiell schnell);˜
• f¨ur Ω :={λ ∈C: Re(λ)>−1} ⊂C hat die Matrix A0(λ) = lim
ξ→±∞A(ξ, λ) =
0 1 λ+ 1 0
die einfachen Eigenwerte µ−(λ) =√
λ+ 1 und µ+(λ) = −√ λ+ 1.
Insbesondere ist die Matrix A0(λ) auf Ω hyperbolisch.
Damit befinden wir uns in der Situation aus Abschnitt 1.2.2.
1.25 Lemma. Die zu µ±(λ) geh¨origen Eigenvektoren lauten v−(λ) =
1 + λ3 +√ λ+ 1
1 3
√λ+ 1(λ+ 3) +λ+ 1
und v+(λ) =
1 + λ3 +√ λ+ 1
−13√
λ+ 1(λ+ 3)−(λ+ 1)
. Beweis. Nachrechnen liefert
A0(λ)v± =
0 1 λ+ 1 0
1 + λ3 +√ λ+ 1
∓13√
λ+ 1(λ+ 3)∓(λ+ 1)
=
∓13√
λ+ 1(λ+ 3)∓(λ+ 1) (λ+ 1) 1 + λ3 +√
λ+ 1
=∓√ λ+ 1
1
3(λ+ 3) +√ λ+ 1
∓√
λ+ 1 1 + λ3 +√ λ+ 1
=∓√ λ+ 1
1 + λ3 +√ λ+ 1
∓13√
λ+ 1(λ+ 3)∓(λ+ 1)
=µ±(λ)v±(λ).
Da f¨ur λ ∈ Ω die Eigenwerte µ−(λ) und µ+(λ) beide einfach sind, existiert ein Fundamentalsystem von L¨osungen W± zu (1-10) mit der Eigenschaft
ξ→−∞lim W−(ξ, λ) e−µ−(λ)ξ =v−(λ) und lim
ξ→∞W+(ξ, λ) e−µ+(λ)ξ =v+(λ). (1-11) Zur expliziten Berechnung der Evans-Funktion ben¨otigen wir die L¨osungen W±, welche die asymptotischen Bedingungen in (1-11) erf¨ullen.
1.26 Lemma (Sandstede[56]). Die L¨osungen W− und W+ sind gegeben durch W−(ξ, λ) = e√λ+1ξ
1+λ3−√
λ+1 tanh(ξ)−sech2(ξ)
1 3
√λ+1(λ+3)−(λ+1) tanh(ξ)−2 sech2(ξ)(√λ+1−tanh(ξ))
und
W+(ξ, λ) = e−√λ+1ξ
1+λ3+√
λ+1 tanh(ξ)−sech2(ξ)
−13√
λ+1(λ+3)−(λ+1) tanh(ξ)+2 sech2(ξ)(√λ+1+tanh(ξ))
.
Beweis. Wir rechnen die Behauptung nur f¨ur W− nach, f¨ur W+ l¨auft der Beweis analog. Definieren wir
u(ξ, λ) := W−(ξ, λ)
1 = e√λ+1ξ
1 + λ 3 −√
λ+ 1 tanh(ξ)−sech2(ξ)
, so folgt
uξ(ξ, λ) = e√λ+1ξ 1
3
√λ+ 1(λ+ 3)−(λ+ 1) tanh(ξ)
−2 sech2(ξ)√
λ+ 1−tanh(ξ) , uξξ(ξ, λ) = 1
12e√λ+1ξsech4(ξ) ((λ+ 1) cosh(2ξ) +λ−11)
−3√
λ+ 1 sinh(2ξ) + (λ+ 3) cosh(2ξ) +λ−3
. Damit gilt
uξ(ξ, λ) = W−(ξ, λ)
2
sowie
uξξ(ξ, λ) + 6 sech2(ξ)−1−λ
u(ξ, λ) = 0, d. h.,u erf¨ullt die Eigenwertgleichung (1-9).
Somit k¨onnen wir die Evans-Funktion auf Ω angeben:
D(λ) = det W−(0, λ), W+(0, λ)
1.3 Ein explizites Beispiel f¨ur die Evans-Funktion
= det
λ
3
λ 1 3
3
√λ+ 1(λ+ 3)−2√
λ+ 1 −13√
λ+ 1(λ+ 3) + 2√ λ+ 1
=−2
9λ(λ−3)√ λ+ 1.
F¨ur die Nullstellen vonD gilt auf Ω
D(λ) = 0 ⇔ λ∈ {0,3},
d. h., f¨ur das Punktspektrum des zugrunde liegenden OperatorsT erhalten wir σpt(T) ={0,3}.
Oder anders ausgedr¨uckt: F¨urλ = 0 undλ = 3 sind die L¨osungenW−undW+linear abh¨angig und generieren eine nichttriviale beschr¨ankte Eigenfunktion von (1-10). Im Detail heißt das f¨urλ= 0:
W−(ξ,0) = eξ
1−tanh(ξ)−sech2(ξ)
1−tanh(ξ)−2 sech2(ξ) (1−tanh(ξ))
=
−tanh(ξ) sech(ξ) sech(ξ)−2 sech3(ξ)
, W+(ξ,0) = e−ξ
1 + tanh(ξ)−sech2(ξ)
−1−tanh(ξ) + 2 sech2(ξ) (1 + tanh(ξ))
=
tanh(ξ) sech(ξ)
−sech(ξ) + 2 sech3(ξ)
, und f¨urλ = 3:
W−(ξ,3) = e2ξ
2−2 tanh(ξ)−sech2(ξ)
4−4 tanh(ξ)−2 sech2(ξ) (2−tanh(ξ))
=
sech2(ξ)
−2 tanh(ξ) sech2(ξ)
, W+(ξ,3) = e−2ξ
2 + 2 tanh(ξ)−sech2(ξ)
−4−4 tanh(ξ) + 2 sech2(ξ) (2 + tanh(ξ))
=
sech2(ξ)
−2 tanh(ξ) sech2(ξ)
.
Die Ergebnisse dieses Abschnitts fassen wir in folgendem Korollar zusammen.
1.27 Korollar. (i) F¨ur λ= 0 ist W1(ξ) :=
tanh(ξ) sech(ξ)
−sech(ξ) + 2 sech3(ξ)
eine Eigenfunktion, welche (1-10) erf¨ullt und exponentiell f¨ur ξ → ±∞ ab- klingt. Gleiches gilt f¨ur λ = 3 mit der Eigenfunktion
W2(ξ) :=
sech2(ξ)
−2 tanh(ξ) sech2(ξ)
.
(ii) Die station¨are Puls-L¨osung (1-8) ist instabil.