2.6 Alternative Berechnungsm¨oglichkeiten der Evans-Funktion
2.6.2 Die Riccati-Methode
n
l
≈ n
n/2
,
wenn man den typischen Fall l ≈ n2 voraussetzt. F¨ur zu große n ist dieses Verfahren dann aus numerischer Sicht nicht mehr praktikabel.
⊖ Die Erhaltung der Eigenschaft (2-16) w¨ahrend der numerischen Integration kann nur garantiert werden, falls I eine starke quadratische Invariante ist. In diesem Fall bietet es sich z. B. an, ein Gauß-Legendre-Runge-Kutta -Verfahren zu verwenden. Im Allgemeinen – d. h., wenn I nur eine schwache Invariante ist – ist kein Verfahren bekannt, welches die Bedingung (2-16) exakt erh¨alt.[10]
2.6.2 Die Riccati-Methode
DieRiccati-Methode basiert auf der Arbeit vonLedoux,Malhamund Th¨ umm-ler[46] und verfolgt einen ¨ahnlichen Ansatz wie den aus Abschnitt 2.3.2. Wir be-trachten alsol linear unabh¨angige L¨osungenW1(ξ), . . . , Wl(ξ) des Systems
W′(ξ) =A(ξ, λ)W(ξ), W(ξ)∈Cn, ξ ∈R (2-17) und fassen die L¨osungen wieder als Matrix
Y(ξ) = (W1(ξ), . . . , Wl(ξ))∈Cn×l. zusammen. Nun zerlegen wirY(ξ) in der Form
Y(ξ) = Il
y(ξ)
u(ξ), (2-18)
2.6 Alternative Berechnungsm¨oglichkeiten der Evans-Funktion
wobeiu(ξ)∈GL(l). Die Matrix y(ξ)∈C(n−l)×l hat die Struktur
y(ξ) =
y1,1(ξ) y1,2(ξ) . . . y1,l(ξ) y2,1(ξ) y2,2(ξ) . . . y2,l(ξ)
... ... . .. ...
yn−l,1(ξ) yn−l,2(ξ) . . . yn−l,l(ξ)
mit komplexen Eintr¨agenyi,j(ξ)∈C,i= 1, . . . , n−l,j = 1, . . . , lund repr¨asentiert die l linear unabh¨angigen L¨osungen W1(ξ), . . . , Wl(ξ) in eindeutiger Weise.
2.14 Bemerkung. Man h¨atte die Matrix Y(ξ) z. B. auch in der Form Y(ξ) =
y(ξ) Il
u(ξ) (2-19)
zerlegen k¨onnen. Dies ist dann lediglich eine andere Darstellung f¨ur den entspre-chenden Unterraum.
F¨ur eine alternative Darstellung der Evans-Funktion in diesem Kontext zerlegen wir die Matrix A aus (2-17) in vier Bl¨ocke:
A(ξ, λ) =
a(ξ, λ) b(ξ, λ) c(ξ, λ) d(ξ, λ)
mita(ξ, λ)∈Ck×k,b(ξ, λ)∈Ck×(n−k),c(ξ, λ)∈C(n−k)×kund d(ξ, λ)∈C(n−k)×(n−k); k ist hierbei wie bisher die Anzahl der instabilen Moden und n−k die der stabilen Moden des Systems (2-17). Wir fassen die Moden folgendermaßen zusammen:
Y−(ξ) = W1−(ξ), . . . , Wk−(ξ)
∈Cn×k, Y+(ξ) = W1+(ξ), . . . , Wn+−k(ξ)
∈Cn×(n−k); d. h.,Y− bzw. Y+ erf¨ullt die matrixwertige Differentialgleichung
Y′(ξ) = A(ξ, λ)Y(ξ), Y(ξ)∈Cn×l, ξ∈R (2-20) f¨ur l = k bzw. l = n −k. Verwenden wir f¨ur Y− die Zerlegung (2-18) und f¨ur Y+ die Zerlegung (2-19), so kann man analog zur Polarkoordinaten-Methode (2-20)
¨aquivalent umformulieren zu dem System
y′(ξ) = c(ξ, λ) +d(ξ, λ)y(ξ)−y(ξ)a(ξ, λ)−y(ξ)b(ξ, λ)y(ξ),
u′(ξ) = (a(ξ, λ) +b(ξ, λ)y(ξ))u(ξ) (2-21)
f¨ur die L¨osungY−= Ik
y−
u− bzw.
