A1420 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 26⏐⏐27. Juni 2008
A K T U E L L
Die große Mehrheit der Ärzte be- wertet die Arbeit von Selbsthilfe- gruppen als hilfreich bei der Patien- tenbehandlung. Dies geht aus Studi- energebnissen hervor, die bei einer Fachtagung der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV) zur Ko- operation von Ärzten und Selbsthil- fe in Berlin vorgestellt wurden. Vor allem jüngere Ärzte sowie Ärzte in Gemeinschaftspraxen oder Ärzte- netzen stünden der Selbsthilfe auf- geschlossen gegenüber, berichtete Dr. med. Peter Scholze, der für die KBV als Vorstandsbeauftragter für das Thema Patientenzentrierung zu- ständig ist. Nach einer Umfrage der
Kassenärztlichen Vereinigung Bay- erns habe sich gezeigt, dass sich 60 Prozent der Praxen eine Möglich- keit wünschten, auch nach außen unter dem Siegel „Selbsthilfe- freundliche Praxis“ zu firmieren.
Scholze schränkte jedoch ein, dass der Bereitschaft zur Kooperation oft keine konkreten Schritte folgten.
Die Gründe hierfür sind nach Meinung von Prof. Dr. Wolfgang Slesina, Universität Halle-Witten- berg, vielfältig. Studien hätten ge- zeigt, dass fehlende Abrechnungs- möglichkeiten ein Kooperationshin- dernis seien. Ärzten, die nicht mit Selbsthilfegruppen zusammenar- beiten, begründeten dies oft damit, dass eine Kooperation nicht den ärztlichen Blick für die Probleme chronisch Kranker schärfe.
Anders die Meinung von KBV- Vorstand Dr. med. Carl-Heinz Mül- ler: „Ärzte profitieren vom Erfah- rungswissen einer Selbsthilfegrup- pe zu einem bestimmten Krank- heitsbild. Dabei stärkt das größere Verständnis der spezifischen Pro- bleme das Verhältnis zwischen Pati- ent und Arzt. Es verbessert die Com- pliance und macht einen Therapie- erfolg wahrscheinlicher.“ SR
RAUCHEN: SUCHTMERKMALE BEWIESEN
Nikotinabhängige Raucher weisen in der Funkti- on des Dopaminsystems im Gehirn ähnliche Defizite auf wie andere Suchtkranke. Das haben Mainzer, Aachener und Dresdner Wissenschaft- ler mithilfe der Positronenemissionstomografie (PET) herausgefunden. Die Studie, die online im „American Journal of Psychiatry“ (http://ajp.
psychiatryonline.org/content/vol165/issue4/
index.dtl) erschienen ist, zeigt klar, dass die neurobiologischen Auswirkungen von Nikotin ähnlich denen von Alkohol, Kokain, Heroin oder Amphetamin sind. Die Frage, ob Rauchen eine echte Suchterkrankung oder doch eher eine schlechte Angewohnheit ist, beschäftigt die Forschung schon seit Längerem. Insbesondere ging man nicht davon aus, dass Nikotin die gleichen neurobiologischen Folgen hat wie die sogenannten harten Drogen. Diese Annahme haben die Wissenschaftler nun widerlegt.
Mithilfe der PET haben sie den Dopamin- stoffwechsel im Gehirn von 17 starken Rau- chern mit demjenigen von 21 Nichtrauchern verglichen. Nikotin setzt – ebenso wie Alkohol oder Drogen – in einem Teil des Mittelhirns den Botenstoff Dopamin frei. Rezeptoren auf der Oberfläche von Nervenzellen binden Dopamin und werden in die Zelle geschleust. Bei chroni- schem Nikotinkonsum kann sich infolge einer dauerhaften Dopaminfreisetzung die Rezepto- rendichte verändern.
Niedrige Rezeptorendichte ist charakteristisch für Suchtverhalten
So zeigt die Studie, dass im bilateralen Putamen (ein Teil des Striatums) die Verfügbar- keit bestimmter Dopaminrezeptoren bei den Rauchern stark erniedrigt ist. Eine ähnlich nied- rige Rezeptorverfügbarkeit in diesem Teil desGehirns tritt auch bei Patienten auf, die alkohol-, kokain-, heroin- oder amphetamin- abhängig sind. Das Dopaminsystem im bilate- ralen Putamen ist entscheidend daran beteiligt, Neues interessant zu finden oder eine Beloh- nung bei bestimmten Auslösern zu antizipieren.
Eine niedrige Verfügbarkeit von Dopaminre- zeptoren in diesem Bereich verschlechtert die natürliche Dopaminwirkung. „Die niedrige Verfügbarkeit war auch unter Entzugsbedin- gungen gegeben", beschreibt Dr. med. Chris- toph Fehr (Mainz) ein weiteres Ergebnis der Studie. „Hält diese länger an, wäre dies eine mögliche Erklärung, warum es den Betroffenen so schwerfällt, mit dem Rauchen aufzuhören.
Denn eine anhaltende Unterfunktion des Dopa- minsystems scheint ein charakteristisches Merkmal für Abhängigkeit und Rückfallrisiko bei einer Suchterkrankung zu sein.“ zyl Der Gemeinsame Bundesausschuss
(G-BA) ermöglicht es den Kranken- häusern, sich in größerem Umfang als bisher für die interdisziplinäre ambulante Versorgung zu öffnen.
Nach einem Beschluss von Mitte Juni sollen sie künftig auch Patien- ten mit schwerer chronischer Herz- insuffizienz, Krebserkrankungen des Auges, HIV/Aids und Rheuma be- handeln dürfen. Festgelegt wurden Einzelheiten zu den Krankheits- bildern, Behandlungsverläufen und weiteren Voraussetzungen.
Darüber hinaus hat der G-BA be- schlossen, dass zum 1. Januar 2009 eine Früherkennungsuntersuchung auf Hörstörungen bei Neugeborenen eingeführt wird. Weiterhin soll die Positronenemissionstomografie zur Diagnose des kleinzelligen Lungen- karzinoms künftig gesetzlich Kran- kenversicherten auch in der ambu- lanten Versorgung zur Verfügung ste- hen. Zudem hat der G-BA das Chro- nikerprogramm „Koronare Herz- krankheit“ aktualisiert und um ein Modul für Patienten mit Herzinsuffi- zienz erweitert. Weitere Beschlüsse im Internet unter: www.g-ba.de/in formationen/beschluesse. Rie ÖFFNUNG DER KRANKENHÄUSER
G-BA benennt vier neue Krankheitsbilder
Selbsthilfe- gruppen kön- nen vom ärztli- chen Fachwissen profitieren – Ärz- te vom Erfah- rungswissen der Betroffenen.
Foto:VISUM
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