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Archiv "Mobile Rehabilitation: Die Probleme dort behandeln, wo sie auftreten" (25.08.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 34–3525. August 2008 A1771

P O L I T I K

E

s war nur ein kurzer Augen- blick an einem ganz normalen Tag. Aber für Brigitta Meyfarth (73) war es der Moment, in dem sich ihr Leben schlagartig änderte. Die bis dahin rüstige Seniorin konnte plötz- lich nicht mehr sprechen, und ihre rechte Körperhälfte war gelähmt.

Die Ärzte dignostizierten einen In- farkt der Arteria cerebri media – vermutlich thrombembolisch be- dingt bei Vorhofflimmern. Mittler- weile sind einige Wochen vergan- gen, Meyfarth ist nach Hause zu- rückgekehrt, wo sie mit ihrem Ehe- mann lebt. Geblieben sind eine arm- betonte Hemiparese rechts, eine globale Aphasie, eine Apraxie und eine Inkontinenz.

Meyfarth sitzt mit ihrer Tochter im Wintergarten, als Nicole Schaller (33) in der Einfahrt parkt. Die Kran- kenschwester und Pflegetherapeutin kommt vom mobilen Rehabilitati- onsdienst Woltersdorf bei Berlin.

Mobilisation und Toilettentraining stehen heute auf dem Programm.

Meyfarth freut sich über den Besuch und ist motiviert. „Sollen wir es heute mit dem Gehbock versu- chen?“, fragt Schaller. Die Patientin ist allem Anschein nach einverstan- den. Antworten kann sie nur mit Ja und Nein. Doch ob sie auch sagt, was sie meint, und versteht, was ge- meint ist, ist nicht immer klar. Umso erstaunlicher ist es für den Außen- stehenden, wie es Schaller gelingt, die Patientin zu mobilisieren, die

eben noch scheinbar völlig unbe- weglich im Rollstuhl saß. Obwohl sie mit der rechten Hand nicht zu- greifen kann, gibt der Gehbock Meyfarth Stabilität. Mit leichter Führung bewegt sie sich nahezu selbstständig durch die Wohnung:

über die Rollstuhlrampe in den Flur, um die Ecke durch die relativ enge Küche über die Türschwelle durchs Wohnzimmer und schließlich ins Bad. Die Wohnung ist fast wie ein Parcours, der Bodenbelag wechselt:

Fliesen, PVC, Teppich. Schaller korrigiert immer wieder die Haltung der Patientin. Meyfarths Tochter ist begeistert von den Fortschritten, die ihre Mutter schon gemacht hat:

„Unglaublich ist das. Toll.“

„Wir behandeln die Probleme dort, wo sie auftreten – bei den Pa- tienten zu Hause“, erklärt Schaller später. Das Konzept der mobilen

Rehabilition hält sie für äußerst sinnvoll. So könne man am besten sehen, wie die Patienten in der nor- malen, häuslichen Situation zu- rechtkämen, und die Therapie dar- auf abstimmen. Nur wer genau wis- se, wie der Wohnraum eines Pa- tienten aussehe, könne am besten entscheiden, welche Hilfsmittel zu organisieren seien oder wie die Einrichtung umgestaltet werden kön- ne. „Die Ausstattung von Kranken- häusern und Rehakliniken ist meist behindertengerecht“, sagt Schaller.

Die Patienten müssten aber zu Hau- se ihr Leben meistern.

Das Evangelische Krankenhaus Woltersdorf ist eine der wenigen Einrichtungen, die bislang mobile Rehabilitation anbieten. Die Klinik ist mit 126 Betten die größte Geria- trie in Brandenburg. Dr. med. Rai- ner Neubart (55), der ärztliche Lei- ter des Rehabilitationsdienstes, ist einer der Pioniere auf dem Gebiet der mobilen Rehabilitation. Bereits 1992 startete in Woltersdorf ein Mo- dellprojekt. Wie genau die Idee ent- stand, kann Neubart heute gar nicht mehr sagen. Aber die Rehabilita- tionsziele auf die Wohn- und Le- bensbedingungen abzustimmen, er- schien ihm wichtig. „Wenn ein Pa- tient in der Klinik Treppen steigen kann, dann heißt das noch lange nicht, dass er auch seine Treppe zu Hause schafft“, erläutert Neubart.