y′(ξ) = b(ξ, λ) +a(ξ, λ)y(ξ)−y(ξ)d(ξ, λ)−y(ξ)c(ξ, λ)y(ξ),
u′(ξ) = (c(ξ, λ)y(ξ) +d(ξ, λ))u(ξ). (2-22) f¨ur die L¨osungY+=
y+ In−k
u+.
2.15 Definition. Die Gleichungen f¨ur y in (2-21) bzw. (2-22) bezeichnet man als Riccati-Differentialgleichungen.
Schließlich k¨onnen wir jetzt mit Lemma 2.10 dieEvans-Funktion schreiben als D(λ) = det Y−(0, λ), Y+(0, λ)
= det u−(0, λ)
det u+(0, λ) det
Ik y+(0, λ) y−(0, λ) In−k
.
Vor- und Nachteile der Riccati-Methode:
⊕ S¨amtliche Informationen zur Berechnung von D sind in der Riccati -Diffe-rentialgleichung enthalten, da nach Konstruktion det (u±(0, λ))6= 0 gilt.
⊕ Es gilt y− ∈ C(n−k)×k sowie y+ ∈ Ck×(n−k), und damit reduziert sich die Dimension des zu integrierenden Systems der entscheidenden Gr¨oße y± im Vergleich zur Q-Gleichung bei der Polarkoordinaten-Methode. Dort hatten wir Q−∈Cn×k sowie Q+∈Cn×(n−k).
⊖ W¨ahrend der Integration kann es bez¨uglich dery-Variable ein
”blow up“ geben, obwohl die Gr¨oße Y selbst endlich bleibt. In diesem Fall wird die Matrix u singul¨ar. Dies liegt dann an der gew¨ahlten Zerlegung (2-18) bzw. (2-19) der Matrix Y.
Weitere Details, Verallgemeinerungen der Methode und insbesondere die Handha-bung mit der potentiellen blow-up-Gefahr sind in der Arbeit vonLedoux,Malham und Th¨ummlerzu finden.[46]
3 Numerik orthogonaler Fl¨ usse
In diesem Kapitel behandeln wir die Frage nach der Erhaltung der der Gleichheit
Q∗Q=Il (3-1)
w¨ahrend der numerischen Integration der GleichungQ′ = (In−QQ∗)A(ξ, λ)Q(vgl.
Abschnitt 2.5). Allgemein spricht man bei (3-1) von einer Orthogonalit¨atsbedingung des FlussesQbzw. im Kontext derStiefel-Mannigfaltigkeit von der Erhaltung der Gr¨oßeQ auf Vl(Cn).
In der Arbeit von Humpherys und Zumbrun[30] werden einige Vorschl¨age zur L¨osung dieser Frage gemacht. Als Beispiel sei der folgende genannt: Man betrachtet statt Q′ = (In−QQ∗)A(ξ, λ)Q die Gleichung
Q′ = In−QQ†
A(ξ, λ)Q+cΩ (In−QQ∗),
wobei Q† := (Q∗Q)−1Q∗ die verallgemeinerte Inverse bezeichnet und c ≥ 0 ein D¨ampfungsparameter ist. Dies bewirkt, dass der FehlerQ(ξ)∗Q(ξ)−Il w¨ahrend der Integration f¨ur hinreichend kleine Werte voncrelativ klein ist (vgl. Kapitel 4 in der Arbeit vonHumpherys und Zumbrun[30]).
Das Ziel in diesem Teil der Arbeit ist, die Gleichheit Q(ξ)∗Q(ξ) = Il bis auf Maschinengenauigkeit zu erhalten. Die Idee hierf¨ur ist, die Differentialgleichung Q′ = (In−QQ∗)A(ξ, λ)Q mit Q ∈ Vl(C) ¨aquivalent als Differential-algebraische Gleichung in die Form
Q′ = (In−QQ∗)A(ξ, λ)Q−QΛ, 0 = Q∗Q−Il
(3-2) umzuschreiben, um die Erhaltung der Bedingung (3-1) explizit in der Gleichung zu fordern und damit in einem numerischen Verfahren zu garantieren (zumindest bis auf Maschinengenauigkeit). Dabei ist Λ eineHermitesche Matrix in Cl×l.
Wir formulieren das Vorgehen zun¨achst im Reellen.1 Erst am Schluss erfolgt die Ubertragung ins Komplexe.¨
1Der Grund hierf¨ur wird ersichtlich in Abschnitt 3.4.1.
3.1 Grundlagen f¨ ur Differential-algebraische Gleichungen
In diesem Abschnitt fassen wir – basierend auf dem Buch vonStrehmel,Weiner und Podhaisky[60] – kurz die Theorie f¨ur Differential-algebraische Gleichungen zusammen. Grundlage hierf¨ur ist eine vektorwertige Differential-algebraische Glei-chung der Form
F(ξ, y(ξ), y′(ξ)) = 0 (3-3)
mit einer hinreichend oft differenzierbaren Funktion F :I ×Rn×Rn →Rn, wobei I ⊂Rein Intervall ist.
3.1 Bemerkung. Ist die Jacobi-Matrix ∂y∂F′ in einer Umgebung der L¨osung y von (3-3) regul¨ar, so ist nach dem Satz ¨uber implizite Funktionen die Gleichung (3-3) lokal nachy′(ξ) aufl¨osbar und wir erhalten ein System von gew¨ohnlichen Differenti-algleichungen erster Ordnung.
In vielen F¨allen – so auch bei unserem matrix- und komplexwertigen System (3-2) – besitzt (3-3) die Struktur
y′(ξ) = f(ξ, y(ξ), z(ξ)), 0 = g(ξ, y(ξ), z(ξ))
einer semi-expliziten Differential-algebraischen Gleichung mit passenden Funktionen f :I ×Rny ×Rnz → Rny und g :I ×Rny×Rnz → Rnz. In diesem Fall heißt y die differentielle undz die algebraische Variable. Die algebraische Nebenbedingung
0 =g(ξ, y(ξ), z(ξ)) (3-4)
spiegelt z. B. Erhaltungss¨atze oder geometrische Zwangsbedingungen wider. Sie wird daher h¨aufig auch Zwangsbedingung genannt. Die Bezeichnung
”algebraisch“ bedeu-tet hier, dass keine Ableitungen in (3-4) auftreten.
3.2 Definition. Sei m ∈N geben und sei y eine L¨osung von (3-3). Man betrachte die Gleichungen
F(ξ, y, y′) = 0, dF(ξ, y, y′)
dξ = 0, . . . ,dmF(ξ, y, y′) dmξ = 0.
Das kleinste m, f¨ur welches man diese Gleichungen in ein explizites System erster Ordnung der Gestalt
y′ =G(ξ, y) (3-5)
mit einer geeigneten FunktionGumformen kann, heißt (Differentiations-)Index. Da-bei heißt (3-5) die der Differential-algebraischen Gleichung (3-3) zugrunde liegende gew¨ohnliche Differentialgleichung.
3.1 Grundlagen f¨ur Differential-algebraische Gleichungen
3.3 Beispiel. a) Eine explizite gew¨ohnliche Differentialgleichung hat den Index 0.
b) Die algebraische Gleichung
F(ξ, y) = 0
mit regul¨arer Jacobi-Matrix Fy(ξ, y) hat den Index 1, denn dF(ξ, y)
dξ =Fξ(ξ, y) +Fy(ξ, y)y′ = 0 ist nach y′ aufl¨osbar:
y′ =G(ξ, y), G(ξ, y) :=−Fy−1(ξ, y)Fξ(ξ, y).