Wenn man dies nicht berücksichti- ge, dann sei Geriatrie nichts als

„akademische Selbstbefriedigung“.

Ziele der mobilen Rehabilitation sind die Vermeidung oder Verkür- zung eines stationären Aufenthalts sowie die Sicherung des stationären Rehabilitationserfolgs. Im Vorder- grund stehen dabei immer Selbst- ständigkeit und Lebensqualität. Da- bei findet die Therapie durch ein interdisziplinäres Team statt. Für Neubart ist die mobile Rehabilitati- on ein Element in einem abgestuften Konzept aus stationärer und ambu- lanter Versorgung. Sie komme nicht für alle Patienten infrage, aber für immer mehr. Zwei Paradebeispiele sind dabei für den Internisten und Geriater Patienten mit Methicillin- resistentem Staphylococcus aureus (MRSA) und Demenzkranke. „Mit den MRSA-Patienten darf man im MOBILE REHABILITATION

Die Probleme dort behandeln, wo sie auftreten

Bei der mobilen Rehabili- tation findet die Therapie bei den Patienten zu Hause statt. Besonders für ge- riatrische Rehabilitanden kann das sinnvoll sein.

Entsprechende Angebote gibt es aber bislang kaum.

Training an der Rollstuhlrampe im Wintergarten:

Schlaganfallpatien- tin Brigitta Meyfarth kommt dank der mobilen Reha zu Hause immer bes- ser zurecht.

Fotos:Birgit Hibbeler

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A1772 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 34–3525. August 2008

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stationären Bereich nicht einmal vor die Zimmertür. Und Demenzkranke kommen in ihrer vertrauten Umge- bung oft viel besser zurecht als in der Klinik“, so Neubart. Auch für Patienten mit Seh- oder Hörstörun- gen kann das gewohnte häusliche und soziale Umfeld eine unterstüt- zende Funktion haben. Das Gleiche gilt für Rehabilitanden mit einer schweren Aphasie, wie Meyfarth.

Der mobile Rehabilitationsdienst ist in einem Umkreis von etwa 30 Kilometern tätig. Die meisten Reha- bilitanden sind geriatrische Patien- ten. Bis zu 20 Behandlungstage sind die Regel. Durchschnittlich zwei Therapieeinheiten mit einer Dauer von 45 Minuten erhalten die Pa- tienten täglich. Hinzu kommen die vielfältigen Aktivitäten im eigenen Haushalt, die auch ohne Therapeu- ten stattfinden können, wenn die Pa- tienten zuvor trainiert und angeleitet wurden. Zu Meyfarth kommt heute noch die Ergotherapeutin. Pflege-

therapeutin Schaller hat sich unter- dessen verabschiedet und fährt ge- meinsam mit ihrer Kollegin, der Physiotherapeutin Anja Krippner (34), zu einer weiteren Patientin:

Heike Gurbicz. Mit 42 Jahren ist sie für die mobile geriatrische Rehabili- tation eigentlich eine ungewöhnli- che Patientin. Obwohl Gurbicz noch vergleichsweise jung ist, hat sie schon eine dramatische Kranken- geschichte hinter sich: Posteriorin- farkt nach Basilaristhrombose, Zu- stand nach Locked-in-Syndrom. Sie ist mit einem Tracheostoma ver- sorgt. Die stationäre Rehabilitation ist abgeschlossen. Jetzt geht es dar- um, dass die Patientin in ihrer eige- nen Lebenswelt wieder zurecht- kommt. Somit wirkt die ambulante Rehabilitation einer Heimaufnahme entgegen. Zurzeit trainiert Gurbicz den freien Sitz – und auch schon das Laufen. „Vorsicht Heike. Ich habe

kalte Hände“, sagt Krippner, bevor sie die Patientin in den Stand mobi- lisiert. Mit einer gekonnten Technik kann die schmale Physiotherapeutin die kleine, aber kompakte Patientin dann sogar so stabilisieren, dass sie einige Meter – vom Wohnzimmer bis in die Küche – geht. Pflegethera- peutin Schaller setzt dabei einen Fuß der Patientin vor den anderen, Krippner fasst ihr von hinten unter die Arme. „In einem Jahr will sie al- lein laufen können“, berichtet der Ehemann der Patientin. Diese sitzt

mittlerweile erschöpft, aber zufrie- den wieder im Rollstuhl. Sie lacht, und ein Luftstrom pfeift durch die Trachealkanüle. „Es macht viel Spaß, mit der Heike zu arbeiten“, er- klärt Krippner. „Sie hat schon gute Fortschritte gemacht und ist un- heimlich motiviert.“

Motiviert und überzeugt vom Konzept ist auch das gesamte Team des mobilen Rehabilitationsdiens- tes. Das merkt man bei der wöchent- lichen Frühbesprechung, dienstags um halb acht Uhr. Neun Mitarbeiter hat der mobile Dienst: eine Ärztin, zwei Physiotherapeutinnen, je eine Ergo-, Sprach- und Pflegetherapeu- tin sowie eine Sozialarbeiterin und eine Psychologin. Hinzu kommt ei- ne Koordinatorin. Zurzeit sind elf Patienten in Behandlung. Kapazitä- ten für 15 Patienten wären da, und Neubart würde gern bis auf 25 auf- stocken.

Doch diesem Wunsch steht die restriktive Genehmigungspraxis der Krankenkassen entgegen. Und das, obwohl alle Rehaleistungen zulas- ten der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV) mit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsge- setzes zu einer Pflichtleistung wur- den. „Das Verhalten mancher Kas- sen grenzt an Sabotage“, kritisiert Neubart. „Wir haben aktuell 82 Ge- nehmigungsverfahren laufen. Viele Anträge werden nach wie vor abge- lehnt, obwohl eindeutig eine Indika- tion besteht.“ Neubart ist trotzdem fest davon überzeugt, dass die mobi- le Rehabilitation künftig an Bedeu- tung gewinnen wird. „Eine wohn- ortnahe Rehabilitation, die das so- ziale Umfeld mit einbezieht, wird immer wichtiger“, betont er. Auch die Geriatrie werde künftig eine zentrale Rolle im Gesundheitswe- sen spielen: „Der monomorbide Pa- tient ist eine aussterbende Spezies.“

Eine ganzheitliche, multiprofessio- nelle Behandlung, die vor allem die Lebensqualität im Blick hat – darin liege die Zukunft. „Die mobile Re- habilitation ist dabei ein wichtiger

Baustein.“ I

Dr. med. Birgit Hibbeler

MOBILE REHABILITATION

Bei der mobilen Rehabilitation werden die Patienten zu Hause behandelt. Im Sozialgesetzbuch (SGB) kommt diese Therapieform erst seit April 2007 vor. Mit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungs- gesetzes wurde Absatz 1 des § 40 SGB V entsprechend geändert. Seitdem ist dort die Rede von am- bulanter Rehabilitation „durch“ wohnortnahe Einrichtungen und nicht mehr „in“. Damit wurde die mo- bile Rehabilitation als Sonderform der ambulanten Reha möglich. Bislang gibt es aber lediglich vier Einrichtungen, die mobile Reha anbieten – in Bad Kreuznach, Karlsruhe, Marburg und Woltersdorf.

Besonders für geriatrische Patienten kann die Rehabilitation zu Hause eine sinnvolle Option sein, denn ein wichtiges Ziel in der Behandlung alter Menschen ist der Erhalt der Selbstständigkeit in der gewohnten Umgebung. Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sprachtherapeuten, Sozialarbeiter und Psychologen arbeiten im Team. Im Mai 2007 haben die Spitzenverbände der Kran- kenkassen unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Mobile Rehabilitation (www.bag-more.de) Rahmenempfehlungen zur mobilen geriatrischen Rehabilitation ver- einbart. Grundlage sind unter anderem die Rahmenempfehlungen zur ambulanten Rehabilitation der

Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation (BAR). BH

Weiterleben nach dem Locked-in- Syndrom:Heike Gurbicz (Mitte) ist mit 42 Jahren die jüngste Patientin von Anja Krippner und Nicole Schaller (von links) – und sehr motiviert.

Das Verhalten mancher Krankenkassen

grenzt an Sabotage.

Dr. med. Rainer Neubart

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