Im Folgenden betrachten wir Index-2-Systeme genauer. Dazu sei das semi-explizite Differential-algebraische System
y′(ξ) = f(ξ, y(ξ), z(ξ)),
0 = g(ξ, y(ξ)). (3-6)
gegeben.
3.4 Lemma. Gegeben sei eine L¨osung (y, z) von (3-6). Falls gy(ξ, y)fz(ξ, y, z)
in einer Umgebung der L¨osung regul¨ar ist, so ist (3-6) vom Index 2.
Beweis. Differenziert man die Zwangsbedingung 0 =g(ξ, y) nach ξ, so erh¨alt man 0 =gξ(ξ, y) +gy(ξ, y)y′ =gξ(ξ, y) +gy(ξ, y)f(ξ, y, z). (3-7) Nochmaliges Differenzieren liefert
0 = gξξ+gξyy′+ ∂
∂ξ (gyf) + ∂
∂y(gyf)
y′ + ∂
∂z (gyf)
z′
=gξξ+gξyf+gξyf+gyfξ+ (gyy(f,·) +gyfy)f+gyfzz′
=gξξ+ 2gξyf +gyfξ+gyy(f, f) +gyfyf +gyfzz′.
Damit k¨onnen wir nach Voraussetzung (3-6) folgendermaßen umformen:
y′ =f(ξ, y, z),
z′ =−(gyfz)−1(gξξ+ 2gξyf +gyfξ+gyy(f, f) +gyfyf),
d. h., wir erhalten dadurch die zugrunde liegende gew¨ohnliche Differentialgleichung f¨ur (3-6). Damit ist (3-6) vom Index 2.
Betrachtet man f¨ur (3-6) in der Situation von Lemma 3.4 zus¨atzlich Anfangswerte der Form
y(ξ0) = y0 und z(ξ0) =z0
f¨ur ein ξ0 ∈I, so erf¨ullen diese sowohl
0 =g(ξ0, y0) als auch die
”versteckte“ Zwangsbedingung (3-7):
0 =gξ(ξ0, y0) +gy(ξ0, y0)f(ξ0, y0, z).
Solche Anfangswerte bezeichnet man als konsistent.
3.5 Bemerkung. Die eindeutige L¨osbarkeit von (3-6) kann f¨ur konsistente An-fangswerte unter gewissen Glattheitsvoraussetzungen an f und g auf den Satz von Picard-Lindel¨of zur¨uckgef¨uhrt werden, vgl. Bemerkung 13.3.2 in dem Buch von Strehmel, Weiner und Podhaisky.[60]
Zum Schluss dieses Abschnitts besch¨aftigen wir uns mit dem Zusammenhang zwi-schen einer gew¨ohnlichen Differentialgleichung mit einer Invarianten und einer Dif-ferential-algebraischen Gleichung (vom Index 2). Dazu betrachten wir das System gew¨ohnlicher Differentialgleichungen
y′ =h(ξ, y), h:Rn →Rn (3-8) auf der Menge
M ={y∈Rn:g(y) = 0},
wobeig :Rn→Rm (m < n) eine differenzierbare Abbildung ist undgy vollen Rang hat, d. h.,M ist eine (n−m)-dimensionale Untermannigfaltigkeit desRn. Man nennt dahery′ =h(ξ, y),y ∈M eine Differentialgleichung auf der Mannigfaltigkeit M. 3.6 Definition. Sei y eine L¨osung von (3-8) mit einem Anfangswert y(ξ0) =y0.
a) Gilt
g(y(ξ)) = g(y0) = const
f¨ur alle ξ, so bezeichnet man g alserstes Integral oder starke Invariante von (3-8).
b) Erf¨ullt y lediglich die Bedingung
y0 ∈M ⇒ y(ξ)∈M f¨ur alle ξ, so heißt g eine schwache Invariante von (3-8).